Baurecht

Baugenehmigung für Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern in einem Dorfgebiet

Aktenzeichen  AN 3 K 16.01498

Datum:
4.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30, § 34 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 4, § 5, § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1
BayBO BayBO Art. 68 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist; vielmehr setzt die Aufhebung voraus, dass die Nachbarn in ihren Rechten verletzt sind und die verletzte Norm drittschützende Wirkung hat. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
2 Liegt das Baugrundstück nach den tatsächlichen Gegebenheiten in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, dem sog. Innenbereich iSv § 34 Abs. 1 BauBG, wird der Bebauungszusammenhang nicht durch einzelne unbebaute Grundstücke gesprengt, wenn das gesamte Gebiet Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. (Rn. 71) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung kommt es auf die vorhandenen baulichen Anlagen an, die geeignet sind, die Nutzung des Gebietes zu prägen. Lässt sich keine eindeutige Einordnung vornehmen, ist von einer Gemengelage auszugehen und zu prüfen, ob sich die beantragte Wohnnutzung in die nähere Umgebung einfügt. (Rn. 71) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ist das Gebiet durch Wohnbebauung und einen dominanten landwirtschaftlichen Betrieb geprägt, ist vom Schutzniveau eines Dorfgebietes auszugehen, das durch zunehmende Wohnbebauung den landwirtschaftlichen Charakter nicht verliert, solange noch eine prägende landwirtschaftliche Wirtschaftsstelle vorhanden ist. (Rn. 74 – 76) (redaktioneller Leitsatz)
5 Aus der “Abstandsregelung für Rinderhaltung” lässt sich im konkreten Fall ableiten, dass ein Abstand von 30m ausreichend ist, um relevante Geruchsbelästigungen für das geplante Wohnhaus auszuschließen. Dabei ist auf die derzeit ausgeübte und durch die erteilte Baugenehmigung in ihrem Bestand geschützte landwirtschaftliche Nutzung abzustellen. (Rn. 91 – 101) (redaktioneller Leitsatz)
6 Die von einem landwirtschaftlichen Betrieb ausgehenden Geräusche und die typischen Geruchs- und Staubimmissionen können in einem Dorfgebiet nicht als unzumutbar erachtet werden und in dem vorgegebenen Rahmen das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme nicht verletzen. (Rn. 108 – 112) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Auf Grund des erklärten Einverständnisses der Beteiligten konnte ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 VwGO).
Streitgegenstand vorliegender Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2016, mit welchem der Beigeladenen die von ihr beantragte Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern (26 Wohnungen) mit Tiefgarage und Carport auf einer Teilfläche des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung …, erteilt wurde.
Die zulässige Klage ist unbegründet, denn der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass ihm kein Anspruch auf Aufhebung dieser Baugenehmigung zusteht, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung, die gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO nur versagt werden darf, wenn das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass die Nachbarn durch die Genehmigung zugleich in ihren Rechten verletzt sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. z.B. BVerwG v. 6.10.1989 – 4 C 87 – juris).
1. Die Zulässigkeit des Beigeladenenvorhabens beurteilt sich in planungsrechtlicher Hinsicht nach § 34 Abs. 1 BauGB, weil sowohl das Baugrundstück als auch die Grundstücke des Klägers in jenem Bereich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen und weder ein Bebauungsplan im Sinne von § 30 BauGB gegeben ist, noch § 34 Abs. 2 BauGB erfüllt ist.
Dies wurde bereits im Urteil der Kammer vom 26. Januar 2000, AN 3 K 97.1263 – juris, im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 2000, 14 ZB 00.1473 – juris, im Urteil vom 26. Juli 2012, AN 3 K 12.00303 – juris sowie im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. März 2013, 14 ZB 12.2073 – juris so festgestellt und das erkennende Gericht hält auch für vorliegendes Streitverfahren an dieser Beurteilung fest.
So wird diesbezüglich im Urteil vom 26. Januar 2000, a.a.O., Folgendes ausgeführt:
„a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne des § 34 BauGB, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Hierüber ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassenden Bewertung des im Einzelfall vorliegenden konkreten Sachverhalts zu entscheiden. Grundlage und Ausgangspunkt dieser bewerteten Beurteilung sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie darüber hinaus auch andere topografische Verhältnisse, wie z.B. Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse und dergleichen) und Straßen. Zu berücksichtigen sind nicht nur äußerlich erkennbare Umstände, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse. Bei der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich geht es darum, inwieweit ein Grundstück zur Bebauung ansteht und sich aus dem tatsächlichen Vorhandensein ein hinreichend verlässlicher Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche gewinnen lässt. Die bewertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann sich angesichts dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien nur nach optisch wahrnehmbaren Merkmalen richten (BVerwG, B.v. 18.6.1997 – 4 B 238.96 m.w.N.; Baurecht 97, S. 807 ff.).
