Baurecht

Baueinstellung – Umbaumaßnahmen für Nutzungsänderung

Aktenzeichen  AN 9 S 20.01552

Datum:
19.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6141
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 55, Art. 57, Art. 75

 

Leitsatz

1. Der rechtmäßige Erlass einer Baueinstellungsverfügung setzt nur voraus, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht dagegen auch die tatsächliche Verwirklichung der Vermutung. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Baueinstellung beinhaltet keine Aussage über die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens. Sie stellt nur sicher, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens aufgrund ordnungsgemäßer Bauvorlagen im vorgesehenen Verfahren erfolgt und bis dahin keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 57 Abs. 1 BayBO will nur solche Vorhaben privilegieren, bei denen sich hinsichtlich des Bestandes die Frage nach der Legalität nicht stellt, da das Vorhaben entweder genehmigt ist oder aus sonstigen Gründen Bestandsschutz genießt. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Liegen die Voraussetzungen für eine Baueinstellung vor, ist nach dem Zweck der Baueinstellung, möglichst frühzeitig in den Entstehungsprozess illegaler Vorhaben einzugreifen, regelmäßig die Baueinstellung auszusprechen. Vor der Baueinstellung kann die Baubehörde nicht generell zur Prüfung verpflichtet sein, ob die Arbeiten offensichtlich genehmigungsfähig sind. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine an ihn gerichtete Baueinstellungsverfügung der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller ist Bauherr des Vorhabens auf dem Grundstück Flurnummer … der Gemarkung … bei … – Anwesen … Das Grundstück ist mit einem Gebäude bebaut, das aus einem ehemals als „Kleinwohnhaus“ genehmigten Teil sowie einem später angebauten Lagerkomplex besteht. Aus der Tekturgenehmigung für den Lageranbau vom 17. August 1967 ergibt sich dabei für die entstehende Anlage aus ehemaligem Wohnhaus und Anbau einheitlich eine gewerbliche Nutzung.
Mit Bauantrag vom 22. Juli 2019 beantragte der Antragsteller die Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung von reinem Gewerbein Wohn- und Gewerberaum sowie für den Anbau zweier Balkone. Am 18. Dezember 2019 informierte die Antragsgegnerin den Antragsteller, dass eine Baugenehmigung wohl nicht erteilt werden könne, auch weil nicht die erforderlichen Unterlagen vorlägen. Im Anschluss korrespondierte der Antragsteller mehrfach mit der Antragsgegnerin. Weitere Nachweise legte er nicht vor; zu einzelnen Fragen beantragte der Bauleiter des Antragstellers eine Abweichung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften.
Am 28. April 2020 verfügte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller mündlich die Baueinstellung; mit Bescheid vom 04. Mai 2020 bestätigte die Antragsgegnerin die Baueinstellungsverfügung schriftlich und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit der Baueinstellungsverfügung an (Ziff. 1). Danach seien die Bauarbeiten für die Nutzungsänderung von reiner Gewerbefläche in Wohn- und Gewerbefläche (4 Wohneinheiten) und für den Anbau von 2 Balkonen ab sofort einzustellen. Zugleich drohte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Fall, dass der Baueinstellung nicht sofort Folge geleistet werden sollte ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 EUR an (Ziff. 2).
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, sie habe bei einer Ortseinsicht am 28. April 2020 festgestellt, dass der Antragsteller im Anwesen … in … Bauarbeiten ausführe, obwohl sein Bauantrag vom 22.Juli 2019 noch nicht genehmigt worden sei. Die Genehmigung habe bisher nicht erteilt werden können; letztmals sei der Antragsteller am 18. Dezember 2019 aufgefordert worden, Unterlagen zum Bauantrag nachzureichen. Zur Zeit der Baueinstellung am 28. April 2020 seien im Anwesen bereits folgende Arbeiten ausgeführt worden: Errichtung von Leichtbauwänden im Treppenhaus des Obergeschosses für die Abtrennung zweier Wohnungen, Errichtung von Leichtbauwänden und Durchführung von Installations- und Trockenbauarbeiten in der Wohnung im Obergeschoss rechts, Errichtung von Leichtbauwänden und Durchführung von Installations- und Trockenbauarbeiten in der Wohnung im Obergeschoss links, Errichtung von Leichtbauwänden und Durchführung von Sanitär-, Installations- und Trockenbauarbeiten im Kellergeschoss. Ausdrücklich zugestanden habe die Antragsgegnerin die Durchführung folgender Kleinarbeiten am Objekt … in …: Reparatur eines Gartenzauns zum Nachbaranwesen, Anlegen eines Gartens sowie Austausch einer (defekten) Türklingelanlage.
