Baurecht

Baugenehmigung für Freischankfläche eines Cafés in einem Hinterhof

Aktenzeichen  1 BV 15.2302

Datum:
6.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 29, § 34 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 6, § 15 Abs. 1 S. 1, S. 2
BayBO BayBO Art. 55 Abs. 1
BImSchG BImSchG § 48

 

Leitsatz

Eine Freischankfläche, die einem Café zugeordnet ist, entspricht seiner Art nach einem Betrieb gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 BauNVO und ist in einem Mischgebiet regelmäßig zulässig. (redaktioneller Leitsatz)
Angesichts vorhandener gewerblicher Nutzungen in den rückwärtigen Grundstücksbereichen handelt es sich bei einer beabsichtigten Nutzung der Freischankfläche nicht um eine erstmalige gewerbliche Nutzung in einem bislang völlig unberührten Blockinnenbereich und damit nicht um ein erstmaliges Eindringen in einen ruhigen, geschützten rückwärtigen Wohnbereich. Ein Widerspruch zu der Eigenart des Baugebiets (§ 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO) liegt dann nicht vor. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 K 14.228 2015-04-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 23. April 2015 wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Beträge abwenden, wenn nicht der Beklagte und die Beigeladenen vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beigeladenen hat Erfolg, denn die Anfechtungsklage der Klägerin ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2013, mit dem die Nutzung des Hinterhofs als Freischankfläche für ein Café im Haus der Beigeladenen genehmigt wurde, zu Unrecht aufgehoben. Öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz der Klägerin dienen, sind nicht verletzt. Die genehmigte Freischankfläche ist in einem faktischen Mischgebiet (1.) zulässig. Die Nutzung der Freischankfläche durch das Café scheitert nicht an § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (2.). Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (3.).
Die gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO erstmalig für die Freischankfläche im Außenbereich des Wohn- und Geschäftshauses der Beigeladenen für das im Erdgeschoss befindliche Café erteilte und angefochtene „Tekturbaugenehmigung“ vom 18. Dezember 2013 verstößt nicht gegen die bauplanungsrechtlichen Anforderungen der §§ 29 ff. BauGB.
1. Nach den beim Ortstermin getroffenen Feststellungen beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO. In der näheren Umgebung (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369), die durch den O., die W… Straße, die P.-straße und die J.-straße begrenzt wird, sind die Wohnnutzung und die das Wohnen nicht wesentlich störende gewerbliche Nutzung quantitativ und qualitativ in etwa gleich ausgeprägt (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1988 – 4 C 34.86 – BVerwGE 79, 309). Im Anwesen der Beigeladenen befinden sich neben dem Café mit Anbau für Küche und Toiletten außerdem weitere gewerbliche Nutzungen, u. a. eine Rechtsanwaltskanzlei. Im weiteren Verlauf des O. sind in den Erdgeschossen der Häuser kleinere Ladengeschäfte, eine Bäckerei mit Kundenstellplätzen im rückwärtigen Hofbereich und das Restaurant „…“ untergebracht. Der rückwärtige Hofbereich des Restaurants wurde zum Zeitpunkt des Ortstermins als Stellfläche für PKW´s eines dem Restaurant angeschlossenen Pizzaservices genutzt. Im Bereich der W… Straße befinden sich mit Ausnahme des dem Haus O. 54 zugeordneten kleineren Nebengebäudes, das gewerblich genutzt wird, augenscheinlich Wohngebäude. Auch die Gebäude westlich der P.-straße werden überwiegend zu Wohnzwecken genutzt. Teilweise sind im Erdgeschoss Praxen von Ärzten und Heilpraktikern untergebracht. In der J.-straße sind im Erdgeschossbereich eine Apotheke, deren Kundenparkplätze von der P.