Baurecht

Abgrenzung von Außen- und Innenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 19.2395

Datum:
19.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14556
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 2, Abs. 3
BayBO Art. 76

 

Leitsatz

Ein Vorhaben liegt im Außenbereich, wenn es nicht Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB ist. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen nicht ineinander auf, sondern sind kumulativer Natur (vgl. BVerwG BeckRS 2015, 49460). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 29 K 17.2023 2019-09-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen die mit Bescheid vom 18. April 2017 angeordnete Beseitigung der Gabionenwand auf den Grundstücken FlNr. …, …, … und …, Gemarkung G* … Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. September 2019 abgewiesen. Die genehmigungspflichtige Einfriedung befinde sich im Außenbereich und beeinträchtige als sonstiges Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat die Gabionenwand zu Recht dem Außenbereich zugeordnet. Die Zulassungsbegründung zeigt keine Umstände auf, die eine Zurechnung der Einfriedung zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB rechtfertigen könnten.
Ein Vorhaben liegt im Außenbereich, wenn es nicht Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB ist. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen nicht ineinander auf, sondern sind kumulativer Natur (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275). „Ortsteil“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts maßgebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist indes nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – NVwZ 2018, 1651; B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 a.a.O.; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 a.a.O.; U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; B.v. 2.4.2007 – 4 B 7.07 – BauR 2007, 1383; B.v. 2.3.2000 – 4 B 15.00 – BauR 2000, 1310; U.v. 14.9.1992 – 4 C 15.90 – NVwZ 1993, 985; BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 1 ZB 16.2599 – juris Rn. 5; B.v. 9.12.2017 – 1 ZB 16.1301 – juris Rn. 5).
Gemessen an diesen Maßstäben, die das Verwaltungsgericht seiner Beurteilung auf der Grundlage eines Ortstermins zugrunde gelegt hat, fehlt es an einem Ortsteil im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Die pauschalen Ausführungen in der Zulassungsbegründung, das Verwaltungsgericht habe wesentliche Bezugsfälle für die Einstufung des streitgegenständlichen Grundstücks als Innenbereichsgrundstück außer Acht gelassen bzw. diesbezüglich unrichtige Feststellungen getroffen und damit die tatsächliche planungsrechtliche Einstufung an der B* …straße verkannt, sind nicht geeignet, die Feststellung des Verwaltungsgerichts in einer dem Darlegungsgebot im Sinn von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise in Frage zu stellen. Die bloße Behauptung, es liege ein Ortsteil vor, genügt nicht. Soweit der Kläger auf die Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … hinweist und ihr ein städtebauliches Gewicht beimisst, übersieht er, dass das Verwaltungsgericht diese Bauten berücksichtigt hat. Anders als der Kläger hat es aber auch bei Berücksichtigung der Bauten aufgrund der geringen Anzahl an Gebäuden und den örtlichen Gegebenheiten weder eine Bebauung von einem gewissen Gewicht noch von einer organischen Siedlungsstruktur im Sinn eines Ortsteils angenommen (s. UA S. 11). Sonstige Bezugsfälle, die das Verwaltungsgericht außer Acht gelassen haben könnte, sind weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen. Bei dem Pferdeunterstand auf dem Grundstück FlNr. … handelt es sich nicht um eine prägende und damit maßstabbildende Bebauung im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Der Kläger setzt vielmehr dem vom Verwaltungsgericht im Rahmen seines Ortstermins gewonnenen Eindruck, der durch die vorliegenden Licht- und Luftbilder bestätigt wird, nur die eigene gegenteilige Betrachtung entgegen, ohne damit die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu erschüttern. Auch der vom Kläger in diesem Zusammenhang gerügte Verstoß gegen die dem Verwaltungsgericht obliegende Amtsermittlungspflicht und die damit hergeleiteten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (auch) aus einem Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts liegen nicht vor. Denn unabhängig davon, dass der Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt ist, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 8), hat das Verwaltungsgericht ausweislich der vorstehenden Ausführungen auch die Bebauung auf der anderen Straßenseite in den Blick genommen. Die Frage, ob ein Bebauungszusammenhang besteht, muss nicht entschieden werden. Denn nur ein Bebauungszusammenhang, der auch Ortsteil ist, kann zu einem Baurecht nach § 34 BauGB führen (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1988 – 4 C 7.98 – NVwZ 1999, 527).
Aufgrund der Lage im Außenbereich ist die Einfriedung gemäß § 35 Abs. 2 und 3 BauGB unzulässig. Die Gabionenwand widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Stadt O* … vom 4. April 2017, der die streitgegenständlichen Grundstücke als „Fläche für die Landwirtschaft“ ausweist (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB). Dass der Flächennutzungsplan funktionslos geworden ist, wird nicht hinreichend dargelegt. Allein die Ausführungen des Klägers, der Flächennutzungsplan sei aufgrund der massiven Bebauung als funktionslos anzusehen, genügt nicht. Im Übrigen bestehen nach den vorliegenden Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Flächennutzungsplan durch die tatsächliche Entwicklung endgültig überholt ist und die vorgenommene Ausweisung nicht mehr eine „beabsichtigte städtebauliche Entwicklung“ repräsentiert und der Flächennutzungsplan damit seine die Bebauung im Außenbereich steuernde Kraft als öffentlicher Belang verloren hätte (vgl. Gaentzsch/Philipp/Tepperwien in Berliner Kommentar, Stand April 2020, § 5 Rn. 2).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Einfriedung auch die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), da die Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs ausreichend ist.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn eine im Zulassungsantrag formulierte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus relevant ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2005 – 1 B 11.05 – NVwZ 2005, 709; B.v. 9.6.1999 – NVwZ 1999, 1231). Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage betrifft die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauBG und ist aus den unter 1. genannten Gründen nicht entscheidungserheblich. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, worin ein über den vorliegenden Einzelfall hinausgehender Klärungsbedarf liegen sollte.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen‚ da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben