Baurecht

Beigeladene, Aufhebung einer Baugenehmigung, Erteilte Baugenehmigung, Befähigung zum Richteramt, Vorhandene Wohnnutzung, Gebietserhaltungsanspruch, Kerngebiet

Aktenzeichen  AN 3 K 18.2386, AN 19.2376

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33028
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB §§ 31 Abs. 1, 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO
BauNVO § 7 Abs. 3 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Die Klägerin kann das streitgegenständliche Vorhaben zum Umbau und die Sanierung des denkmalgeschützten Vorderhauses …straße …zu einer Kindertagesstätte, Teilabriss der Innenhofbebauung, Bau eines Wohngebäudes …straße … mit 6 Wohnungen im Innenhof und eines Wohngebäudes mit 13 Wohnungen auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften nicht abwehren.
Die Klägerin wird durch die angefochtene Baugenehmigung vom 6. November 2018 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG v. 6.10.1989 – 4 C 14.87).
Der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin wird durch das Vorhaben nicht verletzt, da die Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB zu Recht erteilt wurde (dazu 1.). Das streitgegenständliche Vorhaben ist auch keinen durch die Betriebe der Klägerin verursachten unzumutbaren Immissionen ausgesetzt, weshalb ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht gegeben ist (dazu 2.). Letztlich stehen die von der Klägerin vorgetragenen Erweiterungen ihrer Betriebe dem Vorhaben nicht entgegen (dazu 3.).
1. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt Eigentümern von Grundstücken, die in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet liegen, das Recht, sich abstrakt und ohne individuelle Betroffenheit gegen Vorhaben zur Wehr zu setzen, die in dem Gebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig sind.
Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs der Klägerin ist vorliegend jedoch nicht gegeben, da das Vorhaben ausnahmsweise nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig ist.
Die Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB wurde durch die Beklagte zu Recht erteilt, da die geplante Wohnnutzung der Zweckbestimmung des festgesetzten Kerngebiets nicht widerspricht, mithin gebietsverträglich ist und Ermessensfehler bei der Entscheidung der Beklagten nicht ersichtlich sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 21.3.2002 – 4 C 1.02 – BVerwGE 116, 155; B.v. 28.2.2008 – 4 B 60.07 – BayVBl 2008, 542) sind die in den Baugebieten der §§ 2 bis 9 BauNVO allgemein (regelhaft) zugewiesenen Nutzungsarten ebenso wie die Vorhaben, die ausnahmsweise zugelassen werden können, unzulässig, wenn sie den jeweiligen Gebietscharakter gefährden und deshalb gebietsunverträglich sind. Das ungeschriebene Erfordernis der Gebietsverträglichkeit eines Vorhabens im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung rechtfertigt sich nach dieser Rechtsprechung aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften in der Baunutzungsverordnung. Der Verordnungsgeber will durch die typisierende Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinn überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt. Die vom Verordnungsgeber festgelegte typische Funktion der Baugebiete, ihr Gebietscharakter, schließt das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit der in einem Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten ein. Die Zulässigkeit von Nutzungen in den einzelnen Baugebieten hängt insbesondere von deren Immissionsverträglichkeit ab. Dabei gefährdet ein in einem Baugebiet regelhaft zulässiges Vorhaben den Gebietscharakter und ist gebietsunverträglich, wenn das Vorhaben bezogen auf den Gebietscharakter dieses Gebiets auf Grund seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt. Ausgangspunkt und Gegenstand dieser typisierenden Betrachtungsweise ist das jeweils zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Zu fragen ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, die für das Baugebiet typischen Nutzungen zu stören (vgl. BVerwG, U.v. 21.2.1986 – 4 C 31.83 – NVwZ 1986, 643; B.v. 25.3.2004 – 4 B 15.04 – juris;).
Kerngebiete im Sinn des § 7 BauNVO sind Gebiete für zentrale Funktionen in der Stadt mit vielfältigen Nutzungen und einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Kerngebiete dienen dabei vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Sie dienen darüber hinaus auch in beschränktem Umfang dem Wohnen. Allgemein zulässig sind Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten, sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke, Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Garagen, Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie Betriebsinhaber und Betriebsleiter und sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen eines Bebauungsplans. Alle allgemein, aber auch die ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten haben dabei grundsätzlich aufeinander Rücksicht zu nehmen. Ein Kerngebiet ist aber generell durch ein höheres Störpotential sowie ein geringeres Ruhebedürfnis geprägt, so dass Störungen (auch von der Wohnbevölkerung) in einem gewissen Maß hinzunehmen sind (BayVGH, U.v. 05.7.2017 – 2 B 17.824).
