Bankrecht

Keine Rückabwicklung eines bereits gekündigten Lebensversicherungsvertrages nach nachträglichem Widerspruch gemäß § 5a VVG aF

Aktenzeichen  2 O 42/16 Ver

Datum:
1.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VersR – 2017, 145
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF VVG aF § 5a, § 8 Abs. 4
BGB BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1

 

Leitsatz

Auch dem nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchs- bzw. Widerrufsrecht nach § 5a, § 8 Abs. 4 VVG aF belehrten Versicherungsnehmer einer Lebens- oder Rentenversicherung steht das Recht zum Widerspruch bzw. Widerruf dann nicht mehr zu, wenn er zum Zeitpunkt der Ausübung dieses Rechts den Versicherungsvertrag bereits gekündigt hatte. Ein bereits gekündigter und beiderseitig vollständig erfüllter Vertrag kann durch einen Widerspruch bzw. Widerruf nicht mehr nachträglich bzw. nochmals mit ex-tunc-Wirkung beendet werden (entgegen der stRspr des BGH, vgl. nur BGH BeckRS 2014, 10269 Rn. 36; BeckRS 2013, 18783 Rn. 24). (Rn. 24 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 18.161,06 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn dem Kläger stehen keine weitergehenden Ansprüche mehr zu, weil er die streitgegenständlichen Versicherungsverträge mit seinen Kündigungserklärungen im Jahre 2010 beendet hat und die Beklagte alle Leistungen erbracht hat, welche sich zugunsten des Klägers hieraus zu ergeben vermochten.
1. Der geltend gemachte Bereicherungsanspruch kommt nicht in Betracht, weil die Versicherungsverträge bis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärungen wirksam waren und folglich die Prämienzahlungen nicht im Sinne von § 812 I BGB ohne Rechtsgrund erbracht worden sind. Denn die Widersprüche, welche eine ex-tunc- (Rück-) Wirkung gehabt hätten, sind unwirksam geblieben.
a) Das Widerspruchs- bzw. Widerrufsrecht gemäß §§ 5a, 8 IV VVG a.F. oder gemäß § 7 VerbrKrG soll vor vertraglichen Bindungen schützen, die der Verbraucher möglicherweise übereilt und ohne gründliche Abwägung des Für und Wider eingegangen ist (vgl. Palandt BGB 75. A. § 355, 2). Die hierfür vorgesehenen Fristen waren aber zum Zeitpunkt der Widerspruchserklärung im Dezember 2015 seit über achtzehn bzw. dreizehn Jahren abgelaufen.
b) Im Übrigen wäre ein im November 2015 noch bestehendes Widerspruchs- bzw. Widerrufsrecht verwirkt gewesen.
Grundsätzlich unterliegen der Verwirkung alle subjektiven und auch dinglichen Rechte. Dieser Gedanke, dass unter besonderen Umständen einer verspäteten Geltendmachung von Ansprüchen die rechtliche Wirkung versagt werden muss, weil darin ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu finden ist, entspricht einer vor langer Zeit durch das Reichsoberhandelsgericht begründeten, durch das Reichsgericht und den Bundesgerichtshof übernommenen und seit langem gefestigten Rechtsüberzeugung. Solche besonderen Umstände werden immer dann vorliegen, wenn der Schuldner aus dem Verhalten des Gläubigers hat entnehmen müssen, dass dieser den Anspruch nicht mehr geltend machten wolle (vgl. RGZ 155, 148/151).
Die Verwirkung setzt somit zum einen voraus, dass seit der Möglichkeit, das streitgegenständliche Recht geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist, wobei sich die Zeitspanne nach Art und Bedeutung des jeweiligen Rechtes im Einzelfall richtet (Zeitmoment), dass zum anderen sich der Gegner aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet haben durfte und eingerichtet hat, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment), und dass es gerade deshalb mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist, dass der Berechtigte später doch noch mit der Geltendmachung des ihm zustehenden Rechts hervortritt (vgl. RGZ 155, 148/151; BGHZ 25, 47/52; BGH NJW 1989, 836; OLG München WM 2006, 523; OLG Celle NJW-RR 2007, 235).
Diese Voraussetzungen sind im gegebenen Falle erfüllt.
(1) Das Zeitmoment ist darin zu erblicken, dass zwischen den Vertragsschlüssen (1997 bzw. 2002) und der klägerischen Widerspruchserklärung (11.11.2015) immerhin über achtzehn bzw. dreizehn Jahre verstrichen sind. Allein diese lange Zeit ist nach Art und Bedeutung des streitgegenständlichen Anspruches geeignet, die nunmehrige Inanspruchnahme der Beklagten als einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens anzusehen.
