Baurecht

Baueinstellung bei formeller Rechtswidrigkeit

Aktenzeichen  15 ZB 16.672

Datum:
10.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 107802
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die formelle Rechtswidrigkeit genügt grundsätzlich für die Einstellung von Arbeiten gem. Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO. Dabei muss für eine Baueinstellung ein Verstoß gegen formelles (oder auch materielles) Baurecht nicht verwirklicht sein, sondern es reichen schon objektive, konkrete Anhaltspunkte dafür aus, dass solch ein Zustand geschaffen werden kann. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 7 K 14.624 2016-01-14 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Baueinstellungsverfügung für eine Kleinwindkraftanlage.
Unter dem Datum des 28. Februar 2010 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben „Errichtung einer Kleinwindanlage“ auf dem im bauplanungsrechtlichen Außenbereich (§ 35 BauGB) gelegenen Grundstück FlNr. … der Gemarkung L … (Baugrundstück). Nach den mit dem Bauantrag vorgelegten weiteren Unterlagen betraf der Bauantrag das Fabrikat „W …“. Die Beigeladene versagte das gemeindliche Einvernehmen.
Im Rahmen einer Baukontrolle am 25. März 2014 stellte das Landratsamt S … fest, dass der Kläger auf dem Baugrundstück – genau an dem Standort der geplanten Windkraftanlage – mit der ungenehmigten Errichtung eines Fundaments (Betonplatte mit einer darauf befestigten Metall-Trägerplatte) sowie eines Elektroverteilerkastens begonnen hatte. Hierauf verfügte das Landratsamt mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 26. März 2014 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Verpflichtung des Klägers, die Bauarbeiten sofort einzustellen. Im Rahmen einer weiteren Baukontrolle vom 7. April 2014 stellte das Landratsamt fest, dass entgegen der verfügten Baueinstellung ein Mast mit einer Höhe von ca. 18 m errichtet wurde, und zwar – wie sich später herausstellte – nunmehr für eine andere Windkraftanlage, nämlich für eine solche des Fabrikats „A …“.
Seine gegen die Baueinstellungsverfügung vom 26. März 2014 gerichtete Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Klage vom 14. Januar 2016 ab. Die nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 3 Buchst b BayBO nicht genehmigungsfreie Kleinwindkraftanlage sei – so das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen – ohne die nach Art. 55 Abs. 1 BayBO erforderliche Baugenehmigung errichtet worden. Bei genehmigungspflichtigen Anlagen genüge für die Anordnung der Baueinstellung die formelle Baurechtswidrigkeit. Ob das Vorhaben als genehmigungsfähig zu beurteilen sei oder nicht, sei unerheblich. Das Vorhaben sei jedenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Der Bescheid sei ferner ermessensfehlerfrei ergangen.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Zum Sachverhalt im Übrigen wird auf den heutigen Beschluss des Senats im Verfahren 15 ZB 16.673 Bezug genommen.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der als alleiniger Berufungszulassungsgrund geltend gemacht wird, zuzulassen. Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass allein schon ein formeller Verstoß gegen die Baugenehmigungspflicht für eine Baueinstellung gem. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO grundsätzlich ausreichend ist und dass es auf die Frage, ob das streitgegenständliche Vorhaben genehmigungsfähig ist, in diesem Fall grundsätzlich nicht ankommt, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Das insoweit maßgebliche, in offener Frist bei Gericht eingegangene Vorbringen des Klägers in der Zulassungsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Bauarbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Es ist in der bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (BayVGH, B.v. 9.2.2006 – 25 ZB 02.206 – juris Rn. 6; B.v. 19.1.2007 – 2 CS 06.3083 – juris Rn. 3; B.v. 20.1.2009 – 15 CS 08.1638 – juris Rn. 12) sowie in der Kommentarliteratur zur Bayerischen Bauordnung (Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 75 Rn. 4; Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: August 2016, Art. 75 Rn. 34, 37; Molodovsky in Molodovsky/Famers, Bayerische Bauordnung, Stand: November 2016, Art. 75 Rn. 21, 22) völlig unstreitig, dass die formelle Rechtswidrigkeit für die Einstellung von Arbeiten gem. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO grundsätzlich genügt. Das zeigen auch die gesetzlichen Beispielsfälle in Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayBO (Molodovsky a.a.O. Rn. 21).
