Baurecht

Abänderung eines Eilbeschlusses zu Gunsten des Bauherrn nach Erlass einer Tekturgenehmigung

Aktenzeichen  M 8 SN 15.4049

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 5 S. 1, Abs. 6 S. 1, Abs. 9 S. 1 Nr. 1, Art. 59 S. 1 Nr. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB BauGB § 1a Abs. 2 S. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 6, § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 7 S. 2

 

Leitsatz

1. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist regelmäßig als zumutbar hinzunehmen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme unter dem Gesichtspunkt des Abstands scheidet im Sinne einer Indizwirkung in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen offenkundig eingehalten werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das allgemeine Bauplanungsrecht gewährleistet keinen sog. “Milieuschutz” in dem Sinne, dass ein bestimmtes Verhältnis zwischen überbauten und nicht überbauten Grundstücksflächen oder die “parkartige” Struktur bzw. der Gartencharakter eines Baugebiets oder Nachbargrundstücks erhalten bleiben. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die mit einer Wohnnutzung verbundenen Immissionen von an- und abfahrenden Kraftfahrzeugen des Anwohnerverkehrs sind grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen. Das gilt auch für den mit der Wohnnutzung verbundenen Besucherverkehr. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Abänderung der Nummer I des Beschlusses vom 1. März 2016, M 8 SN 15.4049, wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Beigeladene begehrt die sofortige Vollziehbarkeit der ihm von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19. August 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 2. Januar 2017 erteilten Baugenehmigung für die Nutzungsänderung und Erweiterung einer Doppelhaushälfte in ein Dreifamilienhaus sowie Errichtung eines unterkellerten Nebengebäudes und von Nebenanlagen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … Gemarkung …, …straße 120, das mit seiner Westseite an das Grundstück des Beigeladenen FlNr. …, …straße 122 angrenzt. Gegen die dem Rechtsvorgänger des Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 19. August 2015 für die Nutzungsänderung und Erweiterung einer Doppelhaushälfte in ein Wohngebäude mit drei Wohneinheiten und für den Neubau eines unterkellerten Nebengebäudes mit Garage und Lager hatte die Antragstellerin am 15. September 2015 Klage erhoben (M 8 K 15.4050). Auf ihren ebenfalls vom 15. September 2015 datierten Antrag hin ordnete die Kammer mit Beschluss vom 1. März 2016, M 8 SN 15.4049, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 19. August 2015 nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) an, da die Situierung der Doppelgarage sowie eines daneben befindlichen freien Stellplatzes einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme darstelle. Über den entsprechenden Zu- und Abfahrtsverkehr für drei Kraftfahrzeuge unmittelbar entlang der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin hin sowie der mit der Benutzung der Garage und des Stellplatzes einhergehenden Lärmeinwirkungen etwa durch Türenschlagen werde in den ruhigen Gartenbereich eine erhebliche Lärmbelastung hineingetragen, die den umliegenden Nachbarn nicht zumutbar sei.
Auf den Änderungsantrag des Beigeladenen vom 14. September 2016, nunmehr gerichtet auf Nutzungsänderung und Erweiterung einer Doppelhaushälfte in ein Wohngebäude mit drei Wohneinheiten und für den Neubau eines unterkellerten Nebengebäudes und von Nebenanlagen, erteilte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. Januar 2017 im vereinfachten Genehmigungsverfahren die streitbefangene Änderungsgenehmigung, die den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 3. Januar 2017 zugestellt wurde. Vor dem Hintergrund der erteilten Änderungsgenehmigung erklärten die Beteiligten die Hauptsache M 8 K 15.4050 übereinstimmend für erledigt; das Verfahren wurde daraufhin durch Beschluss des Gerichts vom 19. Januar 2017 eingestellt.
Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2017, bei Gericht eingegangen am 31. Januar 2017, hat die Antragstellerin Klage gegen die Baugenehmigung vom 2. Januar 2017 erhoben. Die Verwaltungsstreitsache, über die noch nicht entschieden ist, wird bei Gericht unter M 8 K 17.377 geführt. Einen gleichzeitig bei Gericht gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO (M 8 SN 17.376) hat die Antragstellerin auf einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis zur prozessualen Verfahrenskonstellation vom 8. März 2017 am 22. März 2017 zurückgenommen. Das Verfahren wurde daraufhin mit Beschluss des Gerichts vom 23. März 2017 eingestellt.
