Baurecht

Beschwerde gegen den Beschluss – Baugenehmigungsbescheid von Nachbar

Aktenzeichen  15 CS 17.2061

Datum:
27.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 148012
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 146
BauGB § 4 Abs. 2 Nr. 2, § 34 Abs. 1, Abs. 2, § 212a Abs. 1
BauNVO § 3 Abs. 3 Nr. 2, § 4 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2, § 5 Abs. 1, § 6, § 15 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen.  (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst wenn sich ein Bauherr hinsichtlich der erfolgten Umnutzung auf bestehende Baugenehmigungen bzw. auf eine bestandsgeschützte Nutzung berufen könnte, wäre ihm eine Betriebserweiterung, die eine mit § 34 Abs. 2 BauGB iVm § 4 BauNVO nicht zu vereinbarende Nutzung intensiviert bzw. hinsichtlich der Biergartennutzung räumlich ausdehnt, nicht möglich und ein entsprechendes Vorhaben wäre vom Gebietsnachbarn über den Gebietserhaltungsanspruch abwehrbar. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Festsetzung einzuhaltender Immissionsrichtwerte in der Maßeinheit dB(A) gehört am Maßstab von Art. 37 BayVwVfG nicht zum zwingenden Inhalt der Genehmigung einer mit Lärmbelastungen einhergehenden gewerblichen Nutzung und deren Fehlen führt daher nicht zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich der Lärmbelastung ist dann nicht hinreichend gesichert, wenn die Baugenehmigungsbehörde keinen konkret einzuhaltenden Beurteilungspegel vorgegeben hat, sondern nur allgemein und ohne Klarstellung der faktischen Gebietsart aufgegeben hat, die Bestimmungen der TA Lärm zu beachten. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 7 S 17.1174 2017-09-25 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Beigeladene wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 25. September 2017, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage der benachbarten Antragstellerin gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 9. Juni 2017, den das Landratsamt Sch. für die Errichtung eines Biergartens mit (zusätzlichen) Gastplätzen für 75 Personen auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung S… (Baugrundstück) erteilt hatte, angeordnet wurde.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das Baugrundstück ebenso wie das nördlich angrenzende, im Alleineigentum der Antragstellerin stehende Wohngrundstück FlNr. … entweder in einem faktischen reinen oder in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 3 oder § 4 BauNVO) liege. In beiden Fällen sei der sog. Gebietserhaltungsanspruch der benachbarten Antragstellerin verletzt. In einem (faktischen) reinen Wohngebiet sei ein Restaurantbetrieb samt Biergarten weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig. Gehe man von einem (faktischen) allgemeinen Wohngebiet aus, sei eine Schank- und Speisewirtschaft gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO ausnahmsweise nur zulässig, wenn diese – was vorliegend in Gesamtbetrachtung des geplanten Biergartens mit dem bestehenden Restaurantbetrieb zu verneinen sei – der Versorgung des betroffenen Gebiets diene. Der Restaurantbetrieb inklusive Biergarten könne auch nicht ausnahmsweise als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden. Der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid verstoße zudem in nachbarrechtlich relevanter Weise gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), weil in der Nebenbestimmung Nr. II.1 unkonkret geregelt sei, dass die Bestimmungen der TA Lärm zu beachten seien. Schließlich spreche auch Einiges dafür, dass die Baugenehmigung mit Blick auf zu erwartenden Lärm (Restaurantbetrieb, An- und Abfahrtverkehr) das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot zu Lasten der Antragstellerin verletze.
