Baurecht

Beseitigung der Rückkühlanlagen – Anspruch auf Unterlassung einer von der Anlage ausgehenden Geräuschbelästigung

Aktenzeichen  11 O 544/18

Datum:
22.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 57620
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayBauO Art. 6 Abs. 5 S. 1, Abs. 9
BGB § 823 Abs. 2§ 1004
ZPO § 301 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Bei der Frage, ob von einer Anlage „Wirkungen wie von Gebäuden“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO ausgehen, ist auf den Sinn und Zweck der Abstandsflächenregelungen abzustellen, wobei auch Aspekte des Brandschutzes eine Rolle spielen (vgl. OVG Weimar, Urteil vom 14.03.2012, 1 KO 261/07). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage wird im Hauptantrag abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

Die zulässige Klage ist im Hauptantrag unbegründet.
Streitgegenstand des Hauptantrags ist die Beseitigung der Rückkühlanlagen gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 BayBO wegen der Nichteinhaltung der Abstandsflächenregelungen, die von der letztgenannten Vorschrift vorgegeben werden.
Dieser Streitgegenstand ist zu unterscheiden von einem Anspruch auf Unterlassung einer von der Anlage ausgehenden Geräuschbelästigung, der auf eine gänzlich andere Rechtsfolge abzielt (OLG München, Urteil vom 11.04.2018, 3 U 3538/17). Insbesondere impliziert ein Anspruch auf Unterlassung einer Geräuschbelästigung nicht zwingend eine Beseitigung oder Verlegung der Anlagen, da das dabei geschuldete Rechtsschutzziel unter Umständen auch auf andere Weise, etwa durch Anbringung einer Dämmung, erreicht werden kann. Für die Begründetheit des Hauptantrages kommt es daher nicht auf die zwischen den Parteien streitige Tatfrage an, welche konkreten Lärmbelästigungen von den Anlagen ausgehen bzw. ausgehen werden, dies ist vielmehr nur für die Hilfsanträge relevant.
Ein derartiger Anspruch auf Beseitigung gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 BayBO steht der Klägerin jedoch nicht zu.
Allgemein anerkannt ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass landesrechtliche Vorschriften über die einzuhaltenden Abstandsflächen Schutzgesetze sind, deren Verletzung grundsätzlich Abwehransprüche gem. §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB begründet.
Vorliegend sind die Vorgaben des Art. 6 BayBO jedoch nicht verletzt.
Die Rückkühlanlagen sind offensichtlich kein oberirdisches Gebäude im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 BayBO. Sie sind auch keine gebäudegleiche Anlage im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO.
Bei der Frage, ob von einer Anlage „Wirkungen wie von Gebäuden“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO ausgehen, ist auf den Sinn und Zweck der Abstandsflächenregelungen abzustellen. Abstandsflächen dienen dabei in erster Linie dazu, die ausreichende Belüftung, Belichtung und Besonnung der Gebäude sicherzustellen, außerdem spielen auch Aspekte des Brandschutzes eine Rolle (OVG Weimar, Urteil vom 14.03.2012, 1 KO 261/07). Daneben ist jedenfalls nach herrschender Meinung auch der Aspekt des sogenannten Wohnfriedens relevant (OVG Weimar, a.a.O.; OVG Saarlouis, Urteil vom 28.11.2000, 2 R 2/2000, Rnr. 32; VGH München, Urteil vom 03.12.2014, 1 B 14.819).
Bei der Beurteilung, ob von einer Anlage Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO ist daher in erster Linie auf die körperliche bzw. optische Wirkung einer Anlage oder Einrichtung im Raum abzustellen, die auf das Bedürfnis des Nachbarn nach ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie nach ausreichendem Schutz vor optischer Beengung und Wahrung der Privatsphäre in gleicher Weise und Intensität einwirken kann wie ein Gebäude. Insoweit spielt die Größe der Anlage eine wesentliche Rolle (VGH München, Urteil vom 28.07.2009, 22 BV 08.3427).