Mit Schriftsatz des Beigeladenen vom 13. März 2017, bei Gericht eingegangen am 16. März 2017, beantragt dieser sinngemäß, den Antrag der Antragstellerin vom 15. September 2015 unter Abänderung des Beschlusses des Gerichts vom 1. März 2016 abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die von der Antragsgegnerin erteilte Änderungsgenehmigung vom 2. Januar 2017 werde noch von der mit Beschluss vom 1. März 2016 angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage erfasst, da die Identität des Vorhabens gewahrt sei. Von den ursprünglich geplanten Kfz- Stellplätzen im rückwärtigen Bereich sei Abstand genommen und damit dem Nachbarschutz ausreichend Rechnung getragen worden. Danach liege nicht länger eine Störung des rückwärtigen Ruhebereichs durch zu- und abfahrenden Kfz-Verkehr vor.
Mit Schriftsatz vom 4. April 2017 beantragt die Antragstellerin sinngemäß, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei weiter aufrecht zu halten, da auch gegen die neue Baugenehmigung Klage erhoben worden sei. Diese werde unter dem Aktenzeichen M 8 K 17.377 geführt. Die Anfechtungsklage sei voraussichtlich erfolgreich. Es sei offensichtlich, dass die Baugenehmigung mit der Genehmigung des Nebengebäudes die faktische rückwärtige Baugrenze im gegenständlichen unbeplanten Innenbereich missachte und damit den Nachbarn den Wohnfrieden durch den begrünten Bereich der aneinander anschließenden Gärten nehme. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde des Weiteren auf die Ausführungen im Hauptsacheverfahren verwiesen. Bereits die Bauarbeiten an sich seien aufgrund der beengten Lage in der Doppelhaussiedlung für die unmittelbar angrenzende Antragstellerin mit einer erheblichen Belastung durch Lärm, Staub und Erschütterungen verbunden. Dies sei nur gerechtfertigt, wenn das Bauvorhaben rechtmäßig sei. Das Vorhaben betreffe eine reine Wohnnutzung, auf die der Beigeladene nicht zu eigenen Wohnzwecken angewiesen sei. Ein dringendes unternehmerisches Bedürfnis an der sofortigen Verwirklichung bestehe ebenfalls nicht, da die entstehenden Flächen zu Wohnzwecken genutzt würden und vermietet werden sollten. Der Bauherr benötige die Einkünfte daraus aber nicht zur Bestreitung seines Lebensunterhalts, da dieser durch seine ständige Arbeit abgesichert sei. Das Interesse der Antragstellerin an der Fortgeltung der aufschiebenden Wirkung überwiege somit sowie mit Blick auf die sonst durch die Realisierung des angegriffenen Vorhabens geschaffenen vollendeten Tatsachen das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehbarkeit.
Die Antragsgegnerin hat zuletzt im Verfahren M 8 SN 17.376 die Behördenakten vorgelegt und dort mit Schriftsatz vom 27. Februar 2017 im Wesentlichen ausgeführt, die Anfechtungsklage der Antragstellerin habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da sich die Änderungsgenehmigung vom 2. Januar 2017 als rechtmäßig erweise und insbesondere die Antragstellerin als Nachbarin nicht in ihren Rechten verletze.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie in den Verfahren M 8 SN 15.4049, M 8 K 15.4050, M 8 SN 17.376 und M 8 K 17.377 Bezug genommen.
II.
Der nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zulässige Antrag der Beigeladenen auf Abänderung des Beschlusses der Kammer vom 1. März 2016, M 8 SN 15.4049, hat Erfolg.
1. Der Antrag des Beigeladenen vom 13. März 2017, sinngemäß gerichtet auf Abänderung des Beschlusses der Kammer vom 1. März 2016, M 8 SN 15.4049, ist zulässig.
Ziel des Antrags ist die Ablehnung des erfolgreichen Antrags der Antragstellerin nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Bindungswirkung von nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlüssen (vgl. B.v. 29.1.2003 – 23 CS 02.3176 – BayVBl 2003, 405; B.v. 14.9.2006 – 25 CS 06.1474 – juris; B.v. 21.2.2007 – 15 CS 07.162 – NVwZ-RR 2007, 821; B.v. 22.1.2013 – 1 CS 12.2709 – BayVBl 2013, 344; B.v. 11.12.2014 – 15 CS 14.1710 – juris Rn. 14) erledigen sich diese Beschlüsse nicht durch eine die Identität des Vorhabens wahrende Änderung oder Ergänzung der außer Vollzug gesetzten Genehmigung. Daher ist es folgerichtig, dass sich auch der Eilantrag des Nachbarn nicht schon ipso jure mit dem Erlass eines Tekturbescheids erledigt, sodass das Rechtsschutzinteresse für einen Änderungsantrag zu bejahen ist, der auf die Ablehnung des zunächst erfolgreichen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gerichtet ist. Soll also erreicht werden, dass von der (geänderten) Baugenehmigung Gebrauch gemacht werden darf, muss demnach vom Bauherrn ein Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO mit dem Ziel gestellt werden, dass der zunächst erfolgreiche Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt wird (vgl. auch SächsOVG, B.v. 15.7.1999 – 1 S 308/99 – NVwZ-RR 2000, 582; OVG Berlin-Bbg, B.v. 14.3.2006 – OVG 10 S. 7.05 – juris). So liegt der Fall mit Blick auf die Änderungsgenehmigung vom 2. Januar 2017 auch hier.
2. Der Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist auch begründet. Die im Verfahren nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5, Abs. 7 Satz 2 VwGO originär anzustellende gerichtliche Ermessenentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechenden -, ist aufgrund der veränderten Umstände, die sich aus der Tekturgenehmigung vom 2. Januar 2017 ergeben, neu zu treffen.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 19. August 2015 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 2. Januar 2017 sind sonach nicht mehr gegeben. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung sprechen überwiegende Gründe für eine Erfolglosigkeit der von der Antragstellerin erhobenen Anfechtungsklage M 8 K 17.377. Voraussichtlich verstößt das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Bauvorhaben nicht gegen drittschützende Rechte der Antragstellerin, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren von der Antragsgegnerin zu prüfen waren (Art. 59 Satz 1 Bayerische Bauordnung – BayBO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.1 Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 aaO). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handelt es sich nicht um einen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO, sodass sich der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde aus Art. 59 BayBO ergibt.
2.2 Dies zugrunde gelegt, wird die Klage der Antragstellerin nach summarischer Überprüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben.
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht beurteilt sich das streitgegenständliche Vorhaben – soweit hier entscheidungserheblich – wegen seiner Lage im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB).
Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO kommt vorliegend als nachbarschützendes Recht allein das in § 34 BauGB enthaltene bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme in Betracht, während hingegen die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nach ganz herrschender Auffassung, der auch das erkennende Gericht folgt, nicht nachbarschützend sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 12.7.2010 – M 8 SN 10.2346 – juris Rn. 53). Die von der Antragstellerin maßgeblich thematisierte Frage der vorhabenbedingten Einhaltung einer (faktischen) hinteren Baugrenze (vgl. insbesondere Klageschrift vom 30. Januar 2017, Seite 4) bedarf somit vorliegend keiner Entscheidung.
Dies zugrunde gelegt, liegt vorhabenbedingt keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme (mehr) vor. Insoweit kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 bzw. § 4 BauNVO, § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Inhaltich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 6). So liegt der Fall auch hier.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes u.a. dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 9.2.2015 – 2 CS 15.17 – juris). Hiervon kann vorliegend mit Blick auf das erdgeschossige, ca. 2,80 m hohe und ca. 6 m lange grenzständige Nebengebäude nicht die Rede sein. Gleiches gilt für die Erweiterung des Hauptgebäudes im 1. Obergeschoss des nördlichen Anbaus mit einer Wandhöhe von dort sodann ca. 6,30 m.
Auch der Vortrag eines erheblichen Schattenwurfes erweist sich als unsubstantiiert, da nicht ansatzweise ersichtlich ist, woher ein solcher auf das Grundstück des Antragstellers vorhabenbedingt in relevanter Weise resultieren soll.
Vielmehr genügt das grenzständige Nebengebäude nach den eingereichten Bauvorlagen den rechtlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO, auch wenn dies nach Art. 59 BayBO im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nicht verfahrensgegenständlich ist. Gleiches gilt für die Erweiterung des Hauptgebäude mit Blick auf Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 BayBO (H/2, mindestens 3 m bei bis zu 16 m Außenwandlänge) zum Grundstück der Antragstellerin hin, da das Gebäude des Beigeladenen mit einer Wandhöhe des durch die ebenfalls antragsgegenständliche Aufstockung um ein 1. Obergeschoss allein betroffenen nördlichen Anbaus von nunmehr 6,236 m bei einer Gesamtgebäudetiefe von 13,08 m einen ausreichenden Grenzabstand zum Grundstück der Antragstellerin von vorhandenen 3,36 m aufweist.
Die Beachtung der Vorschrift des Art. 6 BayBO indiziert vorliegend – bezogen auf die Schutzgüter des Abstandflächenrechts (vgl. Dhom in: Simon/Busse, BayBO, Stand August 2016, Art. 6 Rn.1) – auch unabhängig vom Umfang des Prüfprogramms des Art. 59 Satz 1 BayBO die Einhaltung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots. Dem landesrechtlichen Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO kommt für die Beurteilung des bauplanungsrechtlichen (und daher bundesrechtlichen) Rücksichtnahmegebots unter dem Gesichtspunkt vorgetragener Belastungswirkungen aufgrund eines (vermeintlich) zu geringen Abstands eines großen Baukörpers zwar keine rechtliche Bindungswirkung zu. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet unter diesem Gesichtspunkt im Sinne einer Indizwirkung aber in aller Regel aus, wenn – wie hier – die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen offenkundig eingehalten werden. Denn in diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die diesbezüglichen nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (vgl. aktuell BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 29). Es ist auch nicht ersichtlich, dass hiervon eine durch den Einzelfall bedingte Ausnahme anzunehmen wäre.
Schließlich stellt auch die Zahl der Wohneinheiten in einem Wohngebiet ohne eine entsprechende planerische Festsetzung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB) kein im Rahmen des „Einfügens“ beachtliches Kriterium dar (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 98.77 – juris Rn. 18 f.; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 29.6.1993 – 1 B 11353/93 – juris Rn. 3 m.w.N.). Die städtebaulich erwünschte (Nach-)Verdichtung (vgl. § 1a Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 BauGB) bringt es mit sich, dass die Baugrundstücke umfangreicher als in der Vergangenheit genutzt werden, sofern sie sich in den durch die Umgebungsbebauung vorgegebenen Rahmen einfügen. Die bauliche Verdichtung mag Nachbarn unpassend erscheinen, sie ist deswegen aber noch nicht rücksichtslos. Insbesondere besteht kein Anspruch, dass das streitgegenständliche Grundstück wie das eigene Grundstück genutzt oder bebaut wird (vgl. VG Augsburg, U.v. 14.11.2012 – Au 4 K 11.1678 – juris Rn. 36). Die Erweiterung des Bestandes um eine (oder mehrere) Wohneinheit(en) statt eines bisher vorhandenen kleineren Gebäudes, das im Bestand mit einer geringeren Zahl von Wohneinheiten versehen ist, ist deshalb – wie hier – nicht rücksichtslos.
Das allgemeine Bauplanungsrecht gewährleistet zudem auch keinen sog. „Milieuschutz“ in dem Sinne, dass ein bestimmtes Verhältnis zwischen überbauten und nicht überbauten Grundstücksflächen oder die „parkartige“ Struktur bzw. der Gartencharakter eines Baugebiets oder Nachbargrundstücks erhalten bleiben (vgl. VG München, B.v. 11.11.2015 – M 8 SN 15.3892 – juris Rn. 57 m.w.N.). Insoweit kann die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen, dass es sich vorliegend im rückwärtigen Geviert um einen durchgrünten Gartenbereich handele, dessen Charakter durch das Vorhaben ge- bzw. zerstört werde – losgelöst von den (ausweislich der von der Antragsgegnerin zum Schriftsatz vom 27. Februar 2017 im Verfahren M 8 SN 17.376 vorgelegten Luftbilder) im rückwärtigen Bereich in der näheren Umgebung des Vorhabens bereits tatsächlich vorhandenen Schwimmbäder und Nebenanlagen – schon von Rechts wegen nicht durchdringen.
Das tektierte Vorhaben ist schließlich auch in Hinblick auf den zu erwartenden Kfz-Verkehr nicht (mehr) rücksichtslos. Die mit einer Wohnnutzung verbundenen Immissionen von an- und abfahrenden Kraftfahrzeugen des Anwohnerverkehrs sind grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 18.9.2008 – 1 ZB 06.2294 – juris Rn. 35). Das gilt auch für den mit der Wohnnutzung verbundenen Besucherverkehr. Dass das Vorhaben in seiner nunmehr geänderten Form im Hinblick auf den zu erwartenden Kfz-Verkehr zu und von dem zur Straße hin nunmehr noch vorgesehenen einen Pkw-Stellplatz nicht rücksichtslos ist, wird letztlich auch von der Antragstellerin nicht mehr in Zweifel gezogen. Dies gilt im Übrigen gerade auch deshalb, weil mit Bescheid vom 28. Oktober 2002 auf dem Grundstück des Beigeladenen an gleicher Stelle bereits ein Carport genehmigt wurde.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und Nr. 1.5 und 9.7.1 der Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben