Baurecht

Abgrenzung von Innen- und Außenbereich

Aktenzeichen  M 9 K 15.4811

Datum:
22.6.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 55936
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 7

 

Leitsatz

Zwar kann ein Bereich einem Bebauungszusammenhang zugerechnet werden, wenn er durch Besonderheiten des Geländes wie Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitten im Landschaftsbild von der freien Landschaft abgegrenzt würde (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 48143; BVerwG BauR 2002, 277). Ein derartiger Fall ist bei einem ebenen Gelände und einer fehlenden Zäsur durch ein Gewässer oder eine Straße jedoch nicht gegeben.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die als Untätigkeitsklage zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung zu ihrem Bauantrag vom … April 2014 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Es kann letztlich dahinstehen, ob die Kläger durch ihre Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 22. Juni 2016 auch die Planfassung vom … Januar 2016 zum Gegenstand des Bauantragsverfahrens und der Klage gemacht haben. Sowohl diese Planfassung als auch die dem Bauantrag und dem Klageantrag zugrunde liegende Fassung der Pläne zum Bauantrag vom … April 2014 sind nicht genehmigungsfähig. Ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung besteht weder für ein Einfamilienhaus mit einer Einliegerwohnung noch für ein solches mit zwei Einliegerwohnungen.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 59 BayBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Im vorliegenden Fall stehen dem Vorhaben die Vorschriften des Bauplanungsrechts nach den §§ 29 bis 38 BauGB entgegen, weshalb ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nicht besteht.
Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nach § 30 Abs. 3 BauGB i. V. m. § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen. Es liegt nicht mehr innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und ist deswegen als Außenbereichsvorhaben zu beurteilen (1.). Es kann nicht als Vorhaben, das einem landwirtschaftlichen Betrieb dient, angesehen werden (2.). Es ist unzulässig, da es öffentliche Belange beeinträchtigt (3.).
1. Der zur Bebauung vorgesehene Bereich des Grundstücks FlNr. 457/57, Gemarkung …, ist dem Außenbereich zuzurechnen.
Ein solcher liegt vor, wenn ein Grundstück weder qualifiziert i. S. des § 30 Abs. 1 BauGB beplant ist, noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i. S. des § 34 Abs. 1 BauGB liegt. Strittig ist im vorliegenden Fall allein, ob der zu bebauende Bereich noch einem Bebauungszusammenhang i. S. des § 34 Abs. 1 BauGB zuzurechnen ist. Dies ist nicht der Fall.
Ein Bebauungszusammenhang i. S. des § 34 Abs. 1 BauGB liegt nur dann vor, wenn eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener unbebauter aber bebauungsfähiger Grundstücke oder freier Flächen den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt (BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10/11 – juris Rn. 11). Wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigende Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 2 ZB 12.2632 – juris).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat der gerichtliche Augenschein am 22. Juni 2016 ergeben, dass der zur Bebauung vorgesehene Bereich nicht mehr von der im Norden und Osten vorhandenen Bebauung geprägt wird, sondern der nach Süden und Südwesten sich fortsetzenden freien Landschaft zuzurechnen ist. Der zur Bebauung vorgesehene Bereich des Baugrundstücks ist nicht Teil eines Bebauungszusammenhangs. Bei einer Grundstückslage am Ortsrand, wie sie im vorliegenden Fall gegeben ist, endet der Bebauungszusammenhang unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenze regelmäßig am letzten mit den übrigen Häusern im Zusammenhang stehenden Baukörper (BayVGH, B.v. 27.1.2010 – 9 ZB 08.37 – juris). Demzufolge ist der Bereich südlich und südwestlich des auf dem Baugrundstück neu erstellten Hauptgebäudes nicht mehr Teil eines Bebauungszusammenhangs.
