Baurecht

Bauplanungs- und bauordnungswidrige Garagenanlage

Aktenzeichen  M 8 K 15.1838

Datum:
27.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6, Art. 63, Art. 76
BauGB BauGB § 31, § 34, § 35

 

Leitsatz

Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für eine Garagenanlage kommt nicht in Betracht, wenn sie aufgrund ihrer Größe und Massivität nicht die Voraussetzung einer untergeordneten Nebenanlage erfüllt und aufgrund ihres Nutzungszwecks und ihrer Zuordnung weder den in dem Baugebiet gelegenen Grundstücken noch dem Baugebiet selbst dient. (redaktioneller Leitsatz)
Ein langjähriger – rechtswidriger – Bestand begründet keine Atypik, welche die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 BayBO rechtfertigen würde. Das gleiche gilt für den Fall, dass eine rechtswidrige abstandsflächenrechtliche Situation durch eine Grundstücksteilung entstanden ist.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2015 wird in Ziffer 2 und Ziffer 3, soweit Ziffer 2 betroffen ist, aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 2/3, die Beklagte 1/3.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig.
Soweit die Beklagte unter Ziffer 1 des Bescheids vom 7. April 2015 die Beseitigung der Garagenanlage angeordnet hat, ist dieser rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beseitigungsanordnung bezüglich der Einfriedung und die entsprechende Zwangsgeldandrohung (Ziffer 2 und Ziffer 3 Spiegelstrich 2 des Bescheids vom 7. April 2015) waren aufzuheben, da die Klägerin insoweit in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt wird.
I.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Beseitigungsanordnung der Garagenanlage (Ziffer 1 des Bescheids vom 7.4.2015) liegen vor und die Beklagte hat insoweit auch ihr Ermessen beanstandungsfrei ausgeübt.
Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
Eine Beseitigungsanordnung kann ergehen, wenn die zu beseitigende Anlage sich in ihrem Bestand als formell und materiell illegal darstellt (BayVGH, B.v. 20.1.2003 – 20 ZB 99.3616 – juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Vorgaben sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Beseitigungsanordnung erfüllt. Das nicht verfahrensfreie Vorhaben ist nicht genehmigt und damit formell rechtswidrig und widerspricht auch materiellem Recht, so dass nicht auf andere Weise – durch Erteilung einer Baugenehmigung – rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
1. Eine Genehmigung der Garagenanlage existiert entgegen den Spekulationen bzw. Aussagen der Klagepartei nicht. Die Klagepartei, die insoweit nachweispflichtig ist (vgl. BayVGH, U.v. 12.6.2002 – 2 B 96.3258 – juris Rn. 17; VG München, U.v. 21.7.2008 – M 8 K 07.2169 – juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 1.10.2003 – 2 B 96.3308 – juris Rn. 18), hat diesen Nachweis nicht erbracht. Da in den Behördenakten ebenfalls keine entsprechende Genehmigung existiert, kann nur von deren Nichtvorhandensein ausgegangen werden.
2. Die streitgegenständliche Garagenanlage genießt auch keinen Bestandsschutz.
Zwar belegen die von der Klagepartei im Verwaltungsverfahren vorgelegten Luftbilder, dass bereits im Mai 1956 in dem südöstlichen Bereich des klägerischen Grundstücks eine bauliche Anlage bestand. Allerdings ergibt sich aus dem Luftbild vom Mai 1956 – auch wenn dieses keine den späteren Luftbildern vergleichbare Bildqualität aufweist -, dass die Abmessungen dieses Gebäudes wohl ein Längen- und Breitenverhältnis von 2 : 1 aufwiesen. Dieses Verhältnis der Länge zur Breite der baulichen Anlage entspricht aber weder der heutigen Anlage noch der auf dem Luftbild vom Juni 1965 klar zu erkennenden; bereits hier ergibt sich ungefähr das Verhältnis von Länge zur Breite von ca. 3 : 1, wie es sich auch heute in etwa darstellt.
Ganz klar erkennbar ist aber beim Vergleich der Luftbilder vom Mai 1956 und Juni 1965, dass die auf dem streitgegenständlichen Grundstück vorhandene bauliche Anlage im Juni 1965 deutlich weiter nach Norden versetzt worden ist. Seinerzeit existierte die wohl heute noch vorhandene Zuwegung der FlNr. … von der … Straße in Richtung Westen auf den … Bach zu, die sich allerdings damals zum Zwecke der Erschließung der dort noch vorhandenen (Gewerbe-)Bauten nach einem 90 °-Knick östlich des … Baches nach Süden fortsetzte. Sowohl an dem auf den Luftbildern eindeutig erkennbaren 90 °-Knick als auch der südlichen Giebelwand des im Eckbereich dieses Weges seinerzeit noch vorhandenen Satteldachgebäudes ist erkennbar, dass das im Jahre 1956 existierende Gebäude 1965 nicht mehr bestand, sondern an seiner Stelle deutlich weiter nördlich ein neues – wohl auch größeres – Gebäude errichtet worden war. Demnach ist ein etwaiger Bestandsschutz unabhängig von einer von der Klagepartei behaupteten Genehmigungsfreiheit im Jahre 1956 an der Rechtslage im Jahre 1965 zu messen. Nach den einschlägigen Vorschriften der Bayerischen Bauordnung 1962 (vom 1.8.1962, GVBl. Nr. 14 S. 179 – 204) war das Vorhaben weder genehmigungs- noch anzeigefrei, Art. 84 BayBO 1962.