Ausgehend hiervon stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben als gebietsverträglich und damit ausnahmsweise zulässig dar.
Wie es aus den Planunterlagen und den Auflagen in der Baugenehmigung hervorgeht, hat die Beigeladene bei Errichtung des Vorhabens schallschutztechnische Maßnahmen einzuhalten, die sich nach dem eingeholten Gutachten zum Verkehrslärm richten. Werden diese umgesetzt, so wirken hinsichtlich des Verkehrs keine unzumutbaren Immissionen auf das Vorhaben ein, die den Rahmen der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse und dem Charakter des Kerngebiets widersprechen. Hinzu kommt, dass die besonders schutzwürdigen Räume wie Schlafzimmer von Lärmquellen wie Straßen oder dem umliegenden Gewerbelärm abgewandt errichtet werden (sog. architektonische Selbsthilfe), insbesondere wird ein abgeschirmter Innenhof errichtet, zu dem hin die besonders ruhebedürftigen Räume situiert werden. Im Hinblick auf Geruchsimmissionen ist das Vorhaben nach Süden hin durch eine durchgehende Wand ohne Öffnungen abgeschirmt. Die nächstgelegene „Öffnung“ (es handelt sich um eine im Haus integrierte Loggia, die durch Fenster komplett verschlossen werden kann) befindet sich in ca. 8 Meter Entfernung zum nächstgelegenen Emissionsort (Abluftkamin des …*).
Aufgrund all dessen ist die Kammer der Überzeugung, dass das zu errichtende Vorhaben dem Zweck des Kerngebietes nicht widerspricht und ausnahmsweise zulässig ist.
Daran ändert auch die schon vorhandene Wohnnutzung im fraglichen Kerngebiet nichts. Durch die zugelassene Ausnahme ist kein „Umkippen“ des Kerngebiets hin zu einem Mischgebiet oder ähnlichem zu befürchten und damit ein mögliches künftiges Konfliktpotenzial. Laut Akten und Auskunft der Beklagten existiert in dem fraglichen Kerngebiet auf ca. 2 von ca. 15 Grundstücken Wohnnutzung (* …straße …, das wohl sogar im Eigentum der Klägerin steht und Engel straße 21). Flächenmäßig betrachtet machen die beiden wohngenutzten Grundstücke einen Bruchteil der gesamten Fläche des gesamten Kerngebiets aus. Von einem Umkippen kann deshalb bei Weitem noch nicht die Rede sein.
Letztlich ist auch, wie von der Klägerin vorgetragen, kein Ermessensfehler bzw. ein Ermessensausfall in Bezug auf die Ausnahmeentscheidung ersichtlich. In den Akten (Behördenakte Blatt 60 und 179) befinden sich immissionsschutzfachliche Stellungnahmen, die auch auf die Anlagengeräusche und Emissionen anliegender Gewerbe eingehen. Auch wenn die Betriebe der Klägerin nicht explizit genannt werden, so ist die Rede von „südlich des Vorhabens gelegenen Gewerbe/Lokalen“, womit unzweifelhaft die … der Klägerin gemeint ist.
2. Das streitgegenständliche Vorhaben ist keinen unzumutbaren Belästigungen oder Störungen durch von den Betrieben der Klägerin ausgehende Emissionen ausgesetzt, weshalb es der Klägerin gegenüber nicht rücksichtslos ist.
Unzulässig sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten Anlagen im Einzelfall (auch) dann, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Die Regelung ist eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und ergänzt die §§ 2 bis 14 BauNVO. Insbesondere § 15 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbs. BauNVO soll sicherstellen, dass eine an sich im Baugebiet zulässige, schutzwürdige Nutzung im Einzelfall – etwa an bestimmten Standorten oder wegen ihrer baulichen Eigenart – unzulässig ist, wenn sie unzumutbaren Belästigungen oder Störungen anderer zulässiger Anlagen ausgesetzt ist (vgl. BR-Drs. 354/89, S. 58). Da das Kerngebiet wohnunverträgliche Nutzungen allgemein und wohnverträgliche Nutzungen nur ausnahmsweise zulässt, kommt § 15 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbs. BauNVO vorliegend besondere Bedeutung zu. Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauwerbers und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, müssen gegeneinander abgewogen werden (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 [126]; U.v. 5.8.1983 – 4 C 96.79 -, BVerwGE 67, 334 [339]; (BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 12 BV 17.1765 u.a. -, Rn. 141, juris).
Im Hinblick auf das von der der Klägerin betriebene … westlich des streitgegenständlichen Vorhabens (FlNrn. …, …, … und …*) ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass das streitgegenständliche Vorhaben das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass sich unmittelbar östlich der lärmintensiven Ladezone (im südlichen Bereich des Grundstücks FlNr. …*) schon Wohnbebauung befindet, die in deutlich geringerer Entfernung hierzu liegt als das Vorhaben der Beigeladenen. Das streitgegenständliche Vorhaben stellt somit keine neue heranrückende Wohnbebauung dar, aufgrund derer die Klägerin Einschränkungen in ihrem Betrieb zu befürchten hat mit der Folge, dass eine Rücksichtslosigkeit in Bezug auf das Kaufland ausgeschlossen ist (VGH München, B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.2351).
Im Hinblick auf das geruchsemittierende … sind auch keine auf das Vorhaben einwirkenden unzumutbaren Belästigungen zu erwarten. Dies ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:
Wie schon oben ausgeführt, ist das Vorhaben der Beigeladenen so konzipiert, dass störempfindliche Räume innerhalb der Wohnnutzungen abgeschirmt werden und in einiger Entfernung zum Abluftkamin des … errichtet werden. Des Weiteren handelt es sich bei dem … nicht um eine typische Schank- und Speisewirtschaft mit dauerbetriebener Küche, sondern, wie man insbesondere auch der Speisekarte entnehmen kann, um einen Betrieb, der täglich eine warme Speise anbietet und diese auch nur, solange der Vorrat reicht. Soll heißen, mit einer dauerbetriebenen Küche einer typischen Schank- und Speisewirtschaft hat das … insoweit nichts gemein. Hinzu kommt, dass es durch seine gaststättenrechtliche Erlaubnis vom 16. Oktober 2018 erheblichen Einschränkungen unterliegt. Insbesondere sind in den Auflagen zum Immissionsschutz strenge Vorgaben zur Abluft und ihre Einwirkungen auf die Nachbarschaft gemacht worden. Dass die Baugenehmigung des … nicht auffindbar ist, in der derartige Einschränkungen möglicherweise nicht vorliegen, geht zu Lasten der Klägerin, da es ihr als Inhaberin der Baugenehmigung obliegt, diese vorzulegen.
In der Gesamtschau und aufgrund der Tatsache, dass Wohnnutzung im Kerngebiet einem verminderten Schutzniveau unterliegt (BayVGH, U.v. 5.7.2017 – 2 B 17.824), stellt sich das Vorhaben gegenüber der … inklusive dem … nicht als rücksichtslos dar.
3. Auch die schriftsätzlich vorgetragenen Erweiterungsabsichten der Betriebe der Klägerin führen nicht zum Erfolg der Klage.
Zwar können Erweiterungen eines Betriebs, die vor der streitgegenständlichen Baugenehmigung beantragt wurden, einem später beantragten Vorhaben entgegengehalten werden, wenn sie zum einen bereits im vorhandenen baulichen Bestand ihren Niederschlag gefunden haben, und zum anderen sie weder vage noch unrealistisch sind. Dieses Abwehrrecht folgt aus dem Rücksichtnahmegebot. (BVerwG, B. v. 5. 9. 2000 – 4 B 56/00; U. v. 14.1.1993 – 4 C 19.90).
Weder aus den Akten noch aus dem pauschalen Vorbringen der Klägerin ergibt sich jedoch, dass es schon konkrete Planungen zur Erweiterung ihrer Betriebe gibt.
Die Verletzung sonstiger Nachbarrechte wurde weder geltend gemacht noch ist eine solche er-sichtlich.
Die Klagen waren demnach abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwert: § 52 Abs. 1 GKG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Da sich die Beigeladene durch eine eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihre außergerichtlichen Kosten von der Klägerin getragen werden (§§ 154 Abs. 3 1. Halbsatz, 162 Abs. 3 VwGO).


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