Baurecht

Beeinträchtigung durch einen zum Nachbargrundstück offenen Fahrgastunterstand an einer Straßenbahnhaltestelle

Aktenzeichen  1 EO 843/20

Datum:
15.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 1. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:0715.1EO843.20.00
Normen:
Art 2 Abs 2 S 1 GG
Art 14 GG
§ 906 BGB
§ 1004 BGB
§ 14 Abs 4 StrG TH
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Ein Anspruch des Nachbarn auf Beseitigung bzw. Veränderung eines Fahrgastunterstands setzt die Beeinträchtigung eines subjektiven Rechtsposition etwa aus dem Anliegergebrauch oder aus Art. 14 GG voraus (hier verneint).(Rn.26)

2. Durch missbräuchliche Nutzung eines Fahrgastunterstands verursachte Einwirkungen auf Nachbargrundstücke sind der Gemeinde nur zuzurechnen, wenn sie durch die Gestaltung einen Anreiz für die missbräuchliche Nutzung geschaffen hat.(Rn.32)

3. Missbräuchen ist grundsätzlich mit polizei- und ordnungsrechtlichen Mitteln zu begegnen (wie OVG NRW, Beschl. v. 18.05.2009 – 10 E 289/09 – und HessVGH, Urt. v. 25.07.2011 – 9 A 125/11 -).(Rn.32)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 17. November 2020, 2 E 1527/20 We, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 17. November 2020 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich auch im Beschwerdeverfahren gegen das Aufstellen und Betreiben eines Fahrgastunterstands (sogenannte Wartehalle oder Wartehäuschen) für die E.er Straßenbahn.
Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks W … in E … . Die W … ist eine von Süden für den Kraftfahrzeugverkehr der Anlieger geöffnete Einbahnstraße, in der Fahrradverkehr in beiden Richtungen zugelassen ist. In der westlichen Seite der Straße verlaufen zwei Gleisstränge der Straßenbahnlinien 3 und 4, die den Südosten von E. u. a. mit dem Hauptbahnhof verbinden. Das Grundstück der Antragsteller liegt an der östlichen Straßenseite im Bereich der Straßenbahnhaltestelle R … . Die Häuser wurden in geschlossener Bauweise mit eingefriedeten Vorgärten errichtet. Das südlich angrenzende Nachbarhaus W … verfügt über eine Kellergarage. Vor den Grundstücken verläuft ein wohl im Eigentum der Antragsgegnerin stehender Gehweg, der u. a. im Bereich des Grundstücks W … für eine Überfahrung abgesenkt wurde. In den Gehweg sind Baumscheiben für die straßenbegleitend gepflanzten Großbäume eingelassen.
In einem Außenwerbevertrag übertrug die Antragsgegnerin der Beigeladenen das Recht zur kostenlosen Errichtung und Nutzung für Werbezwecke von insgesamt 211 Wartehallen auf städtischem Grund und Boden. Die Beigeladene ließ daraufhin vor dem Anwesen der Antragsteller einen Fahrgastunterstand errichten. Er ist inzwischen fertiggestellt und steht etwa 21 m von dem die Haltestelle R … kennzeichnenden Verkehrszeichen (Nr. 224) entfernt im Abstand von 30 cm zur Gehwegkante und unweit eines das südliche Ende der Haltestelle signalisierenden Leitstreifens. Der Fahrgastunterstand besteht aus vier Stahlträgern mit Glasausfachungen, ist zur Straße und seitlich verglast und nach Osten zu den Wohngrundstücken hin geöffnet.
Nachdem die Antragsteller Kenntnis von der Errichtung des Unterstands vor ihrem Grundstück erlangt hatten, erhoben sie unter dem 21. Oktober 2020 Widerspruch.
Am 10. November 2020 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen für den Zeitraum vom 8. bis 23. Oktober 2020 die Sondernutzungserlaubnis zum Aufbau eines Fahrgastunterstands auf dem Gehweg vor dem Anwesen der Antragsteller.
Bereits am 9. November 2020 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht Weimar um Eilrechtsschutz nachgesucht. Das Aufstellen des Wartehäuschens habe Drittwirkung und verletze sie in ihren Eigentumsrechten. Es sei sinnvoll, den Fahrgastunterstand an anderer Stelle zu installieren. Der Gehweg werde für den Fußgängerverkehr, aber auch für Rad fahrende Kinder in seiner Nutzbarkeit eingeschränkt. Auch sei zu berücksichtigen, dass wartende Fahrgäste ständig in den Garten und durch die Fenster in die vermietete Erdgeschosswohnung blicken könnten. Insoweit sei es ein Unterschied, ob Passanten ein Anwesen begutachteten oder ob Eigentümer und Mieter den ständigen Blicken von wartenden Fahrgästen ausgesetzt seien.
Die Antragsteller haben beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 21. Oktober 2020 gegen das Aufstellen eines Wartehäuschens im Verkehrsraum vor dem Anwesen W … in E … anzuordnen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Wartehäuschen vorläufig nicht weiter zu betreiben und das Aufstellen des Wartehäuschens einzustellen.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 17. November 2020 abgelehnt. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs sei bereits unzulässig. Den Antragstellern fehle die erforderliche Antragsbefugnis, da sie nicht selbst Adressaten der Sondernutzungserlaubnis seien und die der Verfügung zugrunde liegende Norm des § 18 Abs. 1 ThürStrG nicht dem Schutz der individuellen Interessen Dritter diene. Die Nutzung ihres Grundstücks und der Zugang zur öffentlichen Straße seien nicht beeinträchtigt. Der Antrag, das Aufstellen des Fahrgastunterstands einzustellen und vorläufig nicht weiter zu betreiben, bleibe ebenfalls ohne Erfolg, weil den Antragstellern, wie die Ausführungen zum Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zeigten, kein Anordnungsanspruch zustehe.
Gegen diesen Beschluss wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde, die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen. Der Senat hat das Werbeunternehmen, das den Fahrgastunterstand errichtet hat, beigeladen; es hat sich im Verfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte (eine Heftung) und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (zwei Heftungen) und die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 7. April 2021, die Gegenstand der Beratung waren.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde der Antragsteller ist statthaft und auch sonst zulässig. Sie wurde insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet (§ 146 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 und 2 und § 147 Abs. 1 VwGO).
Auch das Erfordernis eines bestimmten Antrags (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) ist erfüllt, auch wenn der zuletzt wörtlich gestellte Antrag,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Weimar vom 17. November 2020, Az. 2 E 1527/20 We, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 21. Oktober 2020 gegen das Aufstellen eines Wartehäuschens im Verkehrsraum vor dem Anwesen W … in E … anzuordnen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Wartehäuschen vorläufig nicht weiter zu betreiben und das Aufstellen einzustellen,
hilfsweise
das Wartehäuschen so auszurichten, dass der offene Wartebereich sich zum Verkehrsraum W … richtet
der Auslegung anhand des aus der Beschwerdebegründung erkennbaren Willens (vgl. § 88 VwGO analog) der Antragsteller bedarf.
In der ersten Instanz haben die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs und daneben die Anordnung beantragt, dass das Wartehäuschen nicht weiter aufgestellt und vorläufig nicht weiter betrieben werden darf. Das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin haben den Antrag so verstanden, dass sie sich mit ihrem Widerspruch gegen die der Beigeladenen erteilte Sondernutzungserlaubnis wenden wollen und hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenso wie den gegen das Aufstellen des Fahrgastunterstands und seine Nutzung gerichteten Antrag abgelehnt. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit dem in der Beschwerdebegründungsschrift formulierten eindeutigen Begehren, sich gegen „das Aufstellen des Häuschens mit Blickrichtung auf ihr Grundstück zur Wehr setzen“ zu wollen, weil die Wartenden uneingeschränkt auf ihr Grundstück und durch die Fenster in die Erdgeschosswohnung ihres Wohnhauses schauen können. Eine Zusammenschau der Beschwerdeschrift mit der Antragsschrift vom 9. November 2020, in der sie sich schon im Wesentlichen mit der Beeinträchtigung ihres Grundstücks durch die Öffnung des Fahrgastunterstands zu ihrem Grundstück und damit seiner Nutzung auseinandersetzen, lässt das Rechtsschutzziel der Antragsteller unzweifelhaft erkennen, ohne dass es zusätzlicher – im Eilverfahren grundsätzlich untunlicher – Ermittlungen bedürfte. Dieses Rechtsschutzziel war von Anfang an und ist ersichtlich darauf gerichtet, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO den zu ihrem Grundstück offenen Fahrgastunterstand wieder zu beseitigen oder jedenfalls einstweilen bis zu einer endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Nutzung des bereits vollständig errichteten Fahrgastunterstands zu untersagen bzw. den Fahrgastunterstand zu drehen und den anderslautenden Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern. Entgegen dem Wortlaut ihres Antrags wenden sich die Antragsteller damit nicht gegen einen Verwaltungsakt der Antragsgegnerin, sondern gegen Realakte, so dass die Ansprüche in der Hauptsache mittels einer allgemeinen Leistungsklage gerichtlich geltend gemacht werden müssten und einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO gewährt wird (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Andere Deutungen des Beschwerdeziels scheiden aus. Damit ist den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 1. Halbs. VwGO genügt, auch wenn der Antrag ausdrücklich so nicht gestellt wurde.
Die Antragsteller haben auch gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 2. Halbs. VwGO Gründe dargelegt, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufzuheben sei und sich insofern auch mit der Entscheidung auseinandergesetzt. Die Beschwerde genügt den Begründungserfordernissen jedenfalls noch insoweit, als sie dem Verwaltungsgericht vorhält, es habe sich bei der Versagung der Antragsbefugnis nicht hinreichend mit ihren Rechten als Grundstückseigentümer befasst. Hingegen greifen die Antragsteller die Begründung des Verwaltungsgerichts nicht an, soweit das Verwaltungsgericht ihnen die Antragsbefugnis abgesprochen hat, weil sie nicht selbst Adressaten des angefochtenen Verwaltungsakts seien und der dem Verwaltungsakt zugrundeliegende § 18 Abs. 1 ThürStrG nicht dem Schutz ihrer individuellen Interessen bestimmt sei. Ob der Senat als Beschwerdegericht bei offenkundig fehlerhafter Würdigung durch das Verwaltungsgericht berechtigt wäre, auch eine nicht dargelegte Rechtsfrage von sich aus zu überprüfen, kann hier offenbleiben, denn die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragsteller durch die Sondernutzungserlaubnis, die die Antragsgegnerin der Beigeladenen befristet vom 8. Oktober bis zum 23. Oktober 2020 zum Aufstellen des Fahrgastunterstands erteilt hatte, nicht in eigenen Rechten verletzt werden, erweist sich im Ergebnis keinesfalls als offensichtlich unrichtig.
Der Beschwerde fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil der umstrittene Fahrgastunterstand mittlerweile vollständig errichtet worden ist. Unabhängig davon, dass der aus Fertigteilen errichtete Unterstand aller Voraussicht nach ohne Substanzverlust wieder abgebaut werden könnte, besteht das Rechtsschutzbedürfnis nach seiner Fertigstellung fort, weil die geltend gemachte Beeinträchtigung (auch) in der Nutzung liegt und diese Nutzung fortdauert.
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Die auf die binnen der Begründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe beschränkte Prüfung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt, dass das Verwaltungsgericht dem Eilantrag der Antragsteller zu Recht nicht entsprochen hat.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl der Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, als auch ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, glaubhaft zu machen. Das Gericht kann dabei grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur für beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Eine Ausnahme gilt dann, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.
Gemessen an diesen Maßstäben ist der Eilantrag abzulehnen, da weder ein Anordnungsanspruch (a.) noch ein Anordnungsgrund (b.) glaubhaft gemacht wurden.
a. Ihr Rechtsschutzziel, den Fahrgastunterstand vor ihrem Grundstück zu beseitigen bzw. ihn zur Straße hin zu öffnen, könnten die Antragsteller selbst in einem Hauptsacheverfahren nur erreichen, wenn sie einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Verlegung bzw. Umgestaltung des Fahrgastunterstands im öffentlichen Verkehrsraum hätten. Grundlage eines solchen Anspruchs könnten in entsprechender Anwendung die §§ 1004, 906 BGB sowie grundrechtliche Abwehransprüche etwa aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 oder Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz sein (vgl. BayVGH, Beschl. v. 27. Mai 2021 – 8 CE 21.1289 – zit. n. juris, dort Rn. 10). Die Antragsteller haben aber nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch vorliegen.
Insoweit hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass es an einer rechtswidrigen Beeinträchtigung einer subjektiven Rechtsposition der Antragsteller fehlt. Der Einwand der Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe die Beeinträchtigung ihres Eigentums bei der Festlegung des Standorts des Fahrgastunterstands in dem an ihr Grundstück angrenzenden Bereich der Straßenbahnhaltestelle und bei der Öffnung des Unterstands zu ihrem Grundstück nicht hinreichend berücksichtigt, erweist sich bei summarischer Prüfung als unbegründet.
aa. Der angegriffene Beschluss geht zutreffend davon aus, dass die Nutzung des Grundstücks und der Zugang zur öffentlichen Straße durch den Fahrgastunterstand nicht beeinträchtigt sind. Entgegenstehendes tragen die Antragsteller auch nicht vor. Insbesondere können sie aus ihrem Eigentumsrecht nicht ableiten, dass der Gehweg vor ihrem Haus breiter als 1,20 m sein müsste. Ein solcher Anspruch lässt sich weder aus dem Anliegergebrauch (§ 14 Abs. 4 ThürStrG) noch aus Art. 14 Abs. 1 GG ableiten. Die Breite des Gehwegs, für die es kein gesetzliches Maß gibt, betrifft allein den Gemein- und nicht den Anliegergebrauch. Dementsprechend können sich die Antragsteller auch nicht auf ihre Anliegerrechte berufen, wenn sie die mangelnde Breite des Gehwegs für den Begegnungsverkehr von Fußgängern oder für die Benutzung durch andere Verkehrsteilnehmer bemängeln. Der von ihnen befürchtete erhöhte Reinigungsbedarf des Gehwegs vor ihrem Anwesen vermag einen Anspruch – unabhängig davon, dass dieser Bedarf nur behauptet und nicht glaubhaft gemacht wurde – ebenfalls nicht zu begründen. Für die Reinigung und Instandhaltung des Fahrgastunterstands ist gemäß § 6 des Außenwerbevertrags gegenüber der Antragsgegnerin allein die Beigeladene verantwortlich.
bb. Die Antragsteller haben auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie durch den bestimmungsgemäßen Betrieb des Fahrgastunterstands vor ihrem Grundstück, in der jetzt errichteten Form oder überhaupt in ihren rechtlich geschützten Interessen, insbesondere in ihrem durch Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten Grundeigentum verletzt werden.
Zunächst spricht viel dafür, dass die örtlichen Verhältnisse eine Öffnung des Fahrgastunterstands nur zur Straße von vornherein gar nicht zugelassen hätten. Es drängt sich auf, dass ein zur Straße geöffneter Unterstand aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht unmittelbar am Gehwegrand aufgestellt werden könnte, sondern nach Osten zurück auf den Gehweg in Richtung des Anwesens der Antragsteller gesetzt werden müsste, damit die Fahrgäste ihn gefahrlos ohne Betreten der Fahrbahn von der dem Straßenbahnhalt zugewandten Seite aus erreichen könnten, sodass ein solcherart errichteter Fahrgastunterstand den Fußgängerverkehr erheblich einschränken würde.
Auch die behaupteten Lärmbeeinträchtigungen verhelfen dem Antrag nicht zum Erfolg. Es ist zwar in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass Lärmbeeinträchtigungen – zum Beispiel durch Straßenverkehr – einen Eingriff in das Grundeigentum darstellen können (BVerwG, Urt. v. 23. Januar 1981 – 4 C 4.78 – BVerwGE 56, 110 <132> = juris, dort Rn. 30 ff.). Dies setzt aber voraus, dass die Geräuschbelästigung das Grundstück enteignungsgleich, d. h. schwer und unerträglich trifft, so dass eine nach der Gebietsart angemessene Nutzung des Eigentums, also ein Wohnen ohne Beeinträchtigung der Gesundheit nicht mehr möglich ist. Schwere und unerträgliche Beeinträchtigungen haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. In einer größeren Stadt wie E. lässt es sich nicht vermeiden, dass Haltestellen für den öffentlichen Personennahverkehr vor Wohnhäusern eingerichtet werden. Bei der Platzierung einer Haltestelle in unmittelbarer Nähe eines Wohngebäudes handelt es sich daher grundsätzlich nicht um eine außergewöhnliche Belastung. Der Senat hat – insbesondere nach dem Ergebnis der Augenscheinseinnahme durch die Berichterstatterin – zwar keine Zweifel daran, dass von dem Fahrgastunterstand nachteilige Auswirkungen – insbesondere Lärmbeeinträchtigungen und auch die befürchteten Einsichtnahmen durch wartende bzw. ein- und aussteigende Fahrgäste – auf das Hausgrundstück der Antragsteller ausgehen. Die Antragsteller haben aber keine Umstände glaubhaft gemacht, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass deshalb ein Wohnen ohne Beeinträchtigung der Gesundheit auf ihrem Anwesen nicht mehr möglich wäre. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die befürchteten Beeinträchtigungen durch die Errichtung des Fahrgastunterstandes, der eine Sitzgelegenheit für maximal zwei Personen bietet und auch sonst nur einer geringen Personenzahl Unterschlupf ermöglicht, nennenswert erhöht wird, denn auch jetzt schon liegt das Anwesen der Antragsteller im Bereich der Straßenbahnhaltestelle. Auch die von den Antragstellern im Erörterungstermin vorgelegten Lichtbildkollagen lassen die Annahme eines großen Publikumszulaufs an der Haltestelle und insbesondere vor dem Fahrgastunterstand nicht zu.
Soweit die Antragsteller eine eher unbestimmte missbräuchliche Nutzung des Fahrgastunterstands zur Einsichtnahme in ihr Grundstück durch „wartende Personen“ geltend machen, berühren sie die zulässige Nutzung nicht. Durch missbräuchliche Nutzung des Fahrgastunterstandes verursachte Einwirkungen auf Nachbargrundstücke sind der Gemeinde nur dann zuzurechnen, wenn sie durch die Gestaltung einen Anreiz für die missbräuchliche Nutzung geschaffen hat. Zwar ist der Fahrgastunterstand zur Straße geschlossen und zum Grundstück der Antragsteller geöffnet errichtet worden, es ist aber nicht dargelegt oder glaubhaft gemacht, dass bedingt durch diese Gestaltung eine missbräuchliche Nutzung verbunden mit einer Einsichtnahme in ihr Grundstück bzw. den Keller und die Erdgeschosswohnung befördert wird. Die Gefahr gelegentlicher Missbräuche öffentlich zugänglicher Anlagen ist solchen Anlagen stets immanent. Verantwortlich für die missbräuchliche Nutzung sind zunächst diejenigen Personen, die die bestimmungswidrige Nutzung ausüben. Missbräuchen ist daher grundsätzlich mit polizei- und ordnungsrechtlichen Mitteln zu begegnen (OVG NRW, Beschl. v. 18. Mai 2009 – 10 E 289/09 – und HessVGH, Urt. v. 25. Juli 2011 – 9 A 125/11 – jeweils zit. nach juris).
b. Die Antragsteller haben auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920, 294 ZPO). Aus ihrem Vorbringen ergibt sich schon keine im Vergleich zum Hauptsacheverfahren erforderliche qualifizierte Dringlichkeit ihres Begehrens (vgl. dazu Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., 2018, § 123, Rn. 23). Es ist für den Senat – nach dem oben Ausgeführten – schon im Ansatz nicht erkennbar, dass die Antragsteller durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache schwere, ihnen nicht zumutbare Nachteile zu erleiden hätten.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, die sich in der Sache nicht geäußert, selbst keinen Antrag gestellt hat und daher auch kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 47 GKG. Dabei hat sich der Senat daran orientiert, dass im Hauptsacheverfahren der Auffangstreitwert von 5.000 EUR anzusetzen wäre. Da hier nur eine vorläufige Regelung im Streit stand, hält der Senat die Reduzierung dieses Streitwerts um die Hälfte für angemessen.
Hinweis:Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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