Baurecht

Anordnung zur Sicherstellung eines zweiten Rettungswegs gegenüber bestandsgeschützten Wohnungen

Aktenzeichen  Au 4 K 18.552

Datum:
16.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9751
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 4, § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1
BayBO Art. 48 Abs. 1 Nr. 4, Art. 54 Abs. 2 S. 2, Abs. 4, Art. 74 Abs. 1
BayVwZVG Art. 36 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1 Art. 54 Abs. 2 S. 2 BayBO kann unter anderem dazu herangezogen werden, einen einer erteilten Baugenehmigung entsprechenden Zustand oder einen früheren rechtmäßigen Zustand wieder herzustellen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die von Art. 54 Abs. 4 BayBO vorausgesetzte erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit liegt regelmäßig vor, wenn der zweite Rettungsweg im Brand- und Katastrophenfall nicht gesichert ist. Dabei sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids vom 23. März 2018 (mittlerweile) unzulässig (1.); im Übrigen ist sie unbegründet (2.).
1. Hinsichtlich der Anfechtung der Zwangsgeldandrohung ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen. Der dort gem. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BayVwZVG – unter Bezugnahme auf Ziffer I des Bescheids – bestimmte Termin (13.4.2018) ist verstrichen. Da für Ziffer I die sofortige Vollziehung nicht gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde, kommt bzw. kam der (vor Fristablauf erhobenen) Klage gem. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu. Infolgedessen war die Klägerin nicht verpflichtet, der Anordnung bis zu dem in der Androhung genannten Zeitpunkt nachzukommen. Die Zwangsgeldandrohung ist gegenstandslos geworden (vgl. BayVGH, B.v. 21.8.2006 – 24 CS 06.1945 – juris Rn. 85). Der Beklagte müsste eine erneute Androhung erlassen.
2. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, weil der streitgegenständliche Bescheid, namentlich die Anordnung zur Sicherstellung eines zweiten Rettungswegs aus den Dachgeschosswohnungen 10 und 11, rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Anordnung konnte auf die Befugnisnorm des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO gestützt werden. Die Vorschrift kann unter anderen dazu herangezogen werden, um einen einer erteilten Baugenehmigung entsprechenden Zustand herzustellen oder einen früheren rechtmäßigen Zustand wieder herzustellen (vgl. Dirnberger, in: Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2017, Art. 54 Rn. 53 m.N.). Das in Rede stehende Wohngebäude entspricht in Bezug auf einen zweiten Rettungsweg bzw. die Erreichbarkeit mit Feuerwehrleitern nicht der für das Gebäude ursprünglich erteilten Baugenehmigung vom 23. März 1983.
Zwar sind den in den vorliegenden Behördenakten enthaltenen seinerzeit genehmigten Bauvorlagen und auch im Baugenehmigungstext selbst keine konkreten (insbesondere baulichen) Maßnahmen oder Nebenbestimmungen zu einem zweiten Rettungsweg betreffend die genehmigten Dachgeschosswohnungen 10 und 11 zu entnehmen. Allerdings ergibt sich aus Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 BayBO in der zum Genehmigungszeitpunkt geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung der BayBO vom 2.7.1982 in der ab 1.9.1982 geltenden Fassung, GVBl S. 419), dass Wohnungen im Dachraum – wie hier vorliegend – einen zweiten gesicherten Rettungsweg haben oder mit Feuerwehrleitern sicher zu erreichen sein mussten. Die Einhaltung dieser Vorgabe war gem. Art. 74 Abs. 1 BayBO (in der zum Genehmigungszeitpunkt geltenden Fassung) Genehmigungsvoraussetzung und mithin von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung vom 23. März 1983 umfasst (vgl. allgemein Lechner, in: Simon/Busse, BayBO, Stand Dezember 2017, Art. 68 Rn. 35 u. 37), die zu Gunsten wie zu Lasten der Klägerin als Rechtnachfolgerin gilt (Art. 54 Abs. 2 Satz 3 BayBO).
Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 BayBO a.F. bei Erteilung der Genehmigung nicht als vorliegend erachtet worden sind, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Zwar ist seinerzeit möglicherweise davon ausgegangen worden, dass eine sichere Erreichbarkeit der Dachgeschosswohnungen mit Feuerwehrleitern gewährleistet war (Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 BayBO a.F.). Dies kann indes offen bleiben, da – wie ausgeführt – gem. Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO auch die Wiederherstellung eines früheren rechtmäßigen Zustands gefordert werden kann. Sind (wie möglicherweise hier) die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 BayBO a.F. – Erreichbarkeit mit Feuerwehrleitern – nachträglich weggefallen, so kann sich die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände nur auf die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 BayBO a.F. – also die Herstellung eines zweiten gesicherten Rettungswegs – beziehen. Weder aus Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 BayBO a.F. noch aus der am 23. März 1983 erteilten Baugenehmigung ergeben sich Anhaltspunkte für einen Willen des Normgebers bzw. der Baugenehmigungsbehörde, dass es für die Sicherstellung der Brandrettung allein mit der Erreichbarkeit mittels Feuerwehrleitern sein Bewenden haben sollte. Vielmehr sind Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 BayBO a.F. und die auf dessen Grundlage erteilte Baugenehmigung dahingehend zu verstehen, dass eine der beiden dort genannten Alternativen stets erfüllt sein muss, so dass ein zweiter Rettungsweg entweder durch eine Erreichbarkeit mittels Feuerwehrleitern oder durch eine zureichende bauliche Maßnahme gewährleistet sein muss. Insofern liegt der von der Klägerin gerügte Eingriff in einen Bestandsschutz nicht vor.
Dass eine Erreichbarkeit mit Feuerwehrleitern für die beiden in Rede stehenden Dachgeschosswohnungen gegeben ist, hat die Klägerin – trotz entsprechender Aufforderung durch den Beklagten (Schreiben vom 1.12.2016, unter Nr. 3; Blatt 98 Behördenakt) – nicht nachgewiesen; vielmehr ist der Stellungnahme des Kreisbrandrats vom 13. Juli 2016 (Blatt 37 Behördenakt; die dortigen Ausführungen zur neu im Dachgeschoss genehmigten Wohnung 12 lassen sich auf die bestehenden Dachgeschosswohnungen 10 und 11 übertragen) sowie dem von der Klägerin selbst anlässlich des Baugenehmigungsverfahren für die Wohnung 12 vorgelegten Brandschutznachweises vom 21. September 2016 (Bl. 135 ff. Behördenakt, insbesondere Bl. 141) zu entnehmen, dass die nötige (rechtzeitige) Anleiterbarkeit für die Feuerwehr nicht gegeben ist. Bezeichnender Weise hält auch der von der Klägerin selbst beauftragte Nachweisersteller für sämtliche Wohnungen im Dachgeschoss Notleitern – wie letztlich im streitgegenständlichen Bescheid verfügt – für notwendig.
Selbst wenn jedoch auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO wegen möglichen Bestandsschutzes für die Wohnungen 10 und 11 nicht zurückgegriffen werden könnte, ergibt sich aus Art. 54 Abs. 4 BayBO eine Rechtsgrundlage für die im Bescheid getroffene Anordnung. Eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit im Sinne dieser Vorschrift liegt regelmäßig – ein Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich – vor, wenn der zweite Rettungsweg im Brand- und Katastrophenfall nicht gesichert ist. Bei der Gefährdung von Leben und Gesundheit sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. Da mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss, ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Gefährdung von Leben und Gesundheit der Personen zu rechnen, die sich im betreffenden Gebäude aufhalten (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 15 CS 17.1055 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 9.9.2014 – M 9 S 14.2268 – juris Rn. 32, jeweils m.w.N.). Dass vorliegend ein zweiter Rettungsweg für die in Rede stehenden Dachgeschosswohnungen nicht gegeben ist, wurde – wie ausgeführt – von der Klägerin nicht in Frage gestellt, sondern ergibt sich unter anderem aus den von ihr selbst vorgelegten Unterlagen.
Nach Maßgabe von § 114 Satz 1 VwGO beachtliche Ermessensfehler des Bescheids bestehen nicht. Vielmehr erscheint angesichts dessen, dass sowohl Art. 48 Abs. 1 Nr. 4 BayBO a.F. als auch Art. 54 Abs. 4 BayBO dem Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen dienen und ohne Vorliegen eines zweiten Rettungswegs von einer konkreten Gefahr für diese Rechtsgüter auszugehen ist, eine andere Entscheidung als die getroffene Anordnung zur Gewährleistung des zweiten Rettungswegs nicht ermessensgerecht. Nachdem die Klägerin mehrere Schreiben des Beklagten unbeantwortet ließ – beziehungsweise diese sich (E-Mail vom 9.3.2018) allenfalls (zu Unrecht) auf entgegenstehenden Bestandsschutz berief –, musste der Beklagte auch davon ausgehen, dass die Klägerin ohne bescheidmäßige Anordnung keine Maßnahmen treffen würde.
Ermessensfehler ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, in der Nachbarschaft zum klägerischen Anwesen befänden sich zahlreiche ähnliche Gebäude, bei denen ebenfalls keine Feuerleitern angebracht seien. Um welche konkreten Wohngebäude es sich handelt, hat die Klägerin ebenso wenig angeführt wie sie Angaben dazu gemacht hat, ob diesbezüglich Mängel bestehen und inwieweit diese mit denen im Anwesen der Klägerin – wie sie unter anderem in dem von der Klägerin selbst vorgelegten Brandschutznachweis dokumentiert sind – vergleichbar sind. Auch ist nicht erkennbar, dass der Beklagte etwaige Mängel betreffend den Rettungsweg bei anderen Gebäuden duldet und nur gegen die Klägerin vorgeht. Insbesondere aber geht es vorliegend – wie ausgeführt – um die Abwehr erheblicher konkreter Gefahren für hochrangige Rechtsgüter. Handeln des Beklagten war angesichts dessen geboten; es ist auch nicht zu beanstanden, wenn die Behörde zunächst nur hinsichtlich des Gebäudes, bei dem ihr konkret Mängel bekannt werden, vorgeht.
Angesichts der beschriebenen Gefahr und der Gewährleistung des Schutzes von Leben und Gesundheit erweist sich die angeordnete Maßnahme auch ohne weiteres als verhältnismäßig.
Die Klage war danach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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