Bankrecht

Keine Feststellung einer “objektlosen” Bruchteilsrestitutions-Berechtigung

Aktenzeichen  8 C 1/17

Datum:
18.4.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:180418U8C1.17.0
Normen:
Art 3 Abs 1 GG
§ 1 Abs 1a S 1 NS-VEntschG
§ 1 Abs 2 S 2 NS-VEntschG
§ 1 Abs 6 VermG
§ 2 Abs 2 VermG
§ 3 Abs 1 S 4 Halbs 2 VermG
§ 30 VermG
§ 30a VermG
§ 31 Abs 1b VermG
Spruchkörper:
8. Senat

Verfahrensgang

vorgehend VG Berlin, 14. Januar 2016, Az: 29 K 326.14, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin macht vermögensrechtliche Ansprüche wegen des Verlusts einer Beteiligung des Dr. G. an der F. AG geltend.
2
Dr. G. gehörte zum Kreis der im Nationalsozialismus aus rassischen Gründen Verfolgten. Im April 1942 veräußerte er Aktien der F. AG im Nominalwert von 880 000 RM. Den Erlös verwendete er im Mai 1942 zusammen mit anderen Geldmitteln, um die von ihm verlangte Judenvermögensabgabe zu begleichen.
3
Mit Beschluss vom 19. April 1955 sprach das Landgericht M. den Erben nach Dr. G. Schadensersatz für die Entziehung des zur Begleichung der Judenvermögensabgabe geleisteten Geldbetrages zu. Den weiter geltend gemachten Anspruch auf Rückerstattung von Anteilen an den Nachfolgeunternehmen der F. AG und auf Rückerstattung von Liquidationsanteilen an der F. AG lehnte das Gericht mit der Begründung ab, die im April 1942 verkauften Aktien seien andere als die zuvor zur Sicherung der Judenvermögensabgabe hinterlegten Aktien. Sie hätten sich in einem ungesperrten Depot des Verfolgten befunden und hätten ohne behördliche Genehmigung veräußert werden können. Auch habe das Deutsche Reich zu keinem Zeitpunkt Eigentum an den Aktien erworben.
4
Mit Schreiben vom 4. September 2006 meldete die Klägerin unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG die Beteiligung des Dr. G. “an der F. AG und deren Besitz” unter “Beschränkung auf Entschädigung” an und verwies im Übrigen auf “bereits vorhandene JCC-Anmeldungen zur F.”. Den Antrag lehnte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen mit Bescheid vom 26. August 2013 ab.
5
Die Klägerin hat in ihrer Klagebegründung die Feststellung ihrer Bruchteilsrestitutions-Entschädigungsberechtigung hinsichtlich eines Anteils des Dr. G. an der F. AG im Nominalwert von mindestens 1 866 300 RM verlangt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat sie ihr Begehren auf die Feststellung einer solchen Berechtigung hinsichtlich eines Anteils im Nominalwert von 880 000 RM beschränkt.
6
Mit Urteil vom 14. Januar 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte dazu verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin wegen der Beteiligung von Dr. G. an der F. AG in Höhe von 880 000 RM (Bruchteilsrestitutions-Entschädigungs-)Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes ist. Der Anspruch folge aus § 1 Abs. 1a NS-VEntschG i.V.m. § 1 Abs. 6 und § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG. Die Klägerin habe mit ihrem Schreiben vom 4. September 2006 fristgerecht Ansprüche auf Bruchteilsrestitutions-Entschädigung für das frühere Vermögen der F. AG im Beitrittsgebiet angemeldet. Insoweit genüge es, die entzogenen Anteile zu benennen, derentwegen solche Ansprüche geltend gemacht würden. Ihr stehe wegen des Verlusts der Beteiligung des Dr. G. an der F. AG ein Anspruch auf Bruchteilsrestitution aus § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG zu. Die Beteiligung sei Gegenstand einer Schädigung im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG gewesen. Dr. G. habe im April 1942 Aktien der F. AG im Nominalwert von 880 000 RM verkauft. Nach Maßgabe des II. Abschnitts der Anordnung BKO (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 werde vermutet, dass der Verkauf verfolgungsbedingt war. Diese Vermutung sei nicht widerlegt. Insoweit schade es nicht, dass eine wiedergutmachungsrechtliche Rückgabe der Beteiligung nicht erfolgt sei. Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG spreche dafür, dass die Vorschrift eine Rechtsfolgenverweisung darstelle, die der Gesetzgeber auch beabsichtigt habe. Hätte er die Rückgabe der Beteiligung für erforderlich gehalten, wäre dies Anlass für eine ausdrückliche Klarstellung gewesen. Schließlich habe alliiertes Rückerstattungsrecht eine Rückgabe von an der Börse veräußerten Aktien wegen des Gutglaubensschutzes beim Erwerb von Inhaberpapieren nur ausnahmsweise vorgesehen. Habe der Geschädigte im rückerstattungsrechtlichen Verfahren keine Rückgabe und keinen Ersatz für die verlorene Beteiligung erhalten können, würde ein Rückgabeerfordernis als Voraussetzung für den Bruchteilsrestitutionsanspruch etwas Unmögliches verlangen. Das widerspräche dem Wiedergutmachungszweck des Vermögensgesetzes. Es seien zudem keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass bei der Berechnung der Schadensersatzleistung der Wert der Aktienbeteiligung im Schädigungszeitpunkt, einschließlich der im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücke, zugrunde gelegen habe.
7
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte, es fehle schon an einem wirksamen Entschädigungsantrag nach § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG. Die Klägerin habe die Vermögensgegenstände, für die anteilige Entschädigung begehrt werde, nicht benannt. Der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung einer Berechtigung hinsichtlich eines Anspruchs auf Bruchteilsrestitutions-Entschädigung wegen des Verlusts der Anteile des Dr. G. an der F. AG ergebe sich nicht aus § 1 Abs. 6 und § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG. Der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG sei für Beteiligungen an Unternehmen mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin nicht eröffnet. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ermögliche keine Feststellung der Berechtigung hinsichtlich unbenannter Vermögensgegenstände eines Unternehmens wegen des Verlusts einer Beteiligung daran. Dem geltend gemachten Anspruch auf Bruchteilsrestitutionsentschädigung stehe schließlich entgegen, dass die entzogene Beteiligung nicht nach einem anderen, nach dem 8. Mai 1945 ergangenen Gesetz zurückgegeben worden sei. Der von den Rückerstattungsgerichten zuerkannte Schadensersatz sei für den Verlust des Erlöses aus dem Aktienverkauf, nicht aber für den Verlust der Beteiligung selbst geleistet worden. Es fehle deshalb an der Identität zwischen dem geschädigten und dem Vermögenswert, für dessen Verlust Wiedergutmachung geleistet worden sei.
8
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Januar 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.
9
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10
§ 1 Abs. 1a NS-VEntschG verlange nicht, die Vermögensgegenstände, für die nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG Entschädigung begehrt werde, innerhalb der dort genannten Frist zu benennen. Der Gesetzgeber habe die Vorschrift eingeführt, um der Klägerin weitere Entschädigungen bei gelungenem Nachweis des Verlusts jüdischer Beteiligungen an Unternehmensträgern mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin zu ermöglichen. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn die Klägerin gezwungen gewesen wäre, innerhalb der Frist des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG das Vermögen der betroffenen Unternehmen im Beitrittsgebiet im Einzelnen zu benennen. Für diese Sicht spreche auch, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1a NS-VEntschG den Begriff “Vermögenswert” verwende, während er in § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG von “Vermögensgegenständen” spreche. Der geschädigte Vermögenswert sei der Anteil am Unternehmensträger mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin, während Vermögensgegenstand der konkrete Gegenstand des Betriebsvermögens sei. Anders als in einem früheren Antrag, in dem nur der geschädigte Unternehmensträger bezeichnet worden sei, habe die Klägerin vorliegend die geschädigte Unternehmensbeteiligung innerhalb der Frist des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG benannt. Es sei Aufgabe der Beklagten, die Entschädigungshöhe hinsichtlich der entzogenen Beteiligung zu berechnen. Das sei ihr nach den von der Klägerin im Klageverfahren zum Vermögen der F. AG im Beitrittsgebiet gemachten Angaben und ihren eigenen Erkenntnissen auch möglich. Das Verwaltungsgericht habe § 1 Abs. 6 und § 3 Abs. 1 Satz 4 Teils. 2 VermG fehlerfrei angewendet. Die Vorschriften verlangten nicht, dass hinsichtlich entzogener Beteiligungen an Unternehmensträgern mit Sitz in Westdeutschland oder West-Berlin ein erfolgreiches Rückerstattungsverfahren durchgeführt worden sei. Sehe man dies anders, liege diese Voraussetzung jedenfalls vor. Den Erben des Dr. G. sei für die Begleichung der Judenvermögensabgabe aus dem Erlös des Verkaufs der Anteile Schadensersatz nach Rückerstattungsrecht gewährt worden. Das müsse genügen, um die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 VermG zu erfüllen, wenn Aktien verkauft worden seien, um aus dem Verkaufserlös diskriminierende Abgaben zu begleichen. Andernfalls hänge der Anspruch auf Bruchteilsrestitutionsentschädigung davon ab, welchen Weg der Verfolgte zur Begleichung der diskriminierenden Abgabe eingeschlagen habe.


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