Der Beigeladene bringt mit seiner Beschwerde vor, dass sich in einer Entfernung von 200 bis 400 m Luftlinie zum geplanten Biergarten eine Kfz-Werkstatt mit Reifenhandel, eine Schule sowie ein D* …lokal befänden. Daher könne auch ein faktisches Dorf- oder ein faktisches Mischgebiet vorliegen. Schank- und Speisewirtschaften seien dort planungsrechtlich zulässig, sodass ein Gebietserhaltungsanspruch ausscheide. Werde ein faktisches allgemeines Wohngebiet angenommen, sei das Vorhaben als eine der Versorgung des Gebiets dienende Schank- und Speisewirtschaft anzusehen. Das Verwaltungsgericht gehe fehlerhaft davon aus, dass alle Sitzplätze des bestehenden Restaurantbetriebs als „ständig“ anzusehen seien. Im Restaurant inkl. eines Nebenzimmers seien an sich nur 90 Sitzplätze für Gäste vorhanden, was bei einer Einwohnerzahl von ca. 7.000 Einwohnern als angemessen zu bewerten sei. Addiere man die 75 nunmehr genehmigten Außensitzplätze hinzu, komme man auf 165 Sitzplätze insgesamt, was ebenfalls der Gebietsversorgung diene. Zwar gebe es auch einen Saal (mit Bühne) mit ca. 450 Sitzplätzen, der jedoch lediglich bei Veranstaltungen bewirtschaftet werde. Das Verwaltungsgericht habe ferner den kulturellen Wert eines Biergartens verkannt. Die Bayerische Staatsregierung spreche dem traditionellen Biergarten – als beliebtem Treffpunkt breiter Schichten, der soziale Unterschiede zu überwinden ermögliche – in der Bayerischen Biergartenverordnung eine wichtige soziale Funktion zu. Da die Biergärten in den Augen der Staatsregierung für die Verdichtungsgebiete ein Naherholungsziel darstellten, definiere die Biergartenverordnung einige Ausnahmen für traditionelle Biergärten im Hinblick auf Nachtruhe und Lärmschutz. Die Baugenehmigung sei hinsichtlich der Lärmbelastung nicht unbestimmt, weil die Antragstellerin selbst von einem faktischen allgemeinen Wohngebiet ausgehe, sodass für sie klar sei, dass die Immissionsrichtwerte gem. Nr. 6.1 Buchst. e TA Lärm [55 dB(A) tags, 40 dB(A) nachts] Anwendung fänden. Soweit das Verwaltungsgericht 540 Sitzplätze zugrunde lege, fielen die weiteren 75 Außensitzplätze nicht mehr ins Gewicht, sodass – auch unter Berücksichtigung der festgesetzten Auflagen – ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht vorliege.
Der Beigeladene beantragt,
den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 25. September 2017 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie führt u.a. aus, dass neben dem Gebietserhaltungsanspruch auch das Rücksichtnahmegebot aufgrund des durch den Betrieb verursachten Lärms sowie durch störendes Parken der Restaurantbesucher verletzt werde. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht von einem (faktischen) reinen oder allgemeinen Wohngebiet ausgegangen. Die vom Beigeladenen genannten weiteren Nutzungen seien viel zu weit entfernt, als dass sie noch in die nähere Umgebung des Restaurants des Beigeladenen einbezogen werden könnten. Die vom Beigeladenen in Bezug genommene D. sei zudem ein Café mit Eigenproduktion und begrenztem Angebot, das nur an einem Sonntag im Monat geöffnet habe. Nach dem Internetauftritt des Restaurants des Beigeladenen werde für „Sitzplätze bis zu 540 Personen“ geworben. Rechne man nach den Angaben im Internet neben dem Saal und den Nebenzimmern auch Tagungsräume, die vorhandene Terrasse und den nunmehr geplanten Biergarten hinzu, ergäben sich insgesamt sogar 685 Plätze. Nach diversen Internetauftritten sei das Gastronomiekonzept abgestellt auf Events, Messen, Großveranstaltungen, Erlebnisgastronomie, Konzerte, Tagungen, Ausstellungen, Musikveranstaltungen, Cabaret, Komödien, Hochzeiten, Lesungen, Firmenveranstaltungen, Parteiveranstaltungen und sonstige Versammlungen. Der Beigeladene habe den vormals genehmigten Betriebszweck „Jugendheim“ völlig verändert und betreibe daher eine neue Nutzung ohne baurechtliche Genehmigung. Der Gesamtbetrieb mit Biergarten wende sich vornehmlich an einen außergebietlichen Kundenkreis und ziehe damit einen störenden, nicht gebietseigenen Zu- und Abgangsverkehr in das Wohngebiet nach sich. Dieser führe angesichts der großen Besucherzahlen zu erheblichen Parkplatzproblemen im Wohngebiet. Es seien bereits 150 bis ca. 200 Kraftfahrzeuge und mehr gezählt worden, die dem Restaurantbetrieb zuzuordnen seien. Wegen fehlender Parkmöglichkeiten würden die Seitenstreifen der schmalen …allee zugeparkt. Auch die Seitenstraßen seien zugeparkt. Darüber hinaus parkten die Autos auf den Gehwegen. Gelegentlich würden auch die Einfahrten zu Wohnhäusern versperrt.
Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren weder einen Antrag gestellt noch sich zur Sache geäußert.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde des beigeladenen hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80a Abs. 3 i.V. mit § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Die vom Beigeladenen innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist geltend gemachten Beschwerdegründe‚ auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO)‚ rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Zugrundelegung des für die Beschwerdeentscheidung in erster Linie maßgebenden Beschwerdevorbringens sind die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage der Antragstellerin zwar derzeit als offen einzuschätzen (1.). Die demnach vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen fällt aber dennoch zu Gunsten der Antragstellerin und zu Lasten des Beigeladenen und des Antragsgegners aus (2.).
1. Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat zum gegenwärtigen Zeitpunkt und allein nach summarischer Prüfung nicht hinreichend sicher zu prognostizieren, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 9. Juni 2017 gegen im Genehmigungsverfahren zu prüfende Vorschriften verstößt, die nicht nur dem Schutz der Interessen der Allgemeinheit, sondern auch dem Schutz der Interessen der Antragstellerin als Grundstücksnachbarn dienen (zur sog. Schutznormtheorie vgl. z.B. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 42 Rn. 86 m.w.N.). Es sprechen allerdings einige Indizien für einen gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO relevanten Nachbarrechtsverstoß:
a) Auch wenn dem Senat eine abschließende Beurteilung nach Aktenlage nicht möglich ist, sprechen gewichtige Hinweise dafür, dass die angefochtene Baugenehmigung den sog. Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin verletzt.
Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch ist eine Folge davon, dass Baugebietsfestsetzungen kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. Die weitreichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – das Recht, sich gegen eine schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen. Aus der Gleichstellung geplanter und faktischer Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt sich, dass in diesem Umfang auch ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 ff.; vgl. auch BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 9 m.w.N.).
In ein (faktisches) allgemeines Wohngebiet fügt sich das dem Beigeladenen genehmigte Vorhaben nicht ein, weil es sich dann entgegen der Ansicht des Beigeladenen nicht um ein Erweiterungsvorhaben hinsichtlich einer der Versorgung des Gebiets dienenden Schank- und Speisewirtschaft i.S. von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauB handelt. Der Versorgung des Gebiets dient eine Schank- und Speisewirtschaft dann, wenn sie dem Gebiet funktional zugeordnet ist. Durch die Ausrichtung einer Schank- und Speisewirtschaft auf die Gebietsversorgung soll sichergestellt werden, dass diese jedenfalls in einem bedeutsamen Umfang von einem Personenkreis aufgesucht wird, der die mit einem Gaststättenbetrieb ohnehin verknüpften nachteiligen Folgen für die Anwohner in der Umgebung der Betriebsstätte nicht noch dadurch erhöht, dass er durch An- und Abfahrtverkehr Unruhe erzeugt, die von einem Wohngebiet ferngehalten werden soll. Dieses Merkmal ist nicht erfüllt, wenn die Gebietsversorgung erkennbar nicht der eigentliche Betriebszweck ist, sondern allenfalls als Nebenzweck eine Rolle spielt und somit die Gaststätte nicht durch einen funktionalen Bezug zu dem nach diesem Kriterium abgrenzbaren Gebiet geprägt ist. Ist eine Gaststätte gebietsübergreifend auf einen Besucherkreis ausgerichtet, der nahezu zwangsläufig An- und Abfahrtverkehr mit den damit verbundenen gebietsinadäquaten Begleiterscheinungen verursacht, ist sie in einem allgemeinen Wohngebiet gebietsunverträglich und damit unzulässig (vgl. BVerwG, B.v. 3.9.1998 – 4 B 85.98 – BayVBl 1999, 442 = juris Rn. 5; VG Cottbus, U.v. 2.2.2017 – 3 K 165/14 – juris Rn. 24 ff. m.w.N.). Im vorliegenden Fall spricht neben der Größe des Gesamt-Gaststättenbetriebs mit mehreren hundert Gast- / Sitzplätzen gegen eine gebietsversorgende Schank- und Speisewirtschaft, dass der Beigeladene – wie von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren aufgezeigt wurde – im Internet für Großveranstaltungen wirbt und mithin auf eine überregionale Kundschaft zielt. Geht man von der Einordnung als allgemeines, ggf. auch als reines Wohngebiet aus, dürfte das genehmigte Vorhaben des Beigeladenen mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich seiner Nutzungsart gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 4 BauNVO bzw. § 3 BauNVO bauplanungsrechtlich unzulässig sein, sodass der Antragstellerin dann ein Gebietserhaltungsanspruch zusteht.
Nach Aktenlage sowie nach Auswertung des über „BayernAtlasplus“ recherchierbaren Luftbildes spricht zudem Einiges dafür, dass die vom Beigeladenen aufgezählten nichtwohnlichen Nutzungen (Reifenhandel und Kfz-Werkstatt: N. Straße …, FlNr. …; Grund- und Mittelschule: N. Straße, FlNr. …; D.: FlNr. …, B. straße …) unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen räumlichen Entfernung zu den Grundstücken der Antragstellerin und des Beigeladenen sowie aufgrund womöglich abtrennender Wirkung der … …straße sowie der N. Straße nicht zu der für die planungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens maßgeblichen Umgebung i.S. von § 34 Abs. 1, Abs. 2 BauGB zählen. Gegen die Wertung des Verwaltungsgerichts, der Restaurantbetrieb inklusive Biergarten sei auch nicht ausnahmsweise als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig, hat sich der Beigeladene mit seiner Beschwerde nicht gerichtet.
