Baurecht

Abgrenzung der Straßenklassen

Aktenzeichen  8 B 18.2043

Datum:
4.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2020, 137
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Art. 36, Art. 40 Abs. 2, Art. 41 S. 1 Nr. 2
BayVwVfG Art. 72 Abs. 1, Art. 73 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Aufgrund seiner enteignungsgleichen Vorwirkung (Art. 40 Abs. 2 BayStrWG) unterliegt der Planfeststellungsbeschluss einer gerichtlichen Überprüfung nicht nur im Hinblick auf die subjektiven Belange eines betroffenen Grundstückseigentümers, sondern auch im Hinblick auf für den Eingriff in dessen Grundeigentum kausale Rechtsverstöße wie eine geltend gemachte fehlerhafte Straßenklassifizierung (sog. Vollüberprüfungsanspruch). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ausschlaggebend für die Klassifizierung einer öffentlichen Straße und die Abgrenzung der Straßenklassen (Art. 3 Abs. 1 BayStrWG) ist als grundsätzliches Merkmal die jeweilige Verkehrsbedeutung, wobei es wegen der häufig auftretenden Mischung verschiedener Verkehrsarten in der Regel auf die jeweils überwiegende Verkehrsbedeutung ankommt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die für die Verkehrsbedeutung einer Straße maßgebliche Aufgabe der Straße im Gesamtstraßennetz ist anhand einer tatsächlichen und einer rechtlichen Komponente zu bestimmen (Fortführung von BayVGH, BeckRS 2016, 115398). Zur Abgrenzung ist zum einen auf die Quantität der durch die Straße vermittelten Verkehrsbeziehungen abzustellen, also das in Bezug auf die jeweilige Verkehrsart tatsächliche bzw. prognostizierte Verkehrsaufkommen. Zum anderen ist die Frage nach der Qualität der Straße im Verkehrsnetz aufzuwerfen, für die nicht allein die bestehenden tatsächlichen Verhältnisse ausschlaggebend sind, sondern auch die planerischen Vorstellungen des jeweiligen Straßenbaulastträgers.  (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
4 Für die Beurteilung der Verkehrsbedeutung einer Straße steht das Kriterium der Qualität der Straßenfunktion selbständig neben der quantitativen Komponente; beide Kriterien sind grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander zu berücksichtigen. Die Qualität kann aber auch ausschlaggebend die Straßenklasse bestimmen (BayVGH, BeckRS 2002, 27498). Dies kann vor allem im Einzugsbereich größerer Orte oder Städte der Fall sein. (Rn. 30 und 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 2 K 13.111 2016-07-13 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufungen des Beklagten und des Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. Juli 2016 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufungen des Beklagten und des Beigeladenen haben Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage des Klägers gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung der Oberpfalz vom 12. Dezember 2012 zu Unrecht stattgegeben. Der Planfeststellungsbeschluss ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts war daher entsprechend abzuändern.
Da der Kläger, dessen Grundstücke für das Planvorhaben unmittelbar in Anspruch genommen werden sollen, aufgrund der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses (vgl. Art. 40 Abs. 2 BayStrWG) unmittelbar in seinem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Grundeigentum betroffen ist, unterliegt der Planfeststellungsbeschluss einer gerichtlichen Überprüfung nicht nur im Hinblick auf die subjektive Belange des Klägers, sondern auch im Hinblick auf für den Eingriff in sein Grundeigentum kausale objektive Rechtsverstöße wie die mit der Klage geltend gemachte fehlerhafte Straßenklassifizierung (sog. Vollüberprüfungsanspruch; vgl. BVerwG, U.v. 9.11.2017 – 3 A 3.15 – juris Rn. 21 m.w.N.; BayVGH, U.v. 15.4.2016 – 8 A 15.40003 – juris Rn. 21; U.v. 17.5.2018 – 8 A 17.40017 – juris Rn. 28). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses ist der Zeitpunkt seines Erlasses im Dezember 2012 (vgl. BVerwG, U.v. 21.5.1976 – IV C 80.74 – BVerwGE 51, 15 = juris Rn. 30 ff.; B.v. 28.7.2014 – 7 B 22.13 – UPR 2015, 34 = juris Rn. 11; B.v. 20.3.2018 – 9 B 43.16 – DVBl 2018, 1361 = juris Rn. 22 f.; BayVGH, B.v. 15.5.2018 – 8 ZB 17.1341 – NuR 2019, 135 = juris Rn. 9). Nach diesem Prüfungsmaßstab leidet der Planfeststellungsbeschluss nicht an einem Mangel, der zum Erfolg des klägerischen Aufhebungsbegehrens führen könnte.