-straße angefahren werden, eine Ferienwohnung, ein ambulanter Pflegedienst, ein Frisör, Büroräume, ein Versicherungsbüro, ein Kindermodenladen und ein Goldschmiedemeister vorzufinden sowie im Obergeschoss im Haus Nummer 13 ein Nachhilfeinstitut. Unmittelbar hinter den Gebäuden J.-straße 9 und 11 werden die Fahrzeuge des ambulanten Pflegedienstes abgestellt. Im rückwärtigen Nebengebäude sind Garagen untergebracht. Weiter nördlich folgt ein Wohngebäude (Haus Nr. 11b) mit Tiefgarage. Die weiteren Rückgebäude im Innenhof des Hauses J.-straße 7 werden als Garagen und zu Abstellzwecken genutzt. Im Rückgebäude auf dem Grundstück FlNr. … ist ein privates Institut für Mediation und Paartherapie untergebracht.
Die Freischankfläche der Beigeladenen, die dem Café zugeordnet ist, entspricht somit seiner Art nach einem Betrieb gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 2. Alt. BauNVO und ist daher in einem Mischgebiet regelmäßig zulässig.
2. Die Zulässigkeit des Vorhabens scheitert nicht an § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Danach sind die in §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Über die Sicherung der allgemeinen Zweckbestimmung des Mischgebiets, mit der die Freischankfläche wie vorstehend ausgeführt regelmäßig vereinbar ist, geht § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO hinaus und ermöglicht im Einzelfall die Aufrechterhaltung der gebietstypischen Prägung (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86.01 – BauR 2002, 1499). Denn die Eigenart eines konkreten Baugebiets wird nicht allein durch die typisierenden Regelungen der §§ 2 ff. BauNVO, sondern auch durch seine örtliche Situation und damit zusammenhängende, charakteristische Besonderheiten und Prägungen bestimmt (vgl. BVerwG, B.v. 16.12.2008 – 4 B 68.08 – ZfBR 2009, 376). Diese auf den Einzelfall bezogene Beschränkung gilt auch für unbeplante Gebiete, deren Eigenart – wie hier – gemäß § 34 Abs. 2 BauGB einem Plangebiet der Baunutzungsverordnung entspricht (vgl. BVerwG, B.v. 12.2.1990 – 4 B 240.89 – BauR 1990, 326).
Wie der Senat festgestellt hat, weist die maßgebliche Umgebung nicht die notwendigen Merkmale einer sog. Blockbebauung mit einem störungsfreien, allein dem Wohnen vorbehaltenen Innenhofbereich auf, da unbeschadet des verfahrensgegenständlichen Vorhabens bereits jetzt gewerbliche Nutzungen bestehen, die in die von den Straßen abgewandten rückwärtigen Bereiche störend hineinwirken. So befinden sich in den rückwärtigen Hofbereichen PKW-Stellplätze für gewerbliche Betriebe (vgl. Niederschrift vom 6. September 2016 – Bäckerei O. 48, Apotheke J.-straße 17, ambulanter Pflegedienst J.-straße 11) sowie Garagen (vgl. Niederschrift vom 6. September 2016 – rückwärtiges Nebengebäude J.-straße 9, Tiefgarage J.-straße 11b sowie weitere Rückgebäude im Norden der J.-straße). Ferner ist in dem Rückgebäude auf dem Grundstück FlNr. … in Sichtweite vom Grundstück der Klägerin ein privates Institut für Mediation und Paartherapie untergebracht. Zudem wurde auf dem Nachbargrundstück der Klägerin mit Baugenehmigung vom 2. Februar 2012 den Beigeladenen ein Küchenanbau einschließlich eines Glasdachs genehmigt, so dass auch auf dem Anwesen der Beigeladenen seit dem Jahr 2012 eine gewerbliche Nutzung im inneren, von der Straßenseite abgewandten, Bereich des Baugebiets besteht. Der Senat hat sich durch Einsicht in die Bauakte des Beklagten zur Baugenehmigung aus dem Jahr 2012 in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit des Zeitpunkts der Aufnahme der gewerblichen Nutzung überzeugt. Aus diesem Grund kann dahingestellt bleiben, ob bzw. in welchem Umfang vor diesem Zeitpunkt auf der Freifläche des Grundstücks der Beigeladenen schon eine gewerbliche Nutzung durch die vormaligen Betriebe stattgefunden hat (vgl. Niederschrift vom 6. September 2016 – zur Nutzung des