Baurecht

Anforderungen an die für einen Bauantrag erforderlichen Unterlagen

Aktenzeichen  M 8 K 15.3757

Datum:
26.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 60, Art. 62 Abs. 3, Art. 64 Abs. 2 S. 2
BauVorlV § 1 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Die Verlagerung des Brandschutznachweises – durch die Vorlage einer Prüfbescheinigung – in die private Verantwortung des Bauherren kann diesen nicht von der Verpflichtung entbinden, das Bauvorhaben mit allen seinen genehmigungspflichtigen Bestandteilen einschließlich der Rettungswege in den Plänen darzustellen. (redaktioneller Leitsatz)
Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht, die Baugenehmigung ist aber dann aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, Beschl. v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 24. Juli 2015 ist rechtswidrig.
Die Baugenehmigung wurde auf der Basis von Plänen erteilt, die die Anforderungen des Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BayBO i. V. m. §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 11 Abs. 1 Nr. 5 BauVorlV verfehlen (1.)
Da diese Mängel Teile des Vorhabens erfassen, die nachbarrechtsrelevant sind, liegt darin zugleich eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte der Klägerin, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (2.).
1. Gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BayBO sind mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Vorhabens und die Bearbeitung des Bauantrages erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen.
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 BauVorlV sind für den Nachweis des Brandschutzes im Lageplan, in den Bauzeichnungen und in der Baubeschreibung – soweit erforderlich – der erste und zweite Rettungsweg nach Art. 31 BayBO – insbesondere notwendige Treppenräume, Ausgänge, notwendige Flure – mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stellen, einschließlich der Fenster – die als Rettungswege nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayBO dienen – unter Angabe der lichten Maße und Brüstungshöhen anzugeben.
1.1 Inhalt der zur Genehmigung gestellten Pläne sind vorliegend weder die Austrittsbalkone – insoweit entgegen der Behauptung der Beigeladenen – noch die Rettungstreppe, die bei der vorgesehenen Grundrissplanung aus Brandschutzgründen notwendig ist und auch tatsächlich errichtet wurde und vom 1. Ober-geschoss bis auf das Dach des eingeschossigen Anbaus führt. In den genehmigten Plänen sind in der Ansicht „Süd“ keine Balkone zu erkennen; der Schnitt A-A, der an den möglichen Balkonen vorbei gelegt wurde, zeichnet im Schattenriss zwar die Balkone der Klägerin nach. Am streitgegenständlichen Gebäude sind Austrittsbalkone nicht dargestellt. Auch in den Grundrissdarstellungen finden sich keine Austrittsbalkone. § 11 Abs. 1 Nr. 5 BauVorlV verlangt eine solche Darstellung in den vorzulegenden und zu genehmigenden Bauzeichnungen und zwar unabhängig von der Frage, ob der Brandschutz bauaufsichtlich geprüft wird oder – wie vorliegend – gemäß Art. 62 Abs. 3 Nr. 1 BayBO die Möglichkeit eröffnet ist, den Brandschutz durch einen Prüfsachverständigen bescheinigen zu lassen. Diese Möglichkeit kann nicht bedeuten – wie die Beigeladene und die Beklagte offenbar meinen -, dass Gebäudebestandteile, nur weil sie im Zusammenhang mit dem Brandschutz stehen, in den Bauzeichnungen nicht – mehr – dargestellt werden müssen, wenn der Brandschutz – wie unter anderem im Fall des Art. 62 Abs. 3 Nr. 1 BayBO – nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung ist.
Genau das Gegenteil bestimmen § 1 Abs. 1 Satz 1 und auch § 11 Abs. 1 Nr. 5 BauVorlV, wonach – soweit erforderlich – die entsprechenden Anlagen in den Bauzeichnungen darzustellen sind. Die Verlagerung des Brandschutznachweises – durch die Vorlage einer Prüfbescheinigung – in die private Verantwortung des Bauherren kann diesen nicht von der Verpflichtung, das Bauvorhaben mit allen seinen genehmigungspflichtigen Bestandteilen in den Plänen darzustellen, entbinden.