Der Kläger vertritt in der Zulassungsbegründung demgegenüber die Rechtsansicht, dass es bei Anwendung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO dennoch schon grundsätzlich auf die Frage ankomme, ob das streitgegenständliche Vorhaben als genehmigungsfähig anzusehen ist. Die bloße formelle Illegalität reiche für eine Baueinstellung grundsätzlich für sich nicht aus. Es müsse vielmehr eine „Wahrscheinlichkeit der materiellen Illegalität“ hinzukommen. Insofern habe das Verwaltungsgericht die Obliegenheit gehabt, die Genehmigungsfähigkeit umfänglich zu prüfen.
Soweit sich der Kläger zum Beleg seiner Rechtsansicht auf eine Entscheidung des 14. Senats (BayVGH, B.v. 2.7.2007 – 14 CS 07.1313 – juris Rn. 14) beruft, missversteht er die von ihm zitierte Passage. Wenn dort – worauf sich der Kläger konkret beruft – ausgeführt wird, dass die Baueinstellung voraussetzt, dass „objektiv konkrete Anhaltspunkte gegeben sind, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird“ (vgl. ebenso Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: August 2016, Art. 75 Rn. 48; Molodovsky in Molodovsky/Famers, Bayerische Bauordnung, Stand: November 2016, Art. 75 Rn. 17), bezieht sich diese Aussage nicht auf das Erfordernis einer Wahrscheinlichkeit einer materiellen Rechtswidrigkeit, also einer fehlenden Genehmigungsfähigkeit. Die Aussage bezieht sich vielmehr darauf, dass die Einstellung von Arbeiten schon bei Vorliegen einer „Anscheinsgefahr“, also bereits dann angeordnet werden kann, wenn ein Rechtsverstoß aus dem Blickwinkel der Bauaufsichtsbehörde nicht hundertprozentig sicher ist, aber konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Arbeiten gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen (Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 75 Rn. 7). Solche ausreichenden Putativgefahren können sich auch aus konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen einer bloßen formellen Rechtswidrigkeit ergeben. Diese Rechtslage resp. Lesart ergibt sich schon aus eben jener Fundstelle, die der Kläger selbst zitiert und wo es (ebenfalls juris Rn. 14) auch heißt:
„Die Baueinstellung ist eine sicherheitsrechtliche Maßnahme, um die konkrete Gefahr, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand eintritt, zu beseitigen oder bereits eingetretene Störungen zu unterbinden.“
Ebenfalls wird diese Lesart bestätigt durch die Entscheidung BayVGH, B.v. 5.10.2006 – 14 ZB 06.1133 – juris Rn. 2, die in der vom Kläger zitierten Fundstelle als Quelle genannt wird. Dort heißt es wörtlich:
„Das angegriffene Urteil folgt der allgemein vertretenen Auffassung, dass sowohl für eine Baueinstellung als auch für eine Anordnung, Bauvorlagen einzureichen, ein Verstoß gegen formelles (oder auch materielles) Baurecht nicht verwirklicht sein muss, sondern vielmehr schon objektive, konkrete Anhaltspunkte dafür ausreichen, dass solch ein Zustand geschaffen werden kann.“
Selbst wenn im Rahmen des Ermessens bei Anwendung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit zu berücksichtigen wäre (zum Streitstand: Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: August 2016, Art. 75 Rn. 91), wäre von einer solchen hier nicht auszugehen. Schon die diversen Stellungnahmen behördlicher Fachstellen im Genehmigungsverfahren zu der in den Auswirkungen ähnlichen Kleinwindkraftanlage des Typs „W …“ zeigen, dass die Genehmigungsfähigkeit wegen möglicherweise entgegenstehender Belange nicht offensichtlich ist, auch wenn es um ein gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiertes Vorhaben geht:
– Die Fachstelle Immissionsschutz des Landratsamts S … äußerte sich unter dem 24. November 2010 (bestätigt durch spätere nochmalige Stellungnahme vom 6. Februar 2012) dahingehend, dass eine überschlägige Lärmprognose am nächstgelegenen Immissionsort einen Beurteilungspegel erwarten lasse, der deutlich über dem Beurteilungspegel von 40 dB(A) in einem allgemeinen Wohngebiet liege. Der Bauherr müsse entsprechende schalltechnische Nachweise vorlegen.
– Auch die Fachstelle Naturschutz äußerte sich unter dem 6. Dezember 2010 (bestätigt durch spätere nochmalige Stellungnahme vom 9. Januar 2012) kritisch mit dem zusammenfassenden Ergebnis, dass das Vorhaben am vorgesehenen Standort aufgrund der gegebenen landschaftlichen Situation, der Naturausstattung sowie des vorhandenen Arteninventars aus der Sicht des Natur- und Artenschutzes nicht befürwortet werden könne. Es stehe nicht nur im Widerspruch zu den Zielsetzungen des Landesentwicklungsprogramms Bayern zum Siedlungswesen und zur Pflege und Entwicklung der Landschaft, sondern verstoße auch gegen allgemeine Grundsätze des Artenschutzes.
– Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege lehnte das Vorhaben mit Stellungnahme vom 21. Dezember 2010 „aus denkmalfachlicher Sicht (…) strikt ab“. Neben der Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes sei denkmalfachlich gravierend insbesondere die Tatsache, dass durch den Mast das besondere historische Erscheinungsbild der bedeutenden Burganlage gestört würde. Burgen und ihre zugehörigen Siedlungen seien meist auf eine Fernwirkung („Sehen und Gesehenwerden“) hin angelegt. Bedingt durch die Repräsentation- und Wehrfunktion ihrer Gebäude seien diese meist auf dem topografisch höchsten Punkt des Gebiets angelegt worden, sodass sie meist auch schon von weitem her sichtbar seien. Auch in L … sei dies so. Jegliche Einschränkung dieser seit altersher gewohnten Sichtachsen stelle einen erheblichen Störfaktor für die gewohnten Blickbeziehungen dar, der unbedingt zu vermeiden sei. Sollte die Anlage genehmigt werden, sei zu befürchten, dass die historische Aussagekraft des mittelalterlichen Baukomplexes dauerhaft beeinträchtigte werde (vgl. hierzu auch die spätere Stellungnahme der Unteren Denkmalschutzbehörde im Landratsamt, E-Mail vom 11. Januar 2012).
– Mit E-Mail vom 17. April 2014 wies die Stadt M …- … das Landratsamt darauf hin, dass das Baugrundstück in einem Bereich liege, der im geltenden Flächennutzungsplan mit integriertem Landschaftsplangebiet besonders ausgewiesen sei. Nach den in Kopie vorliegenden Unterlagen in den Akten des Landratsamts (Bl. 110 ff. der Bauantragsakte 1179/2010) sowie dem in den Akten befindlichen Original-Landschaftsplan befindet sich dort ein „Gebiet mit besonderer Bedeutung für den Naturhaushalt“ mit der Festsetzung folgender „Entwicklungsziele und Maßnahmen:
– Freihaltung von dichten Nadelholzaufforstungen
– Möglichst extensive landwirtschaftliche Nutzung
– Verzicht auf Bebauung
– Erhalt und möglichst qualitative Aufwertung der wertvollen Lebensraumstrukturen
– Sicherung und Verbesserung der Biotopverbundsituation
– Besondere Eignung für die Durchführung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“
Die vom Kläger erhobenen Einwendungen, wonach das Vorhaben entgegen den Äußerungen der Fachstellen genehmigungsfähig sei, sind im Baugenehmigungs-verfahren für die Anlage des Typs „A…“ bzw. im Falle der Ablehnung des diesbezüglichen Bauantrags im Rahmen einer sich anschließenden Verpflichtungsklage zu prüfen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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