Baurecht

Beeinträchtigung des Denkmalensembles einer Villenkolonie

Aktenzeichen  M 29 SN 20.4685

Datum:
4.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40816
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDSchG Art. 6 Abs. 2 S. 1
BauGB § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine erhebliche Beeinträchtigung des Ensembles Villenkolonie, wie sie für die Annahme eines vom Eigentümer des Baudenkmals zu rügenden Verletzung denkmalschutzrechtlicher Vorschriften  erforderlich wäre, ist angesichts einer Grundflächenzahl von 0,173 und einer geringfügigen Überschreitung des denkmalprägenden Garten-Bauwerk-Verhältnisses um 0,07 nicht zu befürchten (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3250,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamlienhauses.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Os. straße 32, Fl.Nr.1119/6, Gemarkung … Nördlich an das Grundstück der Antragsteller grenzt das Grundstück Fl.Nr. 1119 an. Beide Grundstücke befinden sich östlich der Os. straße, an der eine straßenseitige Baulinie festgesetzt worden ist. Die Grundstücke befinden sich im Umgriff des Denkmalensembles Villenkolonie …
Mit Bescheid vom … August 2020 erteilte die Antragsgegnerin den Beigeladenen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren eine Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück Fl.Nr. 1119 (Plan-Nr. …). Die erteilte Baugenehmigung enthält Befreiungen wegen Überschreitung der straßenseitigen Baulinie durch Müllboxen sowie wegen Abrückens von der an der Os. straße festgesetzten Baulinie. Des Weiteren sind baumschutzrechtliche und denkmalschutzrechtliche Nebenbestimmungen enthalten. Auf dem Grundstück der Beigeladenen befindet sich im nordwestlichen Bereich ein Wohnhaus als Bestandsgebäude. Das Bauvorhaben soll im südöstlichen Bereich des Grundstücks verwirklicht werden.
Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 25. September 2020 Klage erhoben, mit der sie beantragen, die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung aufzuheben und die Beklagte im Falle eines modifizierten Bauantrags zu verpflichten, die Belange des Ensemble-Schutzes und des Drittschutzes, insbesondere hinsichtlich der Freihaltung des rückwärtigen Gartenbereichs, angemessen zu berücksichtigen.
Zugleich beantragen sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Sie sind der Auffassung, das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es sich nicht in die nähere Umgebung einfüge. Die Bebauung des Grundstücks mit der Fl.Nr. 1119/4 könne nicht als Bezugsobjekt herangezogen werden, da es sich hierbei um einen bauplanungsrechtlichen Sündenfall handele, der überdies bereits seit langer Zeit dort errichtet worden sei, so dass von ihm keine bauplanungsrechtliche Festsetzungswirkung mehr ausgehe. Die Antragsgegnerin habe bei der Erteilung der strittigen Baugenehmigung die von ihr selbst entwickelten Leitlinien für Gartenstadtbereiche missachtet. Dem Denkmalschutz sei nicht angemessen Rechnung getragen worden. Zu Unrecht sei eine Befreiung von der Einhaltung der straßenseitigen Baulinie erteilt worden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt sie vor, die streitgegenständliche Baugenehmigung verletze die Nachbarn nicht in eigenen Rechten. Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung seien grundsätzlich nicht drittschützend. Das Vorhaben verletze ferner nicht das Rücksichtnahmegebot. Insbesondere komme dem geplanten Vorhaben keine einmauernde oder erdrückende Wirkung zu. Abstandsflächen würden eingehalten. Die gerügten Belange des Naturschutzes und des Denkmalschutzes seien nicht drittschützend.
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
den Antrag abzulehnen.
Auch sie sind der Auffassung, drittschützende Normen seien nicht verletzt. Straßenseitige Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche seien grundsätzlich nicht drittschützend, so dass auch hierauf bezogene Befreiungen Rechte Dritter nicht verletzen könnten. Überdies sei die im übergeleiteten Baulinienplan festgesetzte vordere Baulinie funktionslos geworden, da nahezu alle Häuser entlang der Os**straße hinter der vorderen Baulinie zurückträten. Das Vorhaben sei nicht rücksichtslos. Zudem könnten sich die Antragsteller nicht auf das Denkmalschutzrecht berufen. Eine erhebliche Beeinträchtigung des denkmalgeschützten Ensembles sei nicht zu befürchten. Das Verhältnis 1:6 von bebauter und unbebauter Fläche werde eingehalten. Überdies sei auch das Grundstück Fl.Nr. 1119/4 im rückwärtigen Bereich bebaut.
Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 6. November 2020 auf die Antragserwiderung repliziert. Sie tragen ergänzend vor, die Nachbarklage würde weitestgehend ausgehöhlt, wenn Nachbarn nicht auch sonstige öffentlich-rechtlichen Belange rügen dürften. Die Antragsgegnerin habe bei Erteilung der Baugenehmigung die gebotene Abwägung zwischen Eigentümerbelangen und öffentlichem Erhaltungsinteresse unterlassen. Durch die Zulassung einer weiteren rückwärtigen Bebauung werde neben der Bebauung des Grundstücks Fl.Nr. 1119/4 ein weiterer Bezugsfall geschaffen, der zu einem fortschreitenden Verlust an ensembleprägender Gartenfläche führe. Die Beigeladenen hätten keinen zwingenden Grund, das Vorhaben im hinteren Grundstücksbereich zu positionieren. Die Baulinienfestsetzung sei nicht funktionslos geworden. Vielmehr müsse sie historisch bedingt dahin verstanden werden, dass die Gebäude straßenzugewandt errichtet werden müssten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren (M 29 K 20.4682) Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27. August 2020 ist zwar zulässig, jedoch unbegründet und hat damit in der Sache keinen Erfolg. Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist eine für den Erfolg der Anfechtungsklage erforderliche Verletzung von Rechten der Antragsteller, die zum Prüfungsumfang des Genehmigungsverfahrens gehören, nicht ersichtlich (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog), so dass das Interesse an der Vollziehung der Baugenehmigung gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragsteller überwiegt.
Gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Genehmigung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212 a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse des Bauherrn oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Dritte – wie die Antragsteller – können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22; B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1831 – juris Rn. 17). Ein Nachbar kann eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von drittschützenden Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1831 – juris Rn. 17). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren aber nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen dessen Ausführung zu suchen (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2016 – 15 ZB 15.12 – juris Rn. 22 m.w.N.).
Dies vorausgeschickt verletzt die streitgegenständliche Baugenehmigung nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung die Antragsteller nicht in nachbarschützenden Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt nicht gegen die Antragsteller schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts.
1.1 Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich vorliegend im Hinblick auf das vorhandene, gemäß § 173 Abs. 3 BBauG und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitete und fortgeltende Bauliniengefüge, welches für das Straßengeviert M …straße, Os.straße, Or.straße und F …-Straße eine vordere Baulinie vorsieht, nach § 30 Abs. 3 BauGB und im Übrigen, da keine weitergehenden bauplanungsrechtlichen Festsetzungen vorhanden sind, nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Danach ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
Der von Antragstellerseite vorgetragene Einwand, die Positionierung des Vorhabens im rückwärtigen Grundstücksbereich füge sich in die vorhandene Bebauung nicht ein, greift nicht durch, denn die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95; BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3 m.w.N.).
1.2. Auch die ausgesprochenen Befreiungen wegen Überschreitung der straßenseitigen Baulinie durch Müllboxen sowie wegen Abrückens der an der Os**straße festgesetzten Baulinie verletzen die Antragsteller nicht in eigenen Rechten.
Hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit wird oder von nicht drittschützenden Festsetzungen. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BayVGH, B. v. 23.5.2017 – 1 CS 17.693 – juris, Rn. 3; BayVGH, B. v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris, Rn. 3; jeweils m.w.N.).
Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien und Baugrenzen haben grundsätzlich keine drittschützende Funktion. Solche Festsetzungen vermittelt Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen (BayVGH, B. v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris, Rn. 24, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann. Maßgebend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollte (BayVGH v. 29.8.2014 a.a.O., Rn. 25, m.w.N.).
Die erteilten Befreiungen beziehen sich sämtlich auf die straßenseitige Baulinie und betreffen daher schon deshalb keine die Antragsteller schützenden bauplanungsrechtlichen Festsetzungen, sodass die Frage einer Funktionslosigkeit dieser Festsetzungen dahinstehen kann (vgl. aber BayVGH, U.v. 2.8.2018 – 2 B 18.742 – BayVBl 2019, 346). Fiktive rückwärtige Baulinien können vorliegend weder konstruiert werden noch wären sie drittschützender Natur.
1.3. Die Kammer vermag auch keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aus § 34 Abs. 1 BauGB zu erkennen.
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach der Gesamtsituation zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – NVwZ 1994, 354 – juris Rn. 17). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Zur Beurteilung einer „abriegelnden“ oder „erdrückenden“ Wirkung kommt es entscheidend auf eine Gesamtschau des konkreten Einzelfalls an. Die Einhaltung der landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften indiziert zwar regelmäßig, dass eine „erdrückende Wirkung“ nicht eintritt. Daraus kann aber nicht der Gegenschluss gezogen werden, dass eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften auch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots indizieren würde (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17 m.w.N.). Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31).
Eine erdrückende oder einmauernde Wirkung des Bauvorhabens wird von den Antragstellern weder behauptet noch ist eine solche nach summarischer Prüfung anzunehmen. Zwar ist den Antragstellern zuzugestehen, dass durch die heranrückende Wohnbebauung ihr Grundstück einen – rechtlich aber nicht geschützten – Lagevorteil verliert. Jedoch stellt der Erhalt einer Ruhezone kein Kriterium im Rahmen des Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB dar, so dass auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ausscheidet (BayVGH, B.v. 18.10.2010 – 2 ZB 10.1800 – juris Rn. 11). Nachbarn haben also keinen Anspruch auf den Fortbestand einer faktischen Ruhezone in dem Sinn, als dass sie damit die Bebauung von Nachbargrundstücken verhindern könnten (BVerwG, U.v. 18.9.2003 – 4 CN 3/02 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 8.2.2010 – 2 AS 09.2907 – juris Rn. 23). Für eine entsprechende „rückwärtige Ruhezone“ hat jeder Bauherr vielmehr auf seinem eigenen Grundstück zu sorgen (BayVGH, B.v. 18.10.2010 – 2 ZB 10.1800 – juris Rn. 11).
2. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt nach summarischer Prüfung auch keine Rechte der Antragsteller als Eigentümer eines vom denkmalgeschützten Ensemble umfassten Gebäudes.
Die Feststellungswirkung der Baugenehmigung umfasst auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die denkmalschutzrechtlichen Anforderungen gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 3 BayDSchG. Die Antragsteller können sich deshalb grundsätzlich auch auf die Verletzung von dann im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden denkmalschutzrechtlichen Normen berufen, soweit sie drittschützend sind.
Die Baugenehmigung darf nur ergehen, wenn Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf die Erlaubnis versagt werden, soweit das Vorhaben zu einer Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbildes oder der künstlerischen Wirkung eines Baudenkmals führen würde und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen.
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG dient grundsätzlich allein dem öffentlichen Interesse, ohne dem Einzelnen subjektive (Abwehr-)Rechte einzuräumen. Ein Ausschluss von Abwehrrechten des Eigentümers eines Denkmals gegen die Zulassung eines in der Umgebung geplanten Vorhabens, von dem nachteilige Wirkungen auf das Denkmal ausgehen, ist allerdings insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar, als das Denkmal hierdurch erheblich beeinträchtigt wird (BayVGH, U.v. 24.1.2013 – 2 BV 11.1631 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 9 CS 17.195 – juris Rn. 20). Dies gilt auch für die Beeinträchtigung eines denkmalschutzrechtlichen Ensembles (BVerwG, U.v.21.4.2009 – 4 C 3.08 – juris Rn. 15). Als erhebliche Beeinträchtigung eines Denkmals ist dabei nicht nur eine Situation anzusehen, in der ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand, also ein Unlust erregender Kontrast zwischen der benachbarten Anlage und dem Baudenkmal hervorgerufen wird, sondern auch die Tatsache, dass die Wirkung des Denkmals als Kunstwerk, als Zeuge der Geschichte oder als bestimmendes städtebauliches Element geschmälert wird. Neue Vorhaben müssen sich zwar weder völlig an vorhandene Baudenkmäler anpassen noch haben sie zu unterbleiben, wenn eine Anpassung nicht möglich ist. Aber sie müssen sich an dem Denkmal messen lassen, dürfen es nicht gleichsam erdrücken, verdrängen oder die gebotene Achtung gegenüber den im Denkmal verkörperten Werten vermissen lassen. Die genannten Merkmale müssen in schwerwiegender Weise gegeben sein, damit von einer erheblichen Beeinträchtigung gesprochen werden kann (BayVGH, U.v. 25.6.2013 – 22 B 11.701 – juris; B.v. 4.10.2016 – 9 ZB 14.1946 – juris). Grundsätzlich umfasst der gebotene denkmalrechtliche Drittschutz den Schutz der Substanz des eigenen Denkmals sowie den „Umgebungsschutz“ (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 4 C 3.08 – juris Rn. 14). Darüber hinaus lässt sich dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz jedoch kein allgemeiner Drittschutz zugunsten des Denkmaleigentümers entnehmen (BayVGH, U.v. 24.1.2013 a.a.O. Rn. 22).
Eine derartige erhebliche Beeinträchtigung ist nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nicht auszumachen. Aus den Verfahrensakten ergibt sich, dass die Belange des Denkmalschutzes geprüft wurden. Die vorliegende Planung wurde im Einvernehmen mit dem Landesamt für Denkmalpflege unter bestimmten denkmalschutzrechtlichen Auflagen genehmigt.
Denkmalschutzrechtliche Bedenken ergeben sich insbesondere nicht aus der Situierung des geplanten Gebäudes im hinteren Grundstücksbereich. Denn für das Ensemble Villenkolonie … sind nicht nur der Wechsel zwischen großen und kleinen Grundstücken und die relativ großen Gärten, sondern gerade auch die unterschiedliche Situierung der Gebäude prägend (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.2018 – 2 B 18.742 – BayVBl 2019, 346). Auch das ensemblekonstituiernde Merkmal des Wohnens im Einfamilienhaus auf relativ großem Gartengrundstück ist durch das genehmigte Bauvorhaben gewahrt. Insbesondere wird bei Realisierung des strittigen Vorhabens das Verhältnis 1:6 zwischen bebauter und unbebauter Fläche im Wesentlichen eingehalten (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 2.8.2018 – 2 B 18.742 – BayVBl 2019, 346). Zwar ergibt sich nach Realisierung des Bauvorhabens bei Berücksichtigung der oberirdischen Gebäude eine Grundflächenzahl von 0,173 und damit eine Überschreitung des denkmalprägenden Garten-Bauwerk-Verhältnisses um 0,07. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Ensembles, wie sie für die Annahme eines vom Eigentümer des Baudenkmals zu rügenden Verletzung denkmalschutzrechtlicher Vorschriften indes erforderlich wäre, ist angesichts der Geringfügigkeit der Überschreitung aber nicht zu befürchten.
3. Nicht rechtlich bindend und erst recht nicht nachbarschützend sind schließlich die Ausführungen der Antragsgegnerin in der Broschüre „Bereiche mit Gartenstadt-Charakter – Schutz und Weiterentwicklung“. Der Antragsgegnerin ist bei der Entscheidung über die Erteilung einer Baugenehmigung bei Vorliegen der Voraussetzungen derselben keinerlei Ermessenspielraum eingeräumt. Eine Abwägung findet bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Bauvorhabens ebenfalls nicht statt. Insoweit gehen die Ausführungen der Antragsteller zur Abwägungsfehlerhaftigkeit der Entscheidung ins Leere.
Nach alldem sind die Erfolgsaussichten der Klage daher als gering einzuschätzen und der Antrag somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Beigeladenen haben sich durch Stellung eines Sachantrags gemäß § 154 Abs. 3 VwGO in ein Kostenrisiko begeben, so dass es der Billigkeit im Sinn von § 162 Abs. 3 VwGO entspricht, auch ihre außergerichtlichen Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.


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