1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei dem planfestgestellten Vorhaben der R 30 neu nicht um eine Staatsstraße, sondern um eine Kreisstraße. Insofern liegt ein Mangel des Planfeststellungsbeschlusses weder in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor, weil der beigeladene Landkreis als unzuständiger Straßenbaulast- und Vorhabenträger (Art. 41 Satz 1 Nr. 2, Art. 36 BayStrWG i.V.m. Art. 72 Abs. 1 BayVwVfG) keinen wirksamen Antrag auf Einleitung des Verfahrens (Art. 22 Satz 2 Nr. 2, Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) gestellt hätte. Noch leidet der Planfeststellungsbeschluss an einem beachtlichen materiell-rechtlichen Fehler, weil das Vorhaben unzutreffend als Kreisstraße nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayStrWG qualifiziert worden und deshalb zwingende gesetzliche Vorgaben verletzt worden wären.
Nach Art. 3 Abs. 1 BayStrWG werden die Straßen nach ihrer Verkehrsbedeutung in Klassen eingeteilt. Staatsstraßen sind gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayStrWG solche Straßen, die innerhalb des Staatsgebiets zusammen mit den Bundesfernstraßen ein Verkehrsnetz bilden und dem Durchgangsverkehr zu dienen bestimmt sind. Dagegen sind Kreisstraßen gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayStrWG Straßen, die dem überörtlichen Verkehr innerhalb eines Landkreises, dem Verkehr zwischen benachbarten Landkreisen und kreisfreien Gemeinden oder dem erforderlichen Anschluss von Gemeinden an das überörtliche Verkehrsnetz dienen oder zu dienen bestimmt sind; sie sollen mindestens an einem Ende an eine Bundesfernstraße, Staatsstraße oder andere Kreisstraße anschließen.
Ausschlaggebend für die Klassifizierung einer öffentlichen Straße und die Abgrenzung der Straßenklassen ist als grundsätzliches Merkmal demnach die jeweilige Verkehrsbedeutung, wobei es wegen der häufig auftretenden Mischung verschiedener Verkehrsarten in der Regel auf die jeweilige „überwiegende Verkehrsbedeutung“ ankommt (so bereits die amtliche Begründung zum Entwurf des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes vom 11. Juli 1958, GVBl. S. 147, LT-Drs. III/2832 S. 21; BayVGH, U.v. 20.12.2016 – 8 B 15.884 – BayVBl 2017, 705 = juris Rn. 42; U.v. 1.3.2019 – 8 A 17.40007 – juris Rn. 26 m.w.N.; Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2018, Art. 3 Rn. 21). Maßgebender Faktor für die Verkehrsbedeutung einer Straße im Sinne von Art. 3 Abs. 1 BayStrWG sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats die von ihr vermittelten räumlichen Verkehrsbeziehungen. Diese bemessen sich danach, welche Aufgabe eine Straße innerhalb des Gesamtstraßennetzes erfüllt, nämlich zwischen welchen Räumen der Verkehr vermittelt werden soll. Ihre Prüfung weist jeweils eine tatsächliche und eine rechtliche Komponente auf (vgl. BayVGH, U.v. 10.4.2002 – 8 B 01.1170 – BayVBl 2003, 468 = juris Rn. 13; U.v. 20.12.2016 – 8 B 15.884 – BayVBl 2017, 705 = juris Rn. 42).