Die Antragsgegnerin begründete die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit aus Ziff. 1 des Bescheides im Wesentlichen wie folgt: Es liege im öffentlichen Interesse einzuschreiten und die Fortsetzung unzulässiger Bauarbeiten zu verhindern; sonst würden vollendete Tatsachen geschaffen. Zudem werde die nötige Ordnung im Bauwesen untergraben, wenn der Bauordnung widersprechende Arbeiten ohne Weiteres fortgesetzt werden dürften.
Gegen den Bescheid vom 04 Mai 2020 hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 03. Juni 2020 zunächst Klage erhoben (AN 9 K 20.01048). Am 12. August 2020 hat er zudem einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Mit Blick auf die Sofortvollzugsanordnung aus Ziff. 1 des Bescheides vom 04. Mai 2020 meint der Antragsteller, die dortige Begründung des Sofortvollzuges genüge nicht den Anforderungen aus §§ 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO. Es seien nähere Ausführungen zum öffentlichen Interesse an der Verhinderung unzulässiger Bauarbeiten sowie dazu nötig, dass bei Fortführung der Bauarbeiten schwer zu beseitigende, vollendete Tatsachen geschaffen werden.
In tatsächlicher Hinsicht räumt er ein, die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Arbeiten zur Schaffung von Wohnungen im Anwesen … in … vorgenommen zu haben. Die Antragsgegnerin habe erst nach langer Zeit auf seinen Bauantrag reagiert. Sie habe mehrfach die Ergänzung der Bauunterlagen verlangt. Er habe diesbezüglich mehrmals Stellung genommen. Angesichts der Verfahrensdauer habe er sich entschlossen, die Baumaßnahmen im verfahrensgegenständlichen Gebäude durchzuführen.
In rechtlicher Hinsicht führt der Antragsteller aus, dass die Einstellungsverfügung rechtswidrig sei: Voraussetzung für eine Baueinstellung sei nach Art. 75 Abs. 1 BayBO, dass die Errichtung einer Anlage ohne die erforderliche Baugenehmigung erfolge. Die von ihm vorgenommenen Arbeiten seien indes nicht tauglicher Gegenstand einer Baueinstellungsanordnung. Zwar könnten Arbeiten, die für sich betrachtet nicht genehmigungspflichtig sind, einer Genehmigungspflicht unterliegen, wenn sie den Beginn der Verwirklichung eines genehmigungspflichtigen Bauvorhabens darstellten. Dies aber nur, wenn die Bauvorhaben Anzeigeverfahren oder einer Genehmigungsfreistellung unterworfen seien. Verfahrensfreie Arbeiten, die als solche bezogen auf die Bausubstanz keinen materiell rechtswidrigen Zustand hervorriefen, seien auch verfahrensfrei, wenn sie eine genehmigungspflichtige Nutzung vorbereiteten. Der Antragsteller verweist insoweit auf Jäde.
Der Antragsteller meint, die vorgenommenen Arbeiten seien weder formell, noch materiell illegal. Die getätigten Installations- und Sanitärarbeiten seien als verfahrensfreie Instandhaltungsarbeiten nach Art. 57 Abs. 6 BayBO einzustufen. Instandhaltungsarbeiten seien solche, die dazu dienen, die Gebrauchsfähigkeit und den Wert von Anlagen unter Belassung der Konstruktion und äußerer Gestalt zu erhalten und die weder Errichtung noch Änderung sind. Von Instandhaltungsarbeiten sei erst dann nicht mehr auszugehen, wenn eine Baumaßnahme bei verständiger Gesamtbetrachtung als Neuerrichtung einer baulichen Anlage anzusehen sei.
Darüber hinaus meint der Antragsteller, die Errichtung von Leichtbauwänden und die Vornahme von Trockenbauarbeiten erfüllte den Tatbestand der Errichtung und Änderung nichttragender Bauteile in baulichen Anlagen; mithin sei insoweit Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 lit. a,b BayBO gegeben.
Schließlich meint der Antragsteller, im Hinblick auf die durchgeführten Arbeiten des Antragstellers läge auch keine materielle Illegalität vor. Sollte die Antragsgegnerin dies anders sehen, könne er aber auch ein anderes Nutzungsmodell verfolgen.
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der am 03.06.2020 erhobenen Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.05.2020 (Az.: B0-2020-15) wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf den Inhalt der angegriffenen Verwaltungsentscheidung. Ergänzend meint sie, die vom Antragsteller vorgenommenen Arbeiten seien nicht als verfahrensfreie Arbeiten nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO einzustufen. Weiter handele es sich bei der von der Antragstellerin herangezogenen Ansicht von Jäde um eine Mindermeinung. Vorliegend handele es sich um die Umsetzung eines beantragten, nicht genehmigten Vorhabens. Die Nutzungsänderung von Gewerbe in Wohnen sei nach Art. 55 BayBO genehmigungspflichtig. Die vom Antragsteller vorgenommenen Arbeiten wiesen einen zeitlichen Bezug zur am 22. Juli 2019 zur Genehmigung beantragten Nutzungsänderung auf. Die Nutzungsänderung sei zur Zeit der Einstellungsverfügung weit fortgeschritten gewesen; eine der beantragten Wohnungen sei bereits fertiggestellt worden. Die Antragsgegnerin meint, die festgestellten Arbeiten seien als Bestandteil des genehmigungspflichtigen Vorhabens ebenfalls genehmigungspflichtig. Dies gälte selbst wenn einzelne Arbeiten für sich betrachtet genehmigungsfrei sein sollten. Ein Gesamtvorhaben sei baurechtlich grundsätzlich als Einheit zu betrachten. Bei genehmigungspflichtigen Nutzungsänderungen seien vor Erteilung der Baugenehmigung alle Bauarbeiten unzulässig, die der Verwirklichung der neuen Nutzung dienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
II.
1.
Gegenstand des vorliegenden Antrags ist zum einen die angeordnete sofortige Vollziehbarkeit der mündlich verfügten Baueinstellung, die zusammen mit der schriftlichen Bestätigung der Baueinstellung mit Bescheid vom 04. Mai 2020 eine rechtliche Einheit bildet (Simon/Busse/Decker, 139. EL Oktober 2020, BayBO Art. 75 Rn. 28): Die in der Hauptsache diesbezüglich erhobene Klage hat wegen des unter Ziff. 1 des Bescheids angeordneten Sofortvollzugs der Baueinstellung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
Gegenstand ist darüber hinaus die kraft Gesetzes (Art. 21a VwZVG) sofort vollziehbare Zwangsmittelandrohung, wobei die Statthaftigkeit insoweit aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO folgt.
Zwar hat der Antragsteller explizit nur die „Wiederherstellung“ der aufschiebenden Wirkung beantragt (§ 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO) – mit Blick auf die Zwangsgeldandrohung kommt angesichts der gesetzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehbarkeit aber nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht (§ 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO). Im Übrigen trägt er nichts zur Frage der Rechtmäßigkeit des Zwangsgeldes vor.
Allerdings ist sein Begehren nach § 88 VwGO analog dahin auszulegen, dass es ihm auch um eine solche Anordnung geht. Dies vor allem, weil er in seiner Antragschrift vom 12. August 2020 zum Ausdruck brachte, dass der Klage vom 03. Juni 2020 aufgrund des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in Gänze aufschiebende Wirkung zukommen soll. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass es ihm nur hinsichtlich eines einzelnen Klageantrags um das Bestehen der aufschiebenden Wirkung ginge.
2.
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage im Fall des gesetzlich angeordneten Entfallens anordnen bzw. im Fall des behördlich angeordneten Sofortvollzugs wiederherstellen. Dabei trifft das Gericht eine eigene originäre Ermessensentscheidung. Entscheidend ist, ob nach der sich zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage die für den sofortigen Vollzug oder die für die Aussetzung des Vollzugs sprechenden Interessen höher zu gewichten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen: Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich Erfolg haben, wird regelmäßig die aufschiebende Wirkung anzuordnen sein – an der Vollziehung voraussichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte besteht kein besonderes öffentliches Interesse. Wird die Hauptsache hingegen voraussichtlich erfolglos sein, ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrages. Sind die Erfolgsaussichten offen, ist auf Basis einer allgemeinen Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2019 -15 CS 18.2459 – juris Rn. 25).
Nach diesen Grundsätzen bleibt der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 12. August 2020 ohne Erfolg.
a.
Die Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts im Bescheid vom 04. Mai 2020 ist nicht zu beanstanden.
Nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO bedarf es im Fall des behördlich angeordneten Sofortvollzugs einer Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung. Hintergrund dieser besonderen Begründungspflicht ist im Wesentlichen zweierlei: Einerseits bezweckt sie, die Behörde dahingehend zu sensibilisieren, dass sie vom gesetzlichen Regelfall der Suspensivwirkung abweicht. Neben der Schärfung des Bewusstseins für den Ausnahmecharakter dient die Begründung auch der Information vor allem des betroffenen Verwaltungsaktsadressaten, damit dieser seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Angesichts dieser Zweckrichtungen verbieten sich formelhafte, nicht auf den Einzelfall bezogene Begründungen. Allerdings sind an die Begründung auch keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. Je häufiger die Konstellation, die mit dem Sofortvollzug geregelt werden soll, desto eher kann die Begründung auch typisierende Züge aufweisen (zum Ganzen: Kopp/Schenke § 80 Rn. 84-86). Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es für die Frage des Vorliegens einer einzelfallbezogenen Begründung nicht an (statt aller: Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 80 Rn. 55).
Nach dem Vorstehenden reicht die Begründung der Sofortvollzugsanordnung der vorliegenden Ziff. 1 des Bescheides aus und ist formell rechtmäßig. Die Antragsgegnerin bewertet die konkrete Situation und trägt eine fallbezogene Begründung vor. So verweist sie darauf, dass der Sofortvollzug zur Verhinderung unzulässiger Bauarbeiten nötig sei. Die nötige Ordnung im Bauwesen würde untergraben werden, wenn der Rechtsordnung widersprechende Bauarbeiten bei Einlegung eines Rechtsbehelfs zunächst fortgesetzt werden könnten. Im Übrigen schüfe die Fortsetzung der Bauarbeiten schwer zu beseitigende vollendete Tatsachen.
b.
Darüber hinaus erweist sich die in Ziff. 1 des Bescheides vom 04. Mai 2020 ausgesprochene Baueinstellungsverfügung nach der gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig, so dass eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des Antragsstellers nicht zu erwarten ist.
aa.
Rechtsgrundlage für die bauaufsichtliche Einstellung eines Bauvorhabens ist Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO.
(a)
Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Bauarbeiten insbesondere einstellen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden.
Die Einstellung von Bauarbeiten kann grundsätzlich bei jedem Verstoß gegen Vorschriften verfügt werden, die vom Anwendungsbereich des Art. 75 erfasst werden. Darunter fallen sowohl formelle, als auch materielle Verstöße (statt Vieler: BeckOK BauordnungsR Bayern/Manssen, 17. Ed. 1.1.2021, BayBO Art. 75 Rn. 6-6.1). Für eine Baueinstellung genügt somit die formelle Illegalität begonnener Bauarbeiten, mithin, dass für das Vorhaben keine Genehmigung vorliegt oder von genehmigten Plänen abgewichen wird (vgl. Art. 75 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 68 Abs. 6 BayBO).
Entscheidend ist somit, ob die Behörde im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung nach den ihr erkennbaren objektiven Umständen annehmen durfte, dass die von ihr festgestellten Arbeiten den Beginn der Ausführung eines genehmigungspflichtigen (Gesamt-)Vorhabens darstellen. Es soll geprüft werden können, ob das Vorhaben mit dem öffentlichen Recht vereinbar ist, bevor ein rechtswidriger Zustand entstanden ist oder sich verfestigt. Der rechtmäßige Erlass einer Baueinstellungsverfügung setzt nur voraus, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht dagegen auch die tatsächliche Verwirklichung der Vermutung (vgl. BayVGH, U. v. 02.09.1982 – 2 B 81 A.984 -, juris; U.v. 27.8.2002 – 26 B 00.2110 – juris Rn. 22; B.v. 5.10.2006 – 14 ZB 06.1133 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 1 CS 18.308 – juris Rn. 9).
