Baurecht

Beseitigungsanordnung, Abgrenzung Innenbereich/Außenbereich, Nichteinschreitenszusage unter Bedingungen, Ermessen, Vertrauensschutz

Aktenzeichen  M 29 K 19.5765

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25829
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1
BauGB § 35

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.  

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Bescheid vom 28. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in eigenen Rechten.
Die Beseitigungsanordnung hinsichtlich des Notwohngebäudes (Ziffer 1. a) des angefochtenen Bescheids) ist rechtmäßig.
Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
Eine Beseitigungsanordnung kann dann ergehen, wenn sich die zu beseitigende Anlage in ihrem Bestand als formell und materiell illegal darstellt (BayVGH v. 20.1.2003 Az. 20 ZB 99.3616 – juris, Rn. 3). Zentraler Bestandteil des Beseitigungsverfahrens ist dabei die umfassende und abschließende Prüfung, ob die betroffene Anlage materiell rechtswidrig ist (vgl. BayVGH v. 23.11.2015 Az. 1 ZB 15.1978 – juris, Rn. 5). Die an diesen Vorgaben zu messenden Einschreitensvoraussetzungen liegen vor.
Das Vorhaben ist in formeller Hinsicht rechtswidrig, da eine Baugenehmigung dafür – unstreitig – niemals erteilt worden ist. Im Übrigen kann eine bloße Nichtvollstreckungszusage einem Vorhaben nicht zur formellen Rechtmäßigkeit verhelfen, da eine Genehmigung damit ja gerade nicht verbunden ist. Eine illegale Anlage wird nicht dadurch legal, dass sie über einen längeren Zeitraum von der Bauaufsichtsbehörde – mit oder ohne deren Wissen – hingenommen wird (BayVGH v. 29.4.2020 Az. 15 ZB 18.946 – juris, Rn. 15).
Vorliegend kann sich dabei der Kläger auf die Nichtvollstreckungszusage vom 13. Mai 1954 ohnehin nicht mehr berufen, da die Zusage unter der Bedingung stand, dass bauliche Änderungen irgendwelcher Art, wie An- und Einbauten, Erweiterungen nicht vorgenommen werden dürfen. Diese Bedingung wurde nicht gewahrt, da an dem Gebäude Erweiterungsmaßnahmen vorgenommen wurden. Das nunmehr bestehende Gebäude ist deutlich größer als das zum Zeitpunkt der ursprünglichen Errichtung.
Das Vorhaben ist auch im materieller Hinsicht baurechtswidrig, da es sich um ein nicht privilegiertes Vorhaben im Außenbereich handelt, welches öffentliche Belange beeinträchtigt, § 35 Abs. 2 BauGB. Es handelt sich nicht um ein Innenbereichsvorhaben im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, da es nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils verwirklicht wurde.
Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist ausschlaggebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zu Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (BVerwG v. 8.10.2015 Az. 4 B 28.15 – juris Nr. 5, m.w.N.; BayVGH v. 14.10.2009 Az. 2 B 09.1133 – juris, Rn. 17, m.w.N.). Zu berücksichtigen sind dabei nur äußerlich erkennbare Umstände, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse, da es bei der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich darum geht, inwieweit ein Grundstück zur Bebauung ansteht und sich aus dem tatsächlich vorhandenen ein hinreichend verlässlicher Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche gewinnen lässt. Die (be-) wertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann sich angesichts dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien nur nach optisch wahrnehmbaren Merkmalen richten (BVerwG v. 8.10.2015 a.a.O., m.w.N.). Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand u.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (BVerwG v. 8.10.2015 a.a.O., Rn. 6, m.w.N.). Unter den Begriff der Bebauung fällt dabei nicht jede beliebige bauliche Anlage. Gemeint sind vielmehr Bauwerke, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Gebäude, die etwa zu Freizeitzwecken nur vorübergehend genutzt werden (z. B. Wochenendhäuser, Gartenhäuser), sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (BayVGH v. 1.2.2010 Az. 14 B 08.2892, 14 B 08.2893 – juris, Rn. 22, m.w.N.).
Gemessen an diesen Vorgaben nimmt das streitgegenständliche Vorhaben nicht an einen Bebauungszusammenhang teil.
Nach Norden hin besteht zwar zur Bebauung südlich der T. …- H2. Straße kein räumlich größerer Abstand. Der Augenschein hat aber gezeigt, dass sich das streitgegenständliche Gebäude, auch aufgrund seines schlechten Erhaltungszustands, nicht als Fortsetzung der nördlich vorhandenen Bebauung darstellt. Zwar kann insoweit nicht berücksichtigt werden, dass die Nutzung des Gebäudes zu Wohnzwecken durch bestandskräftigen Bescheid untersagt ist, da diese Nutzungsuntersagung optisch nicht erkennbar ist. Aufgrund des schlechten Erhaltungszustands stellt sich das Bestandsgebäude aber optisch tatsächlich so dar, dass es nicht zum dauerhaften Aufenthalt von Menschen bestimmt ist. Nach dem Ergebnis des Augenscheins wirkt das streitgegenständliche Gebäude auch nicht der Bebauung auf der Ostseite der H1. straße zugehörig, was schon auf dem Abstand des Gebäudes zur H1. straße von circa 47 Meter (abgegriffen aus dem amtlichen Lageplan) beruht. Der Augenschein hat insoweit auch gezeigt, dass das Gebäude von der H1. straße aus aufgrund der Eingrünung kaum zu erkennen ist. Eine Blickbeziehung zwischen dem streitgegenständlichen Gebäude und der Bebauung auf der Ostseite der H1. straße besteht nach dem Ergebnis des Augenscheins nicht. Zu der zum gegenständlichen Gebäude südlich gelegenen Bebauung auf der Nordseite des Kieswegs besteht nach dem Ergebnis des Augenscheins ein breiter trennender Grünstreifen, der diese Bebauung deutlich von dem streitgegenständlichen Gebäude absetzt.
Das unstreitig nicht privilegierte Vorhaben beeinträchtigt auch öffentliche Belange im Sinn von § 35 Abs. 2, Abs. 3 BauGB. Es beeinträchtigt jedenfalls den Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.
Der Belang des Schutzes der natürlichen Eigenart der Landschaft verfolgt den Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung für die Allgemeinheit zu erhalten. Die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. Der Belang wird schon dann beeinträchtigt, wenn durch das Vorhaben die Fläche der naturgegebenen Bodennutzung entzogen wird. Außenbereichsvorhaben mit anderer als land- oder forstwirtschaftliche Bestimmung sind deshalb im Regelfall unzulässig. Eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft kommt bei baulichen Außenbereichsanlagen nur dann nicht in Betracht, wenn sich das betroffene Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die naturgegebene – also insbesondere landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche – Bodennutzung noch für Erholungszwecke eignet oder es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt hat (BayVGH v. 12.2.2019 Az. 15 ZB 18.255 – juris, Rn. 17, m.w.N.).
Ein Ausnahmefall im vorgenannten Sinn liegt nicht vor. Nach dem Ergebnis des Augenscheins wirkt das streitgegenständliche Grundstück dem südlich angrenzenden größeren Grünstreifen zugehörig.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Beseitigungsanordnung sind nach alledem erfüllt. Es sind auch keine Ermessensfehler erkennbar.
Bei einer Beseitigungsanordnung entspricht es regelmäßig ordnungsgemäßer Ermessensbetätigung, unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung und zur Vermeidung von Präzedenzfällen die Beseitigung eines formell und materiell illegalen Bauvorhabens anzuordnen. Die Duldung eines rechtswidrigen Zustandes kann nur veranlasst sein, wenn ganz konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, ihn ausnahmsweise in Kauf zu nehmen (BVerwG v. 11.4.2002 Az. 4 C 4/01 – juris, Rn. 25). Das materielle Bauplanungsrecht steht dabei in seiner Beachtung und Durchsetzung grundsätzlich nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers (vgl. BayVGH v. 11.11.2019 Az. 1 ZB 19.1449 – juris, Rn. 9, m.w.N.). Der ermessensfehlerfreie Erlass einer Beseitigungsanordnung kann ausgeschlossen sein, wenn die Bauaufsichtsbehörde durch vorausgegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand zu Gunsten des Bauherrn geschaffen hat (BayVGH v. 11.11.2019 a.a.o., Rn. 12). Duldet eine Behörde einen baurechtswidrigen Zustand, so beschränkt sich diese Duldung auf den im Zeitpunkt ihrer Erklärung konkret vorhandenen Baubestand und hindert sie nicht daran, die Anlage erneut aufzugreifen, wenn an ihre Renovierungs- und Ausbauarbeiten durchgeführt werden (vgl. Saarl OVG v. 24.9.2002 Az. 2 R14/01 – juris, Rn. 36).
Gemessen an diesen Vorgaben sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Die Beklagte hat insbesondere auch die gesamte Historie des Gebäudes berücksichtigt. Dabei wurde auch die Nichteinschreitensverfügung vom 13. Mai 1954 berücksichtigt. Diese Nichtvollstreckungszusage macht die Beseitigungsanordnung nicht ermessensfehlerhaft. Die Zusage stand unter der Bedingung, dass keine baulichen Erweiterungen vorgenommen werden. Dies ist aber geschehen. Das ursprüngliche Gebäude hatte nach dem im Jahr 1940 eingereichten Plan einen Grundriss von 8,50 m x 4,80 m. Dieser Plan war für die in der Nichtvollstreckungszusage genannte Bedingung, keine baulichen Änderungen vorzunehmen, auch maßgeblich, da die Nichtvollstreckungszusage ausdrücklich auf die Plan-Nr. 3. … Bezug nimmt. Die nunmehrigen Gebäudeabmessungen betragen ca. 18 m x 6 m (abgegriffen aus dem amtlichen Lageplan). Die Nichtvollstreckungszusage bezieht sich also nicht auf das aktuell vorhandene Gebäude. Die Nichtvollstreckungszusage vom 9. Oktober 1956 ist für die Ermessensausübung nicht von Relevanz, da sie sich nicht auf den streitgegenständlichen Baukörper, sondern auf ein weiter westlich gelegenes Gebäude mit Lagerraum und Waschküche bezog.
Entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten ist das Recht zum Erlass einer Beseitigungsanordnung auch nicht verwirkt. Die Beseitigungsbefugnis kann nicht verwirkt werden (BayVGH v. 8.2.2021 Az. 1 ZB 20.2258 – juris, Rn. 7, m.w.N.; vgl. auch VGH BW v. 9.11.2020 Az. 3 S 2590/18 – juris, Rn. 94).
Entgegen der in der Klagebegründung vertretenen Auffassung kann auch durch eine Nutzung des Bestandsgebäudes als Gartenhaus keine planungsrechtliche Zulässigkeit geschaffen werden. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit für eine solche Nutzung eine Außenbereichsprivilegierung nach § 35 Abs. 1 BauGB gegeben sein könnte.
Auch die Beseitigungsanordnung hinsichtlich des Metallgestänges (Ziffer 1. b) des angefochtenen Bescheids), hinsichtlich des Tierstalls (Ziffer 1. c) des Bescheids) und hinsichtlich der Einfriedung (Ziffer 1. d) des Bescheids) begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Dies gilt zunächst in formeller Hinsicht, obwohl sich die Anhörung, Art. 28 BayVwVfG, mit dem Schreiben der Beklagten vom 18. April 2019 nach dessen Wortlaut ausschließlich auf das Bestandgebäude bezieht. Nach Art. 46 BayVwVfG kann aber die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Diese Voraussetzungen sind gegeben, da zentraler Bestandteil des Beseitigungsverlangens der Beklagten das Bestandsgebäude ist und die übrigen drei von der Beseitigungsanordnung erfassten Anlagen offensichtlich lediglich im Sinn einer Gesamtbereinigung der baulichen Verhältnisse auf dem Grundstück mit aufgegriffen wurden.
Die Beseitigungsanordnung hinsichtlich der weiteren Anlagen ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Zwar übersieht die Beklagte, dass sowohl das Metallgestänge als auch der Tierstall nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 16g BayBO als unbedeutende Anlagen verfahrensfrei sind. Aufgrund der Außenbereichslage sind diese Anlagen aber gleichwohl materiell rechtswidrig, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass einer Beseitigungsanordnung vorliegen. Hinsichtlich der Ermessensausübung wurden insoweit keine Einwände vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.
Die angedrohten Zwangsgelder finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 29, 31 und 36 VwZVG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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