Baurecht

Beitragsrechtliche Abrechnung einer Straße als Ortsstraße

Aktenzeichen  AN 3 S 16.00627

Datum:
2.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45835
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG aF Art. 5
BayStrWG Art. 4 Abs. 1 S. 2, Art. 46 Nr. 2
BauGB § 34, § 35

 

Leitsatz

1 Für den Begriff der Ortsstraße ist im Sraßenbeitragsrecht mangels Definition auf die Regelungen des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG iVm Art. 4 Abs. 1 S. 2 BayStrWG zurückzugreifen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Bebauungszusammenhang, der die geschlossene Ortslage (Art. 46 Nr. 2 BayStrWG) charakterisiert, ist anders als dessen Beurteilung nach § 34 BauGB unter Zugrundelegung eines weitläufigen Betrachtungsrahmens von der Straße aus unter Inblicknahme der sich in der Nähe befindlichen Bebauung zu bestimmen (ebenso BayVGH BeckRS 2008, 28156). (Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 4.700,58 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Mit den Bescheiden vom 22. Januar 2016 zog die Verwaltungsgemeinschaft … als Behörde der Antragsgegnerin den Antragsteller als Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung … für die Erneuerung und Verbesserung der Ortsstraße „Ortsdurchfahrt …“ zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von insgesamt 18.802,32 EUR heran.
Als Rechtsgrundlage führte die Antragsgegnerin ihre Satzung über die Erhebung von Beiträgen zur Tilgung des Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkplätzen Grünanlagen und Kinderspielplätzen (Ausbaubeitragssatzung – ABS – vom 6. Juli 2015) an.
Gegen diese Bescheide ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben (AN 3 K 16.00274), über die noch nicht entschieden ist, und zur Klagebegründung im Wesentlichen folgendes vortragen:
Das Gesetz sehe einen Vorrang von Erschließungsbeiträgen zu Straßenausbaubeiträgen vor. Die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen setze voraus, dass die abgerechnete Anlage schon früher erstmals endgültig hergestellt gewesen sei. Den entsprechenden Lageplänen sowie den vorgelegten Lichtbildern und den bekannten Umständen sei zu entnehmen, dass die hier abgerechnete Straße zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form Erschließungsfunktion besessen habe. Erschließungsfunktion erlange eine Straße infolge Inkrafttretens eines sie umfassenden Bebauungsplanes oder mit Einsetzen einer gehäuften Bebauung, die dazu führe, dass zumindest für eine Straßenseite bauplanungsrechtlich eine Innenbereichslage im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB zu bejahen sei.
Erkennbar gehe auch die Antragsgegnerin davon aus, dass die Straße noch nie Erschließungsfunktionen inne gehabt habe. Darüber hinaus fehle es erkennbar vor der hier durchgeführten Ausbaumaßnahme an den Merkmalen (Straßenentwässerung, Straßenbeleuchtung etc.), die für die Beurteilung einer erstmaligen Herstellung von früheren Zeitpunkten maßgeblich gewesen seien. Zu keinem Zeitpunkt, so auch jetzt, handele es sich bei der maßgeblichen Bebauung um eine Innenbereichslage im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB. Der Weiler … sei offenkundig eine Außenbereichslage, da es an dem Merkmal eines „im Zusammenhang bebauten Ortsteils“ im Sinne von § 34 BauGB fehle.
Ein Ortsteil sei jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitze und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur sei. Nach der hier vorliegenden „Bebauungsstruktur“ des Bereichs … könne von einem einheitlichen Bebauungskomplex mit einer Siedlungsstruktur offenkundig nicht ausgegangen werden. Dies zeigten bereits eindrucksvoll die Luftbilder.
Das Gegenteil sei der Fall. Der Bereich … sei dadurch geprägt, dass die Hauptbebauung durch einen privilegierten landwirtschaftlichen Betrieb auf den hier abgerechneten Grundstücken des Antragstellers geprägt sei. Es handele sich um ein privilegiertes Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB. Die übliche Bebauung sei teilweise schlauchartig mit größeren Lücken und weise überhaupt keine organische Struktur auf. Erkennbar handele es sich um eine Splittersiedlung im Sinne von § 35 BauGB. Aufgrund dessen fehle es auch an dem entsprechenden Bebauungszusammenhang, der Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur sei. Erkennbar handele es sich um eine zusammenhanglose, unorganische Streubebauung. Es fehle bereits an einer Siedlungsstruktur, die als organisch anzusehen sei.
In der Konsequenz scheide eine Beitragspflicht der Grundstücke des Antragstellers auch bei Anwendbarkeit erschließungsbeitragsrechtlicher Regelungen aus. In der Folge könne die hier erfolgte Beitragserhebung auch nicht in eine Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag oder ähnliches „umgedeutet“ werden, da es hierbei gerade an der erforderlichen Innenbereichslage fehle.
Mit Klageerhebung ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten bei der Antragsgegnerin den Antrag stellen, die Vollziehung der Bescheide auszusetzen, da erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung bestünden. Bei der Ortsdurchfahrt … handele es sich nicht um eine abrechenbare Anlage.
Mit Schreiben vom 8. April 2016 der Verwaltungsgemeinschaft … wurde der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.
Mit dem bei Gericht am 18. April 2016 eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller beantragen die Vollziehung der Straßenausbaubeitragsbescheide vom 22. Januar 2016 auszusetzen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Begründung im Klageverfahren verwiesen.
Im vorliegenden Verfahren sei maßgeblich, inwieweit der hier streitgegenständliche Bereich … keinen Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB darstelle, mithin insgesamt eine Innenbereichslage vorliege. Nach ständiger Rechtsprechung sei dies ggf. durch Ortsaugenschein zu klären.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Akte der Verwaltungsgemeinschaft … Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 19. Februar 2016 gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2016 anzuordnen, ist zulässig.
Der Antrag ist statthaft, denn gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben. Straßenausbaubeiträge fallen unter diese Bestimmung.
Die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 VwGO ist erfüllt, denn Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 8. April 2016 mitgeteilt, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt wird (§ 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO).
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 durch Beschluss anordnen. In entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO soll dies dann erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn ein Erfolg des Rechtsmittels mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie ein Misserfolg. Bloße Bedenken sind noch keine ernsthaften Zweifel.
Im vorliegenden Fall bestehen bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. A., RdNr. 125 zu § 80) keine solchen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Beitragsbescheide der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2016.
Bei summarischer Prüfung sind die angefochtenen Bescheide der Antragsgegnerin formell und materiell rechtmäßig.
Sie finden, soweit sich dies im einstweiligen Rechtsschutzverfahren beurteilen lässt, in Art. 5 KAG i. V. m. der ABS vom 6. Juli 2015 ihre Rechtsgrundlage.
Gemäß Art. 5 Abs. 8 KAG kann ein Beitrag auch für öffentliche Einrichtungen erhoben werden, die vor Inkrafttreten der Abgabensatzung hergestellt, angeschafft, verbessert oder erneuert wurden.
Die in der Klagebegründung des Prozessbevollmächtigten vom 19. Februar 2016 und in der Antragsbegründung vom 15. April 2016 vorgebrachten Gründe berühren die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Straßenausbaubeitragsbescheide der Antragsgegnerin vom 22. Januar 2016 nicht.
Die vorgenommenen und mit den angefochtenen Bescheiden abgerechneten Ausbauarbeiten stellen sich als eine beitragsfähige Erneuerung/Verbesserung einer durch Zeitablauf und tatsächlichen Verschleiß erneuerungsbedürftigen Straße dar. Dies ergibt sich bereits aus den in der Behördenakte enthaltenen Fotos vor Beginn und nach Fertigstellung der Straßenbaumaßnahme.
Bei dieser Straße handelt es sich um eine dem Beitragstatbestand des Art. 5 Abs. 1 KAG unterfallende öffentliche Einrichtung in Form einer Ortsstraße.
Mangels Definition des Begriffs der Ortsstraße in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG ist auf die Regelungen des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG zurückzugreifen.
Danach handelt es sich um eine (im Wege des Straßenausbaubeitrages abrechenbare) Ortsstraße, soweit sie innerhalb der geschlossenen Ortslage verläuft. Unter geschlossener Ortslage ist dabei der Teil des Gemeindegebietes zu verstehen, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist, wobei einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung diesen Zusammenhang nicht unterbrechen (Art. 4 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 BayStrWG).
Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Begriff des Bebauungszusammenhangs anders als dessen Beurteilung nach § 34 BauGB unter Zugrundelegung eines weitläufigen Betrachtungsrahmens von der Straße aus unter Inblicknahme der sich in der Nähe befindlichen Bebauung zu erfolgen hat (vgl. z. B. BayVGH, Beschluss vom 4.8.2008, 4 ZB 08.55; vom 16.9.2005, 4 ZB 05.361).
Das heißt, ob ein Bebauungszusammenhang als Merkmal einer geschlossenen Ortslage gegeben ist, ist nicht anhand der Kriterien zu bestimmen, die maßgeblich sind für die Annahme eines Bebauungszusammenhanges im Sinn des § 34 BauGB, insbesondere ist nicht aus der Perspektive der jeweils an der Straße anliegenden Grundstücke zu prüfen, ob sie in einem Bebauungszusammenhang stehen, vielmehr ist aus dem Blickwinkel der Straße unter Anwendung eines weitläufigen Betrachtungsrahmens festzustellen, ob diese sich noch im örtlichen Bebauungsbereich befindet oder bereits im freien Gelände und damit außerhalb der geschlossenen Ortslage (vgl. z. B. BVerwG vom 3.4.1981, 4 C 41.77; BayVGH vom 2.10.1997, 4 B 96.2069).
Unter Zugrundelegung dieser sich an das Vorliegen einer geschlossenen Ortslage und damit an das Vorhandensein einer abrechenbaren Ortsstraße zu stellenden Anforderungen ist für den hier zu entscheidenden Fall festzustellen, dass die Ortsdurchfahrt …, soweit sie ausgebaut und soweit sie Grundlage der streitgegenständlichen Abrechnung ist, innerhalb der geschlossenen Ortslage verläuft unabhängig davon, ob das beigezogene klägerische Grundstück FlNr. … planungsrechtlich noch dem Innenbereich oder bereits dem Außenbereich zuzurechnen ist, denn zu einer Ortsstraße im Sinne des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG gehören auch Straßen und Strecken im baurechtlichen Außenbereich, solange sie innerhalb der geschlossenen Ortslage liegen.
Die Frage nach dem planungsrechtlichen Innenbereich im Sinne des § 34 BauGB stellt sich (noch) nicht bei der Beurteilung des Vorliegens einer beitragsfähigen Ortsstraße, sondern erst im Rahmen der Aufwandsverteilung auf die einzelnen an jener abzurechnenden Anlage anliegenden Grundstücke. Im Rahmen der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung drängt sich anhand des in den Akten der Antragsgegnerin befindlichen Lageplanes und des Luftbildes, ohne dass es eines Augenscheines bedarf, der Eindruck auf, dass sich die Ausbaustrecke – unter Anwendung der insoweit gebotenen weitläufigen Betrachtung – noch innerhalb der geschlossenen Ortslage befindet und der Übergang zum freien Gelände erst nach dem Ausbauende stattfindet, weil dann sich an die ausgebaute Ortsdurchfahrt keine bebauten Grundstücke mehr anschließen.
Der Antragsteller kann jedenfalls eine Beitragspflicht nicht mit dem Argument abwenden, dass es sich bei der … um eine im Außenbereich gelegene Splittersiedlung im Sinne von § 35 BauGB handelt.
Gegen die Abrechenbarkeit des Ausbaus der Ortsdurchfahrt … im Rahmen eines Straßenausbaubeitrags bestehen dem Grunde nach keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide.
Nachdem sonstige zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide führende Gesichtspunkte nicht vorgetragen wurden, war aufgrund der im vorliegenden Eilverfahren nur vorzunehmenden summarischen Überprüfung der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG, wobei nach Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur ein Viertel der Beitragshöhe anzusetzen ist.


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