Dabei beinhaltet die Baueinstellung keine Aussage über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens. Sie stellt nur sicher, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens aufgrund ordnungsgemäßer Bauvorlagen im vorgesehenen Verfahren erfolgt und bis dahin keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden (st. Rspr., vgl. BayVGH, B. v. 14.11.2001 – 20 ZB 01.2648 – juris).
Vorliegend ist festzustellen, dass die festgestellte und vom Antragsteller eingeräumte Bautätigkeit das Genehmigungserfordernis aus Art. 55 Abs. 1 BayBO auslöst, der Antragsteller und Bauherr aber nicht über eine Baugenehmigung verfügt.
(aa)
Nach Art. 55 Abs. 1 BayBO bedarf die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung, sofern nicht u.a. in Art. 57 BayBO etwas anderes bestimmt ist.
Der Antragsteller beantragte mit seinem Bauantrag vom 22. Juli 2019 die Genehmigung für eine Nutzungsänderung von reinem Gewerbe in Wohn- und Gewerberaum. Im zeitlichen Zusammenhang nahm er Bauarbeiten vor, die erkennbar auf die Umsetzung dieser Nutzungsänderung von Gewerbe zu Wohnen ausgerichtet waren: Der Antragsteller hat im Treppenhaus des Obergeschosses des ehemals gewerblich genutzten gegenständlichen Anwesens Leichtbauwände für die Abtrennung zweier Wohnungen errichtet und in den künftigen Wohnungen im Obergeschoss rechts und im Obergeschoss links sowie im Kellergeschoss Leichtbauwände erstellt und Installations- und Trockenbauarbeiten durchgeführt.
Im Übrigen gestand der Antragsteller in seiner Antragsbegründung zu, dass die Arbeiten der Umsetzung seines Bauvorhabens dieser Nutzungsänderung dienten.
(bb)
Bei den Arbeiten zur Umsetzung der Nutzungsänderung handelt es sich auch nicht um verfahrensfreie Instandhaltungsarbeiten i.S.d. Art. 57 Abs. 6 BayBO.
Dies schon deshalb, da es dem Antragsteller nach seinem Bauantrag vom 22. Juli 2019 um eine Nutzungsänderung von reinem Gewerbe in Wohn- und Gewerberaum geht. Wie ausgeführt ist die Nutzungsänderung i.S.d. Art. 55 Abs. 1 BayBO aber ein eigener, von der Errichtung und Änderung unabhängiger Genehmigungstatbestand.
Dabei spricht wie dargelegt bereits der enge zeitliche Zusammenhang des laufenden Genehmigungsverfahrens mit den am 28. April 2020 dokumentierten Bauarbeiten dafür, dass die Arbeiten der Realisierung einer nicht genehmigten (Wohn-)Nutzung dienten. Im Übrigen hat der Antragsteller dies wie skizziert in seiner Antragsbegründung eingeräumt. Irrelevant ist der Vortrag des Antragstellers, wonach die vorgenommenen Installations- und Sanitärarbeiten wesentliche Bauteile des Gebäudes … in … unangetastet lassen, weshalb nicht von einer Neuerrichtung auszugehen sei: Diese Argumentation ist für die Frage genehmigungspflichtigen Nutzungsänderung ohne Bedeutung – ihr kann nur für die hier nicht entscheidende Unterscheidung verfahrensfreier Instandhaltungsarbeiten von der nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtigen Änderung und Neuerrichtung von Anlagen Bedeutung zukommen.
(cc)
Weiter lässt sich auch nicht über Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO eine Verfahrensfreiheit der Errichtung von Leichtbauwänden und Trockenbauarbeiten erreichen.
Dies schon deshalb, weil diese Vorschrift nicht zur Verfahrensfreiheit einer Nutzungsänderung führen kann (andernfalls bedurfte es keiner speziellen Regelung zur Verfahrensfreiheit bestimmter Nutzungsänderungen, Art. 57 Abs. 4 BayBO).
Doch selbst wenn man darüber hinweggehen wollte und alle durchzuführenden Maßnahmen für sich betrachtet unter Verfahrensfreiheitstatbestände nach Art. 57 Abs. 1 BayBO fielen (zum Einbau von Trennwänden s. Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 a BayBO, zum Einbau haustechnischer Anlagen Art. 57 Abs. 1 Nr. 2 b BayBO), greift Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO nicht ein.
Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO hat zwei Fälle im Blick: Zum einen sind die in Abs. 1 Nr. 11 aufgeführten Errichtungen oder Änderungen tragender oder nichttragender Bauteile verfahrensfrei, wenn sie als neue selbständige Vorhaben nachträglich an baulichen Anlagen ausgeführt werden, die fertiggestellt und sicher benutzbar sind. Hier scheidet dies aus, da der Einbau der Wände und die Vornahme von Trockenbau-, Sanitär- und Installationsarbeiten auch nach dem Vortrag des Antragstellers kein selbstständiges Vorhaben darstellen, sondern der Vorbereitung der künftigen Wohnnutzung dienen.
Insofern käme nur der zweite Anwendungsfall des Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO in Betracht: Danach müssten die Änderungen vor Fertigstellung des Hauptbauvorhabens erfolgen. Als unselbständige Teile von Vorhaben, die mit diesen noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, sind sie ebenfalls baugenehmigungsfrei – schon vor Fertigstellung. Bei genehmigungspflichtigen Bauvorhaben handelt es sich dabei um eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die Baugenehmigungspflicht des Bauvorhabens auch die verfahrensfreien Teile erfasst. Der Gesetzgeber hat die Regelung damit begründet, dass „die Genehmigungsfreiheit auch auf – wegen der Einheit der (genehmigungspflichtigen) baulichen Anlage an sich der Baugenehmigungspflicht unterliegende – Sachverhalte erstreckt wird, die noch vor Fertigstellung des Bauvorhabens, also während der Bauausführung von der Genehmigung abweichend ins Werk gesetzt werden, da sie nur marginal in das Vorhaben eingreifen und sich praktische Gründe für eine unterschiedliche Behandlung kaum angeben lassen“ (LT-Drs. Nr. 13/7008 v. 22.1.1997, S. 40; vgl. auch die Gesetzesbegründung zu Art. 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 1994, dass es „von der baurechtlichen Relevanz ohne Belang ist, ob sich die betreffende bauliche Anlage noch im Bau befindet oder schon fertig gestellt ist“ (LT-Drs. Nr. 12/13482 v. 18.11.1993, S. 57). Hier kann der Bauherr von der Baugenehmigung (z. B. hinsichtlich des Dachgeschossausbaues, der Fassadenverkleidung) rechtmäßig abweichen.
Die hiesige Konstellation entspricht diesem Fall aber nicht: Die Änderungen sollen hier für eine Wohnnutzung erfolgen, die genehmigungsbedürftig, aber nicht genehmigt ist. Somit ist der Bestand nicht baurechtlich genehmigt. Aus diesem Grund hat der Antragsteller die Erteilung einer Baugenehmigung beantragt. Art. 57 Abs. 1 BayBO will aber nur solche Vorhaben privilegieren, bei denen sich hinsichtlich des Bestandes die Frage nach der Legalität nicht stellt, da das Vorhaben entweder genehmigt ist oder aus sonstigen Gründen Bestandsschutz genießt.
(dd)
Angesichts der unterschiedlichen öffentlich-rechtlichen Anforderungen an Gewerbe- und an Wohnimmobilien, etwa für die Herstellung und Bereithaltung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradabstellplätzen, lässt sich die Verfahrensfreiheit auch nicht auf Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 oder Nr. 2 BayBO stützen – den der Antragsteller auch gar nicht angeführt hat.
(ee)
Nach alledem sind die vom Antragsteller getätigten Arbeiten nicht verfahrensfrei nach Art. 57 BayBO. Sollte die vorgetragene Ansicht Jädes – die ohnehin wohl vereinzelt geblieben ist – überhaupt den hiesigen Fall im Blick haben, wird dieser nicht gefolgt: Die begonnenen Arbeiten – der Antragsteller bestreitet dies nicht – dienten hier nur dem Ziel, die geplante Nutzungsänderung des Gebäudes zu verwirklichen. Der Antragsteller kann sein Bauvorhaben aber nicht beliebig aufteilen, um so eine vermeintliche (teilweise) Genehmigungsfreiheit zu erreichen. Ebenso wenig kommt es in Betracht, ein als zu langsam empfundenes Genehmigungsverfahren zum Anlass zu nehmen, ohne Baugenehmigung zu bauen und insoweit vollendete bzw. nur schwer zu beseitigende Zustände zu schaffen. Der Antragsteller muss vor der Ausführung des Bauvorhabens die für die einheitliche Baumaßnahme „Nutzungsänderung“ nötige Baugenehmigung beantragen und die Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde hierüber abwarten (ähnlich schon: BayVGH, B.v. 09. Februar 2006 – 25 ZB 02.206 -, Rn. 5, juris; vgl. zum Ganzen auch: Simon/Busse/Lechner/Busse, 139. EL Oktober 2020 Rn. 412, BayBO Art. 57 Rn. 412).
bb.
