Baurecht

Abgrenzung zwischen Dachterrasse einer Grenzgarage und Balkon eines Wohngebäudes, bauliche Einheit (verneint), Entprivilegierung (verneint)

Aktenzeichen  AN 3 K 20.02587

Datum:
25.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43751
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2
BayBO – Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte oder die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund des in der mündlichen Verhandlung am 20. Oktober 2021 ausgesprochenen Verzichts der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Das Gericht geht davon aus, dass die von der Klägerseite vorgenommene Begrenzung des Klageantrags nur auf den Teil der Baugenehmigung, der die „Dachterrasse“ oberhalb der Grenzdoppelgarage betrifft, zulässig ist. Es handelt sich bei der nach einer ggf. erfolgten Aufhebung des abgrenzbaren Teilaspekts „Dachterrasse“ verbleibenden „Rumpfgenehmigung“ noch immer um einen rechtlich sinnvollen Inhalt einer Baugenehmigung durch Legalisierung des Dachgeschossausbaus, weshalb eine Aufhebung nur „soweit“ nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Betracht kommt.
Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet, da die Baugenehmigung vom 26. Oktober 2020 im Hinblick auf den Aufbau über der Grenzdoppelgarage rechtmäßig ist und die Kläger insofern nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung, die gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO zu erteilen ist, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, entgegenstehen, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Einem Kläger kommt im Rahmen einer Drittanfechtungsklage gegen eine an einen Dritten gerichtete Baugenehmigung mithin kein Vollüberprüfungsanspruch zu. Vielmehr kann der Kläger als Nachbar nur solche Rechtsverletzungen ins Feld führen, die auf Normen beruhen, die in qualifizierter und individualisierter Weise gerade auch dem Schutz des Klägers dienen (BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14/87 – juris, BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 8).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Eine davon abweichende Verlagerung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kommt allerdings dann in Betracht, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Genehmigungsinhabers verändert hat, da kein Grund besteht, eine in der Vergangenheit rechtswidrig erteilte Genehmigung aufzuheben, wenn sie mittlerweile sofort wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N. = NVwZ 1998, 1179).
1. Drittschützende Normen, deren Verletzung der Klage zum Erfolg verhelfen könnten, könnten sich hier allenfalls aus dem Abstandsflächenrecht, welches nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) BayBO im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens auch Prüfungsgegenstand ist, ergeben.
Die Abstandsflächenregelungen des Art. 6 BayBO sind für den Eigentümer des Nachbargrundstücks drittschützend (BayVGH, U.v. 21.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 22 = NVwZ-RR 2020, 1004).
Eine Verletzung dieser Norm scheidet jedoch aus. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
a) Das Gericht fasst die auf der Dachhaut der Garage errichtete Konstruktion als Balkon und damit als Teil des Wohngebäudes auf. Der von der Klägerseite vertretenen Auffassung, dass es sich um eine Dachterrasse und damit um einen unselbständigen Teil der Garage handelt, folgt das Gericht nicht (dazu b). Die durch den Balkon ausgelösten Abstandsflächen sind – trotz insoweit unvollständiger Bauvorlagen – mit Sicherheit eingehalten.
Die Abstandsflächenpflichtigkeit eines Balkons ergibt sich schon im Umkehrschluss aus Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BayBO (Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO a.F.). Diese Ausnahmevorschrift von der Abstandsflächenpflicht greift im vorliegenden Fall nicht, da insofern schon die für das Hervortreten zulässigen Maße nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b BayBO deutlich überschritten sind.
Die von einem Balkon ausgelöste Abstandsfläche ist im Hinblick auf ihre Tiefe gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO nach dem höchsten Punkt der Umwehrung zu bestimmen (BayVGH, B.v. 10.7.2015 – 15 ZB 13.2671 – juris Rn. 16 = BayVBl 2016, 311). Die Maße zur Bestimmung dieses Punktes fehlen in den Bauvorlagen. Dennoch kann eine Verletzung der Abstandsfläche mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Spätestens bei Zugrundelegung der für die Beigeladene günstigen Veränderungen der BayBO durch das „Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus“ vom 23. Dezember 2020 (GVBl. S. 663), kann die nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderliche Abstandsflächentiefe von 0,4 H sicher eingehalten werden. Der Abstand der Umwehrung zum Ende der Grenzdoppelgarage – und damit zur Grundstücksgrenze zu den Klägern – beträgt laut den Bauvorlagen 3,11 m. Dies würde unter Zugrundlegung einer Abstandsflächentiefe von 0,4 H eine Höhe der Umwehrung von 7,77 m über der natürlichen Geländeoberfläche zulassen. Angesichts der Tatsache, dass die Grenzgarage nur ca. 2,40 m hoch ist, ist ein Verstoß ausgeschlossen.
Aus dem gleichen Grund wäre auch eine Rechtsverletzung der Kläger aufgrund bestehender Unbestimmtheit der Bauvorlagen in einem nachbarrechtsrelevanten Bereich mit Sicherheit ausgeschlossen (vgl. dazu BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 11 m.w.N.).