Zum einen ist – neben besonderen Klassifizierungsmerkmalen wie dem Netzzusammenhang bei Staatsstraßen nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayStrWG – danach zu ermitteln, welchem Verkehr die streitbefangene Straßenverbindung tatsächlich dient bzw. welcher Verkehr für sie prognostiziert wird. Damit ist vor allem die Frage nach der Quantität der durch die Straße vermittelten Verkehrsbeziehungen aufgeworfen, also dem in Bezug auf die jeweilige Verkehrsart (z.B. örtlicher/überörtlicher Verkehr, Durchgangsverkehr, Anschlussverkehr) tatsächlichen bzw. prognostizierten Verkehrsaufkommen. Zum anderen ist zu untersuchen, ob und gegebenenfalls welche Funktion der Straße nach ihrer Zweckbestimmung im Verkehrsnetz zukommt (sog. Netzfunktion). Dies betrifft vor allem die Qualität der Straße im Verkehrsnetz (vgl. BayVGH, U.v. 24.2.1999 – 8 B 98.1627 und 8 B 98.1631 – BayVBl 2000, 242/243 m.w.N.; nachfolgend BVerwG, B.v. 8.10.1999 – 4 B 53.99 – BayVBl 2000, 249 f.). Für die Qualität der Straße im Verkehrsnetz sind nicht allein die bestehenden tatsächlichen Verhältnisse ausschlaggebend; vielmehr sind insoweit grundsätzlich auch die planerischen Vorstellungen des jeweiligen Straßenbaulastträgers zu berücksichtigen. Dies belegt der Gesetzeswortlaut, wonach es sich sowohl bei den Staatsstraßen als auch bei Kreisstraßen um solche handelt, die jeweils einem bestimmten Verkehr – nämlich bei Staatsstraßen dem „Durchgangsverkehr“ und bei Kreisstraßen dem „überörtlichen Verkehr innerhalb eines Landkreises, dem Verkehr zwischen benachbarten Landkreisen und kreisfreien Gemeinden oder dem erforderlichen Anschluss von Gemeinden an das überörtliche Verkehrsnetz“ – „zu dienen bestimmt sind“. In dieser Wendung drückt sich die Konzeption der Straßenbaulastträger über die Gestaltung des ihnen anvertrauten Netzes aus (vgl. BayVGH, U.v. 30.9.2014 – 8 B 13.72 – juris Rn. 38; nachfolgend BVerwG, B.v. 25.6.2015 – 9 B 12/15 – juris und BayVerfGH, E.v. 16.1.2018 – Vf. 52-VI-15 – BayVBl 2018, 483 = juris). Allerdings darf für die Zweckbestimmung einer Straße nicht allein auf reine Willensäußerungen oder subjektive Einschätzungen des Baulastträgers abgestellt werden (vgl. BayVGH, U.v. 8.8.2001 – 8 N 00.690 – BayVBl 2002, 495 = juris Rn. 19; U.v. 17.2.2012 – 8 ZB 11.124 – juris Rn. 8 m.w.N.; U.v. 1.3.2019 – 8 A 17.40007 – juris Rn. 28). Auch kommt ihm insoweit kein Beurteilungsspielraum zu (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 3 Rn. 18 m.w.N.). Vielmehr muss die Zweckbestimmung frei von Willkür auf einer nachvollziehbaren, objektivierbaren Grundlage beruhen (vgl. BayVGH, U.v. 8.8.2001 – 8 N 00.690 – BayVBl 2002, 495 = juris Rn. 19; U.v. 17.2.2012 – 8 ZB 11.124 – juris Rn. 8 m.w.N.; U.v. 1.3.2019 – 8 A 17.40007 – juris Rn. 28). Als solche kommen neben der tatsächlichen Lage der Straße im Straßennetz (vgl. BayVGH, U.v. 30.9.2014 – 8 B 13.72 – juris Rn. 35 ff.; B.v. 27.10.2015 – 8 B 15.1296 u.a. – BayVBl 2016, 240 = juris Rn. 6 ff.) oder anderen objektiven Gegebenheiten vor allem auch vorangegangene generelle Planungen wie das Landesentwicklungsprogramm, Regionalpläne oder Straßenausbaupläne in Betracht, denen insoweit eine starke Indizwirkung beizumessen ist (vgl. BayVGH, U.v. 10.4.2002 – 8 B 01.1170 – juris Rn. 14; U.v. 30.9.2014 – 8 B 13.72 – juris Rn. 38; Häußler in Zeitler, a.a.O., Art. 3 Rn. 17, 21).