Der hier zur Bebauung vorgesehene Bereich ist auch nicht deshalb einem Bebauungszusammenhang zuzurechnen, weil er durch Besonderheiten des Geländes von der freien Landschaft abgegrenzt würde. Zwar können Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte im Landschaftsbild im Einzelfall unbebaute Grundstücke dem Innenbereich zuordnen (BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40/87 – NVwZ 1990, 879; B.v. 2.8.2001 – 4 B 26/01 – Baurecht 2002, 277). Eine derartige landschaftliche Zäsur ist im vorliegenden Fall jedoch nicht vorhanden. Das Gelände ist eben. Eine Zäsur durch ein Gewässer oder Straßen, die den zur Bebauung vorgesehenen Bereich noch der Bebauung entlang der Straße „…“ zuordnen könnten, ist nicht vorhanden.
Auch aus der benachbarten Bebauung im Nordosten folgt nicht, dass auch auf dem Grundstück der Kläger über die bestehende Bebauungsgrenze hinausgriffen werden kann. Der Bebauungszusammenhang ist nicht notwendig als einheitliche Linie in einem Abstand zur Erschließungsstraße anzunehmen. Vielmehr zeichnet sich der Ortsrand regelmäßig durch Vor- und Rücksprünge aus. Ein Hinausgreifen über diesen Ortsrand würde gleichwohl ein Hinausgreifen über den bisherigen Bebauungszusammenhang bedeuten.
Auch die früher auf der Fläche vorhandenen Wohncontainer können eine Zusammengehörigkeit der zur Bebauung vorgesehenen Fläche mit dem Gebäudebestand im Norden und Osten nicht begründen. Dies liegt zum einen daran, dass die Wohncontainer nicht mehr vorhanden sind. Zum anderen ist nach der Verkehrsauffassung nicht mehr damit zu rechnen, dass diese wieder errichtet werden. Es handelt sich bei den Wohncontainern nach der unwidersprochenen Angabe des Landratsamts um solche, die für den im Außenbereich privilegiert zulässigen …betrieb zur vorübergehenden Unterbringung von Arbeitern errichtet wurden. Schon wegen der Bauweise und des Bestimmungszwecks ist somit zu erwarten gewesen, dass mit der Beendigung der Nutzung als …betrieb auch diese baulichen Anlagen wieder entfernt werden. Eine prägende Wirkung für die Grenze des Bebauungszusammenhangs kann ihnen daher nicht mehr beigemessen werden. Nicht zuletzt greift das geplante Vorhaben ohnehin über den Bereich hinaus, der von den Wohncontainern beansprucht wurde.
Gleiches gilt für das südlich des Wohn- und Geschäftshauses befindliche Nebengebäude, das in den Lageplänen nicht dargestellt ist. Es handelt sich bei diesem auch nicht um eine Bebauung, die die Grenze des Bebauungszusammenhangs in den Außenbereich verschieben könnte. Bebauung i. S. des § 34 BauGB ist nicht jede beliebige bauliche Anlage, sondern nur ein maßstabbildendes Bauwerk. Hierzu zählen in der Regel nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (BayVGH, B.v. 9.7.2003 – 26 ZB 01.2582 – juris Rn. 14 m. w. N.). Diese Voraussetzungen erfüllt der hölzerne Lagerschuppen nicht. Zudem greift die geplante Bebauung auch über den Bereich dieses Lagerschuppens deutlich nach Süden hinaus.
2. Das Vorhaben ist nach § 30 Abs. 3 BauGB i. V. m. § 35 Abs. 2, Abs. 3 BauGB zu beurteilen. Es kann dahinstehen, ob der Bebauungsplan der Beigeladenen wirksam ist, da das Vorhaben schon aufgrund der nach § 30 Abs. 3 BauGB neben diesem einfachen Bebauungsplan zu prüfenden Voraussetzungen des § 35 BauGB unzulässig ist.
Das geplante Vorhaben kann nicht als solches, das gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb dient, angesehen werden.
Für die beanspruchte Genehmigung des Vorhabens als Betriebsleiterwohnhaus zu einem landwirtschaftlichen Betrieb fehlt es bereits an einem verbescheidungsfähigen Bauantrag, der die Errichtung eines solchen Betriebsleiterwohnhauses beinhaltet. Nach den Bauantragsformularen und den zur Genehmigung eingereichten Plänen ist ausschließlich die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung beantragt. Bei der Errichtung eines Betriebsleiterwohnhauses für einen landwirtschaftlichen Betrieb handelt es sich um ein Vorhaben, das bauplanungsrechtlich besonderen Anforderungen genügen muss und deshalb als solches im Antrag zu bezeichnen ist. Nachdem eine solche Bezeichnung nicht erfolgte, scheidet die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung schon aus diesem Grunde aus.