Im vorliegenden Fall ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass sich die streitgegenständlichen Rückkühlanlagen unter irgendeinem dieser angesprochenen Gesichtspunkte wesentlich auswirken. Insbesondere ist das Maß von 2 m Höhe, ab dem in der Regel von einer gebäudegleichen Anlage ausgegangen werden muss, nicht überschritten. Eine nachteilige Auswirkung der Rückkühlanlagen unter dem Gesichtspunkt der Belichtung, Besonnung und Belüftung des klägerischen Grundstücks, ein Eindruck der optischen Beengung durch die Anlagen oder irgendwelche Beeinträchtigungen des Brandschutzes werden auch von der Klägerin nicht behauptet. Die Rückkühlanlagen wirken sich auch unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Wohnfriedens nicht nachteilig aus. Unter „Wohnfrieden“ versteht man den Schutz der Privatsphäre vor Einblicken anderer in die eigene private Lebensführung und umgekehrt vor dem unerwünschten Miterleben der privaten Lebensäußerungen anderer. Dieser Wohnfrieden kann nicht, jedenfalls nicht in jeder Hinsicht, mit dem Immissionsschutz gleichgesetzt werden (OVG Saarlouis, a.a.O.). Einerseits können Immissionen, die unter Lärmschutzgesichtspunkten unerheblich sind, etwa Musikhören oder Gespräche in normaler Lautstärke, unter dem Gesichtspunkt des Wohnfriedens durchaus als erheblich störend empfunden werden, während andererseits ein rein technischer Lärm, wie er hier von den streitgegenständlichen Rückkühlanlagen ausgeht, auch bei einer erheblichen Lärmbelästigung unter diesem Gesichtspunkt irrelevant ist. Allein die bloße Beeinträchtigung der privaten Lebensführung oder hier der gewerblichen Tätigkeit durch eine vom Nachbargrundstück ausgehende Lärmbelästigung als solche ist daher unter dem Gesichtspunkt des Wohnfriedens nicht relevant und damit nicht maßgeblich für die Frage, ob eine Anlage eine gebäudegleiche Anlage im Sinne des Abstandsflächenrechtes ist.
Selbst wenn man jedoch die Rückkühlanlagen als gebäudegleiche Anlage ansehen würde, so greift doch jedenfalls die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. ein. Diese Vorschrift ist auf gebäudegleiche Anlagen analog anzuwenden, da sich sonst das unsinnige Ergebnis ergäbe, dass eine an sich unzulässige gebäudegleiche Anlage dann nach Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO zulässig werden könnte, wenn sie mit einer Einhausung versehen und damit zum Gebäude im Sinne dieser Vorschrift würde, auch wenn die Einhausung keinerlei positive Auswirkungen im Hinblick auf die für das Erfordernis der Abstandsflächen maßgeblichen Aspekte hätte, sondern sich vielmehr in der Regel unter dem Gesichtspunkt der Belüftung, Belichtung und Besonnung oder des Brandschutzes sogar nachteilig auswirken würde (OLG München, a.a.O.).
Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO sind im Übrigen unproblematisch gegeben. Die Anlagen können naturgemäß nicht von Menschen betreten werden, sie sind bzw. enthalten keine Feuerstellen und sie halten das Höchstmaß von 9 m Länge und 3 m Höhe ein.
Irrelevant ist schließlich, dass die Anlagen gegen planungsrechtliche Vorgaben hinsichtlich des Freihaltens von Grünflächen verstoßen. Insoweit handelt es sich um Regelungen, die ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienen, keine drittschützende Wirkung entfalten und damit nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.
Die Klage ist somit im Hauptantrag aus Rechtsgründen bereits entscheidungsreif.
Hinsichtlich des gestellten Hilfsantrags muss dagegen vor einer Entscheidung durch ein Sachverständigengutachten über die Frage Beweis erhoben werden, welche Lärmbeeinträchtigungen von den streitgegenständlichen Anlagen ausgehen bzw. ausgehen werden und ob deshalb die für einen Unterlassungsantrag erforderliche Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr besteht.
Das Gericht macht daher von der Möglichkeit des Teilurteils gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gebrauch.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben