Bankrecht

Keine Festschreibung einer einmal erfolgten Mitteilung über die Höhe der Beteiligung an den Bewertungsreserven

Aktenzeichen  25 U 4117/16

Datum:
13.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VuR – 2017, 279
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 153 Abs. 3 S. 3
VAG § 56a
GG Art. 14
EGVVG Art. 4 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Beteiligung an den Bewertungsreserven: (amtlicher Leitsatz)
2. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit (Schutz des Eigentums, Rückwirkungsverbot) der Anwendung des zum 07.08.2014 in Kraft getretenen Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) – Neufassung des § 56a VAG sowie des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG – auf Lebensversicherungsverträge aus dem regulierten Altbestand (mit aufsichtsbehördlich genehmigten AVB), die erst nach dem 07.08.2014 beendet werden. (amtlicher Leitsatz)
3. Für die Höhe der Beteiligung an den Bewertungsreserven ist allein der Zeitpunkt der Vertragsbeendigung maßgeblich. (redaktioneller Leitsatz)
4. Zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Beteiligung an den Bewertungsreserven steht dem Versicherungsnehmer ein Auskunftsanspruch zu. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 O 2604/15 Ver 2016-09-09 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 09.09.2016, Az. 10 O 2604/15 Ver, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Das Landgericht hat die zuletzt noch streitgegenständliche Klage auf Zahlung von Bewertungsreserven in Höhe von 9.275,88 € zu Recht abgewiesen. Die Ausführungen in der Berufungsbegründung sind nicht geeignet, eine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen.
1. Auch der Senat hält die Klage für derzeit unschlüssig, da sie der Höhe nach nicht ausreichend substantiiert ist. Angesichts der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 23.07.2015 (Seite 5, Bl. 25 d. A.) mitgeteilten, monatlich wachsenden Wertentwicklung der rechnerisch auf den streitgegenständlichen Vertrag entfallenden Beteiligung an den Bewertungsreserven vom 30.04.2014 bis 31.07.2014 (kurz vor Inkrafttreten des Lebensversicherungsreformgesetzes – LVRG) von 6.639,91 € auf 9.275,88 € ist zwar die Argumentation des Klägers, dass er auf dieser Grundlage davon ausgegangen sei, dass sich ohne die Gesetzesänderung zum 01.09.2014 ein entsprechender, allenfalls gering abweichender Wert ergeben hätte, nicht fernliegend. Gemäß § 153 Abs. 3 Satz 2 VVG kommt es für die Höhe der Beteiligung an den Bewertungsreserven aber nur auf den für den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung zu ermittelnden Betrag an (Reiff in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 153, Rn. 25). Da stille Reserven den Schwankungen des Kapitalmarkes unterliegen und daher sehr volatil sind (Reiff, a. a. O., Rn. 23), kommt eine „Fortschreibung“ früherer – ausdrücklich nicht garantierter – Wertstandsmitteilungen auf einen späteren Stichtag, wie sie der Kläger hier vornehmen will, aber nicht in Betracht und stellt letztlich nicht mehr als eine bloße Vermutung dar.
Der Kläger kann sich insoweit auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte eine Auskunft darüber, wie sich die Bewertungsreserven ohne die Änderung durch das Lebensversicherungsreformgesetz (im folgenden LVRG) zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung (31.08.2014/01.09.2014) dargestellt hätten, bisher nicht erteilt hätte. Denn konkret diese Auskunft hat er bisher von der Beklagten nicht verlangt, seinen allgemeinen formulierten Auskunftsantrag, der auf eine Auskunft „über die wesentlichen Grundlagen und Gründe der Herabsetzung der Bewertungsreserven auf null“ (so Schriftsatz vom 10.09.2015, Seite 3, Bl. 39 d. A.) gerichtet war, hat der Kläger erstinstanzlich vollumfänglich für erledigt erklärt, nachdem sich die Beklagte zu den Auswirkungen des am 07.08.2014 in Kraft getretenen LVRG (§ 56a Abs. 3,4 VAG) auf den vorliegenden Altvertrag eingelassen hatte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – Urteil vom 02.12.2015, Az. IV ZR 28/15, VersR 2016, 173 (Rn. 15 ff.) – ist der Versicherungsnehmer darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die ihm vom Versicherer bei Vertragsende ausbezahlte Bewertungsreserve zu gering ist und ihm ein höherer Betrag zusteht. Ihm kann aber zur Durchsetzung seiner Rechte ggf. ein Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben nach § 242 BGB zustehen. Umfang und Inhalt der zur erteilenden Auskunft richten sich danach, welche Informationen der Berechtigte benötigt, um seinen Anspruch geltend machen zu können, soweit dem nicht Zumutbarkeitsgesichtspunkte oder andere Grenzen entgegenstehen. Der Auskunftsanspruch umfasst hierbei grundsätzlich nicht die Verpflichtung zur Vorlage der fiktiven versicherungstechnischen Bilanzen oder anderer Geschäftsunterlagen und auch kein Einsichtsrecht. Die Zubilligung des Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen. Dabei sind sowohl die Art und Schwere der Rechtsverletzung als auch die beiderseitigen Interessen des Berechtigten und des Verpflichteten, insbesondere ein etwaiges berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Versicherers, angemessen zu berücksichtigen.
Bei vorläufiger Würdigung der Gesamtumstände im vorliegenden Fall auf jetziger Aktengrundlage dürfte die Beklagte danach wohl ggf. zu einer Auskunft über den bloßen potentiellen Wert der Bewertungsreserve, wie er sich zum Stichtag ohne die beanstandete Gesetzesänderung berechnet hätte, verpflichtet sein. Diese Auskunft wurde aber bisher noch gar nicht von ihr verlangt.
Der Senat weist darauf hin, dass das im Ersturteil zitierte Urteil des LG Hamburg vom 13.01.2016, Az. 332 O 243/15, inzwischen vom OLG Hamburg unter Az. 9 U 20/16 bestätigt worden ist. Die Berufung des dortigen Klägers wurde gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschlüsse vom 04.07.2016 (Hinweisbeschluss) und vom 27.09.2016 (Zurückweisungsbeschluss) zurückgewiesen. Dabei hat das Oberlandesgericht entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass der Vortrag des dortigen Klägers zur Höhe der Schlussüberschussanteile – im Kern ähnlich wie hier auf vorangegangene unverbindlichen Mitteilungen über frühere Wertstände, dort aus dem Vorjahr, gestützt – nicht ausreichend substantiiert sei, und in diesem Zusammenhang auch auf den nach der BGH-Rechtsprechung ggf. bestehenden Auskunftsanspruch verwiesen. Verfassungsrechtliche Fragen zu § 56a VAG i. d. F. LVRG hat das Oberlandesgericht Hamburg daher nicht vertieft. Gegen diese Entscheidung ist nunmehr unter Az. IV ZR 312/16 eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH anhängig. Nach Auskunft der dortigen Geschäftsstelle wurde die Beschwerde noch nicht begründet, derzeit ist Frist dafür bis 09.02.2017 gesetzt.
2. Im streitgegenständlichen Fall kommt es im Ergebnis auf die eben dargestellten Bedenken zur Darlegung der Höhe aber nicht entscheidungserheblich an. Denn der Senat teilt bei vorläufiger Würdigung die von der Berufungsbegründung in den Vordergrund gestellten Bedenken gegen eine Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des mit Wirkung zum 07.08.2014 in Kraft getretenen § 56a Abs. 3, 4 VAG auf Altverträge nicht, so dass nicht auf eine potentielle Rechtslage ohne die Gesetzesänderung abzustellen ist. Ausgehend von einer Geltung der Regelungen der §§ 153 Abs. 3 VVG, § 56a Abs. 3, 4 VAG, hat der Kläger keine konkreten Rügen gegen die Berechnung der Beklagten erhoben, insbesondere hat er deren Einlassung (Schriftsatz vom 23.07.2015, Seite 6, Bl. 26 d. A.), dass die Bewertungsreserven aus festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften vollumfänglich zur Deckung des Sicherungsbedarfs heranzuziehen gewesen wären, so dass daraus keine Beteiligung der Versicherungsnehmer mehr erfolgt sei und infolgedessen die nicht garantierten Anteile an den Bewertungsreserven im Vertrag des Klägers zum Ablauftermin am 01.09.2014 auf 0,00 € gesunken seien, nicht substantiiert angegriffen.