(2) Das Umstandsmoment (bzw. der Vertrauenstatbestand) liegt ebenfalls vor.
Hierfür ist es erforderlich, dass sich der Verpflichtete aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dieser werde sein (vermeintliches) Recht nicht mehr geltend machen, und dass ihm durch die verspätete Geltendmachung dieses Rechtes ein mit Treu und Glauben unvereinbarer Nachteil entsteht (vgl. Palandt BGB 75.A. § 242, 95). Dies gilt auch für die einem Verbraucher eingeräumten Widerspruchs- bzw. Widerrufsrechte (vgl. BGH NJW 2004, 2735; NJW-RR 2005, 180).
Ein solches Vertrauen musste sich hier bei der Beklagten schon deshalb herausbilden, weil ein von dem Gesetzgeber zeitlich recht kurz befristetes Widerspruchs- bzw. Widerrufsrecht nach richtiger Ansicht nicht jahrzehntelang bestehen kann. Denn der Zweck dieses Rechtes, dem Versicherungsnehmer, der sich möglicherweise voreilig zu dem Abschluss des Vertrages entschieden hat, eine rechtliche Handhabe zu geben, sich von dem Vertrag lösen zu können, verblasst im Laufe der Zeit und tritt in den Hintergrund, wenn der Versicherungsnehmer den Vertrag über viele Jahre hinweg fortführt und so zu erkennen gibt, dass er an dem Vertrage festhalten will (so auch OLG Köln, Beschluss vom 25.11.2015 und 20.01.2016, Az. 20 U 170/15, mit Hinweis auf BGH, Beschluss vom 26.06.2013, IV 83/12).
Aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers ist es deshalb nicht vorstellbar, dass ein solches Recht nach weit über zehn Jahren Vertragsdauer noch ausgeübt werden könnte. Auch der hiesige Kläger ist nicht von selbst auf eine solche Idee verfallen, sondern wurde offenbar von außen zu diesem Vorgehen motiviert. Denn er hatte sich bereits im Jahre 2010 durch die Kündigung von den Verträgen lösen wollen und hat an deren vollständigen Abwicklung mitgewirkt. Jedenfalls danach brauchte die Beklagte nicht mehr damit zu rechnen, dass der Kläger einige Jahre später mit weiteren Forderungen hervortritt.
Unter solchen Umständen muss einem Widerspruch bzw. Widerruf der Erfolg von Rechts wegen versagt und die Beklagte davon verschont werden, dass der Vertrag unvorhersehbar für nichtig erklärt wird.
(3) Der Einwand der Verwirkung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Berechtigten der ihm zustehende Anspruch unbekannt gewesen sein mag (vgl. RGZ 134, 41; BGHZ 25, 47/52). Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Berechtigten gerade wegen eines unredlichen und heimlichen Verhaltens des Verpflichteten der Anspruch unbekannt geblieben ist. Denn eine dadurch bedingte verspätete Geltendmachung des Anspruchs kann bei objektiver Beurteilung niemals als ein Verstoß gegen Treu und Glauben betrachtet werden und kann daher auch niemals den Einwand der Verwirkung rechtfertigen (vgl. BGHZ 25, 47/52). Dass der Beklagten im Streitfall ein solches Verhalten zur Last fiele, hat der Kläger aber weder vorgetragen noch ist es sonst ersichtlich.
c) Im Übrigen ist festzustellen, dass selbst dann, wenn dem Kläger ein unbefristetes Widerspruchsrecht zugestanden hätte, ein solcher Widerspruch zum Zeitpunkt der Abfassung des anwaltlichen Schreibens vom 11.11.2015 nicht mehr möglich gewesen wäre. Denn ein bereits gekündigter und beiderseitig vollständig erfüllter Vertrag kann von Rechts wegen durch einen Widerspruch bzw. Widerruf gemäß §§ 5a, 8 Abs. 4 VVG a.F. oder gemäß § 7 VerbrKrG nicht mehr nachträglich bzw. nochmals mit ex-tunc-Wirkung beendet werden (vgl. OLG Stuttgart VersR 2011, 786; OLG Karlsruhe RuS 2013, 483; LG Bamberg, Beschluss vom 20.04.2011 und 08.06.2011, 2 S 8/11 sowie Urt. v. 30.09.2015, 2 O 552/14 Ver).
Allerdings wird nun in einigen obergerichtlichen Entscheidungen hierzu eine andere Ansicht vertreten. Hiernach solle eine von dem Versicherungsnehmer ausgesprochene Kündigung des Versicherungsvertrages der Wirksamkeit eines späteren Widerspruchs nicht entgegenstehen, wenn der Versicherungsnehmer über sein Widerspruchsrecht nicht ausreichend belehrt worden ist und er deshalb sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerspruch nicht sachgerecht habe ausüben können (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.2013 – IV ZR 52/12, NJW 2013, 3776).
Das erkennende Gericht vermag dieser Ansicht jedoch nicht beizutreten, weil sie den einschlägigen dogmatischen Grundzügen des derzeit geltenden bürgerlichen Rechts grob zuwiderläuft. Hiernach bestand und besteht nämlich kein Zweifel daran, dass eine wirksame Kündigung das entsprechende Schuldverhältnis mit Wirkung für die Zukunft beendet und die bereits erbrachten Leistungen nicht zurückzugewähren sind (vgl. nur RGZ 90, 330; BGHZ 73, 354; Palandt BGB 61.A. Einf. v. § 346, 8 bzw. 75.A. Einf. v. § 346, 12). Das bedeutet insbesondere, dass mit der Kündigungserklärung und der vollständigen Erfüllung aller danach verbliebenen primären und sekundären Leistungspflichten das Dauerschuldverhältnis endgültig und unumkehrbar beendet ist (vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, 14.A., Seiten 30 f. und 273 f.). Wenn das Schuldverhältnis aber beendet ist, dann existiert nichts mehr, auf das sich ein später erklärter Widerspruch oder Widerruf beziehen könnte. Eine solche Erklärung muss dann – ebenso wie der im gegebenen Falle auch erklärte Rücktritt – also zwangsläufig ins Leere gehen.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes meint nun aber seit seiner oben zitierten Entscheidung vom 16.10.2013, der Eintritt dieser Wirkungen hänge davon ab, ob der Versicherungsnehmer die Vor- und Nachteile einer Kündigung gegen die eines Widerrufs habe abwägen können. Er geht also davon aus, dass es für die Wirksamkeit einer Kündigung auch auf bestimmte Kenntnisse der kündigenden Person ankomme. Dies kann aber juristisch nicht begründet werden. Denn bei der Abgabe von Willenserklärungen kommt es für deren Wirksamkeit auf den Willen, die Vorstellungen und die Kenntnisse des Erklärenden nur im Rahmen der §§ 116 bis 120 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an. Hiernach könnte eine Erklärung durch den Erklärenden möglicherweise angefochten werden, wenn ihr ein Irrtum zugrunde gelegen hat. Aber niemals kann sie aus Billigkeits- oder sonstigen Gründen einfach für unwirksam erklärt werden.
Der IV. Zivilsenat versucht deshalb auch nicht ansatzweise, das von ihm für richtig gehaltene Ergebnis (wohl die Unwirksamkeit der Kündigung bzw. eine Wiederbelebung des Vertrages) juristisch zu begründen, sondern er argumentiert zielgerichtet und stellt es lediglich apodiktisch fest. In späteren Entscheidungen belässt er es dabei, dieses Urteil zu zitieren (vgl. z.B. NJW 2014, 2646). Weil das erkennende Gericht aber gemäß Art. 20 III, 97 I GG an Gesetz und Recht gebunden ist, vermag es sich dieser Sichtweise nicht anzuschließen (vgl. z.B. LG Bamberg, Urt. v. 30.09.2015, 2 O 552/14 Ver; Urt. v. 04.07.2016, 2 O 573/15). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat das Gericht die Parteien hierauf auch ausdrücklich hingewiesen.
Hierzu besteht anscheinend noch Anlass zu dem Hinweis, dass die rechtsdogmatischen Grundlagen nicht nur akademische Bedeutung haben. Vielmehr haben sie umfassende praktische Auswirkungen, weil damit Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geschaffen werden und dies für ein funktionierendes Gemeinwesen unverzichtbar ist. Sie zu ignorieren sind die Gerichte deshalb nicht berechtigt.
d) Weil somit die streitgegenständlichen Verträge durch die Kündigungen und folglich nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) beendet worden sind, hat der Kläger die streitgegenständlichen Prämien nicht rechtsgrundlos gezahlt. Ihm stand deshalb nur ein Anspruch auf Auszahlung der entsprechenden Rückkaufswerte zu. Dass die Beklagte diese Rückkaufswerte falsch berechnet habe, behauptet der Kläger schon nicht. Den sich hieraus ergebenden Betrag hat die Beklagte bereits ausgezahlt, so dass dem Kläger keine weiteren Ansprüche mehr zustehen können.
2. Ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlich entstandenen und nicht anrechenbaren Anwaltskosten nach §§ 280, 286 BGB besteht gleichfalls nicht, weil der Klagepartei gegen die Beklagtenpartei keine Hauptforderungen zustanden bzw. zustehen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S.2 ZPO.
III.
Die endgültige Streitwertfestsetzung in der von der Klagepartei angegebenen Höhe beruht auf § 3 ZPO, §§ 39 I, 40, 43 I, 62, 63 II 1 GKG. Die kapitalisierten Zinsen und die außergerichtlichen Anwaltskosten werden als Nebenforderung geltendgemacht und bleiben daher unberücksichtigt.


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