Allerdings ist im Rahmen der Gebietseinstufung gem. § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 2 ff. BauNVO auch die vorherige langjährige und womöglich bestandsgeschützte Nutzung als „Jugendheim“ zu berücksichtigen. Hierzu lässt sich die erstinstanzliche Entscheidung nicht näher aus. Insofern wäre im Hauptsacheverfahren etwa zu ermitteln, ob es sich hierbei um eine (im allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO ohne Weiteres zulässige) Anlage für soziale Zwecke, um eine (im allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässige) Schank- und Speisewirtschaft oder um ein (im allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nur ausnahmsweise zulässiges) Beherbergungsgewerbe handelt, und darüber hinaus zu bewerten, welche Konsequenzen sich hieraus für die Gebietsprägung i.S. von § 34 Abs. 2 BauGB ergeben. Im Fall einer Einordnung des vormaligen Jugendheimbetriebs als Nutzung, die (etwa als überregional ausgerichteter Gaststättenbetrieb) mit einem allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich nicht im Einklang stünde, bliebe eine Gebietseinordnung als faktisches Wohngebiet gem. § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 4 BauNVO dennoch möglich, wenn es sich bei dieser Nutzung um einen sog. „Ausreißer“ gehandelt haben sollte, die aufgrund ihrer Singularität und ihres Fremdkörpercharakters bei der Bestimmung des Gebietscharakters außer Acht zu lassen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 –, BVerwGE 84, 322 = juiris Rn. 13 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 24.3.2015 –2 L 184/10 – juris Rn. 154; VG Münster, U.v. 14.4.2016 – 2 K 1348/15 – juris Rn. 29). Selbst wenn sich der Beigeladene hinsichtlich der nach Aktenlage ohne Baugenehmigung erfolgten Umnutzung auf bestehende (Alt-) Baugenehmigungen bzw. auf eine bestandsgeschützte Nutzung berufen könnte (was im vorliegenden Eilverfahren offen bleiben kann), wäre ihm dann eine Betriebserweiterung, die eine mit § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 4 BauNVO nicht vereinbare Nutzung intensivierte bzw. hinsichtlich der Biergartennutzung räumlich ausdehnte, nicht möglich und wäre ein entsprechendes Vorhaben vom Gebietsnachbarn über den Gebietserhaltungsanspruch abwehrbar. Falls die vom Beigeladenen angeführten gewerblichen Nutzungen (Reifenhandel und Kfz-Werkstatt; D* …*) entgegen den vorherigen Überlegungen zur maßgeblichen Umgebung i.S. von § 34 Abs. 2 BauGB gehören sowie etwa gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig sein sollten, wäre ebenso zu hinterfragen ob es sich (bei einem dann entsprechend großen faktischen Plangebiet) um Fremdkörper und damit um für die Art der baulichen Nutzung nicht prägende „Ausreißer“ handeln könnte. Sollte das Schulgebäude als Anlage für soziale Zwecke (vgl. z.B. VG Münster, U.v. 14.4.2016 – 2 K 1348/15 – juris Rn. 29) zum planungsrechtlich relevanten Umgebungsbereich der Grundstücke der Antragstellerin und des Beigeladenen rechnen, wäre dieses jedenfalls in einem allgemeinen Wohngebiet gem. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO ohne Weiteres (im reinen Wohngebiet gem. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise) planungsrechtlich zulässig und stünde mithin der planungsrechtlichen Einordnung als faktischem allgemeinen Wohngebiet nicht entgegen.
Die voranstehenden Erwägungen verdeutlichen, dass mit dem Ergebnis des Verwaltungsgerichts ein Gebietserhaltungsanspruch der Beigeladenen durchaus naheliegt, dass allerdings die Einzelumstände noch näherer Aufklärung im Hauptsacheverfahren (ggf. über eine gerichtliche Inaugenscheinnahme) zur vollständigen Erfassung der (faktischen) Gebietsgrenzen und der relevanten Nutzungen bedürfen.
b) Aus Sicht des Senats ist die streitgegenständliche Baugenehmigung ebenfalls mit Blick auf die potenziellen Lärmbelastungen, zu der der Beigeladene kein Sachverständigengutachten vorgelegt hat und die auch nicht in sonstiger Weise von der Baugenehmigungsbehörde ermittelt wurden, in nachbarschutzrechtlicher Hinsicht als nicht unbedenklich anzusehen.
aa) Allerdings geht der Senat nach der im Eilverfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage entgegen dem Ansatz des Verwaltungsgerichts nicht davon aus, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung wegen Unbestimmtheit (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) Rechte der Antragstellerin verletzt.
Eine Baugenehmigung kann Rechte des Nachbarn verletzen, wenn sie unter Verstoß gegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und daher im Falle der Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten möglich wird. Das ist aber nur dann der Fall, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der G e g e n s t a n d und / oder der U m f a n g der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 22 m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann der Senat allerdings nicht konstatieren, dass der für die Lärmbelastung maßgebliche Nutzungsumfang der genehmigten Anlage (Gaststättenbetrieb, hier hinsichtlich des genehmigten Biergartens) nach Maßgabe der genehmigten Bauvorlagen nicht hinreichend erkennbar ist. In der vom Beigeladenen unter dem 20. März 2017 unterschriebenen Baubeschreibung (Bl. 8 ff. der Baugenehmigungsakte des Landratsamts Schwandorf. Az. 00534/2017) sind nach handschriftlicher Korrektur „75 Personen“ unter der Rubrik „Gastplätze der Freischankfläche“ angegeben. In der vom Beigeladenen unterschriebenen Betriebsbeschreibung vom 20. März 2017 wird die tägliche Betriebszeit für den Zeitraum 10:00 Uhr bis 22:00 Uhr angegeben (Bl. 12 der Baugenehmigungsakte). Auf der mit Genehmigungsvermerk versehenen Planzeichnung des Biergartens (Bl. 23 der Baugenehmigungsakte) ist handschriftlich vermerkt: „Nach Rücksprache mit dem Landratsamt (Landrat) wurden die Sitzplätze auf 75 reduziert“. Im streitgegenständlichen Baugenehmigungsbescheid vom 9. Juni 2017 mit dem Betreff „Errichtung eines Biergartens angrenzend an den bestehenden Saal des Restaurants …“ ist unter II.2. ausdrücklich geregelt, dass das Vorhaben nur von 10:00 bis 22:00 Uhr betrieben werden darf. Hinsichtlich des genehmigten Gaststättenbetriebs dürfte daher die sachlich-gegenständliche Betroffenheit der Antragstellerin als Nachbarin hinreichend bestimmt sein (vgl. auch BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18 ff.).
Das Verwaltungsgericht hat einen in nachbarrechtlicher Hinsicht relevanten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot demgegenüber darin gesehen, dass in der Nebenbestimmung Nr. II.1 des streitgegenständlichen Baugenehmigungsbescheids vom 9. Juni 2017 lediglich allgemein geregelt wurde, dass die Bestimmungen der TA Lärm zu beachten sind. Insoweit bleibe nach Ansicht des Erstgerichts im Unklaren, welche der verschiedenen, nach Baugebietstypen differenzierenden Immissionsrichtwerte der TA Lärm gelten sollten, sodass die Antragstellerin nicht wisse, was sie nach der Baugenehmigung an Lärm hinzunehmen habe und was nicht. Dies überzeugt so nicht. Die Festsetzung eines bestimmten einzuhaltenden Lärmgrenzwerts ist zur hinreichenden Bestimmung des Inhalts einer genehmigten Nutzung nicht zwingend notwendig. Auch aus der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung vom 15. Juli 2016 – 9 ZB 14.1496 – ergibt sich nicht, dass die Festsetzung einzuhaltender Immissionsrichtwerte in der Maßeinheit dB(A) am Maßstab von Art. 37 BayVwVfG zum zwingenden Inhalt der Genehmigung einer mit Lärmbelastungen einhergehenden gewerblichen Nutzung gehört. In der Fallgestaltung, die der vorgenannten Entscheidung des 9. Senats zugrunde lag, war für die Einschlägigkeit des nachbarlichen Gebietserhaltungsanspruchs entscheidungserheblich, ob ein genehmigter Betrieb am Maßstab von § 5 Abs. 1 BauNVO als „wesentlich störend“ oder als „nicht wesentlich störend“ anzusehen war. Dort kam das Verwaltungsgericht in erster Instanz – aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs zu Recht – zu dem Ergebnis, dass der Betrieb weder durch die zu unbestimmte Baubeschreibung noch durch die dem Bescheid beigefügten Nebenbestimmungen auf einen nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieb reduziert worden sei, sodass die dortige Baugenehmigung aufgrund eines Regelungs- / Bestimmtheitsminus als nachbarrechtswidrig angesehen wurde. Im vorliegenden Fall stellt sich demgegenüber vielmehr die Frage, inwiefern die angesprochene Nebenbestimmung II.1. der Baugenehmigung eine geeignete (und insofern hinreichend bestimmte) Maßnahme darstellt, um die Lärmauswirkungen des Bauvorhabens auf ein zumutbares Maß zu reduzieren, falls ansonsten von einem Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot auszugehen wäre [hierzu im Folgenden unter bb) ]. Dies dürfte aber nicht die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der genehmigten Nutzung als solche betreffen.
bb) Vorliegend ist offen, ob das drittschützende Rücksichtnahmegebot durch die Baugenehmigung verletzt ist. Denn es ist nicht klar ist, ob vom Betrieb der genehmigten Freischankfläche unzumutbare Belästigungen oder Störungen ausgehen und die Antragstellerin dadurch i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in ihren Rechten verletzt wird.
Dem Gebot der Rücksichtnahme, das vorliegend entweder (im Falle der Einschlägigkeit eines faktischen Baugebiets) über § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO oder (im Falle einer sog. „Gemengelage“) über § 34 Abs. 1 BauGB („einfügt“) Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findet, kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff. = juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4 m.w.N.). (Lärm-) Immissionen sind grundsätzlich unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie im Sinne des § 3 Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft hervorzurufen (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – BauR 1999, 152 = juris Rn. 30). Bei der Erteilung einer Baugenehmigung ist sicherzustellen, dass bei der Nutzung des genehmigten Vorhabens keine derartigen Belästigungen entstehen.
Im vorliegenden Fall wurden die Lärmauswirkungen der genehmigten Biergartennutzung nicht wirklich überprüft, obwohl Hinweise dafür bestehen, dass die Nutzung der Freischankfläche zu Lasten der Nachbarschaft mit unzumutbarem Lärm einhergehen kann. Weder hat der Beigeladene ein Lärmgutachten vorgelegt, noch wurde ein solches von ihm seitens des Antragsgegners eingefordert. Hierfür hätte aber nach den gegebenen Umständen Anlass bestanden. Denn im Anschluss an wiederholte Beschwerden der Antragstellerin über ungenehmigte Baumaßnahmen im Freiflächenbereich auf dem Baugrundstück im Laufe des Jahres 2016 bewertete der Umweltschutzingenieur des Landratsamts in einer Stellungnahme vom 22. Februar 2017 eine vom Beigeladenen zunächst mit 150 Sitzplätzen angedachte Biergartennutzung (vgl. Bl. 43 des Aktenvorgangs 0743/2016) auch im Vergleich zur bisherigen Nutzung des Gebäudes als Jugendheim kritisch: Eine überschlägige Berechnung nach der TA Lärm nur bezüglich der Außengastronomie – ohne Parkplatznutzung – habe ergeben, dass eine erhebliche Überschreitung der Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet [55 dB(A) tags, 40 dB(A) nachts] zu erwarten sei (Bl. 47 ff. des Aktenvorgangs 0743/2016). Aus den dem Senat vorliegenden Behördenakten geht hervor, dass es im Anschluss offenbar auf Basis eines Gesprächs zwischen dem Beigeladenen und dem Landrat zu einer „Einigung“ kam, wonach das Vorhaben genehmigt werde, wenn die Anzahl der Sitzplätze auf 75 reduziert werden (vgl. den handschriftlichen Vermerk auf der genehmigten Planzeichnung, Bl. 23 des Genehmigungsvorgangs Az. 534/2017: „Nach Absprache mit dem Landratsamt (Landrat) wurden die Sitzplätze auf 75 reduziert.“ Vgl. auch den Aktenvermerk der Polizeiinspektion Nabburg vom 29.5.2017, Bl. 112 des Aktenvorgangs 0743/2016). Weiter geht aus dem Genehmigungsakt des Landratsamts hervor, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 9. Juni 2017 nach der „Einigung“ zwischen dem Beigeladenem und dem Landrat ohne immissionsschutzrechtliche Lärmbegutachtung und in der Sache ohne kritische Prüfung der Einhaltung der Anforderungen des Gebots der Rücksichtnahme erlassen wurde. Der Umweltschutzingenieur des Landratsamts wurde von der mündlichen Zusage des Landrats, die Baugenehmigung zu erteilen, offenbar erst im Nachhinein informiert und im Genehmigungsverfahren nur noch zu dem Zweck beteiligt, Auflagenvorschläge zu unterbreiten, wie sich aus den folgenden Passagen aus der Stellungnahme des Umweltschutzingenieurs vom 18. Mai 2017 (Bl. 31 ff. des Genehmigungsvorgangs Az. 534/2017) ergibt:
„Dem Schreiben des Sachgebietes 3.2 vom 12.05.2017 ist zu entnehmen, dass im Rahmen einer Vorsprache bei Herrn Landrat … die Genehmigung für 75 Personen zugesagt wurde.
Nach Rücksprache mit dem Sachgebiet 3.2 soll ein Auflagenvorschlag unterbreitet werden.“
Es ist nicht auszumachen, dass die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich der Lärmbelastung durch die Nebenbestimmung Nr. II.1. zum Genehmigungsbescheid vom 9. Juni 2017 hinreichend gesichert ist. Schon weil die Baugenehmigungsbehörde entgegen dem Vorschlag in der Stellungnahme des Umweltschutzingenieurs vom 18. Mai 2017 keine konkret einzuhaltenden Beurteilungspegel vorgegeben hat, sondern lediglich allgemein und ohne Klarstellung der faktischen Gebietsart aufgegeben hat, die Bestimmungen der TA Lärm zu beachten, ist diese Nebenbestimmung – ohne dass dadurch die Baugenehmigung als solche gegen Art. 37 BayVwVfG verstößt (s.o.) – von vorherein zu unbestimmt, um eine entsprechende Lenkungswirkung erfüllen zu können. Selbst wenn der Nebenbestimmung etwa unter Rückgriff auf die fachliche Stellungnahme des Umweltingenieurs vom 18. Mai 2017 durch Auslegung zu entnehmen sein sollte, dass durch den Betrieb des Biergartens keine Lärmgesamtbelastung herbeigeführt werden dürfe, die mit den Vorgaben der TA Lärm für ein allgemeines Wohngebiet unvereinbar ist, wäre hierdurch die Einhaltung der Anforderungen des Rücksichtnahmegebots nicht sichergestellt. Es ist zwar grundsätzlich zulässig, den Lärmschutz über immissionsbezogene zielorientierte Nebenbestimmungen zu regeln. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass diese Immissionswerte im regelmäßigen Betrieb auch eingehalten werden können (vgl. BayVGH, U.v. 16.10.2013 – 15 B 12.1808 – NVwZ-RR 2014, 175 = juris Rn. 15; B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 22). Letzteres vermag der Senat aber – gerade weil keine belastbaren Immissionsprognosen vorliegen bzw. sachverständig ermittelt wurden – im Eilverfahren, in dem eine Einholung eines entsprechenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens grundsätzlich nicht in Betracht kommt, nicht abschließend zu beurteilen. Gerade mit Blick auf die kritischen Ausführungen in der Stellungnahme des Umweltschutzingenieurs vom 22. Februar 2017 – auch wenn sich diese auf einen Biergarten mit ca. 150 Sitzplätzen bezogen hatte – sowie aufgrund der auch vom Verwaltungsgericht angesprochenen Nähe des geplanten Biergartens zu dem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück der Antragstellerin bestehen hinsichtlich der Einhaltbarkeit der Lärmanforderungen der TA Lärm erhebliche Bedenken, selbst wenn man mit dem Beigeladenen von einem faktischen Misch- oder Dorfgebiet und damit von höheren Immissionsrichtwerten ausgehen sollte.
Der Senat weist in diesem Zusammenhang ergänzend darauf hin, dass bei Freischankflächen wegen Nr. 1 Abs. 2 Buchst. b TA Lärm wohl nicht schematisch auf die Einhaltung der Anforderungen der TA Lärm und insbesondere deren Nr. 6 abgestellt werden kann. Allerdings bleibt im Rahmen einer einzelfallbezogen Betrachtung unter Berücksichtigung der Art und Lästigkeit der jeweiligen Schallereignisse, des hervorgerufenen Beurteilungspegels, der Dauer, Häufigkeit, Impuls-, Ton- und Informationshaltigkeit sowie des Zusammenwirkens dieser verschiedenen Faktoren eine Orientierung an der TA Lärm als antizipiertes Sachverständigengutachten möglich (vgl. im Einzelnen BVerwG, B.v. 3.8.2010 – 4 B 9.10 – BauR 2010, 2070 = juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 13.10.2015 – 1 ZB 14.301 – juris Rn. 3; U.v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 – GewArch 2016, 204 = juris Rn. 58 ff.; U.v. 6.9.2016 – 1 BV 15.2302 – juris Rn. 19). Sowohl diesbezüglich als auch für den Fall, dass die Bayerische Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (GVBl 1999, 142) mit den in ihrem § 2 geregelten Immissionsrichtwerten Anwendung finden sollte (zum – engen – Anwendungsbereich vgl. aber BayVGH, B.v. 10.10.2002 – 22 ZB 02.2451 – juris m.w.N.), ist die Baugenehmigungsbehörde bzw. der beantragende Bauherrn nicht davon entlastet, in einem ersten Schritt zunächst die zu erwartende Belastungswirkung für die Nachbarschaft zu ermitteln, um die Frage der Zumutbarkeit am Maßstab des Rücksichtnahmegebots überhaupt erst bewerten zu können.
Im Baugenehmigungsverfahren wurde vom Landratsamt „sehenden Auges“ die nicht fernliegende Möglichkeit, dass die Nutzung der Freischankfläche mit Blick auf zu erwartenden Lärm (Restaurantbetrieb, An- und Abfahrtverkehr) das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten der Antragstellerin verletzt, nicht bzw. nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit geprüft. Zusammenfassend führt die im Eilverfahren gem. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage nach Aktenlage mithin nicht zu dem Ergebnis, dass die Anforderungen des Rücksichtnahmegebots gegenüber der Antragstellerin hinsichtlich der zu prognostizierenden Lärmbelastung durch den Freischankflächenbetrieb als solchem sowie durch (zusätzlichen) An- und Abfahrtverkehr voraussichtlich eingehalten sind. Eher sind aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls Zweifel diesbezüglich angebracht.
2. Sind die Erfolgsaussichten der Klage offen, ist über den Antrag aufgrund einer (reinen) Interessenabwägung zu entscheiden. Diese fällt – auch unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens, nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 212a Abs. 1 BauGB das Interesse des Bauherrn, von einer noch nicht bestandskräftigen Baugenehmigung Gebrauch machen zu können, zu stärken – zu Lasten des Beigeladenen aus.
a) Bei der Interessenabwägung muss zu Gunsten des Bauherrn – hier des beschwerdeführenden Beigeladenen – berücksichtigt werden, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. auch OVG NRW, B.v. 22.3.2016 – 7 B 1083/15 – juris Rn. 12). Hierdurch werden in einem gewissen Ausmaß die Gewichte bei der Interessenabwägung zugunsten des Bauherrn verschoben, was aber nicht bedeutet, dass sich in den von § 212a Abs. 1 BauGB erfassten Fällen das Vollzugsinteresse gegenüber dem Aufschubinteresse automatisch durchsetzt (vgl. auch Kalb/Külpmann, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2017, § 212a Rn. 47). Die Vorschrift soll Investitionen und das Entstehen von Arbeitsplätzen fördern (vgl. BT-Drs. 13/7589, S. 30). Ein gesetzgeberischer Wille, dass dem Vollzugsinteresse gegenüber den Interessen Dritter (insbesondere von Nachbarn) regelmäßig der Vorrang einzuräumen ist, lässt sich der Regelung des § 212a BauGB hingegen nicht entnehmen. Die nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche Abwägung wird deshalb von § 212a Abs. 1 BauGB zwar in der Weise vorstrukturiert, dass dem Vollzugsinteresse ein erhebliches Gewicht beizumessen ist; die Abwägung wird aber nicht präjudiziert (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 23.11.2016 – 15 CS 16.1688 – juris Rn. 77 m.w.N.).
b) Im vorliegenden Fall fällt die Interessenabwägung trotz der gesetzgeberischen Wertung aus § 212a BauGB aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls zugunsten der Antragstellerin und zu Lasten des Beigeladenen bzw. des Antragsgegners aus. Hierfür spricht unabhängig von der zumindest naheliegenden Einschlägigkeit des Gebietserhaltungsanspruchs insbesondere der Umstand, dass die Nutzungsaufnahme der Freischankfläche, deren Errichtung sich schon vor Baugenehmigungserhalt in einem fortgeschrittenen Stadium befunden hatte, mit erheblichen und unzumutbaren Lärmbelastungen für die Antragstellerin einhergehen könnte, wobei die diesbezügliche Unsicherheit (in Bezug auf die Verletzung des Rücksichtnahmegebots) gerade auf das einvernehmliche Handeln von Baugenehmigungsbehörde und Beigeladenen zurückzuführen ist. Auch und gerade weil im Genehmigungsverfahren eine sich aufdrängende, erhebliche Immissionsbelastung der Nachbarschaft erst gar nicht ermittelt wurde, da dem Bauherrn die Erteilung der Baugenehmigung (hier: durch den Landrat) zugesagt wurde, ist – unter Berücksichtigung des Gebots der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) – das Schutzinteresse der Antragstellerin, vor unzumutbaren Lärmauswirkungen durch den Biergartenbetrieb bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, höher zu gewichten, als das Vollzugsinteresse des Beigeladenen, zumal bis zum Abschluss des Klageverfahrens noch Wochen oder Monate verstreichen können.
3. Die weiteren von der Antragstellerin in der Beschwerdeerwiderung aufgeworfenen Fragen, inwiefern der Beigeladene den bisherigen Betriebszweck „Jugendheim“ verändert habe und daher mit seinem Restaurantbetrieb insgesamt eine neue Nutzung ohne erforderliche baurechtliche Genehmigung betreibe und inwiefern aufgrund erheblicher Parkplatzprobleme etwa bei Großveranstaltungen unzumutbare, gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßende Belastungen durch Parksuchverkehr und „wildes Parken“ entstehen, können offen bleiben.
4. Der Beigeladene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1, Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.) und folgt der erstinstanzlichen Entscheidung, gegen die insofern keine Einwände erhoben worden sind.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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