Wie die Augenscheinseinnahme vom 9. November 1999 ergeben hat, liegen sowohl das Baugrundstück der Beigeladenen als auch die Grundstücke des Klägers unter Beachtung dieser Grundsätze in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, dem sogenannten Innenbereich im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB. Begrenzt wird dieser Bereich, und dies drängt sich nach der durchgeführten Augenscheinseinnahme geradezu auf, im Osten durch die …, im Norden durch die …, im Westen durch die … und im Süden durch das bebaute Grundstück FlNr. …, das im Bereich des Bebauungsplans Nr. … der Stadt … liegt, der in diesem Bereich als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet festsetzt, wobei die … und die … nach Osten und nach Süden im Wesentlichen die Grenze des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. … markieren. Hinzu kommt, dass das Eckgrundstück … und sämtliche Grundstücke an der … bis zum … wie auch das Hinterliegergrundstück FlNr. … ebenfalls bebaut sind und sich somit der Eindruck der Geschlossenheit der Bebauung verstärkt. Insgesamt vermittelt das so begrenzte Gebiet einen in sich geschlossenen Bebauungskomplex, der in seiner Gesamtheit nach Zahl, Umfang und Zweckbestimmung sowie nach der räumlichen Zuordnung ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Etwas anderes gilt nach Auffassung des Gerichts nicht deshalb, weil innerhalb dieses Bereichs einige Grundstücke unbebaut sind, so insbesondere die dem Kläger gehörenden Grundstücke FlNrn. …, …, das Grundstück der Beigeladenen FlNr. …, das sich westlich daran anschließende Teilgrundstück FlNr. …, das ebenfalls teilweise außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. … liegt und der unbebaute rückwärtige Teil des Grundstücks FlNr. …, auf dessen nördlichem Teil Gärtnereigebäude vorhanden sind. Diese unbebauten Grundstücke, obwohl teilweise am Rande des fraglichen Gebiets situiert, vermitteln nicht den Eindruck, dass diese den Bebauungszusammenhang sprengen und es sich insoweit um Außenbereichsgrundstücke handeln würde. Der zur Gärtnerei gehörende Grundstücksteil FlNr. … ist Teil des Betriebsgrundstücks der Gärtnerei und wird als solches auch genutzt und vermittelt schon rein optisch die Zugehörigkeit zu den im nördlichen Bereich des Grundstücks befindlichen Betriebsgebäuden. Das ca. 1.500 m2 große Grundstück FlNr. … vermittelt insbesondere in Zusammenschau mit dem Hofgrundstück des Klägers FlNr. … den Eindruck einer Baulücke, was im Wesentlichen auch für das Grundstück FlNr. … gilt, da sich auf diesem ein Fahrsilo befindet, dieses zum Umgriff des Betriebsgrundstücks des Klägers gehört und auch in der Bauflucht der Gebäude auf den Grundstücken FlNrn. … und …, … und …, liegt. Der Eindruck einer geschlossenen Bebauung in diesem Bereich wird auch durch den von der … aus nach Westen führenden, etwa 45 m langen … verstärkt, der zur Erschließung der Grundstücke FlNrn. … und … dient, sowie ebenso zur Erschließung des den Beigeladenen gehörenden Grundstücks FlNr. … Auch der derzeit noch unbebaute nördliche Teil des Grundstücks FlNr. … und das Grundstück der Beigeladenen FlNr. …, obwohl beide an das derzeit noch unbebaute Grundstück FlNr. … des Klägers angrenzen, sprengen nicht den Bebauungszusammenhang, da diese Grundstücke zusammen mit dem Grundstück FlNr. … lediglich eine Größe von ca. 3.500 m2 haben und so, wie diese Grundstücke teilweise schon aufgeteilt sind, nur vier bis fünf Bauplätze ergeben dürften. Auch die Tatsache, dass der südliche Teil des ehemaligen Gesamtgrundstücks FlNr. …, jetzt FlNr. …, mit dreibzw. viergeschossigen Wohnhäusern bebaut ist, vermittelt den Eindruck, dass der nördliche Teil, nunmehr das Grundstück FlNr. …, nicht dem Außenbereich zugehört, sondern zusammen mit den anderen bezeichneten Grundstücken lediglich eine Baulücke in dem gesamten Bereich darstellt, die auch über kurz oder lang bebaut werden wird, wie die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 28. Juli 1997 zur Errichtung eines Wohnhauses hinreichend dokumentiert, auch wenn diese noch nicht unanfechtbar ist. Hinzu kommt, dass dieses Gebiet auch deshalb den Eindruck der Zusammengehörigkeit vermittelt, weil es praktisch als unbeplantes Enklave in diesem Bereich des Ortsteils … der Stadt … liegt, da es im Süden, Westen und Norden von den Grenzen des Bebauungsplans Nr. … und östlich der … vom Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … eingerahmt wird. Auch wenn diese Tatsache kein topografisches Abgrenzungsmerkmal darstellt – andere Merkmale wie Böschungen, Gräben oder Flüsse liegen in diesem Bereich ebenfalls nicht vor, da es sich insoweit um ein völlig ebenes Gelände handelt, so verstärkt dies doch zusätzlich den Eindruck, dass dieses Gebiet insgesamt, auch mit seinen unbebauten Grundstücken, zusammengehört und eine Aufspaltung in einen Innenbereich und einen Außenbereich auf Grund der räumlichen Zuordnung aller Grundstücke zueinander beinahe unnatürlich wirken würde.
b) Wie die Augenscheinseinnahme vom 9. November 1999 weiterhin ergeben hat, entspricht die Eigenart der näheren Umgebung keinem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) bezeichnet sind (§ 34 Abs. 2 BauGB), sondern es liegt eine Gemengelage vor, so dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen nach der Art der baulichen Nutzung danach richtet, ob es sich in die Eigenart der näheren Umgebung insoweit einfügt. In der Umgebung des landwirtschaftlichen Anwesens des Klägers befindet sich mit Ausnahme der westlich daran angrenzenden Gärtnerei ausschließlich Wohnbebauung. Mangels weiterer landwirtschaftlicher Betriebe in diesem Gebiet kann somit von einem Dorfgebiet im Sinne von § 5 BauNVO nicht ausgegangen werden. Allerdings liegt auch kein allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO vor. Wie der Augenschein ergeben hat, kann hier nicht nur im Wesentlichen auf die umliegende Wohnbebauung abgestellt werden, sondern es ist auch der Betrieb des Klägers sowie auch die Gärtnerei, die gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 4 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet nur ausnahmsweise zulässig wäre, bei der Bestimmung des Baugebiets zu berücksichtigen mit der Folge, dass hier eine Gemengelage vorliegt und sich die Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen danach bemisst, ob es sich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nach der Art der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt. Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist die Eigenart der näheren Umgebung der Maßstab für die Beurteilung von Vorhaben im nichtgeplanten Innenbereich. Als städtebauliches Zulässigkeitsmerkmal wird die Eigenart nach städtebaulichen Gesichtspunkten beurteilt. Bei der Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung kommt es auf die tatsächlich vorhandenen baulichen Anlagen an, die geeignet sind, die Eigenart der näheren Umgebung zu prägen. Es ist daher die gesamte städtebauliche Situation zu würdigen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Hieraus folgt, dass in der Regel bei der Beurteilung der vorhandenen Bebauung nicht allein auf das Baugrundstück abgestellt werden kann, zu berücksichtigen sind auch die Auswirkungen des beabsichtigten Vorhabens auf die Umgebung. Grundsätzlich sind bei der Bestimmung der Eigenart der Umgebung alle städtebaulich bedeutsamen baulichen und sonstigen Nutzungen zu berücksichtigen. Unzulässig ist, die Eigenart auf das zu beschränken, was städtebaulich wünschenswert und vertretbar ist. Auch eine städtebaulich unerwünschte Bebauung darf nicht von vorneherein außer Acht gelassen werden. Bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB sind singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden im Wesentlichen homogenen Bebauung stehen, regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden (BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23/86; NVwZ 1990, 755). Weiter hat das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil ausgeführt, dass nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung ihren Charakter bestimmt. Vielmehr muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind zum einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff „Fremdkörper“ nichts zu tun, sondern ist Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Zum anderen können auch solche Anlagen aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszusondern sein, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Das wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht. In Betracht kommen insbesondere solche baulichen Anlagen, die nach ihrer – auch äußerlich erkennbaren – Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig sind. Sie erlangen die Stellung eines Unikats umso eher, je einheitlicher die nähere Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz ihrer deutlich in Erscheinung tretenden Größe und ihres nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen sie nicht deren Eigenart, weil sie wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägten, vom übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert dastehen. Grundlage für ein solches Ausklammern ist zwar auch das tatsächlich Festgestellte; als Ergebnis beruht es aber auf einer überwiegend wertenden Betrachtung. Derartige Anlagen dürfen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung aber nur dann als „Fremdkörper“ ausgeklammert werden, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter ihrer Umgebung letztlich nicht beeinflussen können. Ob dies der Fall ist, muss unter Würdigung des tatsächlich Vorhandenen ermittelt werden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen prägt der landwirtschaftliche Betrieb des Klägers auf Grund seiner Ausdehnung und Größe sowie von seinem gesamten Erscheinungs-bild her die nähere Umgebung maßgebend mit. Bezieht man das Grundstück FlNr. … als Betriebsfläche zum Grundstück FlNr. … mit ein, so ist diese Fläche insgesamt größer als die der derzeit unbebauten Grundstücke in der maßgeblichen Umgebung. Dies hat auch die Augenscheinseinnahme deutlich gemacht, da der Betrieb praktisch immer präsent ist und geradezu dominant erscheint. Selbst wenn dieser Betrieb des Klägers als „Unikat“ angesehen werden muss, kann deshalb nicht von einem Fremdkörper ausgegangen werden, da die Größe und die Ausdehnung eines solches Gewicht haben, dass der Betrieb in dem fraglichen Bereich bei der Betrachtung der Umgebung nicht einfach außer Acht gelassen werden kann.
Zu keinem anderen Ergebnis führt das südlich im Bebauungsplan Nr. … ausgewiesene allgemeine Wohngebiet und die bereits auf dem Grundstück FlNr. … erfolgte Wohnbebauung. Zwar kommt es nach der oben zitierten Rechtsprechung bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auf die Beurteilung der gesamten in der näheren Umgebung vorhandenen baulichen Anlagen an, die geeignet sind, die Eigenart der näheren Umgebung zu prägen. Jedoch führt die tatsächlich vorhandene Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … und auch das festgesetzte allgemeine Wohngebiet nicht dazu, das hier fragliche Gebiet als allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO einzustufen. Zwar mag diese Nutzung die Umgebung mitprägen, jedoch ändert das nichts an der Dominanz des landwirtschaftlichen Betriebs des Beigeladenen (gemeint ist wohl: des Klägers), die auch von der künftigen Wohnbebauung nicht geschmälert wird. Dabei darf nach Auffassung des Gerichts auch die sich westlich an das Grundstück des Klägers anschließende Gärtnerei nicht außer Betracht gelassen werden. Zwar sind gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 4 BauNVO Gartenbaubetriebe in allgemeinen Wohngebieten ausnahmsweise zulässig, jedoch vermittelt dieses mit ca. 5.500 m2 im Vergleich zu dem gesamten Gebiet sehr große Grundstück doch eine sehr eigenständige Nutzung, die mit der Zweckbestimmung der Wohnnutzung wenig gemein hat (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.1996 – 4 NB 23.96; Baurecht 96, 816) und somit der Eindruck einer Gemengelage noch verstärkt wird. Obwohl dies für die Beurteilung des Gebietes nicht entscheidend ist, geht nach dem Eindruck des Gerichts wohl auch die Beklagte von einer Gemengelage aus, da es doch zumindest auffällig ist, dass gerade dieses Gebiet, in dem sich die Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen befinden, im Gegensatz zu allen umliegenden Gebieten nicht überplant worden ist.
Dies hat zur Folge, dass das fragliche Gebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB weder als allgemeines Wohngebiet i.V.m. § 4 BauNVO noch als Dorfgebiet i.V.m. § 5 BauNVO eingeordnet werden kann, so dass es sich hier um eine Gemengelange handelt und die Frage, ob die dem Beigeladenen in Aussicht gestellte Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Zweifamilienhauses nach der Art der baulichen Nutzung zulässig ist, sich danach richtet, ob sich diese beantragte Wohnnutzung in die nähere Umgebung einfügt. Da in dem hier maßgeblichen Bereich erhebliche Wohnnutzung vorhanden ist, fügt sich das geplante Vorhaben der Beigeladenen, das mit den genannten Vorbescheiden in Aussicht gestellt worden ist, insoweit in die nähere Umgebung ein, ohne dass es hierzu nach Auffassung des Gerichts weiterer Ausführungen bedürfte.“
Im Urteil vom 26. Juli 2012, a.a.O., erörtert die Kammer ergänzend dazu Folgendes:
„Diese Einschätzung des Gerichts als Gemengelage hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 10. Juli 2000 (14 CB 00.1473) im Ergebnis bestätigt. Zu keinem anderen Ergebnis führen insoweit die Einlassungen des Klägervertreters, dass sich auf Grund des geplanten Geschosswohnbaus im Gegensatz zu dem früher geplanten Einfamilienbzw. Doppelhaus die Gebietsart verändern werde, hin zur Wohnbebauung, da ja der Betrieb des Klägers weiterhin für das Gebiet als prägend vorhanden ist und auch ein Mehrfamilienwohnhaus keinen anderen Schutz beanspruchen kann als die ursprünglich geplante Einzelbzw. Doppelhausbebauung auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück.“
An dieser Beurteilung ist zur Überzeugung des Gerichts auch unter Berücksichtigung, dass zwischenzeitlich die sich westlich des Klägergrundstücks FlNr. … befindliche Gärtnerei (mög-licherweise endgültig) aufgegeben wurde, weiterhin festzuhalten.
Angesichts der in den früheren Verfahren festgestellten und zum heutigen Zeitpunkt weiterhin gegebenen Dominanz des klägerischen Betriebs ist auch derzeit von einer Gemengelage auszugehen (welche auf Grund der konkreten Prägung durch den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers der streitgegenständlichen Wohnbebauung nur das Schutzniveau eines Dorfgebietes zukommen lässt) (vgl. BayVGH v. 10.7.2000, a.a.O. – juris; BayVGH v. 2.11.2009 – 15 ZB 09.775 – juris .
Die zwischenzeitlich erfolgte Aufgabe des westlich an die klägerische Hofstelle angrenzenden Gärtnereibetriebs vermag daran nichts zu ändern.
Insoweit kann der der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung vom 19. Januar 1996, 4 B 7.96 – juris, und der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Oktober 2013, 15 CS 13.1646 – juris, zugrundliegende Gedanke herangezogen werden, wonach eine zur Annahme eine das Schutzniveau eines Dorfgebietes innehabende Gemengelage auch durch zunehmende Wohnbebauung den „landwirtschaftlichen Charakter“ nicht verliert, solange im relevanten Gebiet noch eine – prägende – landwirtschaftliche Wirtschaftsstelle vorhanden ist.
2. Das im Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme, welches dem Kläger Drittschutz vermittelt, wird durch das streitgegenständliche Bauvorhaben nicht verletzt.
a) Zum einen ist vorliegend zu berücksichtigen, dass das auf dem Grundstück FlNr. … befindliche Wohngebäude, welches – unwidersprochen – im ersten Obergeschoss vom Kläger und dessen Lebensgefährtin und im Erdgeschoss von Mutter und Schwester des Klägers bewohnt wird, in einem wesentlich geringeren Abstand zu dem auf der Hofstelle vorhandenen Rinderstall situiert ist als das für das streitgegenständliche Beigeladenenvorhaben der Fall ist.
Setzt ein erfolgreicher Abwehranspruch gegen heranrückende Wohnbebauung (hier: zwei Mehrfamilienhäuser) voraus, dass das Beigeladenenvorhaben sich durch die Nähe zum landwirtschaftlichen Betrieb unzumutbaren Einwirkungen aussetzt, so bedeutet dies für das wesentlich näher an der Emissionsquelle liegende Wohnhaus des Klägers, dass dieses erst recht von unzumutbaren Einwirkungen betroffen wäre. Solch schädlichen Einwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG darf sich jedoch auch der Landwirt nicht aussetzen.
Zwar kann ein als Betriebsleiter- (oder auch Altenteiler-) Haus auf dem Hofgrundstück vorhandenes Wohngebäude nicht das Schutzniveau eines Wohngebietes für sich in Anspruch nehmen, jedoch darf es sich keinesfalls gesundheitschädlichen Immissionen aussetzen.
Wird aber vorliegend der Kläger bereits durch das sich auf seinem Grundstück FlNr. … befindliche Wohnhaus (welches eben nicht nur durch ihn als Betriebsleiter-Wohnhaus genutzt wird, sondern Wohnraum auch für seine Mutter und Schwester zur Verfügung stellt), hinsichtlich des Ausmaßes der vom streitgegenständlichen Rinderstall ausgehenden Immissionen beschränkt, so führt das Beigeladenenvorhaben zu keinen weitreichenderen Einschränkungen mit der Folge, dass schon insoweit eine Rücksichtslosigkeit ausscheidet.
b) Im Übrigen hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme begründet, von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem von der Rücksichtnahme Begünstigten und andererseits dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Bemessung dessen, was den durch ein Vorhaben Belästigten zugemutet werden kann, bietet sich die Anlehnung an das Bundesimmissionsschutzgesetz an. Dieses verlangt von den Betreibern imitierender Anlagen, dass vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen unterbleiben. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 BImSchG alle Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorzurufen. Einwirkungen dieses Grades sind den davon Betroffenen grundsätzlich nicht zuzumuten.
Nachbarrechte werden durch einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB demnach nur dann verletzt, wenn durch das Bauvorhaben unzumutbare Auswirkungen für das Nachbargrundstück entstehen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.6.2007 – 1 CS 07.265 – juris).
Vorliegend sind jedoch solch unzumutbare Belästigungen durch das Beigeladenenvorhaben, welche dem Kläger ein Abwehrrecht einräumen würden, nicht zu befürchten.
Soweit eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die im Zusammenhang mit dem Rinderstall befürchtete Geruchsbelästigung inmitten steht, ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles, so z.B. der Entfernung des Beigeladenenbauvorhabens vom Abstandsbemessungspunkt des Rinderstalles von 30 m, nach Auffassung des Gerichts das Vorliegen unzumutbarer schädlicher Umwelteinwirkungen in Form von Geruchsbelästigungen zu verneinen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss vom 24. April 2012 (2 ZB 10.2894 – juris) bezüglich Geruchsimmissionen durch Rinderhaltung u.a. ausgeführt:
„Im Zusammenhang mit Geruchsbelastungen durch Rinderhaltungen existieren derzeit keine gesetzlichen oder anderweitigen rechtlichen Regelungen. Daher sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG v. 24.1.1994 – 4 B 16/94, NVwZ 1995, 6) die Grenzwerte für die Zumutbarkeit von Belastungen von den Behörden und Gerichten anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und insbesondere der speziellen Schutzwürdigkeit des jeweiligen Baugebietes zu bestimmen. Selbst wenn hinsichtlich seiner Beeinträchtigungsart technische Regelwerke vorhanden sind (z.B. DIN-Normen oder VDI-Richtlinien), bieten diese im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung nur eine Orientierungshilfe oder einen „groben Anhalt“. Unzulässig ist in jedem Fall eine nur schematische Anwendung bestimmter Mittelungspegel oder Grenzwerte. Diese für den Bereich der Lärm- und Abgasbelastungen wiederholt ausgesprochenen Grundsätze (vgl. BVerwG v. 18.12.1990 – 4 N 6.88, NVwZ 1991, 881) haben auch für Geruchsbelastungen – hier aus der Rinderhaltung – ihre Gültigkeit.
Der Verwaltungsgerichtshof legt in ständiger Rechtsprechung (vgl. BayVGH v. 23.11.2004 – 25 B 00.366, BayVBl. 2006, 279; v. 21.4.2004 – 14 CS 03.2928 – juris) in Zusammenhang mit Geruchsimmissionen aus Rinderställen als Orientierungshilfe für Abstände zur Wohnbebauung die Erhebung der Bayerischen Landesanstalt für Landtechnik der Technischen Universität München-Weihenstephan (im Folgenden: Landesanstalt) „Geruchsimmissionen aus Rinderställen“ vom März 1994 („gelbes Heft 52“) und „Geruchsfahnenbegehungen an Rinderställen“ vom Juni 1999 („gelbes Heft 63“) als brauchbare Orientierungshilfe zugrunde. Rinderhaltung stellt nach diesen empirisch ausreichend abgesicherten und nachvollziehbaren Untersuchungsergebnissen grundsätzlich eine emissionsarme Tierhaltung dar. Die Geruchsschwellenentfernungen sind danach bei einem Bestand von bis zu 400 Großvieheinheiten (entspricht knapp 5.000 Rindern) praktisch von der Bestandsgröße unabhängig („Gelbes Heft 52“, Seite 47 ff.; „Gelbes Heft 63“, Seite 76). Nach den im „Gelben Heft 52“ wiedergegebenen Ergebnissen von Geruchsfahnenbegehungen liegen bei konventionellen Rinderställen die durchschnittlichen Geruchsschwellenentfernungen für die Klassierung „Stallgeruch schwach wahrnehmbar“ bei einer Größenordnung von 30 m und teilweise darunter, während für die Klassierung „Stallgeruch deutlich wahrnehmbar“ durchschnittliche Geruchsschwellenentfernungen von unter 10 m festgestellt wurden („Gelbes Heft 52“, Seite 47). Die Klassierung „Stallgeruch schwach wahrnehmbar“, mithin durchschnittliche Geruchsschwellenentfernungen von 30 m und teilweise darunter, wurde dabei in Dorfgebieten als „zweifelsohne“ tolerabel bewertet („Gelbes Heft 52“, Seite 48). Die Klassierung „Geruch deutlich wahrnehmbar“ – also durchschnittliche Geruchsschwellenentfernungen von unter 10 m – wurde als „Diskussionsgrundlage für eventuell mögliche bzw. erforderliche Abstandsregelungen“ für diese Gebietsart bezeichnet („Gelbes Heft 52“, Seite 9 und 48). Hiernach würde der Bereich, in den je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles mit erheblichen Immissionen und damit unzumutbaren Belästigungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu rechnen ist, im Dorfgebiet grundsätzlich erst bei einer Entfernung von weniger als 10 m beginnen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu Rinderställen wurde die Geruchsschwellenentfernung (konkret: die 30 m-Grenze) bisher ebenso zum Ausgangspunkt genommen, wobei sich unter Umständen bei kürzeren Entfernungen noch eine Sonderbeurteilung des Einzelfalles anschloss (vgl. z.B. BayVGH v. 1.4.2004 – 25 B 98.3300 und 3301; v. 31.1.1995 – 2 B 91.2878, BayVBl. 1995, 347).“
Einen ähnlichen Ansatz wie die „Gelben Hefte 52 und 63“ wählt die „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“, welche – anders als die „Gelben Hefte“ – die Abstände in Abhängigkeit zur Bestandsgröße des Betriebes bestimmt.
Nach ihr sind bei einer Rinderhaltung in einem Dorfgebiet z.B. ab 100 Großvieheinheiten schädliche Umwelteinwirkungen bei einem Abstand von weniger als 20 m zur nächsten Wohnbebauung zu befürchten, bei mehr als 40 m Abstand können schädliche Umwelteinwirkungen ausgeschlossen werden und im Bereich zwischen 20 m und 40 m ist ein durch Haltungstechniken und Stallbauformen beeinflusster Ermessensspielraum gegeben.
Auch ergibt sich für sogenannte Offenställe (nach der Definition der VDI 3894, Blatt 1 Abschnitt 2 ist dies ein Stall mit großen Öffnungen, in dem weitgehend Außenklimabedingungen herrschen), dass die Geruchsschwellenentfernungen signifikant höher liegen als diejenigen konventioneller Ställe (siehe auch „Gelbes Heft 63“, Seite 42, 63 ff.). Bei einem solchen Offenstall hat zur Bestimmung des zur Vermeidung von unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen nötigen Abstands zur nächstgelegenen Wohnbebauung eine Orientierung am oberen Rand der Abstandskurve (Bild 2, Kapitel 3.3.1 Bayerischer Arbeitskreis „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“) zu erfolgen.
Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang die folgenden Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 10. Juli 2000 – 14 ZB 00.1473 –, an welchen auch für folgendes Verfahren festgehalten wird:
„Hiervon ausgehend entspricht die Eigenart der näheren Umgebung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, die durch die Wirtschaftsstelle des Klägers, durch Hotel- und Büronutzung sowie durch allgemeine Wohnnutzung geprägt wird, weder einem allgemeinen Wohngebiet noch einem Dorfgebiet, sondern stellt in der Tat eine Gemengelage dar, die jedoch – bezogen auf landwirtschaftliche Immissionen, die auf das Baugrundstück einwirken – keine höheren Schutzansprüche als bei Annahme eines Dorfgebietes begründen.“
Für das streitgegenständliche Vorhaben bedeutet all dies, dass bei einer zugrunde gelegten GV-Zahl von 50 der vorhandene Abstand von 30 m ausreichend ist, um relevante Geruchsbelästigungen auszuschließen. An dieser Beurteilung vermag auch das vom Kläger im gerichtlichen Verfahren vorgelegte, in Anwendung der GIRL erstellte Gutachten vom 6. Juli 2017 nichts zu ändern.
Wie der von der Beklagten beigezogene Herr …, Regierung von Mittelfranken, in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt hat, führt die Anwendung der GIRL bei kleineren Rinderställen (in der Größenordnung der klägerischen Rinderhaltung) zu Überzeichnungen, wohingegen die „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ mit ihrer Orientierung am unteren – oder bei Vorliegen von zur Einzelfallbeurteilungen führenden Besonderheiten am oberen – Bereich der Abstandskurve klare und realistische Ergebnisse liefert.
Diesen Ausführungen vermochte der auf Klägerseite anwesende Gutachtenersteller, Herr …, nicht substantiiert entgegenzutreten. Er beschränkte sich im Wesentlichen darauf, unter dem Hinweis, dass nur die GIRL quasi Grenzwerte liefere (vgl. dazu aber BVerwG v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 – juris, wonach die GIRL keinesfalls in Sinne einer Grenzwertregelung anwendbar ist) weiterhin vom Erfordernis einer Einzelfallprüfung, ob an der Nordfassade des Beigeladenenvorhabens bei Zugrundelegung des Faktors 0,4 im gesamten Bereich die 15%-Grenze nicht überschritten werde, auszugehen.
Wie Herr … in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt hat, sind bei Zugrundelegung des sich aus der oberen Abstandskurve der „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ ergebenden Abstandes auch die vorhandenen Nebeneinrichtungen (Güllegrube, Festmist, Fahrsilo) ebenso wie weitere „ungünstige Bedingungen“, z.B. Vorliegen eines Offenstalles, mit berücksichtigt.
Vorliegend wurden beklagtenseits solch ungünstige Bedingungen in einer Einzelfallprüfung festgestellt und bei der Abstandsbestimmung dadurch berücksichtigt, dass nicht der sich aus der Anwendung der unteren Abstandskurve für die GV-Zahl 50 ergebende Mindestabstand von 15 m zugrunde gelegt wurde, sondern stattdessen in Anwendung der oberen Abstandskurve 30 m für erforderlich gehalten wurden.
Selbst bei Zugrundelegung der „Gelben Hefte“, welche nach den von Herrn … in der mündlichen Verhandlung gemachten Ausführungen zwischenzeitlich überholt sind, somit nur noch die „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ in Bayern maßgebend sein soll, würden die auf dem klägerischen Grundstück vorhandenen Nebenanlagen (Mistlege/Jauchegrube, Fahrsilo auf FlNr. 51/1 und FlNr. 397) im Hinblick auf die tatsächlich vorhandenen Abstände zu dem streitgegenständlichen Bauvorhaben keine Rücksichtslosigkeit bedingen. So liegt die durchschnittliche Geruchsschwellenentfernung bei Festmist bis zu einer Lagermenge von 250 m3 für die Klassierung „Festmistgeruch schwach wahrnehmbar“ bei ca. 15 m („Gelbes Heft 52, Seite 48). Für die Klassierung „Güllegeruch schwach wahrnehmbar“ beträgt die durchschnittliche Geruchsschwellenentfernung weniger als 10 m („Gelbes Heft 52“, Seite 48).
Die Überschreitungshäufigkeit liegt damit in einem weit unter 15% liegenden Bereich (vgl. „Gelbes Heft 63“, Seite 66 ff.).
Der nach dem „Gelben Heft 53“ (Seite 48) zu wahrende Abstand zwischen Fahrsilo und Wohnhaus von 25 m wird mit den vorliegend gegebenen ca. 12 m zwar unterschritten und löst eine Überschreitungshäufigkeit von nahezu 40% aus. Jedoch ist dabei u.a. zu berücksichtigen, dass sich beide Silos außerhalb der vorherrschenden Hauptwindrichtung befinden, so dass mit einer erheblichen Reduzierung der Überschreitungshäufigkeit zu rechnen ist.
Überdies hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in der Entscheidung vom 12. Juli 2004 – 25 B 98.3341 – juris zu einem vergleichbaren Sachverhalt Folgendes ausgeführt:
„Davon abgesehen wäre es nach Überzeugung des Senats nicht gerechtfertigt, die Bebaubarkeit eines Grundstücks an dem auf einem Nachbargrundstück betriebenen landwirtschaftlichen Fahrsilo scheitern zu lassen. Wie bereits dargelegt, ist das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme keine einseitige, sondern eine auf Gegenseitigkeit beruhende Verpflichtung. Angesichts der Größe der dem Kläger gehörenden Grundstücke FlNrn. ……… und ……… erscheint es bei Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten dem Kläger zumutbar, die für seine Rinderhaltung notwendige Lagerung von Grassilage so vorzunehmen, dass ein Abstand gewährleistet ist, bei dem sich die Überschreitungshäufigkeit in jedem Fall auf ein hinnehmbares Maß reduziert. Ein nicht tragbarer technischer oder finanzieller Aufwand dafür ist nicht ersichtlich. Auch die vorhandenen Grassilos auf FlNr. …….. stehen deshalb dem Wohnbauvorhaben des Beigeladenen im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 BauNVO nicht entgegen.“
c) Wenn es auch angesichts der Einhaltung des sich aus der „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ ergebenden erforderlichen Abstandes von 30 m zwischen dem Abstandsbemessungspunkt des Tores des Rinderstalles und dem Beigeladenenvorhaben von 30 m nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, so sei doch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass angesichts der langjährigen Nichtnutzung des zur Schweinehaltung (wohl) genehmigten Stallgebäudes im Nordosten des Stalltraktes insoweit ein Erlöschen des Bestandsschutzes in Frage kommt.
Zwar ist bei landwirtschaftlichen Betrieben für die planungsrechtliche Beurteilung nach § 34 BauGB grundsätzlich auf die derzeit ausgeübte und durch die erteilte Baugenehmigung in ihrem Bestand geschützte Nutzung abzustellen (vgl. BayVGH v. 21.8.1998 – 2 B 94.271 – juris). Liegt jedoch eine dauerhafte Nutzungsaufgabe vor, so entfällt die das Regelungsobjekt der Baugenehmigung darstellende Einheit von baulicher Anlage und ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion. Ist der durch die Baugenehmigung legalisierte Bestand (teilweise) nicht mehr vorhanden, wird die Baugenehmigung insoweit gegenstandslos, d.h. sie erledigt sich dann auf andere Weise im Sinne des Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG.
Die Frage, wann eine Nutzungsunterbrechung in eine dauerhafte Nutzungsaufgabe umschlägt, beurteilt sich im Spannungsfeld zwischen einer nahezu unbeschränkten Fortgeltung der Baugenehmigung im Interesse des durch die Baugenehmigung Begünstigten und einer zeitlich engen Begrenzung im gegenläufigen Interesse Dritter im Sinne einer gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht dieser beiden Interessenlagen, die dort ihre Grenzen findet, wo nicht mehr mit einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist. Eine genehmigte oder materiell-rechtliche bestandsgeschützte Nutzung prägt die städtebauliche Situation bei längerer Nichtnutzung nicht mehr so wie im Falle der Nutzung.
Zwar zieht die bauplanungsrechtlich zu beachtende städtebauliche Situation dem Fortbestand der Genehmigung bei längerer Nutzungsunterbrechung keine zwingenden Grenzen, jedoch wird mittelbar Einfluss ausgeübt in Ansehung der Abhängigkeit der Baugenehmigung von der genehmigten und ausgeübten Nutzung.
Liegt wie vorliegend eine langjährige Nichtnutzung vor (bereits zum Zeitpunkt des Verfahrens AN 3 K 97.1263 ist von einer tatsächlichen Schweinehaltung nicht die Rede), so spricht Erhebliches dafür, dass insoweit keine die Umgebung prägende Wirkung mehr zu bejahen ist, insoweit also von einem (vorliegend den Schweinestall betreffenden) teilweisen Erlöschen der Baugenehmigung ausgegangen werden kann. Dies hätte dann zur Folge, dass bei der dann zugrunde zu legenden verminderten GV-Zahl von einem erforderlichen Abstand zwischen dem Abstandsbemessungspunkt (Tor des Rinderstalles) und dem Beigeladenenvorhaben von ca. 28 m auszugehen wäre.
d) Auch die vorliegend klägerseits getätigte Berufung auf zukünftige Erweiterungsabsichten vermag der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt im Beschluss vom 2. November 2009 – 15 ZB 09.775 – juris dazu u.a. Folgendes aus:
„Auch in einem Dorfgebiet bietet das Rücksichtnahmegebot nicht die Grundlage dafür, dass sich ein Landwirt gegen heranrückende Wohnbebauung, die sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, allein mit dem Verweis auf ein zukünftiges Erweiterungsinteresse zur Wehr setzen kann. Künftige Entwicklungen können nur insofern berücksichtigt werden, wie sie im vorhandenen baulichen Bestand bereits ihren Niederschlag gefunden haben (BVerwG v. 14.1.1993, DVBl 1993, 652). Der Vorrang, den die landwirtschaftliche Nutzung im Dorfgebiet beansprucht, äußert sich darin, dass der Schutz des Wohnens gegenüber landwirtschaftstypischen Störungen stärker eingeschränkt wird als in anderen Baugebieten. Er besteht aber nicht darin, die landwirtschaftliche Nutzung im Verhältnis zu den übrigen in einem Dorfgebiet zulässigen Nutzungsarten in der Weise zu begünstigen, dass sich das Maß der Rücksichtnahme ihr gegenüber nicht an den gegenwärtigen, sondern an potentiellen zukünftigen Nutzungsverhältnissen zu orientieren hat (BVerwG v. 14.1.1993, a.a.O.). Auf ein vages, im landwirtschaftlichen Betrieb bislang nicht angelegtes Erweiterungsinteresse muss deshalb nicht Rücksicht genommen werden (siehe auch BVerwG v. 5.9.2000, Baurecht 2001, 83). Der Vorrang für die Entwicklungsmöglichkeiten eines landwirtschaftlichen Betriebes im Dorfgebiet, gleiches gilt für die vorliegende Gemengelage, die der umliegenden Wohnbebauung nur das Schutzniveau eines Dorfgebietes vermittelt, gilt nur für konkret bereits geplante oder bei realistischer Betrachtung naheliegende Entwicklungen (BayVGH v. 21.9.2010 – 15 ZB 09.1476 – juris)“.
Die solchermaßen nötigen konkreten Erweiterungspläne sind vorliegend nicht gegeben.
e) Bezüglich der klägerseits vorgetragenen Bedenken hinsichtlich des durch den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers verursachten Lärm- und Staubimmissionen ist darauf hinzuweisen, dass in Gemengelagen mit dem wie vorliegend der vorhandenen Wohnbebauung zukommenden Schutzniveau eines Dorfgebietes für landwirtschaftliche Immissionen, Arbeitslärm, die üblichen Tiergeräusche gilt, dass diese als typische Begleiterscheinungen landwirtschaftlicher Nutzung hinzunehmen sind und folglich im Allgemeinen nicht als unzumutbar erachtet werden können.
3. Die klägerseits angeführte Unbestimmtheit der streitgegenständlichen Baugenehmigung infolge des Nichteinholens von Geruchs- und Lärm-/Staubimmissionen betreffenden Gutachten vermag ebenfalls nicht zum Klageerfolg zu führen.
a) In Ansehung der unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles sich bei Heranziehung der „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ ergebenden Sachlage (s.o. 2.), wonach eine Rücksichtslosigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens gegenüber dem Kläger zu verneinen ist, war eine Gutachtenserstellung zur Geruchssituation nicht notwendig und ihr Fehlen deshalb auch nicht geeignet, eine zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Unbestimmtheit darzulegen.
b) Gleiches gilt hinsichtlich Lärm- sowie Staubimmissionen.
Es spricht nichts dafür, dass die bei Zugrundelegung eines einem Dorfgebiet zustehenden Schutzanspruchs hinzunehmenden landwirtschaftlichen Geräusche mit (eventuell) Staubentwicklungen den vorgegebenen Rahmen dermaßen übersteigen würden, dass das gegenseitige Gebot der Rücksichtnahme in relevanter Weise verletzt werden würde.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei es vorliegend der Billigkeit entspricht, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem Kläger gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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