Für die Beurteilung des Vorhabens als solches, das einem landwirtschaftlichen Betrieb dient, fehlt darüber hinaus auch ein Betriebskonzept mit Aussagen zur Wirtschaftlichkeit des Vorhabens (BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 4 C 9/11 – juris Rn. 8). Der Umstand, dass das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Fürstenfeldbruck in einer Stellungnahme vom *. März 2015 ausführt, dass das Betriebsleiterwohnhaus einem landwirtschaftlichen Pensionspferdebetrieb diene, kann ein solches Betriebskonzept mit Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht ersetzen. Es ist schon nicht nachvollziehbar, wie das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der in dem Schreiben vom *. März 2015 getätigten Aussage gelangt. Eine rechtliche Beurteilung durch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, wie sie in der Stellungnahme erfolgte, ist weder bindend noch ist eine solche vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorzunehmen. Ohne eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, die hier von den Klägern nicht vorgelegt wurde, ist eine derartige Aussage im Übrigen nicht möglich. Vielmehr ist die rechtliche Einschätzung des Amts für Ernährung Landwirtschaft und Forsten offensichtlich unrichtig. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. bereits BVerwG v. 30.6.1984, BVerwGE 19,75; BVerwG, U.v. 3.12.2012 – 4 B 56/12 – juris) reicht es für ein „Dienen“ nicht aus, dass ein Vorhaben nach den Vorstellungen des Betriebsinhabers für seinen Betrieb förderlich ist. Es muss vielmehr darauf abgestellt werden, ob ein vernünftiger Betriebsinhaber auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebots größtmöglicher Schonung des Außenbereichs das Bauvorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde. Zugleich ist bei der Auslegung des Merkmals „Dienen“ der Grundgedanke des § 35 BauGB zu beachten, wonach der Außenbereich grundsätzlich nicht bebaut werden soll. Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben wird deutlich, dass angesichts der Größe des landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebs der Kläger mit sieben Pferden ein Wohnhaus mit der geplanten Wohnfläche von fast 300 m² die vorstehenden Voraussetzungen nicht erfüllt. Bei dem aus dem landwirtschaftlichen Betrieb zu erwartenden Gewinn besteht keinerlei Möglichkeit, die Kosten des Wohnhauses aus den Erträgen des landwirtschaftlichen Betriebs zu refinanzieren. Zudem ist ein Wohnen der Kläger bereits derzeit im bestehenden Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 457/57 möglich, das drei Wohneinheiten hat. Bei Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und größtmöglichen Schonung des Außenbereichs würden die vorhandenen Wohnungen genutzt, um die möglicherweise erforderliche Aufsichtsperson für die Betreuung der Pferde in der Nähe des Stalles sicherzustellen. Ein wirtschaftlich denkender Landwirt würde das geplante Wohnbauvorhaben zur Führung des landwirtschaftlichen Betriebes nicht realisieren.
3. Das nach § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB zu beurteilende Vorhaben beeinträchtigt öffentliche Belange und ist deshalb bauplanungsrechtlich unzulässig. Es widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beigeladenen (§ 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB), beeinträchtigt die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und lässt nicht zuletzt die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Eine Beeinträchtigung des Belangs des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB liegt auch dann vor, wenn ein unorganisches Ausufern der bebauten Ortslage in den Außenbereich hinein zu befürchten ist (BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29/81 – juris Rn. 9 ff.). Nachdem die bebaute Ortslage mit der Bebauung nördlich und östlich des zur Bebauung vorgesehenen Bereichs endet, würde die Erweiterung dieser Bebauung ein ungeplantes Ausufern des bisherigen Ortsrandes bedeuten. Es ist zudem zu befürchten, dass über die beantragte Bebauung hinaus aufgrund berechtigter Bezugnahmen auch eine weitere Bebauung der angrenzenden Grundstücke in zweiter Reihe ohne entsprechende gemeindliche Bauleitplanung erfolgen könnte. Nachdem eine Zäsur in südlicher und südwestlicher Richtung nach dem zur Bebauung vorgesehenen Bereich fehlt, wäre die Erstellung weiterer Gebäude im Anschluss an das Vorhaben der Kläger denkbar. Angesichts einer derartig ungeplant vorrückenden Bebauung in den Außenbereich wäre eine unerwünschte Erweiterung einer Splittersiedlung gegeben.
Die Klage war nach alledem in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kläger haben als unterlegene Partei gemäß § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 159 Satz 2 VwGO die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO selbst, da sie sich nicht in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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