Anhaltspunkte, dass das Gebäude 1965 genehmigungsfähig gewesen wäre, bestehen ebenfalls nicht, zumal dessen damalige Nutzung nicht belegt ist.
3. Die streitgegenständliche Garagenanlage ist auch nicht genehmigungsfähig, und zwar unabhängig davon, ob das Grundstück der Klägerin dem Innen- oder dem Außenbereich zuzuordnen ist.
3.1 Soweit man bei der Zuordnung des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung …, vom Innenbereich ausgehen würde, richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit nach § 30 Abs. 3 BauGB, im Übrigen nach § 34 Abs. 1 BauGB. Wie sich aus den von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Baulinienplänen (Baulinienfestsetzung vom 25.6.1910, genehmigt am 25.2.1911 – Nr. 34/B und vom 5. November 1957 Nr. IV/5-13369 U 1, genehmigt am 10.7.1958) ergibt, liegt das streitgegenständliche Grundstück außerhalb der Bauräume in einer hier festgesetzten Grünfläche.
Anhaltspunkte für Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baulinienfestsetzung bzw. deren wirksamen Überleitung gemäß § 173 Abs. 3 BBauG bestehen nicht. Die streitgegenständliche Garagenanlage widerspricht somit den Festsetzungen des einfachen Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 3 BauGB.
3.1.2 Eine Ausnahme nach § 23 Abs. 5 BauNVO i. V. m. § 31 Abs. 1 BauGB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil § 23 BauNVO nicht auf übergeleitete Baulinienpläne anwendbar ist (BVerwG, U.v. 23.08.1968 – IV C 103.66, BayVBl. 1969, S. 26 ff.; BayVGH, U.v. 07.09.2007 – 26 B 04.1591 – juris, RdNr. 36).
3.1.3 Ein Anspruch auf die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von der Festsetzung der Baugrenzen steht der Klägerin nicht zu, da durch die Befreiung die Grundzüge der Planung berührt werden würden.
Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99, NVwZ 1999, 1110 – juris; B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris; U.v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – juris RdNr. 37; U.v. 2.2.2012 – 4 C 14/10 – juris RdNr. 22). Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. Denn die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde; hierfür ist ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.1978 – 4 C 54.75 – juris RdNr. 27; U.v. 2.2.2012 – 4 C 14/10 – juris RdNr. 22). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris RdNr. 6; B.v. 29.7.2008 – 4 B 11/08 – juris RdNr. 4; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: August 2015, § 31 RdNr. 36).
Es liegt auf der Hand, dass das Ziel der Festsetzung, auf beiden Seiten des … Bachs eine diesen von der … Straße bis zur Stadtgrenze begleitende Grünfläche festzusetzen, durch die Errichtung von baulichen Anlagen in dieser Grünfläche – zumal eines Ausmaßes wie der streitgegenständlichen – konterkariert werden und zu Bezugsfällen führen würde.
Dies gilt auch, wenn man hier aufgrund der Unanwendbarkeit des § 23 Abs. 5 BauNVO i. V. m. § 31 Abs. 1 BauGB eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB im Lichte des § 23 Abs. 5 BauNVO betrachten würde, weil dessen Nichtanwendbarkeit bei übergeleiteten Baugrenzen und Baulinien ansonsten zu sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierungen führen würde. Die streitgegenständliche Garagenanlage erfüllt aufgrund ihrer Größe und Massivität nicht die Voraussetzung einer untergeordneten Nebenanlage und dient aufgrund ihres Nutzungszwecks und ihrer Zuordnung weder den in dem Baugebiet gelegenen Grundstücken noch dem Baugebiet selbst.
3.2 Für die Zuordnung des streitgegenständlichen Grundstücks zum Außenbereich, § 35 BauGB, spricht, dass die Bebauung auf der FlNr. … von der Bebauung … Str. 36 – 36 e im Nordosten und der … Str. 95 – 95 e im Westen bzw. Nordwesten und auch der … Str. 99 im Westen deutlich abgesetzt und im Süden bzw. Südosten von freier Landschaft umgeben ist. Soweit deshalb das Vorhaben nach § 35 BauGB zu beurteilen ist, ist es nicht genehmigungsfähig, da es sich nicht um ein privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB handelt und ihm als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB mehrere Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstehen. Dies sind zum einen der Flächennutzungsplan, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB, der im Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks eine ökologische Ausgleichsfläche darstellt, ferner § 35 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 5 BauGB, Lage im Landschaftsschutzgebiet und im Widerspruch zur Eigenart der Landschaft stehend, sowie auch § 35 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 7 BauGB, weil das Gebäude die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten lässt.
Unabhängig davon, dass das streitgegenständliche Garagengebäude nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB nicht zulassungsfähig ist, besteht auch hier ein Widerspruch zu § 30 Abs. 3 BauGB, wie bereits oben unter Ziffer 3.1 dargestellt.
4. Abgesehen von der planungsrechtlichen Unzulässigkeit hat die Beklagte auch zu Recht einen Widerspruch zu den bauordnungsrechtlichen Vorschriften des Abstandsflächenrechts festgestellt. Das streitgegenständliche Garagengebäude steht mit seiner südlichen Außenwand mit einer Länge von 19 m auf der südlichen Grundstücksgrenze und hält somit entgegen Art. 6 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 BayBO nicht den notwendigen Abstand zur Grundstücksgrenze von 3 m ein. Die Grenzgaragenprivilegierung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Ziffer 1 BayBO kann das streitgegenständliche Gebäude nicht in Anspruch nehmen, da es die Gesamtlänge von 9 m bei weitem überschreitet.
4.1 Entgegen der Ansicht der Klagepartei liegen auch die Voraussetzungen für eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht vor. Tatbestandsvoraussetzung für eine solche Abweichung ist eine atypische Fallkonstellation.
Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Die Zulassung einer Abweichung setzt Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2002 – 2 CS 01.1506 – juris Rn. 16; B.v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn. 8; B.v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 – juris Rn. 2; B.v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – juris Rn. 24; B.v. 11.1.2007 – 14 B 03.572 – juris Rn. 22; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U.v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231, BayVBl. 2012, 535 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris Rn. 3; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). Es müssen rechtlich erhebliche Unterschiede vorliegen, die das Vorhaben als einen sich von der Regel unterscheidenden atypischen Fall erscheinen lassen und dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 15 CS 14.1710 – juris Rn. 19). Diese können sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2006 – 25 ZB 01.1004 – juris Rn. 4; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 4; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen. Hingegen begründen allein Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, noch keine Atypik, da Modernisierungsmaßnahmen, die nur der Gewinnmaximierung dienen sollen, auch in Ballungsräumen nicht besonders schützenswert sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3).
Entgegen der Ansicht der Klagepartei liegt eine derartige Atypik nicht vor. Ein langjähriger – rechtswidriger – Bestand begründet keine Atypik. Das gleiche gilt für den Fall, dass eine rechtswidrige abstandsflächenrechtliche Situation durch eine Grundstücksteilung entstanden ist. Andernfalls würden entgegen der Gesetzesintention bewusst herbeigeführte, dem Abstandsflächenrecht widersprechende bauliche Zustände grundsätzlich durch Erteilung einer Abweichung legitimiert werden können.
5. Die Beklagte hat bei dem Erlass der Beseitigungsanordnung hinsichtlich der Garagenanlage auch rechtsfehlerfrei von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht (Art. 76 BayBO). Sie hat sich bei ihrer Ermessensausübung mit allen relevanten Gesichtspunkten ausführlich auseinandergesetzt und das private Interesse der Klägerin an der Beibehaltung der Garagenanlage mit den öffentlichen Interessen an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes abgewogen. Hierbei hat sie zu Recht das Interesse der Klägerin auch im Hinblick auf die von ihr getätigten Investitionen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände und auch der Vermeidung einer Bezugsfallgefahr zurückgestellt. Soweit die Klägerin die Notwendigkeit der Erhaltung der Garagenanlage auf ihren Gesundheitszustand stützt, sind diese subjektiven Interessen als nicht grundstücksbezogen bei der Ermessensausübung hinsichtlich der Beseitigungsanordnung unbeachtlich.
Die Ermessensausübung der Beklagten ist auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 GG nicht zu beanstanden.
Zwar ist der Klägerin dahingehend Recht zu geben, dass die Baurechtsbehörde mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet ist, das ihr eingeräumte Ermessen in gleich gelagerten Fällen gleichmäßig auszuüben. Aus diesem Grund ist es ihr verwehrt, systemlos oder willkürlich nur gegen einzelne Bauvorhaben einzuschreiten. Dies bedeutet aber nicht, dass die Bauaufsichtsbehörde verpflichtet wäre, rechtswidrige Zustände zeitgleich flächendeckend aufzugreifen. Aus dem Gleichheitssatz ergibt sich keine allgemein gültige zeitliche Grenze für ein unterschiedliches Vorgehen gegen baurechtswidrige Zustände. Vielmehr ist es der Bauaufsichtsbehörde unbenommen, die Verhältnisse nach und nach zu bereinigen. Ebenso darf die Behörde sich zunächst auf ein Vorgehen gegen einzelne Störer beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe hat (BVerwG, B.v. 22.4.1995 – 4 B 55/95 – juris Rn. 5; B.v. 23.11.1998 – 4 B 99/98 – juris Rn. 4).
Vorliegend hat die Beklagte nicht nur das streitgegenständliche Garagengebäude, sondern in der Umgebung auch weitere nicht genehmigte und genehmigungsfähige Nebengebäude, und zwar unabhängig von ihrer Vergleichbarkeit, aufgegriffen. Insoweit kann der Beklagten kein fehlendes Einschreitenskonzept vorgehalten werden. Soweit in keinem räumlichen Zusammenhang stehende, weiter entfernte nicht genehmigte bzw. genehmigungsfähige bauliche Anlagen (noch) nicht aufgegriffen wurden, begründet dies keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Wie oben festgestellt, kann auch im Hinblick auf Art. 3 GG von der Bauaufsichtsbehörde nicht verlangt werden, rechtswidrige Zustände zeitgleich flächendeckend aufzugreifen.
6. Das unter Ziffer 3 Spiegelstrich 1 angedrohte Zwangsgeld ist auf der Grundlage der Art. 29, 31, 36 VwZVG ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere ist die Zwangsgeldhöhe von Euro 5.000,– im Hinblick auf den gesetzlichen Rahmen nach Art. 31 Abs. 2 VwZVG von mindestens Euro 15,– und höchstens Euro 50.000,– unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses der Klägerin am Unterbleiben der Beseitigung als im unteren Bereich einer möglichen Zwangsgeldhöhe angesiedelt, durchaus angemessen. Das gleiche gilt auch für die Fristsetzung von sechs Monaten nach Unanfechtbarkeit der Verfügung; diese Frist ist auch unter Berücksichtigung der persönlichen Einschränkungen der Klägerin noch angemessen.
II.
Im Hinblick auf die Feststellungen unter Ziffer I.5 war der Bescheid, soweit er unter Ziffer 2 die Beseitigung der Einfriedung des Grundstücks FlNr. … anordnet, aufzuheben. Bezüglich dieser Anordnung fehlt ein entsprechendes Einschreitenskonzept. Im östlichen und im südlichen Bereich des östlichen Teils des Grundstücks FlNr. … befinden sich Einfriedungen, die nicht genehmigungsfähig sind, da dieser Teil der FlNr. … zweifellos dem Außenbereich zuzuordnen ist. Das gleiche gilt für das Grundstück FlNr. …, das auf seiner Westseite entlang des Baches und auf seiner Nordseite gegenüber dem Wegegrundstück mit einem ca. 1,50 m hohen Maschendrahtzaun eingezäunt ist. Dieser Maschendrahtzaun setzt sich nach Osten entlang der Nordgrenze der FlNr. … fort. Die Grundstücke FlNr. … und FlNr. … sind zweifellos ebenfalls dem Außenbereich zuzuordnen, weshalb die hier befindlichen Einfriedungen nicht genehmigungsfähig sind. Anders als die Einfriedung des streitgegenständlichen Grundstücks hat die Beklagte die nicht zulässigen Einfriedungen auf den östlichen und dem südlichen Nachbargrundstück nicht aufgegriffen. Bezüglich der Einfriedung auf dem streitgegenständlichen Grundstück handelt es sich daher zumindest um ein systemloses, wenn nicht willkürliches Vorgehen, zumal auch auf dem östlichen Teil der FlNr. … neben der nicht genehmigungsfähigen Einfriedung ein Nebengebäude vorhanden ist, das die Beklagte nach ihren eigenen Angaben aufgegriffen hat. Es hätte sich daher vorliegend aufgedrängt, die rechtswidrigen Zustände auf dem östlichen Teil der FlNr. … – sowie auf dem streitgegenständlichen Grundstück – insgesamt zu bereinigen oder gänzlich auf Verfügungen bezüglich der Einfriedungen zu verzichten. Insoweit ergibt sich kein sachlicher Grund, dass eine solche Gesamtbereinigung nur auf dem streitgegenständlichen Grundstück stattgefunden hat, wenn die Beklagte im Übrigen gegen die nicht zulässigen Einfriedungen auf den Nachbargrundstücken nicht vorgeht.
III.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO teilweise stattzugeben.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,– festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).


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