b) Eine Verletzung der Abstandsflächen durch eine „Entprivilegierung der Grenzgarage“ aufgrund einer auf deren Dachhaut errichteten Dachterasse liegt hier – entgegen Klägermeinung – nicht vor.
Nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind Garagen in den Abstandsflächen und ohne Einhaltung eigener Abstandsflächen zulässig, wenn sie – neben baulich dimensionalen Grenzen -ohne Aufenthaltsräume errichtet werden. Dieses abstandsflächenrechtliche Privileg kann eine Garage wieder verlieren, wenn eine bauliche Einheit mit einer nicht privilegierten Anlage besteht (BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 12 m.w.N.). Unter welchen Voraussetzungen eine bauliche Einheit im Hinblick auf die hier im Raum stehende Frage der Abgrenzung zwischen einem (zum Wohngebäude zählenden) Balkon und einer zur Entprivilegierung führenden (zur Grenzgarage zählenden) Dachterrasse anzunehmen ist, ist obergerichtlich nicht entschieden (offenlassend BayVGH, B.v. 10.7.2015 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 15 = BayVBl 2016, 311).
Das Gericht geht davon aus, dass die auf der Dachhaut der Grenzdoppelgarage liegende Konstruktion als Balkon und nicht als Dachterrasse aufzufassen ist. Dies ergibt sich aus den baulichen Besonderheiten (aa) und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der abstandsflächenrechtlichen Privilegierung von Art. 6 Abs. 7 BayBO (bb).
aa) Die bauliche Ausführung spricht für einen Balkon. Es bleibt festzuhalten, dass die Anforderungen an einen Balkon im Mindestmaß eine eigenständige Bodenplatte (insofern wohl zustimmend BayVGH, B.v. 10.7.2015 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 14 = BayVBl 2016, 311) sowie eine eigenständige Umwehrung umfassen. Beides ist laut den Bauvorlagen gegeben.
Im konkreten Fall stützt sich der Balkon gemäß den Bauvorlagen zusätzlich mit fünf seiner sechs tragenden Stützen auf den Erdboden. Nur einer der Träger – ohne dass es nach Meinung des Gerichts spezifisch auf diese Zahlen ankäme – kommt auf der Dachhaut der Grenzgarage zum Liegen. Insofern trägt hier das Argument des Beklagten, dass die Grenzgarage auch entfernt werden könnte und der Balkon (mit nach unten verlängerten Trägern) in exakt gleicher Ausführung und Lage errichtet werden könnte.
bb) Auch Sinn und Zweck des Abstandsflächenrechts bzw. der abstandsflächenrechtlichen Privilegierung nach Art. 6 Abs. 7 BayBO tragen diese Auffassung.
Auch wenn obergerichtlich immer noch Uneinigkeit über diese Frage zu herrschen scheint (vgl. BayVGH, U.v. 21.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 22 = NVwZ-RR 2020, 1004), geht der Gesetzgeber mittlerweile von einer den Sozialfrieden wahrenden Funktion des Abstandsflächenrechts aus (vgl. LT-Drs. 18/8547 S. 13). Diese Schutzkomponente wird für das Gericht anhand der Vorschrift des Art. 6 Abs. 7 BayBO über die Privilegierung bestimmter Anlagen durch mangelnde Abstandsflächenpflicht deutlich. Gemein ist allen nach Art. 6 Abs. 7 BayBO privilegierten Anlagen, dass sie nicht zum Aufenthalt von Menschen bestimmt sind oder sein dürfen. Nur in diesem Fall kommt ein gänzlicher Verzicht auf die Einhaltung von Abstandsflächen überhaupt in Betracht. Art. 6 Abs. 7 BayBO soll Flächen für bestimmte Nebenanlagen schaffen (vgl. BayVGH, B.v. 23.7.2012 – 2 ZB 12.1209 – juris Rn. 13). Dagegen ist die Funktion der Vorschrift gerade nicht, andere (eventuell sogar abstandsflächenpflichtige) Anlagen zu „verhindern“, was sich schon daraus ergibt, dass die privilegierten Anlagen in den Abstandsflächen anderer Anlagen zulässig sind. Mithin muss also unter dem Aspekt des Schutzzwecks nur ein „Übergreifen“ vor allem im Sinne einer unkontrollierbaren Vermischung von Aufenthaltsnutzung und privilegierten Anlagen ausgeschlossen werden.
Eine solch unkontrollierbare Vermischung wird hier schon durch die durchgehende Umwehrung des Balkons verhindert. Es besteht weder eine Zugangsmöglichkeit zu den Garagenräumen oder den Abstellräumen vom Balkon, noch kann die Dachhaut der Grenzgarage (außerhalb der Balkonfläche) unproblematisch zum Aufenthalt genutzt werden.
Mithin ist von einem, die Abstandsflächen einhaltenden Balkon auszugehen, der keine bauliche Einheit mit der Grenzgarage bildet oder zu deren „Entprivilegierung“ führt.
2. Weitere drittschützende Vorschriften sind nicht substantiiert vorgetragen oder sonst ersichtlich. Soweit man in dem klägerischen Vorbringen die Behauptung der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen Einsichtsmöglichkeiten vom Balkon auf das Klägergrundstück erblicken mag (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 20 f.), liegt diese auch in der Sache nicht vor. Schon aus den allgemein zugänglichen Satellitenaufnahmen des Klägergrundstücks sowie den zuletzt eingereichten Bildern der Beigeladenen wird ersichtlich, dass die Hauptaufenthaltsräume der Kläger sowie der wohl größte Aufenthaltsbereich des klägerischen Gartens nach Süden hin situiert sind, während sich der Balkon an der Ostgrenze des Klägergrundstücks befindet. An der Ostgrenze befinden sich weiter die Sicht hemmende größere Bäume und auch nur ein kleinerer „Grünstreifen“ des klägerischen Grundstücks, so dass schon deswegen eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch den Balkon zu verneinen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch Stellung eines Sachantrags auf Klageabweisung selber einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, ihr einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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