Baurecht

Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für eine Werbeanlage im Gewerbegebiet außerhalb der Baugrenzen

Aktenzeichen  AN 9 K 16.00072

Datum:
28.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5 S. 1
BauGB BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO BauNVO § 23 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1
BayBO BayBO Art. 55, Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO gibt der Baugenehmigungsbehörde die Möglichkeit, den Bauantrag auch dann abzulehnen, wenn das Vorhaben gegen Vorschriften verstößt, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 S. 1 BayBO nicht zu prüfen sind. (red. LS Andreas Decker)
2 Stützt eine Behörde die Ablehnung eines Bauantrages auch auf Normen, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 S. 1 BayBO an sich nicht zu prüfen sind, dann sind auch diese Vorschriften Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung (hier: Art. 8 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 2 BayBO). (red. LS Andreas Decker)
3 § 23 Abs. 3 S. 1 BauNVO ist nicht nur auf Gebäude und Gebäudeteile im engeren Sinn, sondern auch auf jede selbständige bauliche Anlage anwendbar (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 65896). (red. LS Andreas Decker)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten kann das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ihr steht ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Errichtung einer zweiseitigen freistehenden hinterleuchteten Mega-Light-Werbeanlage mit automatischem Plakatwechsler auf dem Grundstück …, FlNr. … der Gemarkung … in der Stadt … nicht zu.
Bei dem beantragten Vorhaben („Errichtung von einer hinterleuchteten Mega-Light-Werbeanlage mit Wechselwerbung im 20 Sekunden-Takt, zweiseitig freistehend“), die nach Aussagen der Klägerin für Fremdwerbung dienen soll, handelt es sich um eine ortsfeste Anlage der Wirtschaftswerbung, die gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayBO als eigenständige bauliche Anlage gilt und deren Errichtung nach Art. 55 BayBO genehmigungspflichtig ist. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. BayBO muss die Bauordnungsbehörde die Baugenehmigung erteilen, wenn das Vorhaben keinen öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht, die Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens sind, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. BayBO gibt der Baugenehmigungsbehörde indes die Möglichkeit, den Bauantrag auch dann abzulehnen, wenn das Vorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Im vorliegenden Fall ist das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO einschlägig, weil es sich bei der beantragten Werbeanlage um keinen Sonderbau i. S. d. Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt. Zu beurteilen ist sie daher anhand der Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit (§ 29 ff. BauGB) sowie der Regelungen örtlicher Bauvorschriften i. S. d. Art. 81 Abs. 1 BayBO. Da die Beklagte den Ablehnungsbescheid vom 17. Dezember 2015 auch auf Art. 8 Satz 2 BayBO und Art. 14 Abs. 2 BayBO gestützt und insofern von ihrem Ablehnungsrecht aus Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. Gebrauch gemacht hat, sind auch diese Vorschriften Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung.
Die streitgegenständliche Werbeanlage ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da sie an ihrem geplanten Anbringungsort im südwestlichen Bereich des Grundstück FlNr. … den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … der Stadt … vom 28. Oktober 1970 in Bezug auf die dort festgesetzten Baugrenzen widerspricht. Die beantragte Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB hat die Beklagte zu Recht abgelehnt.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Anlagen richtet sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB. Enthält der Bebauungsplan Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen, so ist das Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und seine Erschließung gesichert ist. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
Die geplante Werbeanlage würde sich außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche befinden. Der Bebauungsplan Nr. … regelt diese durch die Festsetzung einer Baugrenze. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO hat das zur Folge, dass Gebäude und Gebäudeteile diese Baugrenze nicht überschreiten dürfen. Der Begriff des Gebäudes ist für das Bauplanungsrecht nicht legal definiert. Die Vorschrift ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch nicht nur auf Gebäude und Gebäudeteile im engeren Sinne (etwa i. S. d. Art. 2 Abs. 2 BayBO oder anderer Landesbauordnungen, nach denen Gebäude nur solche baulichen Anlagen sind, die von Menschen betreten werden können), sondern auf jede selbstständige bauliche Anlage anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.6.2001 – 4 C 1/01, Rn. 11 – juris). Dies findet seine Begründung unter anderem im Umkehrschluss aus § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO. Der Verordnungsgeber wollte bauliche Anlagen außerhalb der Baugrenzen nur zulassen, soweit es sich um zur Hauptnutzung gehörige und dieser untergeordnete Nebenanlagen handelt. Eine solche liegt mit der streitgegenständlichen Werbeanlage gerade nicht vor, weil sie nach dem Willen der Klägerin für Fremdwerbung gedacht und somit als eigenständige bauliche Anlage zu bewerten ist. An ihrem geplanten Anbringungsort im südwestlichen Grundstücksteil verläuft die festgesetzte Baugrenze parallel zum dort verlaufenden Gehweg. Die Werbeanlage soll ausweislich des in den Bauvorlagen befindlichen Lageplans südlich – und damit außerhalb – dieser Baugrenze errichtet werden.
Eine Zulassung im Wege der Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB ist nicht möglich, da der Bebauungsplan eine solche hinsichtlich der Baugrenzen nicht vorsieht.
Auch die beantragte Befreiung von der genannten Festsetzung hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt, da sie die Grundzüge der Planung berühren würde. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn neben weiteren Voraussetzungen die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Was ein Grundzug der Planung ist, lässt sich indes nicht pauschal beurteilen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sind es regelmäßig die für einen qualifizierten Bebauungsplan i. S. d. § 30 Abs. 1 BauGB erforderlichen Mindestfestsetzungen. Daneben kommt es im Einzelfall darauf an, ob die fragliche Festsetzung Bestandteil eines Planungskonzepts ist, das das gesamte Plangebiet oder doch maßgebliche Teile davon gleichsam wie ein roter Faden durchzieht, so dass eine Abweichung zu weitreichenden Folgen führt, oder ob die einzelne Festsetzung entweder gewissermaßen zufällig ist oder aber eine Abweichung von ihr keinen nachteiligen Eingriff in das Plangefüge zur Folge hätte (vgl. Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB/BauNVO, 7. Auflage, 2013, § 31 BauNVO, Rn. 14). Von der Zugehörigkeit zu einem solchen Konzept ist hier auszugehen. Bei der Festsetzung der Baugrenze handelt es sich um eine Mindestfestsetzung für einen qualifizierten Bebauungsplan, da sie die überbaubare Grundstücksfläche und so die grundsätzliche Bebaubarkeit des Baugebiets zum Gegenstand hat. In dem festgesetzten Gewerbegebiet nordöstlich der … und westlich des … verläuft die festgesetzte Baugrenze in einem einheitlichen Abstand parallel zum jeweiligen Gehweg. Die Tatsache, dass die Baugrenze im südöstlichen Bereich des Vorhabensgrundstücks ein Stück weiter nach Süden auskragt und im weiteren Verlauf nach Nordwesten wieder ein Stück zurückspringt, findet seine Begründung wohl darin, dass hier zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans bereits bestehende Gegebenheiten nachvollzogen wurden, und lässt nicht den Schluss auf eine willkürliche Festsetzung der Baugrenze in diesem Bereich zu. Somit würde eine Errichtung der Werbeanlage an dem geplanten Ort außerhalb der Baugrenzen den Grundzügen der Planung widersprechen. Vor diesem Hintergrund geht auch der klägerische Einwand ins Leere, die Ablehnung des Befreiungsantrags sei ermessensfehlerhaft. Da schon die Tatbestandsvoraussetzungen von § 31 Abs. 2 BauGB nicht vorliegen, bleibt für eine Ermessensbetätigung der Beklagten kein Raum. Ebenso hat dann eine Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz keinen Erfolg.
Die Frage, ob die geplante Werbeanlage auch gegen das Verunstaltungsverbot in Art. 8 BayBO, gegen das Verbot der Verkehrsgefährdung in Art. 14 BayBO und gegen die Werbeanlagensatzung der Stadt … verstößt, kann dahinstehen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben