Baurecht

Bescheid, Widerspruchsbescheid, Verwaltungsakt, Gemeinde, Ermessen, Zuziehung, Kostenentscheidung, Stundung, Vollstreckung, Zeitpunkt, Voraussetzungen, Sicherheitsleistung, Anspruch, Vorverfahren, Kosten des Verfahrens, falsche Angaben, unrichtige Angaben

Aktenzeichen  RN 11 K 19.1507

Datum:
1.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44462
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Marktes … vom 15.12.2015, Az. 1.1-JU, und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes D. vom 19.07.2019, Az. 41-…/2016, werden aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 15.12.2015 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Deggendorf vom 19.07.2019 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Zeitpunkt der Rücknahme der Stundung und Fälligstellung des zu zahlenden Erschließungsbeitrags war die Forderung des Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21.04.1998 nämlich bereits durch Zahlungsverjährung erloschen (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a KAG i.V.m. §§ 228 bis 232 AO).
Ansprüche aus dem Beitragsschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 228 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO), vorliegend also mit Ablauf des Jahres 1998. Geendet hat die Zahlungsverjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2003.
Ein Hinausschieben der Fälligkeit des festgesetzten Erschließungsbeitrags und damit ein Hinausschieben des Beginns der Zahlungsverjährungsfrist bzw. eine Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch eine Stundung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a KAG ist nicht erfolgt.
Zwar wurde mit dem Bescheid vom 21.4.1998 der festgesetzte Erschließungsbeitrag zugleich gemäß § 135 Abs. 4 BauGB gestundet, solange das Grundstück landwirtschaftlich genutzt wird und im Eigentum des Rechtsvorgängers der Klägerin ist.
Wie die Klägerin durch Vorlage des Landpachtvertrages vom 5.1.1990 nachgewiesen hat, war das streitgegenständliche Grundstück FlNr. 865 aber bereits seit 2.1.1990 an Herrn L. … verpachtet. Das Grundstück wurde damit zum Zeitpunkt der mit Bescheid vom 21.4.1998 gewährten Stundung nicht mehr durch den damaligen Grundstückseigentümer selbst landwirtschaftlich genutzt.
Auch eine landwirtschaftliche (Mit-)Nutzung durch einen Angehörigen im Sinne des § 15 AO lag entgegen den Ausführungen im Widerspruchsbescheid jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Zahlungsverjährungsfrist (31.12.2003) nicht vor. Nach der von der Widerspruchsbehörde eingeholten Auskunft des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat der Neffe der Klägerin das streitgegenständliche Grundstück allenfalls ab dem Jahre 2005 landwirtschaftlich (mit) genutzt. Zuvor erfolgte eine landwirtschaftliche Nutzung lediglich durch Herrn L. … und ab dem Jahre 2004 zusätzlich noch durch die Benediktinerabtei Niederalteich.
Die Voraussetzungen für eine Stundung gemäß § 135 Abs. 4 BauGB lagen damit weder im Zeitpunkt der Gewährung der Stundung vor noch traten die Voraussetzungen bis zum Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist (31.12.2003) ein.
Dies wird auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt. Der Beklagte hat vielmehr selbst, nachdem er von dem Umstand der Verpachtung des Grundstücks erfahren hatte, die Stundung mit dem streitgegenständlichen Bescheid zurückgenommen und zur Begründung ausgeführt, aufgrund der Verpachtung des Grundstücks seien die Voraussetzungen für eine Stundung des Erschließungsbeitrags nach § 135 Abs. 4 BauGB nicht gegeben gewesen.
Der Stundungsbescheid hat damit (automatisch) von Anfang an keine Wirkungen entfaltet. Eines besonderen Aufhebungsbescheides bzw. einer Rücknahme oder eines Widerrufs der Stundung bedarf es dazu nicht. Es kommt allein darauf an, dass die Stundungsvoraussetzungen objektiv nicht vorlagen (vgl. BayVGH, U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.355 – juris Rn. 21; Driehaus in Berliner Kommentar, BauGB, § 135 Rn. 27; ders. in Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 26 Rn. 30; Vogel in Brügelmann, BauGB, § 135 Rn. 44; Rhein/ Eschenbach, Stadt und Gemeinde 1991, 223/226).
Vorliegend fehlte es bereits von Anfang an am Vorliegen dieser Voraussetzung. Der Stundungsbescheid entfaltete demnach von Anfang an keine Wirkungen, so dass der Beginn der Zahlungsverjährungsfrist nicht aufgrund der Stundung hinausgeschoben wurde und auch keine Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist erfolgte. Zahlungsverjährung ist damit mit Ablauf des 31.12.2003 eingetreten.
Der Eintritt der Zahlungsverjährung hat nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V. m. § 232 AO zur Folge, dass den Ansprüchen des Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21.4.1998 nicht lediglich – wie im bürgerlichen Recht – eine Einrede entgegensteht, sondern die Ansprüche des Beklagten erlöschen [sog. Extinktionsverjährung] (vgl. Grziwotz/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 135 Rn. 1a und 1b; BayVGH, U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.355 – juris Rn. 19).
Im Zeitpunkt der Rücknahme der Stundung durch den Beklagten im Jahre 2015 waren die Ansprüche des Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21.4.1998 demnach bereits erloschen. Die Rücknahme der Stundung geht damit ins Leere und die Fälligstellung des Erschließungsbeitrages erweist sich als rechtswidrig.
Soweit der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid ausführt, die Rücknahme des rechtswidrigen Stundungsbescheides sei nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO möglich, weil die Angaben der Klägerin vom 6.11.2014 falsch gewesen seien, geht dies offensichtlich fehl. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), u.a. dann zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Dass die bereits im Jahre 1998 gewährte Stundung nicht durch Angaben der Klägerin im Jahre 2014 – also 16 Jahre nach Erlass des Stundungsbescheides – erwirkt wurde, liegt auf der Hand. Zum Zeitpunkt der Angaben der Klägerin im Jahre 2014 waren die Ansprüche des Beklagten schon längst durch Zahlungsverjährung erloschen. Die Klägerin konnte damit auch nicht etwa eine Verlängerung der Stundung durch falsche Angaben erwirken, da die Stundung wegen der eingetretenen Zahlungsverjährung bereits gegenstandslos geworden war und keine Rechtswirkungen mehr entfaltete.
Der Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war angesichts der schwierigen Sach- und Rechtslage für notwendig zu erklären (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Von der Klägerin konnte nicht erwartet werden, das Widerspruchsverfahren ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu führen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § § 708 ff ZPO.


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