Baurecht

Baueinstellung, Ermessen, Offensichtliche Genehmigungsfähigkeit

Aktenzeichen  9 ZB 20.565

Datum:
9.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9529
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 9 K 18.2337 2019-12-11 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine zwangsgeldbewehrte Baueinstellung.
Der Klägerin war mit Bescheid der Beklagten vom 21. September 2016 eine Baugenehmigung für ihr Bauvorhaben Nutzungsänderung eines Nebengebäudes zu einem Wohnhaus auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung G., (P.straße, N.*) unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten zu den Baugrenzen erteilt worden.
Mit Bescheid vom 2. November 2018 hat die Beklagte die am 31. Oktober 2018 fernmündlich verfügte Baueinstellung bezüglich dieses Bauvorhabens bestätigt, nachdem sie an diesem Tag bei einer Baukontrolle festgestellt hatte, dass der Dachstuhl und die südliche sowie die östliche Außenwand angebrochen worden waren. Der Bescheid wurde mit der Abweichung von den genehmigten Bauvorlagen, mit der Nichtvorlage einer vollständig ausgefüllten Baubeginnsanzeige und einem Widerspruch der Bauarbeiten zu Art. 6 BayDSchG hinsichtlich des in der Nähe befindlichen Baudenkmals K.straße … begründet.
Die gegen den Bescheid der Beklagten vom 2. November 2018 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Dezember 2019 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen.
1. Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
Das Zulassungsvorbringen vermag die geltend gemachten Ermessensfehler hinsichtlich der auf Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a und Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBO gestützten Baueinstellungsverfügung der Beklagten nicht aufzuzeigen. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen kann und soll regelmäßig eine Baueinstellungsverfügung ergehen (intendiertes oder Regelermessen; vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 14). Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, das keine Fehler in der Ermessensausübung zu erkennen seien, zumal die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens infolge des umfangreichen Abrisses wesentlicher Bauteile jedenfalls nicht offensichtlich sei.
Die Klägerin legt eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ihres Bauvorhabens auch nicht dar, indem sie ausführt, nur ein kleiner Teil der südlichen Außenwand sowie eine an sich verfahrensfreie Innenwand seien aus statischen Gründen bzw. Gründen der fehlenden Standsicherheit (zusätzlich) abgetragen worden und bei der Wiederherstellung des Gebäudes solle trotz des Austausches von Bauteilen von der erteilten Baugenehmigung nicht abgewichen werden. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen hat, dass eine Baueinstellung auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn Bauteile oder bauliche Anlagen, die isoliert betrachtet genehmigungsfrei wären, als Bestandteil eines genehmigungspflichtigen Gesamtbauvorhabens nicht der erteilten Baugenehmigung gemäß ausgeführt werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.1999 – 14 B 95.3778 – juris Rn. 18), worauf im Zulassungsvorbringen nicht eingegangen wird, setzt sich die Klägerin auch nicht ausreichend damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht nach den in den Behördenakten befindlichen Fotos, wie auch schon die Beklagte, davon ausgegangen ist, dass das Nebengebäude entgegen der erteilten Baugenehmigung annähernd vollständig beseitigt worden ist, indem der Dachstuhl und die südliche sowie die östliche Außenwand angebrochen worden sind. Nach dem Inhalt der Baugenehmigung vom 21. September 2016 sei der Abbruch in diesem Umfang nicht erlaubt gewesen. Der genehmigte Grundrissplan zum Erdgeschoss und die Baubeschreibung sähen den Erhalt der westlichen und nordwestlichen Außenwände und – in gelber Farbe markiert – lediglich bestimmte neue Öffnungen in der Außenwand vor, nicht aber die Beseitigung einer durchgehenden Innenwand und auch nicht die vollständige Beseitigung aller vier Außenwände, die als Bestand in schwarzer Farbe dargestellt seien. Auch in der Baubeschreibung seien die Außenwände, die tragenden Wände, Stützen und die Bauteile des Daches jeweils als Bestand bezeichnet.
Auch mit dem Einwand, das Bauvorhaben weise weiterhin den gleichen Baukörper bzw. die gleiche Kubatur auf und die Befreiung von der bauplanungsrechtlichen Festsetzung zu den Baugrenzen sowie die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis seien mit der Baugenehmigung vom 21. September 2016 bereits erteilt worden, zieht die Klägerin die vorgenannten Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel. Gleiches gilt auch, soweit das Verwaltungsgericht darauf abgestellt hat, dass, unabhängig davon, ob der neu gebaute Zustand dem ursprünglich genehmigten Zustand entspreche, infolge des umfangreichen Abbruchs öffentlich-rechtliche Vorschriften, wie u.a. der Brandschutz, die Statik, der Denkmalschutz sowie das Planungsrecht durch die Änderungen berührt seien, weshalb eine neue Prüfung der Zulässigkeit des Bauvorhabens erforderlich sei, weil nicht mehr von Bestandschutz ausgegangen werden könne. Ist ein Bestandschutz, den das Nebengebäude vermittelte, untergegangen und deshalb nicht mehr von einer Nutzungsänderung, sondern quasi von einem Neubauvorhaben auszugehen, ist die Genehmigungsfrage u.a. sowohl hinsichtlich der von der Klägerin angesprochenen Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. … zu den Baugrenzen als auch in Bezug auf das entgegen der Auffassung der Klägerin weiterhin relevante Erfordernis einer denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis wegen der nach wie vor bestehenden Nähe zu einem Baudenkmal (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 BayDSchG) neu aufgeworfen (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2019 – 15 ZB 18.1275 – juris Rn. 12). Daran ändert auch der von der Klägerin zur Begründung einer vorliegenden Atypik weiter angeführte Umstand, der Rückbau sei aus zwingenden statischen Gründen, geboten gewesen, um die Standsicherheit des Gebäudes zu erhalten, nichts. Davon wird weder die formelle Rechtswidrigkeit des Bauvorhabens tangiert noch die Notwendigkeit, zur Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit einen neuen Bauantrag mit vollständigen Bauvorlagen zur Genehmigung zu stellen. Besondere Gründe, um eine andere Entscheidung als die Baueinstellung zu rechtfertigen, liegen somit nicht vor (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 1 CS 20.1204 – juris Rn. 11 m.w.N.).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen.
Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz eines in der Vorschrift genannten Gerichts abweicht. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 5).
Dem genügt das Zulassungsvorbringen, das Urteil weiche von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 2.11.1995 – 2 CE 95.2851 – juris) ab, wonach eine Baueinstellung ermessensfehlerhaft sein kann, wenn das Vorhaben zwar formell rechtswidrig, aber offenkundig materiell rechtmäßig ist, schon deshalb nicht, weil kein abweichender tragender abstrakter Rechtssatz im Urteil des Verwaltungsgerichts benannt wird. Die Klägerin hält dem Verwaltungsgericht, das in seinem Urteil darauf hingewiesen hat, dass die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit allenfalls im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung der Behörde eine Rolle spielt, und das Bauvorhaben nach dem umfangreichen Abriss wesentlicher Bauteile jedenfalls nicht als offensichtlich genehmigungsfähig angesehen hat, im Grunde auch nur vor, den benannten vom Verwaltungsgericht aber nicht in Frage gestellten Rechtssatz falsch angewandt zu haben. Abgesehen davon, dass dies, wie den Ausführungen unter 1. zu entnehmen ist, nicht zutrifft, kann eine Divergenzrüge darauf nicht gestützt werden (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 9 ZB 15.376 – juris Rn. 18 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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