Vielmehr muss der Bauherr gegebenenfalls vor der Einreichung der Bauvorlagen abklären, inwieweit der Brandschutz genehmigungspflichtige Gebäudebestandteile erfordert. Auch ohne Prüfbescheinigung – die gemäß Art. 68 Abs. 5 Nr. 2 BayBO erst mit Baubeginn vorliegen muss – konnte für die Beigeladene bzw. deren Architekten nicht außer Frage stehen, dass für die im rückwärtigen Gebäudebereich situierten Appartements ein zweiter Rettungsweg errichtet werden muss. Die Darstellung der Beigeladenen und der Beklagten, dass sich eine solche Notwendigkeit – quasi nicht vorhersehbar – erst durch die Prüfbescheinigung ergeben habe, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar.
Genauso wenig nachvollziehbar ist, dass die Beklagte – nachdem die Prüfbescheinigung jedenfalls vor Baubeginn vorliegen musste bzw. hätte vorliegen müssen – weder die Bauausführung im Hinblick auf den Widerspruch zwischen den Vorgaben der Prüfbescheinigung sowie der eingereichten und genehmigten Pläne verhindert, noch die insoweit notwendige Tektur gefordert hat. Eine solche Tektur lag auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts der Beklagten nicht vor, wie der Bevollmächtigte der Beigeladenen und die Vertreterin der Beklagten ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung betont haben.
Die Gebäudebestandteile „Rettungsbalkone“ und „Rettungstreppe“ gehören aber zweifellos zum genehmigungspflichtigen Gesamtbauvorhaben und sind nicht durch den Zusammenhang mit dem bauaufsichtlich nicht zu prüfenden Brandschutznachweis dem Prüfprogramm entzogen und somit plötzlich „faktisch genehmigungsfrei“ geworden.
Damit wird auch die – weil Sonderbau – zum Prüfprogramm gehörende Abstandsflächenfrage dem Prüfprogramm entzogen bzw. in die Prüfbescheinigung verlagert, deren Zweck nach dem gesetzgeberischen Willen darin bestehen soll, technische Brandschutzfragen zu klären.
Genau diese Rechtsfolge leiten aber die Beigeladene und die Beklagte aus der Möglichkeit, den Brandschutznachweis durch eine Prüfbescheinigung nachzuweisen, ab. Diese Schlussfolgerung würde dem Bauherren das Recht geben, Bauzeichnungen und Baupläne zur Genehmigung zu stellen, die letztlich weder dem Brandschutz noch dem Grundsatz, die Bauvorlagen in der Art und Weise einzureichen, die für die Beurteilung des Vorhabens erforderlich ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BauVorlV) gerecht werden können. Diese Konsequenz macht sich der als Hinweis in die Baugenehmigung von der Beklagten formulierte Satz: „ Aussagen und Eintragungen in den Bauantragsunterlagen zum Brandschutz sind daher nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung und Genehmigung.“, zu eigen; er bedeutet, dass auch Gebäudebestandteile, die nicht nur beim technischen Brandschutz relevant sind, sondern auch bauplanungsrechtlich und bauordnungsrechtlich zu prüfen sind – wie eben die Rettungstreppe oder auch die Austrittsbalkone – in dieser Hinsicht nicht geprüft werden, selbst wenn sie in den Bauvorlagen enthalten sind.
Soweit dem Gericht bekannt ist, hat sich die Beklagte bisher noch nie auf einen derartigen Standpunkt gestellt und im Falle einer Prüfbescheinigung eingezeichnete Gebäudebestandteile wie Rettungsbalkone und Rettungstreppen als in den Bauzeichnungen quasi nicht existent betrachtet.
Eine solche Folgerung aus dem eingeschränkten Prüfprogramm hinsichtlich des Brandschutznachweises zu ziehen, widerspricht den gesetzlichen Intentionen und führt auch dazu, dass – wie vorliegend – Baupläne genehmigt werden, deren Umsetzbarkeit gerade aus Brandschutzgründen unmöglich ist.
Die von der Beigeladenen mit Schriftsatz vom 1. August 2016 vorgelegten „Austauschpläne“ belegen, dass vorliegend genau dieser Fall eingetreten ist, nämlich Pläne genehmigt wurden, die offensichtlich den Anforderungen an den baulichen Brandschutz nicht gerecht werden können.
