Baurecht

Antragsbefugnis gem. § 47 VwGO gegen eine Satzung zur Sicherung der Zweckbestimmung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktion; Vorliegen einer Fremdenverkehrsfunktion

Aktenzeichen  2 N 20.87

Datum:
11.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41340
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, S. 3
GG Art. 14 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die zur Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO gegen einen Bebauungsplan ergangene Rechtsprechung ist übertragbar auf ein Normenkontrollverfahren gegen eine gemeindliche Satzung zur Sicherung der Zweckbestimmung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktion. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind in dem maßgeblichen Gebiet für das eine Satzung zur Sicherung der Zweckbestimmung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktion keinerlei Beherbergungsbetriebe oder Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung vorhanden, so kann nicht von einer Prägung des Gebiets durch solche Betriebe ausgegangen werden. Fehlen auch sonstige Elemente, die ausnahmsweise eine Fremdenverkehrsfunktion des Gebiets begründen, liegen die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 S. 3 BauGB nicht vor. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Satzung zur Sicherung der Zweckbestimmung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktion der Gemeinde K., bekannt gemacht am 11. Oktober 2019, wird hinsichtlich der Anlage 1 zur Satzung – Planteil R. – für unwirksam erklärt. Im Übrigen wird der Antrag verworfen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller 7/8 und die Antragsgegnerin 1/8.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags ababwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.     
IV. Die Revision wird nicht zugelassen. 

Gründe

Der Antrag nach § 47 VwGO hat nur in dem sich aus der Urteilsformel ergebenden Umfang Erfolg.
1. Der Antragsteller ist nur hinsichtlich der Anlage 1 gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Nach dieser Bestimmung kann den Antrag jede natürliche Person stellen, die geltend gemacht, durch die Satzung oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die angegriffene Satzung enthält mehrere Regelungen, von denen nur die Anlage 1 für den Antragsteller möglicherweise eine Rechtsverletzung zeitigt.
a) Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke FlNr. …11 und …18 der Gemarkung K., die im Geltungsbereich der Anlage 1 der Satzung liegen. Das Grundstück FlNr. …11 ist mit einem Wohnhaus bebaut. Die Satzung beschränkt die Nutzbarkeit dieses Eigentums, in dem sie die Nutzung des Wohngebäudes als Nebenwohnsitz eine Genehmigungspflicht unterwirft. Damit greift die Satzung in das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum ein. Diesbezüglich besteht die Möglichkeit, dass der Antragsteller durch die Satzung in seinen Rechten verletzt ist.
b) Die Antragsbefugnis reicht nur soweit, als der Antragsteller durch die Norm oder deren Anwendung möglicherweise in seinen Rechten verletzt wird oder in absehbarer Zeit verletzt werden kann. In der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO keine höheren Anforderungen gestellt werden können, als sie auch für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gelten. Danach genügt der Antragsteller seiner Darlegungspflicht bei einem Bebauungsplan, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2010 – 4 BN 66/09 – juris). Kann ein Antragsteller geltend machen, durch Festsetzungen des Bebauungsplans in eigenen Rechten verletzt zu sein, so muss das Normenkontrollgericht die Wirksamkeit des Bebauungsplans grundsätzlich umfassend prüfen. Jedoch hat es das Bundesverwaltungsgericht nicht ausgeschlossen, dass in Fällen, in denen der als einheitliche Satzung beschlossene Bebauungsplan aus zwei oder mehreren Teilregelungen besteht, die offensichtlich unabhängig voneinander selbständig bestehen können, einem Normenkontrollantrag, der sich gegen den Bebauungsplan im Ganzen bzw. allein oder jedenfalls auch gegen den Antragsteller nicht betreffende Teilregelungen wendet, das notwendige Rechtsschutzinteresse (teilweise) abzusprechen und insoweit als unzulässig zu behandeln ist (vgl. bereits BVerwG, B.v. 4.6.1991 – 4 NB 35/89 – juris). Der Antragsteller kann mit seinem Antrag trotz Darlegung eines Nachteils ausnahmsweise mit der Folge der (teilweisen) Unzulässigkeit zu weit greifen, wenn er auch solche ihn nicht berührende Teile des Bebauungsplans miteinbezieht, die sich schon aufgrund vorläufiger Prüfung offensichtlich und damit auch für den Antragsteller erkennbar als abtrennbare und selbständig lebensfähige Teile einer unter dem Dach eines einheitlichen Bebauungsplans zusammengefassten Gesamtregelung darstellen. In solchen Fällen fehlt es dem Antrag insoweit am erforderlichen Rechtsschutzinteresse (vgl. BVerwG a.a.O.). Bei Bebauungsplänen, die getrennte räumliche Anwendungsbereiche aufweisen, muss der Antrag von vornherein auf denjenigen Teil des Bebauungsplans beschränkt werden, bei dem eine Verletzung eigener Rechte des Antragstellers in Betracht kommt (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2007 – 4 BN 20/09 – juris; BayVGH, U.v. 24.9.2019 – 1 N 16.2379 – juris; B.v. 16.7.2018 – 1 N 14.1510 – juris). Diese Rechtsprechung ist auf die hier vorliegende Satzung übertragbar.