Als Bauherr ist der Antragsteller tauglicher Adressat der Einstellungsverfügung. Er ist der sachnächste Störer im Rechtssinn, da er die Bauarbeiten unternommen hat. Er konnte insoweit herangezogen werden. Daher war auch nicht zu ermitteln, ob er auch Eigentümer, mithin Zustandsstörer ist – was nach Aktenlage jedenfalls naheliegt.
cc.
Das Gericht kann zudem keine Fehler in der Ermessensausübung erkennen, § 114 Satz 1 VwGO.
Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsnorm des Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO vor, liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, eine Baueinstellungsverfügung zu erlassen. Die Ermessensausübung ist nach § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur darauf zu überprüfen, ob die die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und ob vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.
Liegen die Voraussetzungen für eine Baueinstellung vor, ist nach dem Zweck der Baueinstellung, möglichst frühzeitig in den Entstehungsprozess illegaler Vorhaben einzugreifen, regelmäßig die Baueinstellung auszusprechen (Decker in Simon/Busse, BayBO, 139. EL Oktober 2020, Art. 75 Rn. 83 f.). Vor der Anordnung einer Baueinstellung kann die Baubehörde nicht generell zur Prüfung verpflichtet sein, ob die (Bau-)Arbeiten offensichtlich genehmigungsfähig sind. Das wurde zwar zum Teil angezweifelt (Decker in Simon/Busse, aaO. m.w.N.). Die Kammer neigt aber der Auffassung von Decker in Simon/Busse, aaO. zu: Auch evident genehmigungsfähige Vorhaben können nur realisiert werden, wenn sie genehmigt sind. Wird ohne nötige Baugenehmigung gebaut, kann eine Behörde ein Vorhaben daher auch ermessenfehlerfrei einstellen, wenn das Vorhaben evident materiell rechtmäßig ist. Dieses Vorgehen sichert die Einhaltung der Baugenehmigungspflicht. Im Übrigen würde das Baugenehmigungsverfahren zur „leeren Hülse“, falls eine Einstellung bei evidenter Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ausschiede.
Vorliegend hat die Beklagte das ihr für die Einstellungsverfügung zustehende Ermessen erkannt. Dabei tragen die von ihr im Bescheid wiedergegebenen Ermessenserwägungen eine Baueinstellung. So führt sie im Bescheid vom 04. Mai 2020 aus, die Anordnung sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geboten, da auch unter Berücksichtigung der Belange des Bauherrn auf andere Weise kein den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechender rechtmäßiger Zustand geschaffen werden könne.
Nicht anderes gälte im Übrigen, wenn man der Frage der Genehmigungsfähigkeit doch Bedeutung beimessen wollte. Denn der Antragsteller und Bauherr nahm Arbeiten vor, obwohl schon nach seinem eigenen Vortrag bestimmte materielle baurechtliche Fragen zur Beurteilung der Genehmigungspflicht nicht abschließend beantwortet waren – so trug er etwa zur Betriebsbeschreibung der geplanten teilweisen gewerblichen Nutzung noch in der Begründung zum hier zu entscheidenden Antrag vor und kündigte an, ein anderes Nutzungsmodell verfolgen zu wollen, falls die Antragsgegnerin die Gegebenheiten nicht mit der teilweisen gewerblichen Nutzung für vereinbar halte.
3.
Die Rechtsgrundlagen für das im Bescheid vom 04. Mai 2020 angedrohte Zwangsgeld finden sich in Art. 36, 31, 29, 19 Abs. 1 Nr. 2 und 18 VwZVG. Die Höhe des angedrohten Zwangsgelds von 5.000,00 EUR wahrt den Rahmen des Art. 31 Abs. 2 S. 1 VwZVG und ist nicht zu beanstanden.
4.
Nach alledem war der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG in Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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