In den so genannten „Austauschplänen“ sind sowohl erstmals die Austrittsbalkone als auch die Rettungstreppe und ein Durchgang für die Feuerwehr an der Westseite des Erdgeschosses dargestellt; in den genehmigten Plänen finden sich weder die Rettungsbalkone und die Rettungstreppe noch der Durchgang im Erdgeschoss, an den sich gemäß dem „Austauschplan – Erdgeschoss“ östlich zwei Büros anschließen, während im genehmigten „Erdgeschossplan“ statt dessen noch zwei Appartements dargestellt waren.
Auch im Hinblick auf den im Rahmen der Vorlage einer Prüfbescheinigung nicht bauaufsichtlich zu prüfenden Brandschutz kann nur der Grundsatz, dass alle genehmigungspflichtigen Bauteile in die Bauvorlagen einzuzeichnen sind, gelten.
1.2 Die Pläne sind auch insoweit unschlüssig und widersprüchlich, als sie einen Abgang zur Tiefgarage des klägerischen Grundstücks – als Weiterführung des 2. Rettungsweges für die rückwärtig gelegenen Apartments – darstellen, der so aufgrund des nicht existenten und absehbar nicht realisierbaren Durchgangs zu dieser Tiefgarage keine Funktion hat. Vielmehr kann der 2. Rettungsweg aus dem rückwärtigen Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks aktuell nur über Inanspruchnahme der benachbarten Grundstücke realisiert werden, ohne das hierfür die zivilrechtlichen Voraussetzungen gegeben wären. Insoweit ist auch der im Grundrissplan „Kellergeschoss“ dargestellte Durchgang zur Tiefgarage der Klägerin unrichtig. Ob ein solcher Durchgang mittel- oder langfristig zivilrechtlich durchgesetzt werden kann, muss zumindest als offen betrachtet werden, da nach dem Wortlaut der Grunddienstbarkeitsbestellung vom 29.Mai 1974 nur der jeweilige Eigentümer und dessen Bevollmächtigte des herrschenden Grundstücks – das seinerzeit mit einem Einfamilienhaus bebaut war – berechtigt sind.
Der nunmehr in den „Austauschplänen“ für den Brandschutznachweis unter Verzicht auf 2 Apartments an der Westseite im Erdgeschoss dargestellte „Feuerwehrdurchgang“ ist weder Inhalt der genehmigten Pläne noch wurde seine Realisierung bislang mittels Tektur angestrebt. Über die mangelnde Darstellung eines solchen notwendigen Durchgangs kann die Bauaufsichtsbehörde ebenfalls nicht mit der Behauptung, dieser sei – nur – Bestandteil der nicht zum Prüfprogramm gehörenden Prüfbescheinigung hinwegsehen; vielmehr gehört die Darstellung eines solchen Durchgangs zum notwendigen Inhalt des entsprechenden Grundrissplans, vgl. §§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 11 Abs.1 Nr.5 BauVorlV.
2. Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen vollständig, richtig und eindeutig sein (vgl. Gaßner in: Simon/Busse, BayBO, Stand: 116. EL, Juli 2014, Art. 64 Rn. 75). Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Bau-genehmigung ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Gaßner, a. a. O. Rn. 80).
Sind die Angaben in den Bauvorlagen in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig, so ist eine Baugenehmigung rechtswidrig, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen von der Genehmigungsbehörde nicht zutreffend beurteilt wurden (vgl. Gaßner, a. a. O. Rn. 82).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Nachbar zwar keinen materiellen Anspruch darauf hat, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht, die Baugenehmigung aber dann aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B. v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m. w. N.). Wenn die Baugenehmigung selbst oder die der Baugenehmigung zugrunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen (BayVGH, U. v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16). Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte der Klägerin begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung der Klägerin hierdurch zu bejahen (vgl. BayVGH, U. v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16; B. v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1175 – juris Rn. 11 m. w. N.).
Dem folgt auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung.
Das Bestimmtheitsgebot verlangt in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaßnahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarrechtlicher Vorschriften auszuschließen und – zusätzlich – wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat.
Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (OVG NRW, U. v. 6.6.2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 73 und OVG Lüneburg, B. v. 26.1.2012 – 1 ME 226/11 – juris Rn. 22).
2.1 Die eingereichten und genehmigten Bauvorlagen sind vorliegend offensichtlich unvollständig (1.), da sowohl für die Beigeladene bzw. deren Architekten und auch für die Beklagte ohne Weiteres ersichtlich war, dass der erforderliche zweite Rettungsweg für die im rückwärtigen Gebäudebereich liegenden Appartements der Obergeschosse nicht dargestellt war. Die Großzügigkeit der Beklagten im Hinblick auf dieses erhebliche Defizit der eingereichten und genehmigten Pläne erstaunt insoweit, als diese in anderen Fällen auch geringfügigere Mängel der Bauvorlagen rügt und als Ablehnungsgrund heranzieht (vgl. das Verfahren M 8 K 15.2110 – hinsichtlich der von der Beklagten abgelehnten Baugenehmigung; hier wurde bei der Darstellung „Schnitt – Rampe und Ansicht von Osten Haus 1“ gerügt, dass das hier nur zur Vervollständigung des Bildes dargestellte „Haus 2“ auf seiner Südseite keinen Balkon aufwies, obwohl in den Bauzeichnungen, die das „Haus 2“ explizit dargestellt hatten, die Balkone ordnungsgemäß eingezeichnet waren).
Vorliegend betreffen die Unvollständigkeit und die daraus resultierende Unrichtigkeit der Bauvorlagen auch Vorschriften, deren Verletzung subjektiv-öffentlich-rechtliche Abwehrrechte der Klägerin begründen können, da bei dem als „Sonderbau“ zu bewertenden Bauvorhaben gemäß Art. 60 Abs. 1 BayBO die Abstandsflächen im Prüfumfang der Baugenehmigung enthalten sind. Aufgrund der Breite des Grundstücks von lediglich 12 m und der Höhe der Rettungstreppe einschließlich Geländer von 19,50 m (abgegriffen aus dem Austauschplan – Ansicht Süd) ist offensichtlich, dass eine solche Rettungstreppe die Abstandsflächen – weder zum westlichen noch zum östlichen Nachbarn (Klägerin) – einhalten kann.
Somit kann aufgrund der unvollständigen und damit auch unrichtigen Planvorlagen nicht nur nicht sicher bestimmt werden, dass Abstandsflächenverletzungen vom Vorhaben gegenüber der Klägerin nicht ausgehen; vielmehr ist von einer solchen Abstandsflächenverletzung auszugehen, zumal auch fragwürdig ist, ob ein derartiger Abstandsflächenverstoß durch eine Abweichung ausgeräumt werden könnte, da bei einem Neubauvorhaben insoweit die Atypik – im Hinblick auf die Notwendigkeit einer außenführenden Rettungstreppe – fehlt. Es ist auch nicht ohne weiteres anzunehmen, dass die Klägerin aufgrund eigener Nichteinhaltung von Abstandsflächen gehindert wäre, den Abstandsflächen-verstoß der Beigeladenen geltend zu machen.
2.2 Die nicht realisierbare, aber in den Plänen dargestellte Weiterführung des 2. Rettungsweges durch die Tiefgarage der Klägerin hat insoweit Nachbarrelevanz, als im Brandfall zur Rettung der Bewohner Nachbargrundstücke in Anspruch genommen werden müssen. Diese Inanspruchnahme ist auch nicht nur zivilrechtlich von Bedeutung – grundsätzlich ergeht die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritte (Art. 68 Abs. 4 BayBO) – sondern hat auch öffentlich-rechtliche Nachbarrelevanz, da hierdurch ein Notwegerecht gemäß § 917 Abs. 1 BGB im Brandfall begründet wird (vgl. BVerwG, U. v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – juris Rn. 27; BayVGH, B. v. 24.10.1996 – 2 B 94.3416, BayVBl 1997, 758 f.).
3. Die streitgegenständliche Baugenehmigung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben.
Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich somit einem Kostenrisiko unterworfen hat, konnten ihr gemäß § 154 Abs. 3 VwGO die hälftigen Verfahrenskosten auferlegt werden.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 10.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -) i. V. m.
Ziff. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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