Bei der Beurteilung der Verkehrsbedeutung steht das Beurteilungskriterium der Qualität der Straßenfunktion selbstständig neben der quantitativen Komponente; beide Kriterien sind grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander zu berücksichtigen (vgl. Häußler in Zeitler, a.a.O., Art. 3 Rn. 17). Die Qualität der Straßenfunktion kann aber auch ausschlaggebend die Straßenklasse bestimmen (vgl. BayVGH, U.v. 10.4.2002 – 8 B 01.1173 – juris Rn. 13; B.v. 27.10.2015 – 8 B 15.1296 – a.a.O., m.w.N.). Dies kann vor allem auch im Einzugsbereich größerer Orte oder Städte – wie im Ballungsraum Regensburg – der Fall sein, weil dort der örtliche Verkehr auch und gerade auf höherqualifizierten Straßen, die häufig einen höheren Ausbaustandard aufweisen, den überregionalen Verkehr regelmäßig deutlich überwiegt. Würde die Quantität der Verkehrsbeziehungen für die Einordnung in die zutreffende Straßenklasse den Ausschlag geben, wäre im Einzugsbereich größerer Orte eine sinnvolle Handhabung der Einteilungskriterien für die verschiedenen höherklassifizierten Straßen nicht möglich (vgl. BayVGH, U.v. 24.2.1999 – 8 B 98.1627 – BayVBl 2000, 243 m.w.N.). Hat eine (geplante) Straße eine Funktion im überörtlichen Verkehrsnetz, gibt deshalb dieses Merkmal bei der Klassifizierung den Ausschlag (vgl. BayVGH, U.v. 30.9.2014 – 8 B 13.72 – juris Rn. 34; B.v. 27.10.2015 – 8 B 15.1296 u.a. – BayVBl 2016, 240 = juris Rn. 5; U.v. 1.3.2019 – 8 A 17.40007 – juris Rn. 28).
2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Annahme im Planfeststellungsbeschluss, dass die R 30 neu nicht als Staatsstraße (dazu unten a), sondern als Kreisstraße (dazu unten b) einzustufen ist.
a) Eine Qualifizierung der R 30 neu als Staatsstraße scheidet aus, weil die Klassifizierungsmerkmale des Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayStrWG weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht gegeben sind.
Zwar ist dem Verwaltungsgericht zuzugeben, dass – trotz der nur mittelbaren Anbindung der R 30 neu im Westen an kurze Teilstücke der Kreisstraße R 30 alt und der Staatsstraße St 2143 – nach der Lage der R 30 neu im Verkehrsnetz ein Netzzusammenhang in dem Sinn zu bejahen sein dürfte, dass die R 30 neu innerhalb des Staatsgebiets zusammen mit den Bundesfernstraßen A 93 und B 15 ein Verkehrsnetz bildet. Der Netzzusammenhang ist aber schon nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayStrWG nicht das alleinige Kriterium für die Verkehrsbedeutung einer Staatsstraße. Gegen die Klassifizierung der R 30 neu als Staatsstraße spricht in tatsächlicher Hinsicht schon das für die Straße prognostizierte Verkehrsaufkommen für den überörtlichen Durchgangsverkehr, das nach den Berechnungen des Gutachters auf der Grundlage einer Verkehrsbefragung vom 12. Oktober 2004 für die R 30 alt – trotz der Lage im Ballungsraum Regensburg – nur 1 bis 2% beträgt (vgl. gutachterliche Stellungnahme Prof. Dr. … vom 31.5.2016). Lediglich für den Lkw-Verkehr wurde – bedingt durch die Einsparungen bei der Mautgebühr – ein höherer Durchgangsverkehr zwischen der A 93 und der B 15 um das Dreifache auf 6 – 9% tags und 7 – 9% nachts prognostiziert (vgl. Gutachten Prof. Dr. … vom 15.10.2009). Abgesehen davon, dass der Lkw-Verkehr nur einen untergeordneten Teil des Gesamtverkehrs ausmacht und ein Verkehr von 1 bis 2% keinen überwiegenden Durchgangsverkehr darstellt, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass bloßer „Schleichverkehr“ zur Umgehung eines Verkehrswegs bei der Frage der Einstufung einer Straße nicht zu berücksichtigen ist (vgl. BayVGH, U.v. 10.4.2002 – 8 B 01.1170 – BayVBl 2003, 468 = juris Rn. 15; U.v. 1.3.2019 – 8 A 17.40007 – juris Rn. 31 f.). Auch soweit das Verwaltungsgericht die gutachterliche Stellungnahme vom 31. Mai 2016 nur für eingeschränkt verwertbar hält, weil sie einen Prognosehorizont von 2030 anstatt von 2025 zugrunde gelegt habe und weil sie auf einer Verkehrsbefragung vom 12. Oktober 2004 beruhe, die Untersuchungen nur in eine Richtung vorgenommen habe, greift das nicht durch, zumal diese Faktoren, selbst wenn sie zu anderen Ergebnissen der Berechnung des Durchgangsverkehrs führen würden, keinen tatsächlich überwiegenden Durchgangsverkehrs auf der R 30 neu belegen könnten. Im Übrigen kann, wie oben ausgeführt (vgl. Rn. 30), im Bereich von Ballungsräumen wie im Raum Regensburg der tatsächlichen Komponente ohnehin keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden.
Gegen die Qualifizierung der R 30 neu als Staatsstraße spricht vor allem die Tatsache, dass sie nach ihrer Zweckbestimmung nicht dem Durchgangsverkehr zu dienen bestimmt ist, ihr also keine Funktion im (großräumigen) überörtlichen Verkehrsnetz zukommt. Die straßenplanerische Konzeption lässt sich im vorliegenden Fall sowohl dem Erläuterungsbericht des Beigeladenen als Vorhabenträger als auch dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss entnehmen. Danach werden mit dem geplanten Vorhaben – auf der Grundlage der Verkehrsuntersuchungen aus den Jahren 2005 und 2009 – vor allem die Ziele der Verbesserung der Verkehrssituation und der Entlastung der Orte vom (Orts-)Durchgangsverkehr, der Erhöhung der Verkehrssicherheit und der Verbesserung regionaler Verkehrsbeziehungen verfolgt (vgl. Erläuterungsbericht, Planunterlage 1T, S. 13 f.; Planfeststellungsbeschluss S. 45 f.). Ausdrücklich nicht Ziel war es hingegen, eine Südumfahrung des Autobahnkreuzes Regensburg oder eine großräumige Querverbindung zwischen den Bundesautobahnen A 93 und A 3 oder den Bundesstraßen B 8, B 15 und B 16 zu schaffen. Wörtlich führt der Planfeststellungsbeschluss im Rahmen einer Stellungnahme zu entsprechenden Einwendungen hierzu aus (S. 169):
„Mit dem plangegenständlichen Neubau der Kreisstraße R 30 ist weder eine Entlastung des Autobahnkreuzes Regensburg noch die Schaffung einer Ausweichroute für den Verkehr von und zu den Gewerbegebieten im Südosten der Stadt Regensburg, in Neutraubling und Obertraubling beabsichtigt oder angestrebt. Das plangegenständliche Ausbauvorhaben ist auch kein Teilstück einer großräumigen Straßenverbindung zwischen den Bundesautobahnen A 93 und A 3, sondern nur ein Teil der vorstehend genannten kleinräumigen und lokal bedeutsamen Maßnahmen zur Lösung der verkehrlichen Probleme im südlichen Landkreis Regensburg…“
Insofern kann auch nicht nur von einer bloßen „voluntativen Aussage“ gesprochen werden, wie das Verwaltungsgericht meint. Vielmehr liegt eine nachvollziehbare, auf objektiven Grundlagen beruhende Planungskonzeption vor, die insbesondere durch die der Planung vorangegangene, übergeordnete Straßenplanung der Staatsregierung objektiviert und bestätigt wird. Während nämlich eine Querverbindung zwischen der Bundesautobahn A 93 im Westen und der Bundestraße B 15 im Osten im 6. Ausbauplan für die Staatsstraßen in Bayern vom 6. Januar 2001 noch als Teil der Staatsstraße St 2329 enthalten war (vgl. Pro-Nr. R800 bis R840), ist dies in dem dem Planfeststellungsbeschluss vorangegangenen, nach wie vor geltenden 7. Ausbauplan für die Staatsstraßen in Bayern vom 11. Oktober 2011 nicht mehr der Fall. Das ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass die konzeptionelle Zweckbestimmung der Straße als Staatsstraße aufgegeben wurde und keine Staatsstraße mehr vorliegt. Dem entspricht auch der Umstand, dass die geplante Neubaustrecke der R 30 neu auf ihrer Länge von insgesamt ca. 8,6 km insgesamt 11 Anschlüsse aufweist, was für eine dem Durchgangsverkehr zu den anschließenden Bundesstraßen dienende Straße kaum erforderlich wäre. Der Abwicklung dieses Verkehrs dienen vielmehr die in der Umgebung von Regensburg verlaufenden Bundesautobahnen A 93 und A 3 sowie die Bundesstraßen B 15 und B 16.
