Baurecht

Anspruch auf wegemäßige Erschließung eines Grundstücks in Bayern (Baugenehmigung auf Grundlage der „Königlichen Verordnung, die Bauordnung betreffend“ vom 17.2.1901)

Aktenzeichen  8 B 20.1833

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18469
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 43 Abs. 2, § 111, § 113 Abs. 4
BauGB § 85 Abs. 1 Nr. 1, § 87, § 113 Abs. 1 S. 1, § 113 Abs. 2, § 123
BGB § 242
BauGB v. 23.6.1960 § 35 Abs. 2
BayBO v. 17.2.1901 § 62 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Allein die Dauer von annähernd 28 Jahren zwischen der statistischen Erledigung (“liegen lassen”) einer Klage auf Herstellung einer wegemäßigen Erschließung für eine Garagenausfahrt und deren Wiederaufnahme führt nicht zur Verwirkung des Klagerechts (im Fall konnte die Beklagte und der Beigeladene nicht darauf vertrauen, dass die Klage nicht weiterbetrieben würde). Im Übrigen erscheint die Beklagte insoweit auch deswegen nicht schutzwürdig, weil sie selbst davon abgesehen hat, das Streitverfahren weiter zu betreiben. (Rn. 25 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die von der Rechtsprechung des BVerwG zum ausnahmsweise bestehenden Anspruch auf (Erst-) Erschließung eines Grundstücks nach § 123 BauGB iVm § 242 BauGB entwickelten Grundsätze können im Fall der fehlenden Umsetzung eines Änderungsbebauungsplans entsprechend herangezogen werden, weil sich im Hinblick auf das nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu bewertende Verhalten der Beklagten insoweit eine vergleichbare Sachlage ergibt. (Rn. 37 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das gemeindliche Unterlassen der bebauungsplankonformen wegemäßigen Erschließung eines Grundstücks verstößt nur dann gegen Treu und Glauben, wenn es der Gemeinde zumutbar ist, sich das für die Erschließung notwendige, jedoch in privatem Eigentum stehende Straßenland zu beschaffen, etwa indem sie bei der zuständigen Enteignungsbehörde einen entsprechenden Enteignungsantrag stellt, um einen Enteignungsbeschluss nach § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BauGB zu erwirken (Anschluss an OVG Münster BeckRS 2010, 54393). Ob eine derartige Zumutbarkeit gegeben ist, richtet sich im Einzelfall nach den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des jeweils ins Auge gefassten Enteignungsverfahrens (hier: bei summarischer Prüfung wurden hinreichende Erfolgsaussichten angenommen). (Rn. 43 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Allgemeinwohlbezogenheit einer Enteignung von Teilflächen des Grundstücks des Beigeladenen entfällt auch nicht notwendig dadurch, dass die in Rede stehende Verkehrsfläche nur die Grundstücke des Klägers (und des Beigeladenen) erschließen und über die Erschließung hinaus keine weitergehende Verkehrsfunktion erfüllen soll. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 18.1575 2019-07-18 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 18. Juli 2019 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die wegemäßige Erschließung des Grundstücks FlNr. 1296/1 Gemarkung P* … entsprechend den Festsetzungen der am 5. November 1992 öffentlich bekannt gemachten zweiten Änderung des Bebauungsplans „P* … …“ auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 herzustellen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.     
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.     
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen, weil sie zulässig und begründet ist.
A.
Die Klage ist zulässig.
1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 43 Abs. 2, § 111, § 113 Abs. 4 VwGO statthaft. Die vom Kläger begehrten Maßnahmen zur weiteren straßenmäßigen Erschließung seines Grundstücks FlNr. 1296/1 nach den Festsetzungen der am 5. November 1992 öffentlich bekannt gemachten zweiten Änderung des Bebauungsplans „P* …“ weisen keine Verwaltungsaktqualität im Sinn von Art. 35 BayVwVfG auf und sind daher im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen. Der Kläger ist nach § 42 Abs. 2 VwGO analog (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2019 – 7 C 2.18 – BVerwGE 167, 147 = juris Rn. 10) klagebefugt. Ein Erschließungsanspruch auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB in Verbindung mit § 123 BauGB in entsprechender Anwendung erscheint jedenfalls nicht von vorherein ausgeschlossen.
2. Der Kläger hat sein Klagerecht nicht deswegen verwirkt, weil er das gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung seines Anspruchs nach der statistischen Erledigung beim Verwaltungsgericht am 10. April 1992 nicht mehr weiter betrieben hat.
Verwirkung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten oder bei einem Dritten daraus erwachsenden Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Seit der Entstehung des Rechts und der Möglichkeit seiner Geltendmachung muss längere Zeit verstrichen sein (Zeitmoment) und der Berechtigte muss unter Verhältnissen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment). Erst hierdurch wird die Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment). Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment sind nicht präzise voneinander zu trennen. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (vgl. BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 38.19 – IÖD 2020, 103= juris Rn. 12 m.w.N.).
Vorliegend hat der Kläger nach der statistischen Erledigung bis zum Antrag auf Fortführung des Verfahrens durch Schriftsatz vom 29. März 2018 zwar annähernd 28 Jahre verstreichen lassen. Dies hatte seinen Grund aber darin, dass der Rechtsvorgänger des Beigeladenen die Benutzung der Zufahrtsfläche auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 durch den Kläger geduldet hat (vgl. Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 29.3.2018 – Bl. 1 ff. der Gerichtakte des Verwaltungsgerichts). Erst durch die Errichtung der Einfriedung auf diesem Grundstück im Jahr 2017, die bis zur Höhe der Garage auf dem Grundstück des Klägers heranreicht, haben sich für den Kläger die Zufahrtsbehinderungen zu seiner Garage derart verschärft, dass eine Zufahrt und insbesondere eine Ausfahrt von der westlichen Garagenhälfte auf die öffentliche Straße nicht oder allenfalls unter erheblicher Behinderung durch Rangiervorgänge mit kleineren Fahrzeugen möglich ist. Unter diesen Umständen konnte weder die Beklagte noch der Beigeladene darauf vertrauen, dass das nach wie vor anhängige gerichtliche Verfahren beim Verwaltungsgericht nicht weiterbetrieben werden würde. Im Übrigen erscheint die Beklagte insoweit auch deswegen nicht schutzwürdig, weil sie selbst davon abgesehen hat, das Streitverfahren weiter zu betreiben.
B.
Die Klage ist auch begründet.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Durchführung weiterer geeigneter Maßnahmen, um die Erschließung seines Grundstücks FlNr. 1296/1 entsprechend den Festsetzungen des am 10. Dezember 1979 bekannt gemachten Bebauungsplans „P* …“ in der Fassung der am 5. November 1992 bekannt gemachten zweiten Änderung herbeizuführen (vgl. unten 1.). Der Erschließungsanspruch ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil sich die Beklagte nicht in zumutbarer Weise die Verfügungsbefugnis über die für die plankonforme Errichtung der öffentlichen Verkehrsfläche benötigte Teilflächen des Grundstücks FlNr. 1297/1 beschaffen könnte (vgl. unten 2.). Rechtsfolge des Anspruchs ist, dass die Beklagte geeignete Maßnahmen ergreifen muss, um die Erschließung des Grundstücks des Klägers entsprechend der Bebauungsplanänderung herbeizuführen (vgl. unten 3.).
1. Der Kläger hat ausnahmsweise einen Anspruch auf Durchführung der von ihm begehrten Erschließungsmaßnahmen nach § 242 BGB i.V. m. § 123 Abs. 3 BauGB analog.
Gemäß § 123 Abs. 1 BauGB ist die Erschließung Aufgabe der Gemeinde, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen obliegt. Ein Rechtsanspruch auf Erschließung besteht gemäß § 123 Abs. 3 BauGB grundsätzlich nicht (vgl. OVG NW, U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011 1565/1569 = juris Rn. 72 m.w.N.). Ebenso wenig gibt es in der Regel keinen Anspruch des Einzelnen auf Verwirklichung planerischer Festsetzungen eines Bebauungsplans (zum Rechtsanspruch Betroffener auf Umsetzung von im Bebauungsplan festgesetzten Maßnahmen, die gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB auch zu deren Individualschutz festgesetzt wurden vgl. aber BVerwG, B.v. 28.8.1987 – 4 N 1.86 – NVwZ 1988, 351 = juris Rn. 34; B.v. 2.11.1988 – 4 B 157.88 – BRS 48 Nr. 13 = juris Rn. 4 f.; VGH BW, U.v. 29.1.2009 – 5 S 149/08 – juris Rn. 43). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist jedoch seit langem anerkannt, dass sich die Erschließungslast der Gemeinde unter bestimmten Umständen ausnahmsweise zu einer Erschließungspflicht und zu einem Anspruch des von der Erschließung Begünstigten auf Durchführung von Erschließungsmaßnahmen verdichten kann (vgl. hierzu die Fallgruppen bei Ernst/Grziwotz in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Okt. 2020, § 123 Rn. 28 ff.; Driehaus in Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand April 2020, § 123 Rn. 37 ff.). Eine solche Verdichtung kann sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB ergeben, der in der Ausprägung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung auch im Verwaltungsrecht entsprechend heranzuziehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2013 – 8 C 11.12 – juris Rn. 44 m.w.N.; BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – juris Rn. 42 m.w.N.). Hierzu gehört das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Um ein solches kann es sich handeln, wenn die Gemeinde ein Vertrauen beim Betroffenen darauf erweckt, dass auf seinem Grundstück in absehbarer Zeit ein Bauvorhaben realisiert werden könne, dies aber dann mangels Erschließung nicht der Fall ist (vgl. Ernst/Grziwotz in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Okt. 2020, § 123 Rn. 29p). Wann dieser Fall eintritt, lässt sich nicht generell festlegen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
a) Im vorliegenden Fall dürfte ein solcher Anspruch zwar nicht aufgrund der Mitwirkung der Beklagten an der noch auf der Grundlage der „Königlichen Verordnung, die Bauordnung betreffend“ vom 17. Februar 1901 (GBl. S. 87, BayBS II S. 446) – BO 1901 – erlassenen Baugenehmigung vom 16. Mai 1962 bestehen (die Bayerische Bauordnung vom 1. August 1962, GVBl. S. 179, ist erst am 1. Oktober 1962 in Kraft getreten). Insbesondere dürfte diese Baugenehmigung nicht wegen eines Verstoßes gegen das Erfordernis einer gesicherten (erstmaligen) Erschließung rechtswidrig erteilt worden sein. Zwar kann sich ein Erschließungsanspruch ergeben, wenn die Gemeinde ein Bauvorhaben rechtswidrig genehmigt bzw. an dessen Genehmigung einvernehmlich mitgewirkt hat und das Vorhaben verwirklicht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1981 – 8 C 4.81 – BVerwGE 64, 186 = juris Rn. 20; U.v. 3.5.1991 – 8 C 77.89 – BVerwGE 88, 166 = juris Rn. 23). Auch war entgegen dem Wortlaut des – am 29. Juni 1961 und damit bereits vor Erteilung der Baugenehmigung in Kraft getretenen – § 35 Abs. 2 BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341) – BauGB 1960 – für sonstige Vorhaben im Außenbereich, wozu auch Wohngebäude im Außenbereich gehörten, bauplanungsrechtlich eine ausreichende Erschließung erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1967 – IV C 33.65 – BVerwGE 26, 111); das Tatbestandsmerkmal einer gesicherten Erschließung ist – klarstellend – erst durch Gesetz vom 18.8.1997 (BGBl. I S. 2081) in das BauGB aufgenommen worden (vgl. BT-Drs. 13/6392, S. 58). Zur Erschließung eines Außenbereichsvorhabens dürfte aber die einfache Zuwegung auf dem damaligen Grundstück FlNr. 1297/2 mit Anbindung an die im Norden anschließende J* …straße genügt haben, zumal sich weder dem BBauG 1960 noch der BO 1901 besondere Anforderungen an die wegemäßige Erschließung von Außenbereichsgrundstücken entnehmen lassen. Dafür, dass das Grundstück FlNr. 1296/1 zum damaligen Zeitpunkt wegemäßig ausreichend erschlossen war, spricht auch der Umstand, dass der Rechtsvorgänger des Klägers ausweislich der Baugenehmigung vom 16. Mai 1962 eine „Straßensicherung“ nach § 62 Abs. 3 BO 1901 nicht leisten musste.
b) Ein Erschließungsanspruch des Klägers ergibt sich aber aus dem Umstand, dass seit dem Erlass der nach wie vor wirksamen zweiten Änderung des Bebauungsplans vom 5. November 1992 annähernd 29 Jahre vergangen sind, ohne dass die Beklagte diese vollzogen hätte.
aa) Der Änderungsbebauungsplan vom 5. November 1992 ist nach vor wirksam. Insbesondere ist er nicht funktionslos geworden.