Hinterhofs für die Kühlung von Getränken und Lebensmitteln bzw. zur Lagerung von Zutaten für die Eisherstellung in dem nördlich angrenzenden Rückgebäude durch ein türkisches Lokal bzw. eine Eisdiele). Angesichts der dargestellten gewerblichen Nutzungen in den rückwärtigen Grundstücksbereichen handelt es sich nach Auffassung des Senats – ohne dass es noch auf eine etwaige Nutzung des rückwärtigen Grundstücksbereichs des Restaurants „…“ als Freischankfläche ankommt – bei der beabsichtigten Nutzung der Freischankfläche der Beigeladenen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht um eine erstmalige gewerbliche Nutzung in einem bislang völlig unberührten Blockinnenbereich und damit nicht um ein erstmaliges Eindringen in einen ruhigen, geschützten rückwärtigen Wohnbereich. Ein Widerspruch zu der Eigenart des Baugebiets liegt daher nicht vor. Der von der Freischankfläche zu erwartende Lärm entspricht vielmehr dem Baugebiet und ist von der Klägerin hinzunehmen. Gleichermaßen ist von der Klägerin eine mögliche Einschränkung ihrer Privatsphäre hinzunehmen, da diese aufgrund der Lage ihres Anwesens in einem faktischen Mischgebiet im Zentrum von M. nicht in gleichem Umfang wie in einem allgemeinen Wohngebiet geschützt ist. Auf die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob die gewerbliche Nutzung des privaten Instituts für Mediation und Paartherapie mit der Nutzung der Freischankfläche vergleichbar ist, kommt es im Hinblick auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, der allein auf die Art des Baugebiets abstellt, nicht entscheidungserheblich an.
3. Schließlich scheitert die Zulässigkeit des Vorhabens auch nicht an § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Danach sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen und sonstigen Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind.
Der Klägerin ist insoweit zwar zuzugestehen, dass die von den Beigeladenen vorgelegte schalltechnische Untersuchung vom 7. Juli 2014 nur die Emissionen der Freischankfläche erfasst hat, nicht jedoch die bereits durch den Betrieb des Cafés vorhandenen Belastungen. Im Hinblick auf die am Haus der Klägerin ermittelten Beurteilungspegel im Erdgeschoss von 35,9 dB(A) und im Obergeschoss von 42,4 dB(A), die deutlich unter dem in der Baugenehmigung (für ein allgemeines Wohngebiet) festgesetzten Immissionsrichtwert von 55 dB(A) liegen, kommt diesem Umstand allerdings keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob zur Beurteilung der Lärmbeeinträchtigung der Freischankfläche grundsätzlich auch die auf der Grundlage des § 48 BImSchG erlassene Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – vom 26. August 1998 (GMBl. S. 503) herangezogen werden kann (vgl. dazu BVerwG, B.v. 3.8.2010 – 4 B 9.10 – BauR 2010, 2070 zur Nichtanwendbarkeit der TA Lärm auf Freiluftgaststätten nach Nummer 1 Satz 2 Buchst. b der TA Lärm), oder ob es einer Beurteilung der Lärmauswirkungen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls bedarf. Denn jedenfalls sind die Belästigungen bzw. Störungen, die von der Freischankfläche ausgehen, für die Klägerin auch bei einer Einzelfallbetrachtung angesichts der ermittelten Beurteilungspegel nicht unzumutbar. Soweit die Klägerin ergänzend auf mögliche abendliche Musikdarbietungen in dem Café verweist ist dem entgegenzuhalten, dass die Baugenehmigung einen Betrieb während der Nachtzeit ausdrücklich ausschließt.
Die Klägerin trägt als Unterliegende die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen (§ 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe:
Der Senat geht in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung von einem Streitwert in Höhe von 7.500 Euro aus (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 1 GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben