Baurecht

Baulücke als Teil des Bebauungszusammenhangs

Aktenzeichen  W 4 K 20.552

Datum:
20.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 29685
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 71
BauGB § 34, § 35

 

Leitsatz

1. Ein Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB reicht nur so weit, wie die vorhandene Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Dabei kommt es für die Ausdehnung eines Bebauungszusammenhangs auf die Grundstücksgrenzen ebenso wenig an, wie auf Darstellungen im Flächennutzungsplan.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil endet regelmäßig mit dem letzten Baukörper, so dass die hieran anschließenden Freiflächen bereits zum Außenbereich gehören. Ein Bebauungszusammenhang, der eine weitergehende Beurteilung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ermöglicht, setzt daher voraus, dass das betreffende Grundstück bzw. der betroffene Grundstücksteil durch die Eigenart der näheren Umgebung entsprechend geprägt wird. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine unbebaute Fläche ist nur dann als „Baulücke“ Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzend zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche am vorgesehenen Standort als zwanglose Fortsetzung der bereits vorhandenen Bebauung erscheint (hier bejaht). Diese Voraussetzung muss auch bei einer auf mehreren oder allen Seiten von zusammenhängender Bebauung umgebenden unbebauten Fläche erfüllt sein. Soweit eine Prägung durch die benachbarte Bebauung fehlt, handelt es sich bauplanungsrechtlich um Außenbereich. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. März 2020 verpflichtet, der Klägerin den beantragten Vorbescheid auf der Basis der Pläne vom 13. August 2019 zu erteilen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Gründe

Die Entscheidung konnte nach § 101 Abs. 2 VwGO vorliegend ohne mündliche Verhandlung ergehen, nachdem die Parteien im Rahmen des Augenscheinstermins am 8. September 2020 sich mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des von ihr beantragten Vorbescheids bezüglich der allein noch streitgegenständlichen Frage 1. Die Ablehnung durch das Landratsamt Aschaffenburg mit Bescheid vom 16. März 2020 war demgemäß rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist Art. 71 BayBO. Nach dieser Vorschrift kann vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid erteilt werden. Vorliegend hat die Klägerin eine sogenannte Bebauungsgenehmigung beantragt, in der die Frage der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens geklärt werden soll.
Der begehrte positive Vorbescheid kann nach Auffassung des erkennenden Gerichts insbesondere unter Berücksichtigung der im Rahmen des Augenscheins am 8. September 2020 gewonnen Erkenntnisse erteilt werden, weil die Errichtung des Wohngebäudes an dem vorgesehenen Standort bauplanungsrechtlich zulässig ist.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. § 34 BauGB, da das klägerische Grundstück nach Auffassung der erkennenden Kammer noch dem Innenbereich gemäß § 34 BauGB zuzuordnen ist.
Aufgrund der vorliegenden Pläne, der Luftbilder und insbesondere der beim Augenschein gewonnenen Erkenntnisse sowie aufgrund der gefertigten Bilder liegt das klägerische Grundstück noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit erweckt, nach der Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG vom 6.11.1968, BVerwGE 31, 22). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um noch als zusammenhängende Bebauung zu erscheinen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG vom 15.9.2005, ZfBR 2006, 54). Auf den Verlauf der Flurstücksgrenzen kommt es dabei nicht an (Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, Stand: Mai 2020, RdNrn. 25 u. 26 zu § 34). Grundlage und Ausgangspunkt dieser bewertenden Beurteilung sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie darüber hinaus auch andere topografische Verhältnisse wie z. B. Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse und dergleichen) sowie Straßen. Zu berücksichtigen sind dabei nur äußerlich erkennbare Umstände, d. h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse (BVerwG vom 12.12.1990, DVBl 1991, 810). Bei der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich geht es darum, inwieweit ein Grundstück zur Bebauung ansteht und sich aus dem tatsächlich Vorhandenen ein hinreichend verlässlicher Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche gewinnen lässt.
Ein Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB reicht mithin nur so weit, wie die vorhandene Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Dabei kommt es für die Ausdehnung eines Bebauungszusammenhangs auf die Grundstücksgrenzen ebenso wenig an, wie auf Darstellungen im Flächennutzungsplan. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil endet regelmäßig mit dem letzten Baukörper, so dass die hieran anschließenden Freiflächen bereits zum Außenbereich (§ 35 BauGB) gehören (vgl. BVerwG vom 17.1.2005 Az. 4 B 3.05). Ein Bebauungszusammenhang, der eine weitergehende Beurteilung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ermöglicht, setzt daher voraus, dass das betreffende Grundstück bzw. der betroffene Grundstücksteil durch die Eigenart der näheren Umgebung entsprechend geprägt wird (BVerwG vom 26.5.1978 Az. 4 C 9/77).
Im Vordergrund der Betrachtung steht dabei das unbebaute, aber gleichwohl den Bebauungszusammenhang nicht unterbrechende Grundstück. Mit den Merkmalen Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das unbebaute Grundstück gedanklich übersprungen werden kann, weil es ein verbindendes Element gibt, nämlich die Verkehrsanschauung, die das unbebaute Grundstück als eine an sich zur Bebauung anbietende „Lücke“ erscheinen lässt (BVerwG vom 19.9.1986 Az. 4 C 15/84).
In der Regel wird es sich bei den nach diesen Grundsätzen jenseits des letzten bereits vorhandenen Gebäudes noch in einem Bebauungszusammenhang einzubeziehenden Flächen nur um wenige Flächen im Sinne einer Baulücke handeln können (vgl. Soefker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg a. a. O., RdNr. 26 zu § 34). Eine unbebaute Fläche ist nur dann als „Baulücke“ Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzend zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche am vorgesehenen Standort als zwanglose Fortsetzung der bereits vorhandenen Bebauung erscheint. Diese Voraussetzung muss auch bei einer auf mehreren oder allen Seiten von zusammenhängender Bebauung umgebenden unbebauten Fläche erfüllt sein. Soweit eine Prägung durch die benachbarte Bebauung fehlt, handelt es sich bauplanungsrechtlich um Außenbereich. – Nach diesen Maßstäben liegt das Grundstück der Klägerin, soweit es für eine Bebauung vorgesehen ist, noch im Innenbereich. Im vorliegenden Verfahren kommt die Kammer, insbesondere aufgrund der vorgelegten Pläne, der Luftbildaufnahmen, aber auch wesentlich aufgrund des durchgeführten Augenscheins, zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem in Aussicht genommenen Grundstücksteil des Grundstücks mit der Fl.Nr. 8664 der Gemarkung S* … aufgrund des unmittelbar südlich angrenzenden größeren Wohngebäudes (* …weg 27) sowie der östlich über der Straße „…weg“ sich befindlichen Wohngebäude …weg 26 und …weg 28 auf den Grundstücken mit den Fl.Nrn. 8996 und 8994/2, entgegen der Ansicht des Beklagten nicht um einen sogenannten Außenbereich handelt. Dies gilt unabhängig davon, dass die im Anschluss an das Grundstück mit der Fl.Nr. 8664 der Gemarkung S* … angrenzende Freifläche des Grundstücks mit der Fl.Nr. 8199 der Gemarkung S* … durchaus als Außenbereich i.S.d. § 35 BauGB einzustufen ist.
Die Argumente und Einwendungen des Beklagten vermögen nicht zu überzeugen. Sie lassen unberücksichtigt, dass sich der für die Bebauung vorgesehene Standort im unmittelbaren Anschluss an die bereits auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. 8664 der Gemarkung S* … vorhandene Bebauung befindet. Den im Verfahren vorgelegten Plänen ist insoweit zu entnehmen, dass die nun ins Auge gefasste Bebauung nächstmöglich an das bereits vorhandene Wohngebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. 8664 der Gemarkung S* … heranrücken soll. Weiterhin gilt es vorliegend zu berücksichtigen, dass der Augenschein die Behauptung des Beklagten, die grüne Hangunterkante bildet zusammen mit der Erschließungsstraße „Am …weg“ die Zäsur zwischen Innenbereich und Außenbereich nicht bestätigt hat. Das deutlich sichtbare Hindernis war, worauf auch die Gemeinde in ihrem Beschluss vom 28. Oktober 2019, mit dem sie das gemeindliche Einvernehmen erteilt hat, hingewiesen hat, die Hangoberkante. Sie bildet, wie auch die vom Gericht im Rahmen des Augenscheins gefertigten Bilder deutlich zeigen, eine natürliche Grenze zwischen dem Innenbereich und dem Außenbereich und vermittelt den Eindruck des Abschlusses des Innenbereichs.
Nach alldem handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Grundstück, soweit die Klägerin eine Bebauung beabsichtigt, um eine Baulücke, deren Bebauung einer Siedlungsstruktur, wie sie bereits vorhanden ist, entspricht.
Kein anderes rechtliches Ergebnis zu begründen vermag der vom Beklagten im Rahmen des Augenscheinstermins befürchtete Dominoeffekt. Zum einen lassen sich bestimmte Folgewirkungen im Rahmen des § 34 BauGB, der lediglich auf eine rein tatsächliche Beurteilung der örtlichen Verhältnisse abstellt, nicht verhindern (so auch BayVGH v. 16.2.2009 Az 1 B 08.340). Zum anderen sind weitere Bezugsfälle jedenfalls auf dem sich an das Grundstück der Klägerin unmittelbar anschließenden Grundstück Fl.Nr. 8199 der Gemarkung S* … nicht zu befürchten, denn dieses Grundstücks ist, wie bereits dargelegt, dem Außenbereich zuzuordnen.
Das streitige Bauvorhaben liegt nach alledem im Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB).
Das beantragte Gebäude fügt sich auch i.S.v. § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB ein. Es hält sich sowohl hinsichtlich seiner Art als auch seiner Ausmaße an den Rahmen der Umgebungsbebauung. Die vorgesehene Bebauung ist auch nicht geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen. Ebenfalls ist eine Erschließung des Bauplatzes nicht von vornherein auszuschließen.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da die Klage der Klägerin bereits im Hauptantrag Erfolg hat, bedurfte es keiner Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag auf Neuverbescheidung.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.


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