Gründe, die für eine (anfängliche) Unwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Änderungsbebauungsplan, der in seinem Geltungsbereich planersetzend an Stelle der Festsetzungen des Ursprungsbebauungsplans vom 10. Dezember 1979 in der Fassung der ersten Änderung vom 28. Mai 1984 (soweit diese nicht für nichtig erklärt wurde) getreten ist, ist mit den Festsetzungen zu den Bauräumen für Garagen und zur Erschließungsstraße auch auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 des Beigeladenen wirksam. Die planerische Rechtfertigung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB) für diese Festsetzungen bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Beklagten, wie sie sich insbesondere aus der Planbegründung ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 25.7.2017 – 4 BN 2.17 – BRS 85 Nr. 2 = juris Rn. 3 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 18.2.2016 – Vf. 5-VII-14 – BayVBl 2017, 153 = juris Rn. 40 ff.). Danach war tragender Grund für die Änderungsplanung eine ungehinderte Zufahrt zum Grundstück des Klägers über öffentliche Verkehrsflächen ohne Erschwernis zu ermöglichen. Dies war vor allem im Hinblick auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Januar 1988 veranlasst, der aufgrund des im ersten Änderungsbebauungsplan festgesetzten Bauraums für Garagen das Anliegen des Grundstücks an eine befahrbare öffentliche Verkehrsfläche auf einer angemessenen Breite und ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme einer entsprechenden Teilfläche des Grundstücks FlNr. 1297/1 für erforderlich erachtet hat (vgl. Urteilsabdruck S. 9). Damit verfolgte die Beklagte ein legitimes Planungsziel. Sie konnte sich insoweit auf die öffentlichen Belange der Wohnbedürfnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB) und der Mobilität der Bevölkerung (§ 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB) berufen, wozu auch die Festsetzung von Bauräumen für Garagen in angemessener Größe und die Schaffung der mit dem Wohnen zusammenhängenden erforderlichen (Verkehrs-)Infrastruktur sowie eine Anbindung daran in angemessenem Umfang gehört (vgl. Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Aufl. 2019, § 1 Rn. 55 und 75; Schrödter/Wahlhäuser in Schrödter, Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2019, § 1 Rn. 471). Dass die Festsetzungen von Bauräumen und von Erschließungsstraßen – auch – den Interessen der jeweiligen Grundstückseigentümer (hier dem Kläger) dienen, steht der Planrechtfertigung nicht entgegen (vgl. BVerwG, B.v. 5.1.2021 – 4 BN 60.20 – juris Rn. 11; BayVerfGH, E.v. 18. 2.2016 – Vf. 5-VII-14 – BayVBl 2017, 153 = juris Rn. 43).
Der Änderungsbebauungsplan, insbesondere die Festsetzung zur Erschließungsstraße auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 des Beigeladenen, ist nicht infolge Funktionslosigkeit unwirksam geworden. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – NVwZ 2004, 1244 = juris Rn. 15 m.w.N.; Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 123 Rn. 407 ff.). Diese engen Voraussetzungen, die im Übrigen nur äußerst selten vorliegen (vgl. hierzu die von Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 123 Rn. 408 angeführte Rechtsprechung), sind hier schon deswegen nicht erfüllt, weil die Errichtung der im Bebauungsplan festgesetzten Erschließungsstraße noch möglich ist. Diese Fläche wird bereits seit jeher als private Zufahrt genutzt. Der Umstand, dass sie dem Beigeladenen gehört, steht dem nicht entgegen, weil eine Überführung der Fläche in das Grundeigentum der Beklagten durch einen freihändigen Erwerb oder nach Durchführung eines Enteignungsverfahren in tatsächlicher Hinsicht nicht ausgeschlossen ist.
bb) Die fehlende Umsetzung des Änderungsbebauungsplans verleiht dem Kläger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ein Anspruch auf weitere straßenmäßige Erschließung. Dem steht nicht entgegen, dass sein Grundstück mit der ca. 3 m breiten Anbindung an die Erschließungsstraße bereits (erstmals) erschlossen ist.
Zwar erschöpft sich der Anwendungsbereich des § 123 BauGB in dem erstmaligen (einmaligen) Erschlossensein von Grundstücken (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.1987 – 8 C 4.86 – NVwZ 1988, 355; Driehaus in Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, § 123 Rn. 2; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Aufl. 2019, § 123 Rn. 10; a. A. Ernst/Grziwotz in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Okt. 2020, § 123 Rn. 5), wohl weil die Bestimmung von einem engen, vor allem das Erschließungsbeitragsrecht in den Blick nehmenden Erschließungsbegriff ausgeht (vgl. BT-Drs. III/336 S. 96 ff., BT-Drs III/1794 S. 23 f.). Die von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum ausnahmsweise bestehenden Anspruch auf (Erst-) Erschließung eines Grundstücks nach § 123 BauGB i.V.m. § 242 BauGB entwickelten Grundsätze können aber im vorliegenden Fall entsprechend herangezogen werden, weil sich im Hinblick auf das nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu bewertende Verhalten der Beklagten insoweit eine vergleichbare Sachlage ergibt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann eine Erschließungspflicht nach Treu und Glauben auch dann zu bejahen sein, wenn eine Gemeinde nach Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans zu erkennen gibt, diesen Plan überhaupt nicht verwirklichen zu wollen, mithin ein Fall ausdrücklich verweigerter Planverwirklichung gegeben ist. Den Gemeinden ist zwar unbenommen, sich auch noch nach dem Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans für eine von ihm abweichende städtebauliche Entwicklung zu entscheiden. Wesentlich ist aber, wie sie auf eine solche Entscheidung reagiert: Will eine Gemeinde einen von ihr erlassenen qualifizierten Bebauungsplan nicht mehr ausführen, muss sie diesen Plan aufheben oder ändern und sich der daraus etwa folgenden Entschädigungspflicht aus § 42 BauGB stellen. Ihn stattdessen „auf Eis zu legen“, ist bauplanungsrechtlich nicht zulässig und führt zu einem Erschließungsanspruch der betroffenen Grundstückseigentümer (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.1987 – 8 C 4.86 – BVerwGE 78, 266 ff.; U.v. 22. 1. 1993 – 8 C 46.91 – BVerwGE 92, 8 = juris Rn. 28; OVG NW, U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011, 1565/1569 = juris Rn. 82). Der ausdrücklich verweigerten Planverwirklichung steht gleich, wenn eine Gemeinde an einem von ihr erlassenen Bebauungsplan zwar (formal) festhält, dessen Verwirklichung aber ungebührlich verzögert. Diese Folgerung ist unabweisbar, weil anderenfalls eine Gemeinde, die in Wahrheit entschlossen ist, einen Bebauungsplan nicht zu verwirklichen, nur den Weg der Verzögerung zu wählen brauchte, um sich so dem Vorwurf einer Verletzung von Treu und Glauben zu entziehen. Unter welchen Voraussetzungen und nach Ablauf welcher Zeit eine Verzögerung für in diesem Sinne ungebührlich gehalten werden muss, richtet sich nach Treu und Glauben (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.1993 – 8 C 46.91 – BVerwGE 92, 8 = juris Rn. 29; OVG NW, U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011, 1565/1569 = juris Rn. 84).
Nach diesen Maßstäben ist der Anspruch des Klägers auf Umsetzung der zweiten Änderung des Bebauungsplans durch Herstellung der öffentlichen Verkehrsfläche auch auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu bejahen. Das Verhalten der Beklagten ist als widersprüchlich zu bewerten, weil sie einerseits vor annähernd 29 Jahren den Änderungsbebauungsplan ausweislich der Planunterlagen in der Absicht erlassen hat, um eine ungehinderte Zufahrt zum Grundstück des Klägers über öffentliche Verkehrsflächen ohne Erschwernis zu ermöglichen, andererseits den Bebauungsplan auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 des Beigeladenen aber nicht verwirklicht hat, obwohl sie bis zum heutigen Tag daran festhält und eine ungehinderte Zufahrt zur Garage des Klägers nicht möglich ist.
Zwar kann nicht unterstellt werden, dass die Beklagte die Verwirklichung der Bebauungsplanänderung mutwillig hinausgezögert hat; vielmehr war sie, wie sich aus dem Schreiben der Stadtverwaltung an den Kläger vom 8. Juni 2005 ergibt, offenbar der Ansicht, dass eine Verwirklichung der Festsetzungen des Bebauungsplans bezüglich der öffentlichen Straßenfläche auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 nicht möglich sei, weil der Grundstückseigentümer dem Erwerb durch Kauf nicht zugestimmt hat und ein Enteignungsverfahren infolge der ca. 3 m breiten, bestehenden Zufahrt zum Grundstück des Klägers keine Aussicht auf Erfolg haben würde. Diese Auffassung erweist sich jedoch als unzutreffend. Denn zum einen durfte die Beklage angesichts des im Bebauungsplan festgesetzten Bauraums für eine 6 m breite Garage nach den örtlichen Verhältnissen nicht davon ausgehen, dass die bestehende Grundstückszufahrt zur Benutzung der Garage in einer Breite von lediglich ca. 3 m für eine Nutzung der Doppelgarage ausreichend und zumutbar ist. Dies zeigen vor allem auch die vom Kläger zuletzt vorgelegten Lichtbilder. Auf diesen ist zu erkennen, dass eine Ausfahrt aus der westlichen Garagenhälfte auf die öffentliche Straße ohne Inanspruchnahme des Grundstücks des Beigeladenen gar nicht oder allenfalls mit kleineren Fahrzeugen unter erheblicher Behinderung durch aufwändige Rangiervorgänge möglich ist, insbesondere, wenn sich ein zweiter Pkw in der Garage befindet. Hinzu kommt, dass der im Bebauungsplan festgesetzte Bauraum für die Garage nach Westen in einer Breite noch nicht ausgeschöpft, diese vielmehr um ca. 0,4 m noch verbreitert werden könnte. Derartige Behinderungen sollten ausweislich der Stadtratsbeschlüsse vom 1. und 24. Juni 1991 sowie der Planbegründung mit der Festsetzung der öffentlichen Verkehrsfläche auf dem Grundstück FlNr. 1297/1 aber gerade vermieden werden. Auch hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Urteil vom 26. Januar 1988 (1 N 85 A.2188) darauf hingewiesen, dass aufgrund der im Bebauungsplan festgelegten Situierung der Garage die Inanspruchnahme zumindest einer Teilfläche aus dem Grundstück FlNr. 1297/1 geboten ist. Zum anderen obliegt die Beurteilung, ob ein Enteignungsverfahren Aussicht auf Erfolg verspricht, letztlich nicht der Beklagten, sondern der zuständigen Enteignungsbehörde und ggf. den nach § 217 ff. BauGB zuständigen Baulandgerichten (vgl. dazu unten 3.).
cc) Der Erschließungsanspruch des Klägers ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagte sich die Verfügungsbefugnis an den für die plankonforme Errichtung der in Rede stehenden öffentlichen Verkehrsfläche benötigten Teilfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen nicht in zumutbarer Weise beschaffen kann. Vielmehr hat ein diesbezügliches Enteignungsverfahren bei summarischer Prüfung zumindest hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011, 1565/1569 = juris), der sich der Verwaltungsgerichtshof anschließt, verstößt das gemeindliche Unterlassen der bebauungsplankonformen wegemäßigen Erschließung eines Grundstücks nur dann gegen Treu und Glauben, wenn es der Gemeinde zumutbar ist, sich das für die Erschließung notwendige, jedoch in privatem Eigentum stehende Straßenland zu beschaffen, etwa indem sie bei der zuständigen Enteignungsbehörde einen entsprechenden Enteignungsantrag stellt, um einen Enteignungsbeschluss nach § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BauGB zu erwirken. Ob eine derartige Zumutbarkeit gegeben ist, richtet sich im Einzelfall nach den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des jeweils ins Auge gefassten Enteignungsverfahrens. Die Stellung eines Enteignungsantrags und die Durchführung eines Enteignungsverfahrens kann einer Gemeinde mit Blick auf das für sie bestehende Kostenrisiko nicht angesonnen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Enteignung nach § 85 Abs. 1 Nr. 1, § 87 BauGB offensichtlich nicht gegeben sind, mithin eine Enteignung nach jeder Betrachtungsweise von vornherein nicht in Betracht kommt. Einer Gemeinde ist die Stellung eines Enteignungsantrags und die Durchführung eines Enteignungsverfahrens regelmäßig dagegen dann zumutbar, wenn ein Enteignungsverfahren bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, also der Erlass eines Enteignungsbeschlusses mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie sein Nichterlass. Denn in dieser Situation würde sich eine sorgfältig handelnde Gemeinde, welche die Planung ernsthaft aufrechterhalten will und die sowohl die sie insoweit treffende Erschließungspflicht als auch das Kostenrisiko eines Enteignungsverfahrens abwägend bedenkt, für die Stellung eines Enteignungsantrags und die Durchführung eines Enteignungsverfahrens entscheiden (vgl. OVG NW, U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011, 1565/1569 = juris Rn. 96).
Im vorliegenden Fall dürfte ein Enteignungsverfahren bei summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten. Insbesondere dürfte dem nicht entgegenstehen, dass nach § 87 Abs. 1 BauGB eine Enteignung nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig ist und ein Gemeinwohlinteresse vorliegend nicht angenommen werden kann. Der Zugriff auf das Eigentum ist nur zulässig, wenn er einem besonderen, im öffentlichen Nutzen liegenden Zweck dient. Dafür reicht nicht jedes beliebige öffentliche Interesse aus. Die freiheitssichernde Funktion des Eigentums verlangt ein besonders schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse; nur um dessen Erfüllung willen dürfen private Rechte entzogen werden. Es kommt nicht darauf an, ob ein Vorhaben in einem allgemeinen Sinne dem Wohl der Allgemeinheit dient, sondern ob die konkrete Enteignung hierfür notwendig ist. Das öffentliche Interesse an einer planakzessorischen Enteignung nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB folgt noch nicht allein aus der Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans, dessen Umsetzung durch die Enteignung ermöglicht werden soll. Die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans, dem keine enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt, ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Zulässigkeit der Enteignung. Erst wenn – über das allgemeine und plantypische Interesse hinausgehend – ein gesteigertes und vordringliches öffentliches Interesse an einem bestimmten plankonformen Vorhaben besteht, dient dessen Verwirklichung und die dafür erforderliche Inanspruchnahme eines Grundstücks dem Wohl der Allgemeinheit im Sinne des § 87 Abs. 1 BauGB (vgl. OVG NW, U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011, 1565/1569 = juris Rn. 101 ff.). Die Entscheidung über die Enteignung erfordert eine Abwägung der Gemeinwohlbelange mit denen der betroffenen Eigentümer. Das Wohl der Allgemeinheit ist also durch eine Abwägung nach Verhältnismäßigkeitskriterien zwischen dem öffentlichen Interesse an der Enteignung und dem Interesse des Eigentümers an der Erhaltung seines Eigentums zu bestimmen (vgl. OLG BB, U.v. 19. 6. 2015 – 11 Bauland U 1/13 – juris Rn. 53 m.w.N.).
Nach diesem Maßstab lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass im vorliegenden Fall das Wohl der Allgemeinheit die Enteignung im Sinne von § 87 Abs. 1 BauGB erfordert. Als Allgemeinwohlinteresse kann hier – ebenso wie bei der Planrechtfertigung – insbesondere die öffentliche Aufgabe der Wohnraumversorgung und Befriedigung der Wohnbedürfnisse (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB) sowie der Mobilität der Bevölkerung (§ 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB) und der Beschaffung hierfür erforderlicher Infrastruktureinrichtungen angeführt werden. Auch erfüllt eine enteignungsbegünstigte Gemeinde mit der Erschließung von Grundstücken eine Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt. Der Umstand, dass die Erschließung unmittelbar auch im privaten Interesse der Eigentümer der zu erschließenden Grundstücke liegt, führt nicht dazu, dass die besonderen Voraussetzungen der Enteignung zugunsten Privater in diesem Fall zu prüfen wären (vgl. OLG BB, U.v. 19. 6. 2015 – 11 Bauland U 1/13 – juris Leitsatz 2 und Rn. 55). Es ist auch nicht erkennbar, dass die Teilfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen für die Nutzung der Doppelgarage nicht zwingend erforderlich wäre. Vielmehr erscheint die Inanspruchnahme der im Bebauungsplan festgesetzten Teilfläche notwendig, um insbesondere beim Ausfahren aus der Garage mit größeren Kraftfahrzeugen – rückwärts – auf die öffentliche Erschließungsstraße gelangen zu können. Die private Zuwegung auf dem Grundstück FlNr. 1297/2, die der Kläger nach eigenen Angaben derzeit zum rückwärtigen Ausfahren aus der östlichen Garagenhälfte nutzt, dürfte jedenfalls für ein rückwärtiges Ausfahren aus der westlichen Garagenhälfte nicht ausreichend sein.
Die Allgemeinwohlbezogenheit einer Enteignung von Teilflächen des Grundstücks des Beigeladenen entfällt auch nicht notwendig dadurch, dass die in Rede stehende Verkehrsfläche nur die Grundstücke des Klägers (und des Beigeladenen) erschließen und über die Erschließung hinaus keine weitergehende Verkehrsfunktion erfüllen soll, mag dieser Umstand auch einen gesteigerten Rechtfertigungsbedarf für die Enteignung aufwerfen (vgl. OVG NW, U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011, 1565/1569 = juris Rn. 115). Denn bei der insofern vorzunehmenden Gewichtung der für und gegen eine Enteignung streitenden Belange ist auch einzustellen, dass der Eigentumsverlust beim Beigeladenen vergleichsweise geringfügig wäre. Bei einer Grundstücksgröße von insgesamt 1175 m² umfasst die zu enteignende Fläche lediglich 30 m². Hinzu kommt, dass der Entzug dieser Fläche die Nutzbarkeit des Grundstücks 1297/1 kaum einschränken dürfte, weil die entzogene Fläche auch derzeit lediglich als Zufahrtsfläche zur Garage des Beigeladenen dient. Baukörper müssten bei Herstellung der öffentlichen Verkehrsfläche nicht beseitigt werden. Lediglich eine Zurücksetzung des – entgegen den Festsetzung des Bebauungsplans und daher rechtswidrig errichteten – Einfahrtstors an der Zufahrt wäre erforderlich.
3. Rechtsfolge des Erschließungsanspruchs des Klägers ist, dass die Beklagte geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um eine Nutzung der Garage auf dem Gundstück FlNr. 1296/1 entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans herbeizuführen, was nach § 87 Abs. 2 Satz 1 BauGB ein ernsthaftes Bemühen der Beklagten zum freihändigen Erwerb der für die Herstellung der im Bebauungsplan festgesetzten Verkehrsfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen voraussetzt. Dies erfordert regelmäßig ein Vertragsangebot gegenüber dem Enteignungsbetroffenen zu angemessenen Bedingungen. Die Verhandlungspflicht entfällt nur dann, wenn ein Vertragsangebot unnütz erscheint, weil der Enteignungsbetroffene von vornherein zu erkennen gibt, dass er jedes Angebot ablehnen und freihändig nicht verkaufen wird, oder wenn er die Annahme des Angebots von nicht vertretbaren, unsachlichen oder mit der Enteignung nicht im Zusammenhang stehenden Bedingungen abhängig macht (vgl. Runkel in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 87 Rn. 81 m.w.N.; Reisnecker in Brügelmann, BauGB, Stand Jan. 2021, § 87 Rn. 32 m.w.N.). Scheidet ein freihändiger Erwerb der für die Herstellung der im Bebauungsplan festgesetzten Verkehrsfläche benötigten Teilfläche des Grundstücks FlNr. 1297/1 aus, kommen zur Beschaffung der Rechtsmacht über die Flächen namentlich die Stellung eines Enteignungsantrags und die Durchführung eines Enteignungsverfahrens in Betracht. Da dieses nach den obigen Ausführungen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, umfasst die Pflicht der Beklagten zur Durchführung des Enteignungsverfahrens nicht nur die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens bei der zuständigen Enteignungsbehörde, sondern gegebenenfalls auch die Stellung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 217 Abs. 1 Satz 1 BauGB beim zuständigen Landgericht, sollte die Enteignungsbehörde den Enteignungsantrag ablehnen. Erst wenn das Gericht die Enteignung rechtskräftig für unzulässig befunden hat, steht fest, dass die Beklagte sich die Rechtsmacht über die für die Erschließung des klägerischen Grundstücks erforderlichen Teilflächen nicht in zumutbarer Weise verschaffen kann und sie zur Herbeiführung der Erschließung zugunsten der Klägerin trotz an sich gegebener Erschließungspflichtverdichtung nicht gehalten ist (vgl. OVG NW, U.v. 9.9.2010 – 2 A 3182/08 – DVBl. 2011, 1565/1569 = juris Rn. 133).
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, sodass ihm keine Kosten auferlegt werden können (§ 154 Abs. 3 VwGO). Es besteht aber auch keine Veranlassung, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.


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