Baurecht

Bauvertrag: Unwirksamkeit des formularmäßigen Ausschlusses von Entschädigungsansprüchen bei Bauzeitverzögerungen durch den Besteller

Aktenzeichen  27 U 688/17 Bau

Datum:
11.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 141142
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 631 Abs. 1, § 642 Abs. 2, § 643

 

Leitsatz

1 Eine formularmäßige Klausel in einem Bauvertrag, nach der bauübliche Bauablaufstörungen in Kauf zu nehmen sind und nicht zu Entschädigungsansprüchen führen, benachteiligt den Unternehmer unangemessen und ist daher gem. § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Unterlässt der Besteller die ihm obliegenden Mitwirkungshandlungen, steht dem Unternehmer neben dem Recht aus § 643 BGB, den Vertrag zu kündigen und die verdiente Teilvergütung zu verlangen, grundsätzlich auch ein Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB gegen den Besteller zu. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3 Grundlage für die Bemessung der Entschädigung gem. § 642 BGB ist die Dauer des Annahmeverzugs des Bestellers sowie die Höhe der vereinbarten Vergütung unter Abzug der ersparten Aufwendungen und der Vorteile, die der Unternehmer durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erlangen konnte.  (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 HK O 1976/12 2017-02-08 Endurteil LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 08.02.2017, Az. 1 HK O 1976/12, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
II. Die Beklagte hat Gelegenheit, zu diesem Hinweis des Senats bis 05.10.2017 Stellung zu nehmen.

Gründe

Das Urteil des Landgerichts Memmingen entspricht der Sach- und Rechtslage.
Rechtsfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 ZPO liegen nicht vor und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Im Einzelnen ist zu den Berufungsangriffen der Beklagten wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 642 BGB nicht durch die Regelung in Ziffer 6.1 Satz 2 und 3 der besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten, die Grundlage des Vertrages vom 02.02.2009 geworden sind (Anlage K 1), ausgeschlossen ist.
a) Nach Auffassung des Senats ist 6.1. der besonderen Vertragsbedingungen im Hinblick auf den von der Klägerin geltend gemachten Entschädigungsanspruch bereits nicht einschlägig.
Gemäß 6.1. Satz 1 der besonderen Vertragsbedingungen hat der Auftragnehmer, also die Klägerin, seine Arbeiten so durchzuführen, dass andere am Bau tätige Unternehmen nicht behindert oder geschädigt werden. Er muss rechtzeitig und ausreichend für alle erforderlichen Abstimmungen bezüglich seines technischen und zeitlichen Ablaufes Sorge tragen. Satz 2 und 3 bestimmen des weiteren, dass etwaige bauübliche Störungen in Kauf genommen werden müssen und nicht zu Ersatzansprüchen berechtigen.
Ziffer 6. der besonderen Vertragsbedingungen regelt damit die Pflicht des Auftragnehmers, seinen Auftrag so durchzuführen, dass hierdurch andere Unternehmen nicht behindert oder geschädigt werden, und für eine Abstimmung des Ablaufs Sorge zu tragen. Damit werden vom Auftragnehmer zu erfüllende Vertragspflichten definiert. Weiter bestimmt hierzu Satz 2, dass etwaige bauübliche Störungen (vom Auftraggeber) in Kauf genommen werden müssen und diese nicht zu Ersatzansprüchen berechtigen.
Vorliegend geht es jedoch nicht darum, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Bauleistungen die zeitliche Abfolge und Abstimmung nicht eingehalten hat und dadurch andere geschädigt wurden. Vielmehr ist Gegenstand der Klage, dass die Klägerin ihre Leistung nicht in dem zeitlich geplanten Rahmen ausführen konnte, weil die Beklagte als Auftraggeberin die ihr nach § 642 BGB obliegenden Mitwirkungshandlungen nicht erbracht hat.
Ein eventueller Anspruch nach § 642 BGB wird damit durch die besondere Vertragsbedingung 6.1. nicht berührt.
b) Unabhängig davon teilt der Senat die Rechtsauffassung des Landgerichts, dass die Regelung gemäß Ziffer 6.1. Satz 2 und 3 der besonderen Vertragsbedingungen, wonach etwaige bauübliche Störungen in Kauf genommen werden müssen und nicht zu Ersatzansprüchen berechtigen, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sind.
1) Die Argumentation der Berufung, die Klausel 6.1. Satz 2 und 3 sei deshalb nicht unwirksam, weil die Klägerin jederzeit die Möglichkeit gehabt habe, der Beklagten eine angemessene Frist zur Vornahme der Mitwirkungshandlung zu setzen, nach deren fruchtlosem Ablauf den Vertrag zu kündigen und die Vergütung für die bereits erbrachten Leistungen zu beanspruchen, verfängt nicht.
Zwar hat der Auftragnehmer bei unterlassener Mitwirkungshandlung des Bauherrn gemäß § 643 BGB nach Ablauf einer angemessenen Frist zur Vornahme der Handlung das Recht, den Vertrag zu kündigen. Dies ist jedoch kein adäquater Ausgleich für den Wegfall eines Entschädigungsanspruchs nach § 642 BGB. Zum einen ist eine Fristsetzung nach § 643 BGB erst ab dem Zeitpunkt möglich, zu dem der Besteller die gebotene Mitwirkung unterlassen hat. Bereits ab diesem Zeitpunkt tritt damit bis zum Ablauf der angemessenen Frist eine Verzögerung ein. Da der Unternehmer erst nach Fristablauf das Recht zur Kündigung hat, wäre für die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen zeitlichen Verzögerungen ein Entschädigungsanspruch nicht gegeben. Das Argument der Berufung, hierdurch könnte erheblicher Druck auf den Besteller ausgeübt werden, so dass Nachteile aufgrund übermäßiger Verzögerungen nicht entstehen könnten, ist daher nicht einschlägig. Hinzu kommt, dass der Besteller bei Kündigung gemäß § 643 BGB lediglich Anspruch auf Teilvergütung hinsichtlich der bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten Leistungen hat. Die Nachteile, die ihm dadurch entstehen, dass der Bauvertrag nicht wie vereinbart vollständig abgewickelt und damit die Vergütung in vollem Umfang entrichtet wird, werden hierdurch nicht ausgeglichen. Aus diesem Grund hat der Unternehmer auch bei Kündigung nach § 643 BGB neben seinem Anspruch auf Teilvergütung grundsätzlich den Anspruch auf Entschädigung nach § 642 BGB (vgl. Palandt/Sprau, 76. Auflage, § 643 Rn. 1 m.w.N.). Die Argumentation der Berufung, das Recht auf Kündigung könne einen Entschädigungsanspruch ersetzen, ist daher nicht nachvollziehbar. Vielmehr wäre auch im Falle der Kündigung der Wegfall eines Entschädigungsanspruchs als unangemessene Benachteiligung zu werten.
2) Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass die Nachteile bei Ausschluss des Entschädigungsanspruches nach § 642 BGB nicht anderweitig ausgeglichen werden können und damit eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt. Bei dem Hinweis des Landgerichts, die Wirksamkeit der Klausel unterstellt, sei gemäß § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten von der kundenfreundlichsten Auslegung auszugehen mit der Folge, dass die von der Beklagten zu vertretende fünfwöchige Behinderung keine bauübliche Störung mehr sei, handelt es sich lediglich um eine Hilfserwägung. Das Landgericht hat damit seine Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige rechtliche Erwägungen gestützt, wobei jede einzelne selbständig die Entscheidung des Landgerichts trägt. Unabhängig davon, ob der Argumentation des Landgerichts zu § 305 c Abs. 2 BGB zu folgen ist, vermag dies einen entscheidungserheblichen Rechtsfehler des Landgerichts nicht zu begründen.
2. Auch die Höhe des vom Landgericht festgesetzten Entschädigungsanspruchs ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Soweit die Berufung unter Hinweis auf den Aufsatz von H. (der Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB, BauR 2014, 1055 ff.) die Auffassung vertritt, der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB gewähre nur eine Entschädigung für die verspätete Fälligkeit der Vergütung, ist dem nicht zu folgen.
Die Auffassung von H. entspricht weder der Rechtsprechung noch der herrschenden Meinung in der Literatur. Vielmehr führt H. auf Seite 1057 hierzu selbst aus, dass er entgegen BGH und Literatur hierzu „einen gänzlich abweichenden Ansatz“ vorstellt und insbesondere § 642 BGB § 304 BGB gleichsetzt.
a) Dieser Auffassung ist jedoch nicht zu folgen.
Vielmehr geht der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH sowie der überwiegenden Literatur davon aus, dass der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB einen Ausgleich dafür gewährt, dass der Unternehmer in seiner Dispositionsfreiheit hinsichtlich seiner Arbeitskraft und seines Kapitals beeinträchtigt wird und hierfür Anspruch auf eine angemessene Entschädigung hat. Grundlage für die Bemessung dieser Entschädigung ist dabei (§ 642 Abs. 2 BGB) die Dauer des Annahmeverzugs des Bestellers sowie die Höhe der vereinbarten Vergütung. Im Gegenzug dazu gibt § 304 BGB lediglich im Falle des Gläubigerverzugs einen Anspruch auf Ersatz der Mehraufwendungen, die für das erfolglose Angebot sowie für die Aufbewahrung und Erhaltung des geschuldeten Gegenstands gemacht werden mussten (vgl. z.B. Beck OK BGB/Voit BGB § 642 Rn. 14 – 16).
b) Der Entschädigungsanspruch ist entgegen H. nicht auf eine angemessene Verzinsung des Vergütungsanspruchs für den Verzugszeitraum reduziert. Vielmehr erfolgt die Berechnung unter Zugrundelegung der Vergütung, die dem Unternehmer durch den Annahmeverzug des Bestellers im Verzugszeitraum entgangen ist unter Abzug der ersparten Aufwendungen und Abzug der Vorteile, die der Unternehmer durch anderweitige Verwendung während dieses Zeitraums erlangt hat, wobei nach Rechtsprechung des BGH entgangener Gewinn und Wagnis hiervon nicht umfasst sind.
c) Die Ausführungen der Berufung zur Begründungslast des Landgerichts gegenüber der Auffassung H. sind nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hat auf Seite 19 hinreichend dargelegt, dass es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Literatur folgt und die Auffassung H. mit dem Gesetzeswortlaut kaum in Einklang zu bringen ist.
d) Vergeblich rügt die Berufung, die Klägerin habe nicht konkret dargelegt, welcher Schaden ihr durch die Verzögerung entstanden sei.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme aufgrund der vorgelegten Unterlagen, der vorgelegten privatgutachtlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. T. (Anlage K 10) sowie des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen K. festgestellt, dass die vertraglich vereinbarte Vergütung für die Soll-Leistung für den Behinderungszeitraum vom 06.07. bis 07.08.2009 abzüglich Wagnis und Gewinn 193.510,00 € beträgt. Das Landgericht hat hierzu auf Seite 20 – 23 detailliert ausgeführt, wie es zu seiner Schadensberechnung kommt und welche Beweise es hierbei seiner Entscheidung zugrunde legt.
Dasselbe gilt auch für die abzuziehenden ersparten Lohnkosten und Gerätekosten in Höhe von insgesamt 79.526,00 €. Auch hierzu wurde vom Landgericht auf den Seiten 23 – 26 nachvollziehbar und detailliert begründet, wie diese Positionen festzusetzen sind. Rechtsfehler hierzu werden von der Berufung nicht aufgezeigt und sind auch nicht im Ansatz ersichtlich.
Der bloße Hinweis der Berufung auf die Entscheidung des OLG Köln und des OLG Dresden reicht hierzu nicht aus. Im Übrigen lag der Entscheidung des OLG Köln, entgegen dem Sachverhalt im streitgegenständlichen Fall, keine konkret bauablaufbezogene Darstellung zugrunde. Eine Vergleichbarkeit ist daher nicht gegeben. Auch die genannte Entscheidung des OLG Dresden ist vorliegend nicht anwendbar, da Inhalt dieser Entscheidung nicht ein Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB ist.
e) Der Vortrag der Beklagten zur Auftragssituation im Baugewerbe im Jahre 2008 sowie der Bericht von 2011 wurden erstmals im Rahmen der Berufungsbegründung gemacht. Unabhängig davon, dass dieser Vortrag damit bereits verspätet und gemäß § 531 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 ZPO unzulässig ist, ist er auch für die streitgegenständliche Entscheidung ohne Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht den Nachweis eines anderweitigen Erwerbs durch die Klägerin führen konnte. Die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe aufgrund der schlechten Baukonjunktur sowieso während des Ausführungszeitraumes keine anderen Aufträge erhalten, ist durch nichts konkret belegt.
3. Auch der Angriff der Berufung gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts geht ins Leere.
Das Landgericht hat aufgrund einer äußerst sorgfältigen und umfangreichen Beweisaufnahme unter Zugrundelegung der vorgelegten Unterlagen, nach Anhörung der Zeugen und Erholung eines Sachverständigengutachtens nachvollziehbar und widerspruchsfrei seine Feststellungen getroffen.
Die Berufung vermag Widersprüche in der vom Landgericht vorgenommenen Würdigung, Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht dar zu tun. Soweit sie sich darauf beschränkt, anstelle der Würdigung des Landgerichts ihre eigene Bewertung zu setzen, ist dies kein erfolgreicher Berufungsangriff.
Der Hinweis auf die Aussage des Zeugen L., der bekundete, die Anlagen K 3 und K 25 erst für den Rechtsstreit erstellt zu haben, ist hierbei ohne Wirkung. Der Zeuge hat bei seiner Einvernahme unmissverständlich erklärt, dass die Unterlagen bereits handschriftlich vorlagen und er diese für den Prozess lediglich nochmals in Reinschrift übertragen hat.
4. Das Landgericht hat schließlich auch Feststellungen zur Kausalität getroffen und hierzu ausgeführt, dass verzugsbedingt die streitgegenständlichen Leistungen nicht im vereinbarten Zeitraum ausgeführt werden konnten.
Nach alledem erweist sich das Ersturteil in vollem Umfang als zutreffen.
Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.


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