Demgegenüber kommt es entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht darauf an, ob auf der R 30 neu tatsächlich ein Durchgangsverkehr „möglich“ ist und ob die geplante Straße hierfür „geeignet“ ist. Ebenso wenig spielen bei der Bewertung der Verkehrsfunktion mögliche künftige Fortführungen der Kreisstraße R 30 neu in Richtung Nordosten eine Rolle, da diese im maßgeblichen Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses noch nicht hinreichend konkretisiert waren.
b) Zu Recht ist im Planfeststellungsbeschluss angenommen, dass die R 30 neu die Verkehrsbedeutung einer Kreisstraße nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayStrWG aufweist.
Es kann offen bleiben, ob sich aus der Verwendung der Konjunktion „oder“ in Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 BayStrWG – ähnlich wie bei § 1 Abs. 1 Satz 1 FStrG (vgl. dazu BVerwG, B.v. 23.10.2002 – 4 B 49.02 – juris Rn. 4; U.v. 3.5.2013 – 9 A 17.12 – NVwZ 2013, 1220 = juris Rn. 12) – ergibt, dass die Verkehrsbedeutung einer Kreisstraße isoliert sowohl aus dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen („dienen“) als auch aus der der Straße zugedachten Verkehrsfunktion („zu dienen bestimmt“) abgeleitet werden kann. Dafür spricht, dass mit der nachträglichen Änderung des Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 BayStrWG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (GVBl 1981, S. 348) – anders als bei der für Staatsstraße geltenden Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayStrWG, die seit dem Erlass des Bayerischen Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) vom 11. Juli 1958 (GVBl. S. 147) insoweit nicht verändert wurde – nach dem Willen des Gesetzgebers offenbar inhaltsgleiche Regelungen des Bundesfernstraßengesetzes übernommen werden sollten (vgl. Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 9/100 vom 22.7.1981, S. 6563). Die Frage bedarf vorliegend jedoch keiner Entscheidung, weil die R 30 neu sowohl in tatsächlicher als auch die rechtlich-funktioneller Hinsicht die Klassifizierungsmerkmale einer Kreisstraße erfüllt.
Nach der verkehrsgutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. … vom 31. Mai 2016, das im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage einer Herkunfts-Ziel-Verkehrsbefragung im Bereich der Ortschaften Gebelkofen und Wolkering von 2004 ergänzend zu dem der Planfeststellung zugrunde liegenden Verkehrsgutachten vom 15. Oktober 2009 erstellt wurde, kamen bereits auf der Kreisstraße R 30 alt (= frühere Teilstrecke der Staatsstraße St 2329) 94% der Kraftfahrzeuge aus dem Landkreis Regensburg. Die Ziele der Fahrten lagen zu 23% im Landkreis Regensburg, zu 30% im Nachbarlandkreis Kelheim, zu 31% in der benachbarten Stadt Regensburg und zu 16% weiter weg vor allem Richtung München über die Autobahn A 93. Dagegen trat auf dieser Strecke fast kein Durchgangsverkehr durch den Landkreis Regensburg auf. Vielmehr waren 95% der Verkehre Quell-, Ziel- und Binnenverkehre des Landkreises Regensburg (vgl. gutachterliche Stellungnahme S. 2 f.). Auch für die R 30 neu wird nur ein minimaler Durchgangsverkehr durch den Landkreis Regensburg von etwa 1 bis 2% aller Nutzer prognostiziert. Im Ergebnis ist festgehalten, dass die R 30 neu den südöstlichen Teil des Landkreises Regensburg erschließt und ihn an die Bundesautobahn A 93 anbindet. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Verkehrsuntersuchung vom 15. Oktober 2009, in der auf der Grundlage von Verkehrszählungen an fünf maßgeblichen Knotenpunkten und zwei Verkehrsbefragung im Jahr 2004 sowie weiteren Verkehrszählungen und Verkehrsbefragung im südöstlichen Landkreis Regensburg im Frühjahr 2009 festgestellt wird, dass die R 30 neu einerseits zur Erschließung des Landkreises südlich von Regensburg dient, andererseits den von Süden (Thalmassing etc.) kommenden Verkehr in Richtung Regensburg auf die beiden Hauptverkehrsachsen der A 93 und B 15 ableitet (vgl. Gutachten S. 7). Hieraus ergibt sich ohne Weiteres, dass die Straße in tatsächlicher Hinsicht vor allem sowohl dem Verkehr innerhalb des Landkreises Regensburg als auch dem erforderlichen Anschluss von Gemeinden, insbesondere der Gemeinde Thalmassing und ihrer Ortsteile, an das überörtliche Verkehrsnetz dient (vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 Alt. 1 und 3 BayStrWG).
Dem entspricht auch die straßenplanerische Konzeption des Beigeladenen als Vorhabenträger, wie sie sich dem Erläuterungsbericht und dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss entnehmen lässt. Danach werden mit dem geplanten Vorhaben vor allem die Ziele der Verbesserung der Verkehrssituation und der Entlastung der Orte vom (örtlichen) Durchgangsverkehr, der Erhöhung der Verkehrssicherheit und der Verbesserung regionaler Verkehrsbeziehungen verfolgt. Dies soll durch eine Ertüchtigung der Querverbindung von der Bundesautobahn A 93 bei P. zur Bundesstraße B 15 bei Kö. als regionale Verbindungsstraße im südlichen Landkreis Regensburg mit Erfassung des Raumes Thalmassing und Alteglofsheim, durch eine Entlastung der Ortsdurchfahrten Wolkenring, Gebelkofen, Kö., Egglfing und Thalmassing, durch leichtere Erreichbarkeit des Mittelzentrums Neutraubling und des Kleinzentrums Obertraubling aus Richtung Süden und Südwesten umgesetzt werden (vgl. Erläuterungsbericht S. 13 f.; Planfeststellungsbeschluss S. 45 f.). Auch insofern kann nicht nur von einer bloßen „voluntativen Aussage“ des Straßenbaulastträgers gesprochen werden. Vielmehr ist auch diese Planungskonzeption auf der Grundlage einer der Planfeststellung vorangegangenen allgemeinen Planung, nämlich des in der Sitzung des Kreistages am 28. November 2011 beschlossenen „Straßenbauprogramms des Landkreises im Haushaltsjahr 2012“ dokumentiert. Weiteres Indiz für die Verkehrsfunktion der R 30 als Kreisstraße (mit Anschlussfunktion) bildet der Umstand, dass die geplante Neubaustrecke auf ihrer Länge von insgesamt ca. 8,6 km insgesamt 11 Anschlüsse aufweist, die die umgebenden Orte und Ortsteile an das überörtliche Straßennetz anbinden.
3. Weitere Mängel des Planfeststellungsbeschlusses werden vom Kläger nicht geltend gemacht bzw. entsprechende Rügen – wie die Frage der Alternativenprüfung oder der Existenzgefährdung des klägerischen Betriebs – wurden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren fallen gelassen. Hierauf wird deshalb nicht weiter eingegangen, zumal der Senat nicht ungefragt auf Fehlersuche zu gehen hat (vgl. BVerwG, U.v. 17.4.2002 – 9 CN 1.01 – BVerwGE 116, 188 = juris LS 2 und Rn. 43 m.w.N.; B.v. 3.7.2013 – 9 B 5.13 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 19.2.2008 – 8 AS 07.40055 – juris Rn. 28).
4. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). In beiden Rechtszügen entspricht es billigem Ermessen (§ 162 Abs. 3 VwGO), dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil dieser einen Antrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.


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