Baurecht

Baugenehmigung für Anbau eines Balkons bei denkmalgeschütztem Ensemble

Aktenzeichen  AN 9 K 17.01526

Datum:
20.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31880
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1
BayDSchG Art. 6 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 1
BayBO Art. 6 Abs. 8 Nr. 2, Art. 63 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Ensemble genießt den gleichen Schutz wie ein Einzeldenkmal, auch wenn der Schutzanspruch stärker und vorrangig auf das Erscheinungsbild zielt, das die Bedeutung vermittelt und in seiner Anschaulichkeit zu bewahren ist (hier keine denkmalschutzrelevante Beeinträchtigung eines Ensembles in seinem Wesen und seinem überlieferten Erscheinungsbild durch Anbau eines Balkons angenommen). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Juli 2017 verpflichtet, dem Kläger die begehrte Baugenehmigung zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Entscheidung ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Aufstockung der Balkonanlage an seinem Wohngebäude in der … … in … an der rückwärtigen Fassade des Vorderhauses in das dritte Obergeschoss. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 4. Juli 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Bei der geplanten Baumaßnahme handelt es sich um ein genehmigungspflichtiges Vorhaben im Sinn des Art. 55 Abs. 1 BayBO, der Prüfungsumfang ergibt sich dabei aus Art. 59 Abs. 1 BayBO, da vorliegend kein Sonderbau vorliegt. Die dem Kläger von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 25. Mai 2005, die auch die Errichtung eines Balkons im dritten Obergeschoss und damit eine dem gegenständlichen Bauvorhaben entsprechende Baumaßnahme umfasste, ist im Hinblick auf den streitgegenständlichen Balkon im dritten Obergeschoss nach Art. 69 Abs. 1 BayBO insoweit erloschen.
Nach Art. 59 Abs. 1 Nr. 1 BayBO ist hier die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Da für das Baugrundstück kein Bebauungsplan besteht, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 BauGB, wobei die Art der Nutzung hier unstreitig unproblematisch ist. Das Vorhaben fügt sich auch in die in der näheren Umgebung vorhandene Bebauung ein, da zum einen Balkonanlagen bis ins Traufgeschoss in der näheren Umgebung vorhanden sind, wie der Augenschein auch belegt hat, und zum anderen die von der Beklagten angeführten gestalterischen Erwägungen hinsichtlich des Dachs bzw. der Dachtraufe bei der Frage des Einfügens nicht zur planerischen Unzulässigkeit des Balkons führen können, weil Kriterien für die Prüfung des Einfügens insbesondere die in § 34 Abs. 1 BauGB ausdrücklich genannten sind (vgl. BVerwG, B.v. 14.3.2013 – 4 B 49/12).
Nach Art. 59 Abs. 1 BayBO in der zum Zeitpunkt des Ablehnungsbescheids geltenden Fassung war die Frage der Einhaltung der Abstandsflächen zwar nicht Prüfgegenstand, allerdings hat die Beklagte in Ausübung ihrer Befugnis aus Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BayBO, auch andere Vorschriften bei der Prüfung eines Bauvorhabens heranzuziehen, zulässigerweise die Abstandsflächenfrage geprüft. Die geplante Balkonanlage löst auch Abstandsflächen aus, weil sie über die Grenzen des Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO für untergeordnete Balkone hinausgeht, da die Balkonanlage zum einen mehr als ein Drittel der Wandbreite in Anspruch nimmt, diese insgesamt breiter als fünf Meter ausfällt und sie auch mehr als 1,50 m vor die Außenwand vortritt. Allerdings hat der Kläger hier Anspruch auf Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO, da das südlich angrenzende Grundstück, auf welches die von der Balkonanlage ausgelösten Abstandsflächen fallen, grenzständig in diesem Bereich mit einer deutlich höheren und umfangreicheren Außenwand des vorhandenen Gebäudes bebaut ist. Zudem gibt die vorhandene, auf Grund der Baugenehmigung vom 25. Mai 2005 zulässigerweise errichtete Balkonanlage die äußeren Maße eines zu errichtenden Balkons vor, so dass sowohl im Hinblick auf die Bebauung des Baugrundstücks wie die der angrenzenden Nachbargrundstücke von einer atypischen Situation auszugehen ist, bei der die Erteilung einer Abweichung auch unter Berücksichtigung der Nachbarrechte geboten erscheint. Eine entsprechende Abweichung war auch für eine entsprechende Balkonanlage in der Baugenehmigung vom 25. Mai 2005 erteilt worden.
Nach Art. 59 Abs. 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 BayDSchG wird hier die an sich erforderliche denkmalrechtliche Erlaubnis durch die Baugenehmigung ersetzt, so dass die Anforderungen des bayerischen Denkmalschutzgesetzes hierbei im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Dabei ist die Errichtung der Balkonanlage hier grundsätzlich erlaubnispflichtig nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG, weil es sich bei dem gegenständlichen Gebäude zwar nicht um ein Einzeldenkmal handelt, allerdings das Gebäude Teil des Ensembles „…“ ist und sich die Errichtung der Balkonanlage auf das Erscheinungsbild des Ensembles auswirken kann. Die Erteilung der Erlaubnis und damit hier der Baugenehmigung könnte nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG versagt werden, sofern gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprächen. Dies ist aber nach Auffassung der Kammer hier nicht der Fall.
Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass ein Ensemble den gleichen Schutz wie ein Einzeldenkmal genießt, auch wenn der Schutzanspruch stärker und vorrangig auf das Erscheinungsbild zielt, das die Bedeutung vermittelt und in seiner Anschaulichkeit zu bewahren ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 18.10.2012 – W 5 K 12.414, BayVGH, U.v. 3.1.2008 – 2 BV 07.760 – juris). Entgegen der Auffassung der Beklagten wird das vorhandene Ensemble, dessen Bestandteil das klägerische Gebäude ist, durch das Hinzutreten des streitgegenständlichen Balkons im dritten Obergeschoss beim klägerischen Anwesen nicht derart in seinem Wesen und seinem überlieferten Erscheinungsbild beeinträchtigt, dass davon ausgegangen werden könnte, dass gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bestehenden Zustandes sprächen. So haben hier der Augenschein und die vorgelegten Lichtbilder deutlich gemacht, dass die Dachlandschaft im Bereich des Ensembles „…“ und auch in der näheren Umgebung des Baugrundstücks vielgestaltig ist, wobei sowohl Mansarddächer als auch Satteldächer vorhanden sind, wobei entgegen der Annahme der Beklagten sowohl bauzeitliche wie später errichtete Balkone im Traufbereich der vorhandenen Gebäude bestehen. So zeigen insbesondere die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbilder der rückwärtigen Fassade des Anwesens … …, dass dort gleich zwei historische Balkonanlagen bis in den Dachbereich hinein vorhanden sind, von denen nicht nur der oberste Balkon jeweils im Bereich des Mansarddaches errichtet wurde, sondern sich über dem obersten Balkon noch eine über den Grundriss der Balkone hinausreichende Überdachung befindet. Darüber hinaus sind aber auch bei später errichteten Gebäuden, etwa den Anwesen …straße … und …, die vom Baugrundstück aus sichtbar sind, wie der Augenschein gezeigt hat, Balkonanlagen bis in den Dachbereich vorhanden, bei denen die Dachtraufe teils durch den gesamten Balkon, teils durch das gaubenartige Austrittsbauwerk in erheblichem Maße durchbrochen wird. Darüber hinaus befinden sich Dachterrassen, wintergartenähnliche Dachausbauten sowie umfangreiche Balkonanlagen, die sich in den Dachbereich hinein erstrecken, auf mehreren Anwesen, wie die Feststellungen beim Augenschein als auch die vorgelegten Lichtbilder zeigen, so etwa bei den Anwesen … …, …straße * oder … …straße … und … Demgegenüber soll der streitgegenständliche Balkon mit dem Geländer bündig an der Trauflinie errichtet werden, wie die Pläne in der maßgeblichen geänderten Fassung eindeutig zeigen, so dass diese lediglich durch die beiden Austrittsöffnungen, bei denen vorhandene Gauben geringfügig nach unten in den Traufbereich hinein ausgeweitet werden, durchbrochen wird. Diese Veränderungen erscheinen der Kammer im Hinblick auf die in der Umgebung vorhandenen Dachformen innerhalb des Ensembles, seien sie bauzeitlicher oder neuzeitlicher Art, als vertretbar und nicht geeignet, das Erscheinungsbild des Ensembles in relevanter Weise zu beeinträchtigen. Hinzu kommt, dass der gegenständliche Balkon sich auf der Rückseite des Vordergebäudes auf dem streitgegenständlichen Anwesen befindet, und somit von der Straße aus unter keinem Blickwinkel erkennbar ist, zumal er zumindest im größten Teil des Jahres zu einem erheblichen Teil von dem vor dem Gebäude befindlichen großen Laubbaum verdeckt wird. Auch die Stellungnahme des Landesamtes für Denkmalpflege vom 16. Oktober 2017 stellt nach dem Vortrag der Beklagten ausdrücklich auf die Prägung des Straßenbildes, insbesondere durch die vorhandenen Mansarddächer ab, dieses Straßenbild wird vom gegenständlichen Bauvorhaben gerade nicht tangiert. Breite und Tiefe des gegenständlichen Balkons gehen zwar, wie gezeigt, über das Maß des geringfügigen Bauteils in Art. 6 Abs. 8 BayBO hinaus, allerdings umfasst die Breite des Balkons, die im Übrigen wegen der vorhandenen und auf Grund der bestandskräftigen Baugenehmigung errichteten bisherigen Balkonanlage praktisch vorgegeben ist, nicht die Hälfte der Wandbreite. Auch die Tiefe des Balkons führt zu keiner Beeinträchtigung des Baudenkmals, zumal auch die Beklagte und die Denkmalschutzbehörden allein auf die Beeinträchtigung der Dachlandschaft abgestellt haben. Eine solche Beeinträchtigung ist aber, wie oben gezeigt, nicht in einem solchen Ausmaß zu befürchten, dass dadurch das Ensemble in seinem Erscheinungsbild und seiner historischen Bedeutung beeinträchtigt werden könnte. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass zwar kein Rechtsanspruch auf die Errichtung eines Balkons an jeder vorhandenen Wohnung besteht, etwa weil eine heutige Wohnnutzung nur mit einem Balkon denkbar und wirtschaftlich möglich wäre, allerdings ist dem Kläger insofern Recht zu geben, als die Errichtung des Balkons im dritten Obergeschoss der vorhandenen Mansardwohnung einen deutlich höheren Wohnwert und damit auch dem Eigentümer einen deutlich höheren Nutzwert verschafft, so dass die dauerhafte Nutzung und Instandhaltung des Gebäudes als Teil des Ensembles dadurch begünstigt wird.
Damit war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vorläufig festgesetzten, gegen den die Parteien keine Einwände erhoben haben.


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