Baurecht

Änderung einer baulichen Anlage durch Erneuerung des Dachs

Aktenzeichen  1 ZB 19.2067

Datum:
28.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18514
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 29 Abs. 1, § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 lit. c
BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 6

 

Leitsatz

Die komplette Erneuerung des Dachs (neuer Dachstuhl und neue Dacheindeckung) ist keine Instandhaltungsmaßnahme, sondern eine genehmigungspflichtige Änderung einer baulichen Anlage, zumal wenn die Wände im unteren Drittel statisch verstärkt, der Dachstuhl stärker dimensioniert, die Dachüberstände vergrößert, das Dach verlängert und neue Stütz- bzw. Firstbalken verbaut wurden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 17.190 2019-04-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur „Bestandserhaltung und Instandsetzung eines Ausweichlagers, Behelfsheims und Wohnhauses“ für ein bestehendes Gebäude auf dem im Außenbereich und im Landschaftsschutzgebiet A. gelegenen Grundstück FlNr. …, Gemarkung R., sowie die Aufhebung der für dieses Gebäude ergangenen Beseitigungsanordnung.
Bei einer Baukontrolle wurde festgestellt, dass an dem seit mehreren Jahrzehnten bestehenden Gebäude umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen wurden. Außenwände und Boden der Hütte waren entfernt und der Dachstuhl vollständig erneuert worden. Den in der Folge gestellten Bauantrag lehnte das Landratsamt ab und ordnete die Beseitigung des Gebäudes an. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für das genehmigungspflichtige Bauvorhaben. Die durchgeführten Bauarbeiten kämen in der Gesamtschau einer genehmigungspflichtigen Neuerrichtung des Gebäudes gleich. Dem Bauvorhaben stünden öffentliche Belange entgegen. Eine erleichterte Zulassung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB komme nicht in Betracht, denn es fehle bereits an der Voraussetzung, dass das vorhandene Gebäude seit längerer Zeit vom Eigentümer zu Wohnzwecken genutzt worden sei. Die erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte Behauptung einer eigenen Wohnnutzung des Klägers erscheine nicht glaubhaft, da sich der erste Bauantrag auf die Sanierung eines bestehenden „Wochenendhauses“ bezogen habe und auch im Rahmen des zweiten Bauantrags sowie in der Klagebegründung keine eigene Wohnnutzung vorgetragen worden sei. Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig. Es könne offenbleiben, ob und auf welcher Grundlage das Bestandsgebäude formell rechtmäßig errichtet worden sei und ob ein etwaiger Bestandsschutz bereits durch die Beendigung des kriegsbedingten Wohnungsnotstands bzw. mit Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung im Jahr 1965 geendet habe, da er jedenfalls infolge der umfangreichen Umbaumaßnahmen erloschen sei.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
1.1 Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Erteilung der Baugenehmigung hat und die Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist. Es hat zutreffend darauf abgestellt, dass die vom Kläger durchgeführten und beabsichtigten baulichen Maßnahmen keine verfahrensfreien Instandhaltungsmaßnahmen darstellen und aufgrund der bereits durchgeführten Umbaumaßnahmen ein etwaiger Bestandsschutz entfallen ist. Instandhaltungsarbeiten gemäß Art. 57 Abs. 6 BayBO sind nach Art und Umfang der baulichen Erneuerungen von der die Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Änderung einer baulichen Anlage abzugrenzen. Unter Instandhaltungsarbeiten sind bauliche Maßnahmen zu verstehen, die der Erhaltung der Gebrauchsfähigkeit und der baulichen Substanz einer Anlage dienen, ohne deren Identität zu verändern. Mit ihnen können einzelne Bauteile ausgebessert oder ausgetauscht werden, um die durch Abnutzung, Alterung oder Witterungseinflüsse entstandenen baulichen Mängel zu beseitigen, wenn hinsichtlich Konstruktion, Standsicherheit, Bausubstanz und äußerem Erscheinungsbild keine wesentliche Änderung erfolgt (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150 – juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, B.v. 22.12.2016 – OVG 10 S 42.15 – juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 11.5.2011 – 8 S 93/11 – juris Rn. 19). Eine Änderung einer baulichen Anlage im Sinn von § 29 Abs. 1 BauGB oder Art. 55 Abs. 1 BayBO liegt hingegen vor, wenn das Bauwerk seiner ursprünglichen Identität beraubt wird. Ein solcher Identitätsverlust tritt ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht, oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird oder die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen (stRspr. BVerwG, vgl. B.v. 10.10.2005 – 4 B 60.05 – BauR 2006, 481; U.v. 21.3.2001 – 4 B 18.01 – NVwZ 2002, 92; U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – NVwZ 2000, 1048). Mit dem Verlust der ursprünglichen Identität eines Gebäudes geht ein Verlust des Bestandsschutzes einher (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2019 – 1 ZB 19.1449 – BayVBl 2020, 135).
