Baurecht

Beseitigungsanordnung bei teilweise bestandskräftig genehmigten Anlagen

Aktenzeichen  M 1 K 15.5357

Datum:
31.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3
BayBO BayBO Art. 70 S. 1 Hs. 2, Art. 76 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 49

 

Leitsatz

Liegen für eine Anlage zur Erzeugung von Elektrizität und Wärme durch Hackschnitzelverbrennung (Hackschnitzelanlage) nebst Bürogebäude bestandskräftige Genehmigungen vor und sind andere dazugehörige Anlagen bauaufsichtlich nicht genehmigt, muss die Bauaufsichtsbehörde Ermessenserwägungen (auch) dahingehend anstellen, in wieweit auch unter Belassung derjenigen Anlagen, denen jeweils eine bestandskräftige Baugenehmigung zugrunde liegt, eine Beseitigung der übrigen Anlagen in Betracht kommt.    (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Landratsamts B. Land vom 9. November 2015 wird aufgehoben.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als Adressaten der ihn belastenden Beseitigungsanordnung in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Gemäß Art. 76 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Teile des Vorhabens „Anlage zur Erzeugung von Elektrizität und Wärme“ wurden von der Voreigentümerin zwischen 2008 und 2012 aufgrund bestandskräftiger Genehmigungen und damit nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet. Im Übrigen fehlt es im Bescheid an einer hinreichenden Ermessensausübung hinsichtlich der einzelnen im Tenor des Bescheids aufgeführten Anlagen.
1.1 Das Gebäude der Hackschnitzelanlage wurde aufgrund der Teilbaugenehmigung vom 9. April 2008 errichtet, das Bürogebäude aufgrund der Baugenehmigung vom 23. Oktober 2008. Diese Baugenehmigungen sind bestandskräftig und wurden bislang nicht vom Beklagten zurückgenommen (Art. 48 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) bzw. widerrufen (Art. 49 BayVwVfG). Für eine Rücknahme- bzw. Widerrufsabsicht des Beklagten im angefochtenen Bescheid und damit für eine konkludente Rücknahme bzw. einen konkludenten Widerruf dieser Genehmigungen sind in der Beseitigungsanordnung keine Hinweise ersichtlich. Es braucht daher nicht erörtert zu werden, ob eine solche konkludente Aufhebung eines Verwaltungsakts in rechtlich zulässiger Weise möglich ist. Zudem würde dem die fehlende Ausübung des sowohl bei einer Rücknahmeentscheidung als auch bei einem Widerruf gesetzlich geforderten Ermessens entgegenstehen. Aus diesem Grund ist die Beseitigungsanordnung betreffend das Gebäude „Hackschnitzelanlage mit Heizraum und Kamin“ (Nr. 1 Buchst. a) des Bescheids) und das Bürogebäude (Nr. 1 Buchst. c)) mangels formeller Illegalität dieser Anlagen rechtswidrig.
Ob die erteilten Genehmigungen bereits bei Erteilung rechtswidrig waren oder aufgrund eventuellen Fortfalls eines Privilegierungstatbestands rechtswidrig geworden sind, ist hierbei ohne Belang (Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand: Januar 2016, Art. 76 Rn. 87). Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob für das Gebäude der Hackschnitzelanlage am 9. April 2008 gemäß Art. 70 BayBO eine Teilbaugenehmigung hätte erteilt werden dürfen. Das ist fraglich, weil es sich bei dem Vorhaben um ein Außenbereichsvorhaben nach § 35 BauGB gehandelt hatte, dem nur bei festgestellter bauplanungsrechtlicher Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB (Anlage zur öffentlichen Versorgung mit Elektrizität und Wärme) die in den Gründen der Beseitigungsanordnung genannten öffentlichen Belange regelmäßig nicht entgegengehalten werden können. Deshalb hängt die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens „Hackschnitzelanlage“ von dessen künftiger Nutzung ab, was der Erteilung einer Teilbaugenehmigung wohl entgegensteht (vgl. Art. 70 Satz 1 Halbs. 2 BayBO). Angesichts der Bestandskraft der Teilbaugenehmigung kann das aber dahingestellt bleiben.
1.2 Auch die Ermessensausübung hinsichtlich der Beseitigungsanordnung bezogen auf die einzelnen im Tenor des Bescheids aufgeführten Anlagen ist rechtsfehlerhaft. Zwar hat das Landratsamt das ihm durch Art. 76 Satz 1 BayBO eröffnete Ermessen erkannt, davon jedoch nicht in einer dem Zweck dieser Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht im Sinne von § 114 Satz 1, 2. Alt. VwGO. Das Landratsamt hat in den unter Nr. 4.1 genannten Ermessensgründen keine Einzelerwägungen hinsichtlich der einzelnen Anlagen, die im Tenor des Bescheids unter Nr. 1 Buchst. a) bis f) genannt sind, angestellt. Das wäre bezüglich der Anlagen „Trocknungsanlage“, „Schwerlastwaage“, „Maschendrahtzaun“ und „Bodenbefestigungen“ (Nr. 1 Buchst. b), d), e) und f)) schon deshalb erforderlich gewesen, weil diese Anlagen nicht bauaufsichtlich genehmigt waren, die Beseitigungsanordnung bezüglich der Anlagen „Hackschnitzellager mit Heizraum und Kamin“ sowie „Bürogebäude“ (Nr. 1 Buchst. a) und c)) dagegen wegen der bestandskräftigen Genehmigungen rechtswidrig ist. Das Landratsamt hätte deshalb Ermessenserwägungen (auch) dahingehend anstellen müssen, in wieweit auch unter Belassung derjenigen Anlagen, denen jeweils eine bestandskräftige Baugenehmigung zugrunde liegt, eine Beseitigung der übrigen Anlagen in Betracht kommt. Eine solche Ermessenserwägung ist im Bescheid nicht enthalten. Da das Landratsamt bei der Ermessensausübung erkennbar irrig vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Beseitigung aller Anlagen als Gesamtanlage ausgegangen ist („kommt zur Herstellung rechtmäßiger Zustände nur die vollständige Beseitigung der (…) Anlagen in Frage“), erfolgte die Ermessensausübung unter Zugrundelegung fehlerhafter Annahmen. Das führt hinsichtlich der Beseitigungsanordnung zu den unter Nr. 1 Buchst. b) und d) bis f) genannten Anlagen ebenfalls zur Rechtswidrigkeit des Bescheids.
2. Da die Beseitigungsanordnung in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids aus den oben genannten Gründen insgesamt aufzuheben ist, fehlt den unter Nr. 4 enthaltenen Zwangsgeldandrohungen ein wirksamer Grundverwaltungsakt im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Deshalb sind auch diese Zwangsgeldandrohungen aufzuheben (Decker in Simon/Busse a. a. O. Rn. 477).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 10.000,- Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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