Bankrecht

Rechtsmissbräuchliche Ausübung eines Widerspruchsrechts

Aktenzeichen  25 U 685/18

Datum:
10.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53954
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242

 

Leitsatz

Für die Frage, ob die Ausübung eines Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich ist, ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrags umso höher und erhält das Vertrauen des Vertragspartners umso mehr Gewicht, je länger der Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Ausübung des Widerspruchsrechts ist. Umgekehrt verblasst der gesetzliche Schutzzweck für die Einräumung des Widerspruchsrechts, den Vertrag (in zeitlichem Zusammenhang mit seinem Abschluss) widerrufen zu können, mit zunehmendem Zeitablauf immer mehr. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

33 O 259/17 2018-02-08 Urt LGDEGGENDORF LG Deggendorf

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 08.02.2018, Az. 33 O 259/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Nach einstimmiger Auffassung des Senats hat das Landgericht die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Eine Vorlage an den EuGH ist ebensowenig veranlasst, wie eine Zulassung der Revision.
1. Ein Entzug des gesetzlichen Richters liegt nicht vor. Wie sich aus der diesem Beschluss beigefügten Kopien zur Geschäftsverteilung des LG Deggendorf ergibt, wurde die Geschäftsverteilung des LG Deggendorf mit Wirkung zum 16.12.2017 wegen der Versetzung des Richters am Amtsgericht V. P. (Anlass Ziff. 2) dahingehend geändert, dass dieser der 3. Zivilkammer zugewiesen wurde und hier das Referat des RiLG W. übernahm, welcher der 2. Strafkammer zugewiesen wurde und nur für Verfahren, in denen die Beweisaufnahme bereits begonnen hatte – hier nicht einschlägig – noch der 3. Zivilkammer zugewiesen war.
2. Auch wenn die Widerspruchsbelehrung nicht völlig beanstandungsfrei ist, ist die Berufung der Klägerin auf ein Widerspruchsrecht vorliegend rechtsmissbräuchlich. Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (S. 3/7; Bl. 145/149 d.A.). Die Ausführungen der Berufungsbegründung führen zu keiner abweichenden Bewertung.
2.1. Die Klägerin rügt zu Unrecht eine unzureichende drucktechnische Hervorhebung. An der hinreichenden drucktechnischen Hervorhebung hat der Senat bei der vorliegenden Gestaltung überhaupt keine Bedenken. Der Absatz mit der Widerspruchsbelehrung befindet sich in einem einseitigen Policenbegleitschreiben (Anlage K 3) und ist als einziger Abschnitt durch Fettdruck hervorgehoben. Die Gestaltung ist eindeutig darauf angelegt, die Aufmerksamkeit des Versicherungsnehmers auf diese Passage zu lenken. Eine solche Belehrung fällt einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch bei nur flüchtigem Lesen sofort ins Auge. Dem von der Klagebegründung angeführten Urteil des BGH vom 10.06.2015 – IV ZR 272/13 – lag ausweislich dessen Begründung (“… Von dem übrigen Text auf der Rückseite des Policenbegleitschreibens hob sich die Widerspruchsbelehrung allein durch den Kursivdruck nicht genügend ab.“ – vgl. Rn. 11 bei juris) ersichtlich eine andere drucktechnische Gestaltung in anderem Umfeld zugrunde. Einen Rechtssatz dahingehend, dass ein einziges Hervorhebungselement, hier eine auf den ersten Blick ins Auge springende Unterstreichung, generell nicht genügen würde, hat der Bundesgerichtshof nie aufgestellt – entscheidend ist die konkrete Gestaltung der Belehrung und deren „Umfeld“ im Einzelfall.
2.2. Die Klägerin rügt allerdings zu Recht, dass bei dieser Belehrung der Hinweis fehlt, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt. Einen solchen Hinweis enthält allerdings die Belehrung im Antragsformular (Anlage K 1 über der Unterschriftenzeile), welche allerdings nicht ausreichend hervorgehoben ist und die fristauslösenden Unterlagen nicht vollständig benennt. Festzustellen ist somit, dass sich die Beklagte zumindest um eine zutreffende Belehrung bemüht hat, wenn ihr dies auch nicht vollständig gelungen ist.
2.3. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH, Beschluss vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 117/15 BGH, Hinweisbeschluss vom 27.9.2017 – Az. IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161). Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrags angenommen werden kann, bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urteil vom 01.06.2016 – IV ZR 482/14, NJOZ 2016, 1370).
2.3.1. Grundsätzlich kann der Versicherer bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung kein schutzwürdiges Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, da er die Situation selbst herbeigeführt hat. Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens kommt allerdings auch bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung in Betracht (BGH, Beschluss vom 27.01.2016 – Az. IV ZR 130/15; BGH, Urteil vom 29.07.2015 – Az. IV ZR 384/14, r+s 2015, 435: offengelassen für nur marginale Fehler in der Widerspruchsbelehrung; Senat, Beschluss vom 17.04.2018 – Az. 25 U 373/18; Senat, Urteil vom 13.04.2018 – Az. 25 U 2581/16; Senat, Beschluss vom 15.01.2018 – Az. 25 U 3770/17; Senat, Urteil vom 21.04.2015 – Az. 25 U 3877/11; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.12.2016 – Az. 12 U 137/16 OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2017 – Az. 20 U 159/16 – die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH am 6.12.2017 unter Az. IV ZR 51/17 zurückgewiesen OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.2016 – Az. I-4 U 131/16; KG, Urteil vom 12.04.2016 – Az. 6 U 102/15 – rechtskräftig; OLG Köln, Urteil vom 26.02.2016 – Az. 20 U 178/15; OLG Dresden, Urteil vom 26.08.2015 – Az. 7 U 146/15, VersR 2015,1498; OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 19.10.2015 – Az. 3 U 49/15; OLG Stuttgart, Urteil vom 06.11.2014 – Az. 7 U 147/10 – VersR 2015, 878; LG Wiesbaden, Urteil vom 12.02.2015 – Az. 9 O 116/14 bestätigt durch OLG Frankfurt, Urteil vom 19.11.2015 – Az. 3 U 49/15; BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 – Az. IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02174, NJW 2016,375 für die Belehrung nach § 8 VVG a.F. BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, Rn. 16, juris zu Belehrungen in Verbraucherdarlehnsverträgen). Vorliegend veranlassen folgende besondere Umstände den Senat, davon auszugehen, dass die Klagepartei sich trotz eventuell unzureichender Belehrung rechtsmissbräuchlich verhält, wenn sie sich auf das Widerspruchsrecht beruft.
Die Beklagte hat sich ersichtlich darum bemüht, die Klagepartei ausreichend zu belehren(s.o.).
Der Vertrag wurde hier über einen langen Zeitraum, nämlich über 12 Jahre bis zum vertraglich vorgesehenen Zeitablauf durchgeführt; der Widerspruch erfolgte fast 15 Jahre nach Vertragsschluss. Je länger der Zeitablauf bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält dieses Vertrauen, während umgekehrt der gesetzliche Schutzzweck für die Einräumung des Widerspruchsrechts, den Vertrag (in zeitlichem Zusammenhang mit seinem Abschluss) widerrufen zu können, mit zunehmendem Zeitablauf immer mehr verblasst und in den Hintergrund tritt. Der Bundesgerichtshof hat zur Frage der (einen Unterfall des Rechtsmissbrauchs darstellenden) Verwirkung entschieden: Zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, Urteil vom 19. 10. 2005 – Az. XII ZR 224/03, NJW 2006, 219). Sofern – wie im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung – noch besondere Umstände vorhanden sein müssen, damit sich die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich darstellt, kommt diesen Umständen mit zunehmendem Zeitablauf immer weniger Bedeutung zu. Bei (vorliegend) langer und vollständiger Vertragsdurchführung kommt die Annahme eines Rechtsmissbrauchs deshalb schon dann in Betracht, wenn an sich eher gering zu gewichtende Umstände für eine solche Annahme vorhanden sind. Die Klägerin hat die Ablaufleistung zum 01.06.2013 entgegengenommen und dann noch bis 17.03.2016 gewartet, bis sie den Widerspruch erklärt hat.
Der Zeitablauf zwischen Kündigung und Widerspruch ist im Einzelfall zu berücksichtigen. Für Verbraucherdarlehnsverträge hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die maßgebliche Frist für das Zeitmoment mit dem Zustandekommen des Verbraucherdarlehensvertrags anläuft, dagegen der Zeitraum zwischen der Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags und dem Widerruf nicht das Zeitmoment betrifft; beim Umstandsmoment kann gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, BeckRS 2018, 3224). Eine solche Konstellation ist vorliegend auch gegeben. Nach der gesetzlichen Regelung, deren Wertung auch in die Beurteilung der Frage, ob treuwidriges Verhalten vorliegt, miteinzubeziehen ist, kann selbst bei arglistigem Verhalten eines Vertragspartners nach Ablauf von 10 Jahren eine Anfechtung nicht mehr erfolgen (§ 124 Abs. 3 BGB).
3. Eine Vorlage an den EuGH in Hinblick auf eine etwaige Europarechtswidrigkeit des Policenmodells ist nicht veranlasst. Denn darauf kommt es nicht entscheidungserheblich an. Ohne Entscheidungserheblichkeit besteht weder eine Vorlagepflicht, noch ein Vorlagerecht. Der Klagepartei ist auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
4. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Beschlüsse vom 12.10.2015 – Az. IV ZR 293/14, 30.07.2015 – Az. IV ZR 63/13, 17.08.2015 und 19.10.2015- Az. IV ZR 310/14 Urteil vom 10.06.2015 – Az. IV ZR 105/13 Urteil vom 16.07.2014 – Az. IV ZR 73/13), dass auch in Hinblick auf die Annahme eines Rechtsmissbrauchs eine Vorlage an den EuGH nicht geboten ist, da ein „acte éclairé“ vorliegt, in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 02.11.2016 – Az. 25 U 4229/16; Beschluss vom 01.06.2015 – Az. 25 U 3379/14; Beschluss vom 15.07.2015 – Az. 25 U 3266/14; Beschluss vom 16.07.2015 – Az. 25 U 416/14; Endurteile vom 28.08.2015 – Az. 25 U 1671/14 und 25 U 1931/14). Das entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung vom 02.02.2015- Az. 2 BvR 2437/14).5. Ebensowenig besteht Anlass für eine Zulassung der Revision. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Problematik des Rechtsmissbrauchs mit seinen europarechtlichen Bezügen folgt der Senat gerade den neuesten Rechtsprechungsgrundsätzen des BGH und wendet diese auf den hier zur Entscheidung stehenden konkreten Einzelfall an. Eine Revisionszulassung zur Klärung der „streitgegenständlichen Widerspruchsbelehrung“ kommt ebenfalls nicht in Betracht. Auch deren Bewertung ist das Ergebnis einer Einzelfallbetrachtung.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend 25 U 685/18 – Seite 5 – die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).


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