Die komplette Erneuerung des Dachs (neuer Dachstuhl und neue Dacheindeckung) ist hiernach keine Instandhaltungsmaßnahme im Sinn von Art. 57 Abs. 6 BayBO (vgl. BayVGH, B.v. 25.11.2020 – 1 ZB 20.512 – juris Rn. 4; B.v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150 – juris Rn. 9; B.v. 16.5.2018 – 9 ZB 14.653 – juris Rn. 5), zumal hier die Wände im unteren Drittel statisch verstärkt, der Dachstuhl stärker dimensioniert, die Dachüberstände vergrößert, das Dach verlängert und neue Stütz- bzw. Firstbalken verbaut wurden. Weiter erfolgten nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Eingriffe in die Bodenkonstruktion der Hütte, insbesondere wurden neue Bodenbalken verlegt, so dass die Annahme des Verwaltungsgerichts weder im Hinblick auf die fehlende Verfahrensfreiheit der Baumaßnahmen noch im Hinblick auf den im Zuge der vorgenommenen Umbaumaßnahmen erfolgten Verlusts der ursprünglichen Identität des Gebäudes und damit einhergehend des Bestandsschutzes Bedenken begegnet. Der Vortrag im Zulassungsvorbringen, wonach sich nach der Bestandsaufnahme des Planers der Neubauanteil des Gebäudes auf lediglich 28,4% belaufe, vermag daher – unabhängig davon, dass sich eine rein mathematische Betrachtung verbietet, sondern eine tatrichterliche Würdigung im jeweiligen Einzelfall erforderlich ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2005 – 4 B 60.05 – BauR 2006, 481) – keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Ebenso wenig greift der Einwand, dass der teilweise Rückbau eines Holzgebäudes bei Wiederverwendung der ausgebauten Hölzer keinem Neubau gleichkomme, nicht durch, denn es wurden hier für die Dachkonstruktion sowie für die Bodenbalken bereits nicht die ursprünglichen Materialen verwendet. Auch wurden die Außenwände verstärkt und isoliert. Das beabsichtigte teilweise Wiederanbringen der alten Bretter genügt nicht, um den Bestandsschutz zu wahren. Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass das Verwaltungsgericht sich nicht mit der Annahme des Landratsamts auseinandergesetzt habe, dass sich der Umbau und die Sanierung noch nicht als Neubau darstelle, lässt er unberücksichtigt, dass das Landratsamt im angegriffenen Bescheid die Frage, ob das Gebäude durch die Sanierung seine Identität verloren habe, ausdrücklich offengelassen hat.
1.2 Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen zum Bestandsschutz des Gebäudes aufgrund einer Genehmigung vom 23. November 1944 sind nicht entscheidungserheblich, da nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts ein etwaig bestehender Bestandsschutz jedenfalls aufgrund der Umbaumaßnahmen erloschen ist.
1.3 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht im Hinblick auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger sich für eine Genehmigung nicht auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB berufen könne, da es jedenfalls an einer Wohnnutzung durch den Eigentümer über einen längeren Zeitraum fehle.
Nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c BauGB genügt es nicht, dass das vorhandene Gebäude seit längerer Zeit im Eigentum des Bauherrn steht. Der Eigentümer muss das Wohngebäude über längere Zeit ununterbrochen bis zur Neuerrichtung eines gleichartigen Ersatzbaus selbst zu Wohnzwecken genutzt haben (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2005 – 4 B 60.05 a.a.O.). Die Abgrenzung des dauerhaften Wohnens von der bloßen Ferien- bzw. Wochenendhausnutzung erfordert eine Gesamtbetrachtung sowohl der baulichen Gegebenheiten als auch des Nutzungszwecks. Die Nutzung zu zeitweiligem Wohnen während der Freizeit ist, anders als das „alltägliche“ Wohnen, keine Dauerwohnnutzung (vgl. BayVGH, B.v. 4.9.2013 – 14 ZB 13.6 – juris Rn. 14; OVG Berlin-Bbg, B.v. 26.10.2005 – OVG 10 S 15.05 – juris Rn. 5). Dauerwohnen setzt eine nicht von vorneherein begrenzte Aufenthaltsdauer sowie eine Nutzung voraus, die sich nicht in der Freizeitgestaltung erschöpft (vgl. insgesamt hierzu BayVGH, U.v. 27.11.2018 – 1 B 16.1879 – juris Rn. 30). Das Zulassungsvorbringen beschränkt sich hier auf die Behauptung, dass das Gebäude abgesehen von einer Zwischennutzung in den 1950er-Jahren von der Familie des Klägers genutzt worden sei und es wegen der räumlichen Nähe zur Erstwohnung des Klägers kein Ferienhaus, sondern eine zweite Wohnmöglichkeit sei. Damit fehlt es aber bereits an einer substantiierten Darlegung einer Wohnnutzung im vorgenannten Sinn durch den Kläger, unabhängig davon, dass bereits Zweifel angezeigt sind, ob das Gebäude überhaupt nach seiner baulichen Beschaffenheit für eine Dauerwohnnutzung geeignet gewesen ist. Da im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c BauGB allein darauf abzustellen ist, ob eine Wohnnutzung tatsächlich vorgelegen hat, hat das Verwaltungsgericht zutreffend dem Umstand, dass das Gebäude abgaben- und beitragsrechtlich als Wohnung behandelt worden ist, keine Bedeutung beigemessen.
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würde, insbesondere ist die vom Kläger in diesem Zusammenhang thematisierte Frage zu einem aus der Genehmigung vom 23. November 1944 für die Errichtung eines Ausweichlagers resultierenden Bestandsschutz aus den dargestellten Gründen bereits nicht entscheidungserheblich.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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