Vorausgeschickt sei zur Klarstellung, dass bei dem streitgegenständlichen Altvertrag aus dem Jahr 1989 (regulierter Altbestand mit aufsichtsbehördlich genehmigten AVB) eine Beteiligung des Klägers an den Bewertungsreserven ursprünglich gar nicht vereinbart worden war. Eine Beteiligung der Versicherungsnehmer derartiger Altverträge an den stillen Reserven des Versicherers gibt es vielmehr erst seit der und durch die Novellierung des VVG zum 01.01.2008. Denn gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGVVG ist der neue § 153 VVG auch auf Altverträge anzuwenden, wenn – wie hier – eine Überschussbeteiligung vertraglich vereinbart worden ist, allerdings erst ab dem 01.01.2008. Für vor diesem Stichtag beendete Lebensversicherungsverträge aus dem Altbestand steht Versicherungsnehmern hingegen keine Beteiligung an den stillen Reserven zu (vgl. zum Ganzen Reiff in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., Rn. 8 zu § 153). Die Neuregelung zur Überschussbeteiligung gemäß § 153 VVG geht auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteil vom 26.07.2005, Az. 1 BvR 80/95, VersR 2005,1127, zurück, wonach der Gesetzgeber durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verpflichtet ist, hinreichende rechtliche Vorkehrungen dafür vorzusehen, dass bei der Ermittlung eines bei Vertragsende zuzuteilenden Schlussüberschusses die Vermögenswerte angemessen berücksichtigt werden, die durch die Prämienzahlungen im Bereich der kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung geschaffen worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Entscheidung insbesondere gerügt, dass nach bisherigem Recht eine auf die Besonderheiten des Lebensversicherungsrechts ausgerichtete, abwägende Prüfung, wie weit die Ausklammerung stiller Reserven bei der Berechnung des Schlussüberschusses im Interesse der Solidargemeinschaft der Versicherten von den einzelnen Versicherungsnehmern hinzunehmen sei oder inwieweit darin eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung Einzelner liege, nicht stattfinde (Rn. 74). Dem Gesetzgeber wurde – unter Zuerkennung eines Gestaltungsspielraums – aufgegeben, bis zum 31.12.2007 eine den Anforderungen der Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gerecht werdende Regelung zu treffen, wobei er auch zu prüfen habe, ob laufende Verträge in den Genuss der Neuregelung kommen könnten; bis zur Neuregelung bleibe es bei der gegenwärtigen Rechtslage (Rn. 98, 99). Diesem Auftrag wollte der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung mit der VVG-Novelle nachkommen, wobei er unter anderem hervorgehoben hat, dass mit der Regelung des neuen § 153 Abs. 3 VVG berücksichtigt werden sollte, dass den sog. stillen Reserven bei Versicherungsunternehmen eine wichtige Funktion als Risikopuffer zukommt, um Schwankungen des Kapitalmarktes auszugleichen. Mit der vorgesehenen hälftigen Aufteilung werde der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, dass eine Neuregelung der Überschussbeteiligung nicht ausschließlich an den Interessen einzelner aus dem Vertragsverhältnis ausscheidender Versicherungsnehmer ausgerichtet werden dürfe, sondern die Interessen der Versicherten als Risikogemeinschaft berücksichtigen müsse (vgl. BT-Drs. 16/3945, Seiten 96, 97; zu den in Bezug genommenen verfassungsrechtlichen Feststellungen vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 95).
Durch die Neufassung des § 56a VAG sowie des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG durch das am 07.08.2014 in Kraft getretene LVRG vom 01.08.2014 wurde diese grundsätzlich hälftige Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven des Versicherers zwar dann wieder eingeschränkt. Darin liegt aber entgegen der Auffassung der Berufung weder ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch ein Eingriff mit enteignender Wirkung. Der Senat sieht auch im Übrigen nicht, dass der Gesetzgeber durch die Neuregelung den Gestaltungsspielraum überschritten hätte, der ihm bei der Erfüllung der aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflicht auch nach dem bereits zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zukommt. Die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG liegen daher nicht vor.
Zunächst liegt in der Neuregelung jedenfalls keine Enteignung oder ein enteignungsgleicher Eingriff, da sie keine schon zu subjektiven Rechten erstarkten vermögensrechtlichen Positionen des Versicherungsnehmers betrifft. Bei der Überschussbeteiligung entsprechen den durch die laufenden Prämienzahlungen angesammelten Vermögenswerten im Laufe der Vertragszeit auf unterschiedliche Weise herausgebildete vermögensrechtliche Positionen. Der Anspruch auf Beteiligung am Rohüberschuss konkretisiert und verfestigt sich in verschiedenen Stufen. Von Anfang an besteht eine – durchaus rechtlich geschützte – Aussicht auf zukünftige Beteiligung. Es folgt die Aufnahme in die Rückstellung der Beitragsrückerstattung und schließlich kommt es zur Zuteilung der individuellen Überschussanteile. Soweit die den Versicherten zukommenden vermögensrechtlichen Positionen schon zu subjektiven Rechten erstarkt sind – wie jedenfalls der Anspruch auf den schon zugeteilten Überschuss -, werden sie als solche durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Im Übrigen aber wirkt der objektivrechtliche Gehalt des Art. 14 Abs. 1 GG (nur) dahingehend, dass der Gesetzgeber Vorkehrungen zum Schutz auch der im Werden begriffenen Position hinsichtlich der Überschussbeteiligung treffen muss. Diese stellt nicht nur eine (rechtlich ungeschützte) potentielle Erwerbsaussicht dar, sondern ist über den objektiv-rechtlichen Schutzauftrag geschützt, auch wenn die einzelnen Versicherten zu diesem Zeitpunkt noch keine zivilrechtlichen Ansprüche auf eine konkrete Überschussbeteiligung haben und ihre Position noch nicht zu einem subjektiven Recht (mit direktem Schutz aus Art. 14 Abs. 1 GG) erstarkt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 26.07.2005,1 BvR 782/94,1 BvR 957/96, VersR 2005,1109, Rn. 151 ff., das zur Übertragung des Bestands von Lebensversicherungsverträgen auf ein anderes Unternehmen erging; vgl. dort auch Rn. 205). Folgerichtig nimmt das oben zitierte, zur Überschussbeteiligung ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2015, Az. 1 BvR 80/95, zum Ausgangspunkt seiner verfassungsrechtlichen Bewertung nicht eine etwaige Enteignung, sondern die aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG abgeleiteten Schutzaufträge, wobei die parallel entgangene Entscheidung vom gleichen Tag mehrfach zitiert wird (vgl. Rn. 59 ff., 62 ff. im Urteil zu 1 BvR 80/95).
Die die Berücksichtigung von Bewertungsreserven für den Überschuss einschränkende Neuregelung des § 56a Abs. 3, 4 VAG wirkt ab Inkrafttreten und betrifft nur die Berechnung des Überschusses bei noch nicht beendeten Verträgen, bei denen eine Zuteilung der individuellen Überschussanteile gemäß § 153 Abs. 3 Satz 2 VVG noch nicht erfolgt ist – die sich also in einem Stadium befinden, in dem zwar eine Aussicht auf zukünftige Beteiligung besteht, diese Beteiligung aber weder garantiert noch sonst in einer Weise gesichert ist, durch die eine Erstarkung zu einem subjektiven Recht anzunehmen wäre. Es geht vielmehr um den Schutz einer noch „im Werden begriffenen Position“ im Sinne der genannten Rechtsprechung.
Ebenso wenig liegt der von der Berufung behauptete Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot vor. Vorliegend handelt es sich nicht um eine grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässige sog. „echte“ Rückwirkung, sondern um eine grundsätzlich zulässige sog. „unechte“ Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung nämlich nur, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt hingegen eine „unechte“ Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zulasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (st. Rspr. des BVerfG, vgl. z. B. Urteil vom 07.07.2010,2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, NJW 2010, 3629, Leitsätze und Rn. 56 – 58).
Nach diesen Maßstäben ist die Neuregelung durch das LVRG vom 01.08.2014 nicht zu beanstanden. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass schon nach der ursprünglichen Fassung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG aufsichtsrechtliche Regelungen zur Kapitalausstattung unberührt blieben, die neue hälftige Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven also insofern von Beginn en unter einem Vorbehalt stand und sich insoweit ein schutzwürdiges Vertrauen von vornherein nur bedingt entwickeln konnte. Der Gesetzgeber verfolgte mit dem LVRG außerdem ersichtlich gewichtige Interessen des Allgemeinwohls. Denn die als Folge der Finanzmarkt- und (Euro-)Staatsschuldenkrise seit Jahren bestehende und wohl noch geraume Zeit anhaltende Niedrigzinsphase hatte und hat für die Lebensversicherer dramatische Folgen. Es bestand und besteht die konkrete Gefahr, dass einige von ihnen den vertraglich zugesagten Garantiezinssatz nicht mehr erwirtschaften können. Vor diesem Hintergrund hat sich die Einschätzung des VVG-Reform-Gesetzgebers, dass die grundsätzlich hälftige Teilung der Bewertungsreserven den Versicherern genug Risikopuffer belassen würde, als falsch erwiesen. Auch seine Prognose, eine aufsichtsrechtlich veranlasste Kürzung der Beteiligung an den Bewertungsreserven gemäß § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG werde nur in wenigen Fällen erforderlich sein, war zu optimistisch. Es bestand daher dringender gesetzlicher Handlungsbedarf, der nach Scheitern erster gesetzlicher Bemühungen in 2012/2013 sodann durch das LVRG vom 01.08.2014 umgesetzt wurde (vgl. zum Ganzen näher Reiff in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 153, Rn. 28a, 28b).
Mit diesem Gesetz sollte nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 18/1772, Seiten 1, 2) zum Schutz der Versicherten auf die Folgen des Niedrigzinsumfeldes für Lebensversicherungen reagiert und die gesetzlichen Vorgaben geändert werden, um ökonomisch ungerechtfertigte Mittelabflüsse zu verhindern. Dabei werde an mehreren Stellen angesetzt, um eine effektive Problemlösung zu erreichen. Ausschüttungen der Versicherungsunternehmen an Aktionäre würden untersagt, solange die Erfüllbarkeit der Garantiezusagen gefährdet sei. Die Überschussbeteiligung der Versicherten in der Lebensversicherung werde an das Niedrigzinsumfeld angepasst, insbesondere müssten die Versicherten künftig mit mindestens 90 Prozent (statt wie bislang 75 Prozent) an den Risikoüberschüssen beteiligt werden. Die Handlungsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden würden gestärkt, um problematischen Entwicklungen früher und effektiver begegnen zu können. Die Kostentransparenz der Versicherungsprodukte werde erhöht. Der Höchstzillmersatz für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten werde gesenkt. Hierdurch solle Druck auf die Versicherungen ausgeübt werden, die Abschlusskosten zu senken. Die Regelungen zur Beteiligung an den Bewertungsreserven würden dahingehend angepasst, dass die Ausschüttung von Bewertungsreserven an die ausscheidenden Versicherten begrenzt würden, soweit dies zur Sicherung der den Bestandskunden zugesagten Garantien erforderlich sei. Für das Neugeschäft werde ein niedrigerer Höchstrechnungszins festgelegt.
Auch der Einzelbegründung zur Änderung des § 56a VAG (BT-Drs. 18/1772, Seite 22), auf die Bezug genommen wird, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine umfassende Abwägung der gegenläufigen Interessen der verschiedenen Beteiligten (ausscheidende Versicherungsnehmer, Versichertenkollektiv, Eigentümer/Aktionäre des Versicherungsunternehmens) vorgenommen und sich um eine ausgewogene und maßvolle Lastenverteilung bemüht hat. So sei, solange die Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven wegen eines Sicherungsbedarfs des Unternehmens eingeschränkt sei, in entsprechender Höhe auch die Ausschüttung eines Bilanzgewinns unzulässig, damit ausscheidende Versicherungsnehmer und Eigentümer des Unternehmens gemeinsam zur Sicherung der Garantien der verbleibenden Versicherten beitrügen. Der Sicherungsbedarf dürfe auch nicht von allen Bewertungsreserven abgezogen werden, sondern nur von den insbesondere für die Abdeckung von Zinsgarantien bestimmten festverzinslichen Wertpapieren und Zinsabsicherungsgeschäften; die hälftige Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven auf Aktien und Immobilien bleibe hingegen unberührt, ebenso wie deren Überschussbeteiligung aus realisierten Kapitalerträgen. Durch die Neuregelungen werde entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 2005 ein Ausgleich der Interessen zwischen den in einer Risikogemeinschaft verbundenen Versicherten hergestellt. Die bestehende Regelung bevorzuge einseitig die Interessen der aktuell aus einem Versicherungsverhältnis Ausscheidenden gegenüber den Interessen derjenigen, deren Versicherungsverträge erst in Zukunft enden.
Der Senat sieht angesichts dessen weder, dass dem Gesetzgeber, dem bei der gesetzgeberischen Gestaltung im Einzelnen ein weiter Spielraum und dabei auch eine Einschätzungsprärogative für etwa zu prognostizierende Entwicklungen zukommt, ein Abwägungsdefizit vorzuwerfen wäre, noch, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht mehr gewahrt oder die Grenze der Zumutbarkeit überschritten wäre. Entsprechend wird der Gesetzgeber mit der getroffenen Neuregelung auch den Anforderungen der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG weiterhin gerecht.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass sich im Einzelfall durch die Gesetzesänderung durchaus gewisse „Härten“ ergeben mögen. Da sich solche im Rahmen abstrakter-genereller Regelungen insbesondere in Hinblick auf (grundsätzlich zulässige) Stichtagsregelungen regelmäßig nicht schlechthin vermeiden lassen, führt das allein aber nicht zur verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit. Soweit speziell der Kläger betroffen ist, sei lediglich angemerkt, dass jedenfalls von einer „Entwertung“ seiner Versicherung nicht die Rede sein kann. Er hat zwar entgegen seiner Erwartung nicht den am 30.04.2014 noch prognostizierten Anteil an den Bewertungsreserven von 6.639,91 € erhalten. Dieser war allerdings ausdrücklich als nicht garantiert und großen Schwankungen im Zeitverlauf unterliegend bezeichnet worden (Anlage K 1). Der Kläger hat außerdem insgesamt Leistungen weit über die garantierte Versicherungssumme bei Leistungsablauf, die 63.257,00 € betrug, hinaus erhalten, nämlich Überschussanteile von 25.383,81 €, Schlussüberschussanteile von 5.589,38 € und einen Bewertungsreserven-Mindestanteil von 189,76 € (Anlage K 3). Zudem konnte er bei Abschluss seines Vertrages im Jahr 1989 eine Beteiligung an den stillen Reserven des Versicherers angesichts der damaligen Rechtslage ohnehin nicht erwarten.
Da die Berufung nach alledem keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses GKG).


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