Baurecht

Anspruch auf Erhöhung des Rotwildabschusses im Abschussplan des benachbarten Eigenjagdreviers

Aktenzeichen  19 BV 15.1021

Datum:
30.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16181
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 14 Abs. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 4, § 125 Abs. 1, § 133, § 154 Abs. 2
BJagdG § 21 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, S. 3, S. 4, S. 5
BayJG Art. 32 Abs. 1 S. 1
AVBayJG Art. 17 Abs. 1
BayVwVfG Art. 41
AtG § 6 Abs. 2 Nr. 3, § 7 Abs. 2 Nr. 3, § 9 Abs. 2 Nr. 3
GKG § 47 Abs. 1, Abs. 2, § 52 Abs. 2
RDGEG § 3, § 5
BImSchG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG enthält, verfassungsgemäß ausgelegt, ein subjektives Recht des Grundeigentümers auf eine Bejagung, die vor übermäßigen Wildschäden schützt. (Rn. 22)
2. Dieser Schutzanspruch besteht nicht nur gegenüber der Jagdausübung in dem Revier, zu dem das Grundstück gehört; er kann ihn auch gegen Abschussplanfestsetzungen anderer Reviere geltend machen, wenn Wild aus diesen Revieren handgreiflich auf dem Grundstück zu Schaden geht. (Rn. 30 und 32 – 33)

Verfahrensgang

RO 4 K 14.1950 2015-03-24 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil alle Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO).
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Zwar ist der Abschussplan, dessen Abänderung (unter Festlegung höherer Abschusszahlen) der Kläger erstinstanzlich begehrt hat, am 30. März 2016 ausgelaufen, sodass eine Erledigung des Rechtsstreits (mit der Folge der Unwirksamkeit des angefochtenen Urteils, vgl. § 173 VwGO, § 269 Abs. 3 ZPO analog) in Betracht gekommen wäre. Jedoch hat der Kläger seinen ursprünglichen Antrag auf einen (ebenfalls seine Klagebefugnis voraussetzenden) Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt. Er hat beantragt festzustellen, dass der Abschussplan für Rotwild des Jagdjahres 2014/2015 für das Eigenjagdrevier T. H. (wegen zu niedriger Abschusszahlen) rechtswidrig war bzw. ist, womit er offensichtlich den Antrag auf Fortsetzungsfeststellung zum Ausdruck bringen will, dass die Ablehnung seines Antrags, den Abschussplan unter Festlegung höherer Abschusszahlen abzuändern, rechtswidrig gewesen ist. Der Kläger besitzt angesichts der jährlichen Aufstellung von Rotwild-Abschussplänen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AVBayJG) offensichtlich das Fortsetzungsfeststellungsinteresse, das nach der (auf Verpflichtungsbegehren entsprechend anwendbaren) Bestimmung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO für einen solchen Fortsetzungsfeststellungsantrag erforderlich ist. Bei dieser Sachlage kann für das hiesige Berufungsverfahren betreffend die Klagebefugnis offenbleiben, ob tatsächlich eine Erledigung eingetreten ist, oder ob der Rotwildabschussplan 2015/2016 noch Wirkungen hat.
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger trotz der Belegenheit seines Grundstücks außerhalb des Eigenjagdreviers T. H. die Klagebefugnis für seinen Antrag auf behördliche Verpflichtung zur Festsetzung eines umfangreicheren Rotwildkontingents im Abschussplan dieses benachbarten Eigenjagdreviers zusteht (und kann hiervon nun auch im Rahmen seiner Entscheidung über das Fortsetzungsfeststellungsbegehren des Klägers ausgehen).
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Klage grundsätzlich nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, dass er möglicherweise durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt wird. Auf der Grundlage der herrschenden Schutznormtheorie (vgl. BVerfG, B.v. 17.12.1969 – 2 BvR 23/65 – BVerfGE 27, 297/307; BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52,122, juris Rn. 5, v. 17.6.1993 – 3 C 3.89 – BVerwGE 92,313, juris Rn. 31, v. 16.3.1989 – 4 C 36.85 – BVerwGE 81, 329/334 sowie v. 16.6.1994 – 3 C 12.93 – NJW 1995, 1628, juris Rn. 22 ff.; vgl. auch Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 25) vermitteln Drittschutz nur solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm auch der Rücksichtnahme auf die Interessen des betreffenden Dritten dienen. Ob und in welchem Umfang die einzelne Rechtsnorm dem Kläger ein subjektives Recht nach diesem Maßstab vermittelt, ist durch Auslegung in Ansehung der Grundrechte und sonstigen verfassungsmäßigen Rechte zu ermitteln. Greift staatliches Handeln in den Schutzbereich eines Grundrechts ein, ist im Zweifel den einschlägigen Normen des einfachen Rechts ein subjektiv-rechtlicher Gehalt zuzuerkennen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 89 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
Nach dem Vorbringen des Klägers ist es möglich, dass er durch die streitgegenständliche Abschussplanfestsetzung in einem subjektiven Recht verletzt worden ist.
1. § 21 Abs. 1 BJagdG vermittelt dem Kläger als Grundeigentümer im Rahmen der Abschussplanung ein subjektiv-öffentliches Recht. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Klagebefugnis des Jagdgenossen auf Erhöhung der Abschusszahlen in einem Abschussplan für den gemeinschaftlichen Jagdbezirk (1.1) ist auf Eigentümer übertragbar, deren Grund außerhalb des Abschussplanfestsetzungsgebiets liegt (1.2).
1.1 Ein Jagdgenosse kann auf Erhöhung der Abschusszahlen in einem Abschussplan für den gemeinschaftlichen Jagdbezirk klagen, weil ihm als Waldeigentümer § 21 Abs. 1 BJagdG ein subjektiv-öffentliches Recht im Rahmen der Abschussplanung vermittelt und ihm sonst keine Möglichkeit zum Schutz seines Grundeigentums vor abschussplangebundenen Wildarten zur Verfügung steht (BVerwG, U.v. 30.3.1995 – 3 C 8/94 – juris). Zwar versagen die jagdrechtlichen Bestimmungen ein solches Klagerecht (1.1.1). Der Aspekt des Ausschlusses des Grundeigentümers vom Abschussplanverfahren kann jedoch durch Auslegung des § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG korrigiert werden (1.1.2).
1.1.1 Die jagdrechtlichen Bestimmungen versagen dem Grundeigentümer ein Klagerecht (und auch ein Beteiligungsrecht) hinsichtlich des Abschussplans seiner eigenen Jagdgenossenschaft (und somit erst recht hinsichtlich des Abschussplans eines Jagdreviers, das – wie im Falle des Klägers – seinen Grundbesitz nicht erfasst, sondern diesem benachbart ist).
Nach dem Bundesjagdgesetz ist an der Abschussplanaufstellung der Jagdbeirat zu beteiligen und im Gemeinschaftsjagdrevier der Jagdvorstand des Gemeinschaftsjagdreviers sowie – in Jagdrevieren, die einer Hegegemeinschaft angehören – die Inhaber der Eigenjagdbezirke und die anderen Jagdvorstände der Hegegemeinschaft (§ 21 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BJagdG). Die einzelnen Jagdgenossen (Grundeigentümer) erwähnt das BJagdG in diesem Zusammenhang nicht. Dementsprechend ist auch nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 BayJG nur der Jagdvorstand – der gesetzliche Vertreter der Jagdgenossenschaft (§ 9 Abs. 2 S. 1 BJagdG) – zu beteiligen, nicht aber der einzelne Jagdgenosse (Grundeigentümer), sodass letzterem der Abschussplan auch nicht bekanntzugeben ist (vgl. Art. 41 BayVwVfG). Aus § 15 der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Jagdgesetzes – AVBayJG – ergibt sich nichts anderes.
Zwar ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG der Abschuss des Wildes so zu regeln, dass u.a. die berechtigten Ansprüche der Forstwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden voll gewahrt bleiben und ergibt sich dasselbe aus dem Hegegrundsatz des § 1 Abs. 2 Satz 2 BJagdG. Nach dem Konzept des Bundesjagdgesetzes sind diese rahmenrechtlichen Vorschriften jedoch nicht dazu bestimmt, den subjektiven Rechten der Jagdgenossen zu dienen. Bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 1995 (3 C 8/94, juris; das BVerwG schließt sich hier weitgehend dem U.d. BGH v. 22.5.1984 – III ZR 18/83 – NJW 1984, 2216 ff. an) ist allgemein nicht von einem subjektiven Recht des kleinen Grundeigentümers auf jagdlichen Eigentumsschutz ausgegangen worden. Ein solches Recht ist bis dahin nicht thematisiert worden (vgl. etwa Lorz, BJagdG, 1980, § 21, Erl. 2.B). Mitzschke/Schäfer haben zwar in der 4. Auflage (1982) ihres Kommentars zum Bundesjagdgesetz auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hingewiesen, derzufolge es der Jagdbehörde als Amtspflicht gegenüber den Grundstückseigentümern obliegt, die Wildschadenssituation bei der Abschussplanung zu berücksichtigen (BGH, U.v. 22.5.1984 – III ZR 18/83 – NJW 1984, 2216 ff.), und es für erforderlich gehalten, dass „die beteiligten Grundbesitzer (…) ihre besonderen Interessen bei der Aufstellung des Abschussplanes“ wahren können. Sie haben aber auch in diesem Zusammenhang lediglich den Jagdvorstand sowie die Möglichkeit erwähnt, diesen zu einer bestimmten Haltung im Rahmen der Aufstellung des Abschussplans zu verpflichten, was allerdings einen Mehrheitsbeschluss i.S.d. § 9 Abs. 3 BJagdG voraussetze (§ 21 Anm. 8). Bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 1995 ist – soweit ersichtlich – von keinem Jagdgenossen ein Rechtsanspruch auf Abschussplanfestsetzungen gerichtlich geltend gemacht worden, durch die übermäßigen Wildschäden vorgebeugt wird. Auch im Preußischen Jagdgesetz 1934, das erstmals Abschussplanregelungen der heute noch geltenden Art enthalten hat (§ 42), und im Reichsjagdgesetz 1934 (§ 37), das Vorbild des Bundesjagdgesetzes gewesen ist, ist eine Beteiligung des Jagdgenossen (kleinen Grundeigentümers) nicht vorgesehen gewesen.
1.1.2 Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 30. März 1995 aufgezeigt hat, kann aber dieser spezielle, in den jagdrechtlichen Vorschriften nicht positiv formulierte Aspekt des Ausschlusses vom Abschussplanverfahren durch Auslegung des § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG als eine Bestimmung, die nicht nur den öffentlichen Interessen, sondern auch den Individualinteressen des kleinen Grundeigentümers dient, korrigiert werden.
Zwar ist die Formulierung „berechtigte Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden“ entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 30. März 1995 kein belastbarer Anhaltspunkt für ein solches Verständnis der Bestimmung, denn sie ist Teil des Ausschlusses des Grundeigentümers vom Abschussplanverfahren (und von der Jagdausübung im Allgemeinen), den der Gesetzgeber bis heute nicht beseitigt hat, und wird ein solches Verständnis auch nicht durch die Regelung des § 27 Abs. 1 BJagdG gestützt (weil die Norm ebenfalls Teil des gesamten Ausschlusses und zusätzlich nach ganz überwiegender Meinung nur in notstandsähnlichen Situationen anwendbar ist ), auch wenn die Grundrechtsargumentation des Bundesverwaltungsgerichts auf § 27 BJagdG übertragbar ist (zur Parallelität von § 21 BJagdG und § 27 BJagdG vgl. BGH, U.v. 22.4.1974 – III ZR 21/72 – Rn. 16).
Nachdem jedoch nicht diese Auffassungen des Bundesverwaltungsgerichts, sondern die (mit vom Reichsjagdgesetz abweichenden eigenständigen Regelungsbeiträgen des Bundesgesetzgeber begründete) grundrechtsgestützte Argumentation die maßgebliche Grundlage dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bildet, wird die Entscheidung durch die Unrichtigkeit der genannten Annahmen nicht in Frage gestellt. Der Gesetzgeber hat trotz grundsätzlicher Beibehaltung des Ausschlusses des Grundeigentümers vom Abschussplanverfahren (und von der Jagdausübung im Allgemeinen) durch mehrere Abweichungen vom Reichsjagdgesetz die Grundeigentümerrechte etwas stärker betont bzw. das Jagdinteresse etwas zurückgesetzt. Durch die gesetzliche Anordnung, die berechtigten Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden „voll“ zu wahren, hat sich der dem Grundgesetz verpflichtete Bundesgesetzgeber vom Reichsjagdgesetz entfernt, das in § 37 Abs. 1 Satz 1 lediglich von einer (nicht näher spezifizierten) Wahrung solcher Ansprüche gesprochen hatte. Mit der Bestimmung des § 1 Abs. 2 BJagdG, wonach die Hege so durchgeführt werden muss, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden, hat sich der dem Grundgesetz verpflichtete Gesetzgeber von der Hegedefinition im Reichsjagdgesetz entfernt, die eindimensional auf das Jagdinteresse abgestellt gewesen ist (§ 4 Satz 2 RJagdG: Der Jäger hat das Recht und die Pflicht, das Wild zu hegen) und die Interessen der Bodeneigentümer und speziell das Interesse an der Vermeidung von Wildschäden noch in keiner Weise erwähnt hat. Auch die Umformulierung des § 1 Abs. 2 BJagdG durch das Zweite Jagdrechtsänderungsgesetz (v. 29.9.1976, BGBl I S. 2849) hat dem Zweck gedient, den im Bundesjagdgesetz von Anfang an verankerten Vorrang der ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung gegenüber der Hege noch klarer herauszustellen (vgl. die Begründung des 10. Ausschusses – BT-Drs. 7/5471 S. 3 – für seinen dann Gesetz gewordenen Änderungsvorschlag). Schließlich hat der Gesetzgeber die Gewichte zu Gunsten des auf Grund und Boden angewiesenen Personenkreises verschoben, indem er in § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG die Ansprüche an die Qualität des Wildbestandes, die notwendigerweise mit den Wildschäden korrelieren, etwas eingeschränkt hat. Seit dem Zweiten Jagdrechtsänderungsgesetz bezieht sich das Ziel, einen gesunden Wildbestand zu erhalten, nicht mehr (wie in § 37 Abs. 1 Satz 2 RJagdG festgelegt und zunächst in § 21 Abs. 1 BJagdG übernommen) auf die „einzelnen Stücke“ des Wildbestandes.
Auch den Jagdzielen der Landesgesetzgebung kommt Bedeutung zu, weil das Bundesjagdgesetz als Rahmengesetz nach Art. 75 GG (Ursprungsfassung) erlassen worden ist und durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 GG i.d.F.d. Föderalismusreform 2006 (G.v. 28.8.2006, BGBl I S. 2034) der konkurrierenden Gesetzgebung neuer Fassung zugeordnet worden ist. Nachdem der Freistaat Bayern bereits den Schutz und die Pflege des Waldes zum Verfassungsziel erhoben (Art. 141 Abs. 1 Satz 4 Spiegelstrich 3 BV) und den Vorrang der natürlichen Waldverjüngung bei der Abschussplanung vorgeschrieben hatte (Art. 32 Abs. 1 Satz 2 BayJG in der seit dem 1.9.1987 geltenden Fassung – GVBl S. 246), hat er die durch § 1 des Bundeswaldgesetzes gestützte Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts in der Entscheidung vom 30. März 1995 (U.v. 30.3.1995 – 3 C 8/94) und des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 22. Mai 1984 (III ZR 18/83 – NJW 1984, 2216 ff.) noch einmal unterstrichen. Er hat durch Art. 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bayerischen Jagdgesetzes i.d.F.d. Gesetzes vom 9. Mai 2005 (BayRS 792-1-L) das Ermöglichen der natürlichen Waldverjüngung ausdrücklich zum Jagdziel erklärt und in Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 des Bayerischen Waldgesetzes vom 22. Juli 2005 (GVBl S. 313) den Grundsatz „Wald vor Wild“ verankert.
1.2 Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Klagebefugnis des Jagdgenossen auf Erhöhung der Abschusszahlen in einem Abschussplan für den gemeinschaftlichen Jagdbezirk ist auf Eigentümer übertragbar, deren Grund außerhalb des Abschussplanfestsetzungsgebiets liegt. Die Bestimmung des § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen dem Jagdausübungsberechtigten und dem Grundeigentümer in seinem eigenen Jagdrevier.
Eine Unübertragbarkeit der Rechtsprechung ist weder der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen noch ist sie aus anderen Gründen ersichtlich.
Der Schutzanspruch in Abs. 1 Satz 1 des § 21 BJagdG ist zwar den Abschussplanvorschriften in diesem Paragraphen vorangestellt, gilt jedoch nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur für das abschlussplanpflichtige Wild und auch nicht nur für das Revier des Schutzsuchenden. Im Übrigen ist dieser Schutzanspruch auch der Hegebestimmung des § 1 Abs. 2 Satz 2 BJagdG zu entnehmen, die nicht zum Kontext der Abschussplanregelung gehört und für die gesamte Jagdausübung gilt. Der Anspruch auf eine Jagdausübung, durch die übermäßigen Wildschäden vorgebeugt wird, ist auch nicht auf das Revier beschränkt, zu dem der Anspruchsteller gehört (der Anspruch auf einen bestimmten – hohen – Wildbestand kann nicht gegenüber der Jagdausübung im Nachbarrevier erhoben werden, weil es einen solchen Anspruch grundsätzlich nicht gibt, vgl. Hessischer VGH, B.v. 5.1.2006 – 11 UZ 1111/04 – NVwZ-RR 2006, 436; JE VI Nr. 63; juris Rn. 9 ff.). Die in § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG genannten Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden sind auch dann berechtigt, wenn das betroffene Grundstück außerhalb des Reviers liegt, in dem das schädigende Wild seinen Einstand hat. Der Jagdausübungsberechtigte ist verpflichtet, durch die Bejagung des Wilds in seinem Revier dafür zu sorgen, dass es aufgrund dieses Wildbestands nirgends zu übermäßigen Wildschäden kommt (in diesem Sinn – die spätfeudale Jagd betreffend und beschränkt auf den Wildschadensersatz – bereits PrALR 1794, 1. Teil, IX. Titel, §§ 144-146). Die örtliche Unbeschränktheit dieser Verpflichtung folgt aus der Verantwortlichkeit desjenigen, der die Herrschaft über einen potentiell gefährlichen Sachverhalt ausübt. Auch die Verpflichtung, Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass es nicht zu vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen kommt (§§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG), und die Verpflichtung, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch Kernbrennstoffe zu treffen (§§ 6 Abs. 2 Nr. 3, 7 Abs. 2 Nr. 3, 9 Abs. 2 Nr. 3 AtG), sind nicht auf das Gebiet des jeweiligen Vorhabens, den Zuständigkeitsbereich einer genehmigenden Behörde oder in sonstiger Weise räumlich begrenzt. Zwar wird es häufig schwierig sein, einen konkreten Wildschaden dem Wildbestand des einen oder des anderen Reviers zuzuordnen. Ein Abgrenzungskonzept ist jedoch der bereits erwähnten Schutznorm-Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen, derzufolge die zur Bewertung einer Norm als Schutznorm erforderliche Individualisierung und Eingrenzung auch im Falle einer handgreiflichen Betroffenheit gegeben ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52,122, juris Rn. 28 a.E.).
In Übereinstimmung hiermit hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 22. Mai 1984, auf das sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 30. März 1995 bezieht, nicht nur die Verpflichtung des Jagdausübungsberechtigten festgestellt, die Grundstücke in seinem eigenen Jagdrevier vor übermäßigen Wildschäden zu schützen. Im BGH-Urteil wird – in Anlehnung an das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme (im hiesigen Berufungsverfahren nimmt der Kläger hierauf Bezug) – darauf hingewiesen, dass „im Hinblick auf den (…) Wandertrieb des Rotwilds selbst die zu niedrige Festsetzung des Abschusses für ein benachbartes Revier enteignungsgleich in das Waldeigentum eingreifen (kann), soweit das betroffene Revier von der Festsetzung im Nachbarrevier gewissermaßen ´handgreiflich betroffen` ist“ (Rn. 42 a.E.).
2. Nach dem klägerischen Vorbringen erscheint die Verletzung der drittschützenden Norm des § 21 Abs. 1 BJagdG möglich.
2.1 Es ist ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass der Anspruch des Klägers aus § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG deshalb durch den Abschussplan des benachbarten Rotwildreviers verletzt wird, weil in diesem die Zahl der Rotwildabschüsse zu niedrig angesetzt ist. Der Kläger hat sowohl die Anwesenheit von Rotwild (das nur im Nachbarrevier zulässig ist) auf seinem Grund sowie erhebliche rotwildspezifische Schäden substantiiert dargestellt und der Beklagte hat dies nicht in Zweifel gezogen.
2.2 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass einem Schutzanspruch aus § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG gegen den Jagdausübungsberechtigten eines anderen Jagdreviers der grundsätzliche Schutzanspruch gegen den Jagdausübungsberechtigten des eigenen Jagdreviers nicht entgegen steht.
Der Kläger hat insoweit substantiiert vorgetragen, dass der Jagdausübungsberechtigte des Gemeinschaftsjagdreviers, in dem sein Grundstück liegt, wegen Beschränkungen der Jagdausübung nicht die Schäden verhindern kann, die durch die Zuwanderung von Wild aus dem Rotwildrevier entstehen.
Im Übrigen obliegt dem Jagdausübungsberechtigten des Gemeinschaftsjagdreviers des Klägers insoweit keine primäre, sondern allenfalls eine subsidiäre Verpflichtung.
Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs steht seit längerem fest, dass die überkommene Auffassung unrichtig ist, ein Jagdausübungsberechtigter könne frei entscheiden, ob er einen überhöhten Wildbestand reduziert oder aufrecht erhält, und dass bei der Bestimmung des Umfangs der Schutzverpflichtung aus § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG ein überhöhter Wildbestand, der außerhalb des Reviers des Jagdausübungsberechtigten handgreifliche Wirkungen zeitigt, nicht unberücksichtigt bleiben kann. Dies gilt auch deshalb, weil die Verpflichtung, durch die Bejagung dem Anspruch auf Schutz gegen Wildschäden voll gerecht zu werden, besonders im Falle überhöhter Wildbestände im Nachbarrevier eine erhebliche Belastung für den Jagdausübungsberechtigten darstellen kann, eine Kündigung des Jagdpachtvertrages zur Folge haben kann und eine Neuverpachtung unmöglich oder unwirtschaftlich machen kann. Sie kann Revierinvestitionen erforderlich machen, an deren Aufbringung sich die Jagdgenossen – darunter der Kläger – ggf. beteiligen müssen (vgl. Art. 11 Abs. 3 BayJG). Nach den zum Störerbegriff entwickelten Grundsätzen ist der Jagdausübungsberechtigte grundsätzlich nicht verpflichtet, durch seine Bejagung auch solche Schäden zu verhindern, die im eigenen Gemeinschaftsjagdrevier durch (aufgrund des Vakuumeffekts typischerweise) zuwanderndes Wild aus anderen Jagdrevieren mit überhöhtem Wildbestand entstehen. Die vom Beklagten betonte Revierbezogenheit des Wildschadensersatzanspruchs nach § 29 BJagdG korrespondiert mit dieser Pflichtenlage; gerade weil der Jagdausübungsberechtigte bei der Bejagung nicht nur seine eigenen Interessen verfolgen darf, sondern – gerichtlich überprüfbar – dem Schutzanspruch des § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG revierübergreifend Rechnung tragen muss, bedarf es keines revierübergreifenden Wildschadensersatzanspruchs. Der überhöhte Wildbestand besteht im Nachbarrevier; der dortige Jagdausübungsberechtigte ist wegen der Ausschließlichkeit seines Jagdausübungsrechts zur Erfüllung der Ziele in § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG verantwortlich. Dies zu berücksichtigen ist zunächst Aufgabe der dort zuständigen Jagdbehörde. Handelt sie nicht oder zögerlich, kann der betroffene Grundeigentümer den Anspruch aus § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG hinsichtlich des Abschussplans des Nachbarreviers geltend machen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 und 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht dem Kläger aus Billigkeit aufzuerlegen, nachdem die Beigeladene das Kostenrisiko i.S.d. § 154 Abs. 3 VwGO nicht übernommen hat.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache im Hinblick auf die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung, der zufolge die zur Bewertung einer Norm als Schutznorm erforderliche Individualisierung und Eingrenzung auch im Falle einer handgreiflichen Betroffenheit gegeben ist, keine grundsätzliche Bedeutung.


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