Bei den Gebieten der Anlagen 1 – 8 zur Satzung handelt es sich um eigenständig, voneinander abtrennbare und abgetrennte Siedlungsbereiche. Bereits aus dem in der Sitzung vorgelegten Plan des Gemeindegebiets der Antragsgegnerin ergibt sich, dass die einzelnen von der Satzung erfassten Gebiete weit voneinander entfernt liegen. Dies wird etwa besonders deutlich in Anlage 6 – W. K. W. K. ist kilometerweit von den anderen Siedlungsbereichen entfernt. Die Entfernung zum Eigentum des Antragstellers beträgt deutlich über 10 km Luftlinie. Die Gemeinde hat, wie sich aus den Normenaufstellungsakten ergibt, im Rahmen der Abwägung auch für jedes Gebiet eine gesonderte Entscheidung nach bestimmten Kriterien getroffen. Ausweislich der Satzungsbegründung sollen in den Geltungsbereich einbezogen werden solche im Zusammenhang bebaute Ortsteile, die zwar nicht in einem Bebauungsplan als Kurgebiete, Gebiete für die Fremdenbeherbergung oder als Wochenend- oder Ferienhausgebiete ausgewissen sind, aber nach der tatsächlichen Nutzung das Gepräge solcher ausgewiesenen Gebiete haben. Des Weiteren werden sonstige Gebiete mit Fremdenverkehrsfunktion, die durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt sind, in den Geltungsbereich einbezogen (S. 16 der Normaufstellungsakte). Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin für jedes in den Anlagen 1 – 8 genannte Gebiet gesondert entschieden, ob der Gebietsteil von der Satzung erfasst wird. Eine andere, an dieser Stelle nicht zu prüfende Frage ist, ob die Gemeinde die von ihr selbst aufgestellten Vorgaben zutreffend umgesetzt hat. Insofern ist die Erstreckung des Genehmigungsvorbehalts auf die einzelnen geografischen Siedlungsbereiche geeignet, isoliert voneinander eine sinnvolle städtebauliche Ordnung zu bewirken. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die Antragsgegnerin die Satzung auch nur für ein einzelnes der in den Anlagen genannten Gebiete beschlossen hätte. Schon aufgrund vorläufiger Prüfung werden hier offensichtlich und damit auch für den Antragsteller erkennbar, abtrennbare und selbständig lebensfähige Teile unter dem Dach einer einheitlichen Satzung zusammengefasst. Statt dieser Gesamtregelung wäre es der Antragsgegnerin genauso möglich gewesen, acht separate Fremdenverkehrssatzungen für jedes der acht voneinander abgetrennten Gebiete zu erlassen. Zugleich ist nicht dargelegt und für den Senat auch in keiner Weise ersichtlich, welche rechtlichen Interessen der Antragsteller im räumlichen Geltungsbereich der von den übrigen Anlagen erfassten Gebiete hat. Der Antragsteller kann nicht wegen der anderen selbstständigen Regelungen, die ihm vielleicht nicht gefallen, für ihn aber keine Rechtsverletzung zur Folge haben können, die Satzung insgesamt angreifen.
Soweit er diesbezüglich auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1994 (Az. 4 C 21/93) hingewiesen hat, ist festzuhalten, dass dieser Entscheidung ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Denn seinerzeit hatte die Gemeinde eine Fremdenverkehrssatzung für das gesamte Gemeindegebiet erlassen. Wie sich bereits aus der Satzungsbegründung ergibt, erfasst im vorliegenden Fall die Satzung nicht das gesamte Gemeindegebiet. Vielmehr wurden explizit nicht in den Geltungsbereich unbebaute Außenbereichsflächen, landwirtschaftliche Einzelanwesen, Gewerbegebiete und viele weitere Gebiete einbezogen (vgl. S. 16 der Normaufstellungsakte).
2. Soweit der Antrag zulässig ist, ist er auch begründet. Die Anlage 1 der Satzung ist nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 22 Abs. 1 BauGB gedeckt und mithin aus diesem Grund unwirksam. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BauGB können Gemeinden, die oder deren Teile überwiegend durch den Fremdenverkehr geprägt sind (s. a)), durch eine Satzung bestimmen, dass zur Sicherung der Zweckbestimmung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen (s. b)) die Nutzung von Räumen in Wohngebäuden oder Beherbergungsbetrieben als Nebenwohnung der Genehmigung unterliegt, wenn die Räume insgesamt an mehr als der Hälfte der Tage des Jahres unbewohnt sind. Voraussetzung für die Bestimmung ist, dass durch die Nutzung als Nebenwohnung die vorhandene oder vorgesehene Zweckbestimmung des Gebiets für den Fremdenverkehr und dadurch die geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt werden kann (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BauGB).
a) Die Antragsgegnerin ist überwiegend durch den Fremdenverkehr im Sinn von § 22 Abs. 1 Satz 1 BauGB geprägt. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist anhand sachlicher Kriterien zu überprüfen. Insoweit besteht keine nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegende planerische Gestaltungsprärogative der Gemeinde (vgl. Kraft in Berliner Kommentar, Stand Oktober 2021, § 22 Rn. 17). Maßgebend ist die tatsächliche Situation in der Gemeinde. Für eine Prägung durch den Fremdenverkehr ist erforderlich, dass die öffentliche und private Infrastruktur auf Fremdenverkehrsbedürfnisse ausgerichtet ist und die Übernachtungszahlen in der Gemeinde wirtschaftlich eine wichtige Rolle spielen.
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der Antragsgegnerin um eine Gemeinde, die überwiegend durch den Fremdenverkehr geprägt ist. Wie die Antragsgegnerin in der Begründung der Satzung ausführt, lebt die Gemeinde mit ihren rund 4.000 Einwohnern in erster Linie vom Tourismus und bietet dadurch seinen Gästen ein großes Angebot an Freizeiteinrichtungen (Wandewege, Loipen, Warmfreibad, Mountenbike-Trail etc.) und Kulturveranstaltungen (internationales Musikfest, Heimatabende, Waldfeste etc.). Der Bekanntheitsgrad der Gemeinde erstreckt sich mittlerweile weit über die nationalen Grenzen hinaus. Dies belegen die ankommenden Feriengäste im Jahr 2018 aus über 50 Ländern. Die Gemeinde gehört zum Netzwerk der Bergsteigerdörfer. Bergsteigerdörfer sind Vorzeigeorte für eine alternative und nachhaltige Tourismusentwicklung im Alpenraum. Im gesamten bebauten Gebiet der Gemeinde werden derzeit 1.027 Betten gewerblich und 347 Betten privat an Feriengäste zur Vermietung bereitgestellt. Gemessen an der Einwohnerzahl entspricht dies einer Bettenanzahl für Feriengäste in Höhe von 37,2%. Hieraus ergaben sich 69.352 Gästeankünfte mit insgesamt 229.660 Übernachtungen im Jahr 2018. Daraus ergibt sich, dass die Gemeinde durch den Fremdenverkehr geprägt ist. Dies ist im Übrigen auch gerichtsbekannt.
b) Hinsichtlich des in Anlage 1 zur Satzung dargestellten Gebiets ist eine Zweckbestimmung für den Fremdenverkehr zu verneinen.
aa) Das Gesetz normiert die Zweckbestimmung für den Fremdenverkehr für drei Gebiete (§ 22 Abs. 1 Satz 3 BauGB).
(1) Bei dem fraglichen Gebiet handelt es sich nicht um ein Kurgebiet, Gebiet für die Fremdenbeherbergung, Wochenend- und Ferienhausgebiet, die im Bebauungsplan festgesetzt sind (§ 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 BauGB). Die K. … Klinik befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … Klinik im A.park. Festgesetzt wurde darin ein sonstiges Sondergebiet mit der Zweckbestimmung Klinik.
(2) Auch ein sogenanntes faktisches Fremdenverkehrsgebiet (§ 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 BauGB) liegt nicht vor. Denn dafür müsste es sich um einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil handeln (§ 34 BauGB), dessen Eigenart einem der vorbezeichneten Gebiete entspricht. Dies ist hier nicht der Fall.
(3) Schließlich statuiert § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB die Fremdenverkehrsfunktion für solche Gebiete, die durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt sind. Entscheidend ist die Nutzung des Gebiets, wobei die fremdenverkehrliche Prägung ein solches Gewicht haben muss, dass dadurch die Qualität des Gebiets bestimmt wird. Von Bedeutung ist nur die Prägung durch die Fremdenbeherbergung. Entscheidend ist dabei nicht die Nutzung einzelner Grundstücke, sondern diejenige in dem betroffenen Gebiet. Sie muss ein solches Gewicht haben, dass sie dem Gebiet gleichsam „den Stempel aufdrückt“ (vgl. Grziwotz Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2. Aufl. 2018, § 22 Rn. 1). Maßgebend ist insofern keine quantitative, sondern eine wertende Betrachtung, wobei eine gewisse Großzügigkeit und Pauschalität zugelassen ist (vgl. BVerwG, U.v. 15.5.1991 – 4 C 9/96 – BVerwGE 105, 1). Es ist nicht die Fremdenverkehrsfunktion des Gebiets entscheidend, sondern die in ihm vorhandene Beherbergung (vgl. BVerwGE, U.v. 7.7.1994 – 4 C 21/93 – BVerwGE 96, 217).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist bei dem Gebiet der Anlage 1 ein Gebiet mit Fremdenverkehrsfunktion zu verneinen. Offen bleiben kann dabei, ob die K. … Klinik aufgrund ihrer Randlage in der Gemeinde K. Fremdenverkehrsbedeutung für die Gemeinde haben kann. Denn der K. … Klinik kommt keine Fremdenverkehrsqualität zu. Es handelt sich bei ihr auch nicht um eine Kureinrichtung, sondern um eine Klinik. Dort werden Patienten behandelt, um bei Erkrankungen des Bewegungsapparats wieder mobil zu werden, oder um Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu überwinden. Die Größe eines Teils der vorhandenen Zimmer und der Umstand, dass die Zimmer der K. … Klinik modern und hochwertig ausgestattet sind und die Unterbringung von Angehörigen ermöglicht wird, macht die Klinik noch nicht zu einer Kureinrichtung oder einem Fremdenverkehrsbetrieb. Auch das Angebot einer psychotherapeutischen Behandlung führt nicht dazu, dass es sich vorliegend um eine Kureinrichtung handelt. Psychosomatische Akutbehandlungen sind klassische Krankenbehandlungen. Allein der Umstand, dass sich Patienten und Besucher zeitlich begrenzt dort aufhalten, macht die Klinik noch nicht zu einer Fremdenverkehrseinrichtung. Entscheidend ist, zu welchem Zweck sich ein wechselnder Personenkreis in der Klinik aufhält. Geht es wie vorliegend in erster Linie um Krankenbehandlung, so ist die Einrichtung kein Kurbetrieb oder ein Fremdenverkehrsbetrieb. Weil sich auch sonst kein Beherbergungsbetrieb oder Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung in dem Gebiet befindet, liegt § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB bereits tatbestandlich nicht vor.
bb) In Reaktion auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1994 (Az. 4 C 21.93 – BVerwG 96, 217) hat der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 Satz 3 BauGB das Wort „insbesondere“ eingefügt (vgl. dazu Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 1. Mai 2021, § 22 Rn. 27). Damit ist § 22 Abs. 1 Satz 3 BauGB keine abschließende Regelung mehr. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift eine Inhaltsbestimmung des Grundeigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt. Der satzungsrechtlich ausgelöste Genehmigungsvorbehalt führt zu einer fühlbaren Einschränkung der freien Verfügbarkeit und Nutzbarkeit des Eigentums. Das ist dann gerechtfertigt, wenn öffentliche Belange dies zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerwG, U.v. 7.7.1994 – 4 C 21.93 – BVerwGE 96, 217). Auch nach geltender Rechtslage hat der Gesetzgeber die Gemeinden nicht dazu ermächtigt, im Bereich des Wohneigentums einen allgemeinen Genehmigungsvorbehalt einzuführen. Entscheidend ist, ob eine Gefährdung gerade des Gebiets für den Fremdenverkehr gegeben ist. Die Beeinträchtigung wird in den Katalogfällen fingiert, so dass für die Einführung des Genehmigungsvorbehalts das Vorliegen eines dieser Gebiete ausreicht. Bei nicht von den Katalogfällen erfassten Gebieten ist für die Zweckbestimmung für den Fremdenverkehr nach Auffassung des Senats nicht zwingend, dass sich in dem Gebiet ein Fremdenverkehrsbetrieb befindet. Maßgebend ist, dass das entsprechende Gebiet für den Fremdenverkehr bedeutsam ist und die entsprechende Nutzung für die der Sicherungszweck einer Satzung nach § 2 BauGB in Betracht kommt von einigem städtebaulichen Gewicht ist. So ist in Ausnahmefällen auch denkbar, dass ein Gebiet ohne Vorhandensein eines Fremdenverkehrsbetriebs – etwa aufgrund seiner Infrastruktur – ein gewisses Gewicht für den Fremdenverkehr hat. Je weniger Fremdenverkehrsbetriebe vorhanden sind, umso gewichtiger müssen jedoch andere Elemente sein, die die Fremdenverkehrsfunktion begründen.
Auch bei nicht von den Katalogfällen erfassten Gebieten, die in den Geltungsbereich der Satzung aufgenommen werden sollen, trifft die Gemeinde eine Prüfungs- und Begründungslast (vgl. Grziwotz in Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2. Aufl. 2018, § 22 Rn. 1). Im vorliegenden Fall ist die Gemeinde dem nicht nachgekommen. Denn es ist nach Auffassung des Senats nicht ausreichend, wenn der erste Bürgermeister in der mündlichen Verhandlung des Senats geltend macht, dass sich gegenüber der Villa des Antragstellers der einzige öffentliche Seezugang der Gemeinde mit Badesteg befinde und auch ein Fußweg von der Klinik zum öffentliche Bereich des Sees bestehe (Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 4.11.2021, S. 4). Denn ein Fußweg, der von einer Klinik zum See führt, dürfte kaum große Bedeutung für den Fremdenverkehr haben und hinsichtlich des Badeplatzes wurde nicht hinreichend dargelegt, inwiefern von dort überhaupt Gebäude wahrnehmbar sind. Außerdem dürfte das Interesse der Besucher in erster Linie dem See gelten. Im Übrigen ist das Gebiet, das von Anlage 1 erfasst ist, nach den eigenen Vorgaben der Gemeinde kein Gebiet mit Zweckbestimmung Fremdenverkehr (S. 16 der Normaufstellungsakte). Denn ausweislich der Begründung der Satzung werden in den Geltungsbereich einbezogen solche im Zusammenhang bebaute Ortsteile, die zwar nicht in einem Bebauungsplan als Kurgebiete, Gebiete für die Fremdenbeherbergung oder als Wochenend- oder Ferienhausgebiete ausgewiesen sind, aber nach der tatsächlichen Nutzung das Gepräge solcher ausgewiesenen Gebiete haben. Des Weiteren werden sonstige Gebiete mit Fremdenverkehrsfunktion, die durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt sind, in den Geltungsbereich einbezogen. Entscheidend hierbei soll sein, dass Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung in einem Umfang vorhanden sind, dass von einer Prägung des Gebiets durch solche Betriebe ausgegangen werden kann. Dies trifft nach Auffassung der Antragsgegnerin auch zu, für die in das Satzungsgebiet einbezogenen Bereiche der Gemeinde K., die als allgemeine Wohngebiete, reine Wohngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete dargestellt oder faktisch vorhanden sind, da in diesen Gebieten, bis auf einzelne Grundstücke, überall in nennenswertem Umfang, also prägend, private oder Vermietung an Feriengäste erfolgt. Diese Erkenntnisse sollen sich in den vorgenommenen Abgrenzungen wiederspiegeln, welche als Anlagen 1 bis 8 Bestandteil der Satzung wurden (S. 16 der Normaufstellungsakte).
Für das Gebiet der Anlage 1 trifft die letzte Behauptung schlicht nicht zu. Dort sind, wie oben gezeigt wurde, keinerlei Beherbergungsbetriebe oder Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung vorhanden. Damit kann nach den eigenen Vorgaben der Antragsgegnerin auch nicht von einer Prägung des Gebiets durch solche Betriebe ausgegangen werden. Da auch sonstige Elemente nicht hinreichend dargelegt wurden, die ausnahmsweise eine Fremdenverkehrsfunktion des Gebiets begründen, liegen die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 3 BauGB nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. Satz 1 der Entscheidungsformel ebenso veröffentlichen wie der Bebauungsplan bekannt zu machen wäre (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB).


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