Baurecht

Beseitigungsanordnung, überbaubare Grundstücksfläche, faktische Baulinie

Aktenzeichen  9 ZB 21.2816

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 174
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 4 K 20.82 2021-09-07 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die mit Bescheid vom 10. Dezember 2019 ausgesprochene Anordnung der Beklagten, die an der südlichen Fassade des Anwesens F* Hellipstraße, S* … (FlNr. …5 Gemarkung S* …*) errichtete Glaswand samt Überdachung zu beseitigen.
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Beseitigungsanordnung mit Urteil vom 7. September 2021 abgewiesen. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass die streitgegenständliche nicht genehmigte Glaseinhausung samt Markisenabdeckung als einheitliches Vorhaben zu werten sei. Dieses sei nicht verfahrensfrei und auch materiell baurechtswidrig, weil es sich wegen der Überschreitung einer vorderen faktischen Baulinie hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die nähere Umgebung einfüge. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen allein geltend gemachter ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
1. Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe die Glaswand und die Markise als einheitliches Vorhaben betrachtet, ohne zu prüfen, ob die Markise alleine trag- und funktionsfähig sei. Der Sachverhalt könnte in diesem Fall anders zu bewerten sein. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.
Der Kläger blendet aus, dass das Verwaltungsgericht seine einheitliche Betrachtungsweise hinsichtlich des aus Glaswänden und einer Markise bestehenden Bauvorhabens ausführlich und plausibel erläutert hat. Es hat die bauliche Verbundenheit der Glaswände mit den darauf liegenden Schienen, in denen die Markisen verlaufen, beschrieben und auf anlässlich des Augenscheintermins gefertigte Lichtbilder, die die Konstruktion veranschaulichen, verwiesen. Zudem hat es die Größe der Markisenfläche angeführt (14,5 m mal 2,5 m), aus der es nachvollziehbar ableitet, dass die Markise sich nicht selbst trägt und einer Abstützung durch die Glaswände bedarf.
Unabhängig davon versucht der Kläger hier ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils mit einem Aufklärungsmangel des Verwaltungsgerichts zu begründen, weshalb er auch dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügen muss (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2021 – 9 ZB 21.120 – juris Rn. 7). Die Rüge eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) kann nur Erfolg haben, wenn sie schlüssig aufzeigt, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Aufklärung hätte sehen müssen. Das Vorbringen muss erkennen lassen, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 B 21.16 – juris Rn. 12 m.w.N.). An alldem fehlt es hier.
2. Soweit der Kläger die Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch das Verwaltungsgericht als fehlerhaft ansieht, führt sein Vorbringen ebenfalls nicht zum Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat nach Inaugenscheinnahme für das in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB angeführte Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche als maßgebliche nähere Umgebung (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7; B.v. 22.10.2020 – 4 B 18.20 – juris Rn. 4) die Bebauung nördlich der N* Hellip Straße, zwischen N* Hellip- Straße im Westen und Schelmsrasen im Osten angesehen. Es hat dabei eine Abgrenzung zu dem Bereich nördlich der N* Hellip Straße und westlich der N* Hellip- Straße vorgenommen, den es wegen einer dort weiter von der Straße abgerückten Häuserfront und einer dazwischen befindlichen Baumreihe nicht als vergleichbar angesehen hat. Indem der Kläger anführt, dass wohl aus diesem Grund von ihm erstinstanzlich als vergleichbar benannte bauliche Anlagen in der Betrachtung des Verwaltungsgerichts außen vor geblieben seien, zeigt er nicht auf, weshalb die Bewertung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der maßgeblichen näheren Umgebung im konkreten Fall unzutreffend oder wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sein sollte (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 15.2637 – juris 12).
3. Der Kläger vermag auch keine ernstlichen Zweifel an der Einschätzung des Verwaltungsgerichts zu wecken, dass sich das Bauvorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche in der maßgeblichen näheren Umgebung nicht einfügt.
Hierzu führt weder der nicht weiter erläuterte Einwand, die angenommene faktische Baulinie sei falsch gezogen bzw. nicht gegeben, noch das Vorbringen, der Eingriff durch die streitgegenständliche bauliche Anlage sei marginal, weil sie sich innerhalb der Grundstückseinfriedung befinde. Das Verwaltungsgericht ist von einer Überschreitung der von ihm festgestellten faktischen Baulinie auf einer Länge von 14,5 m um 2,5 m ausgegangen. Diese könne nicht als geringfügig im Sinne des § 23 Abs. 2 Satz 2 BauNVO angesehen werden. Das Bauvorhaben sei zudem als Erweiterung der Gaststätte des Klägers nicht Nebenanlage nach § 14 BauNVO und auch nicht in den Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 9 BayBO in der bis 31. Januar 2021 gültigen Fassung bzw. nach Art. 6 Abs. 7 BayBO zulässig (vgl. § 23 Abs. 5 BauNVO). Dagegen ist auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers im Zulassungsverfahren nichts zu erinnern.
Gleiches gilt schließlich hinsichtlich der Beurteilung des Verwaltungsgerichts, das Bauvorhaben würde im hier maßgeblichen Abschnitt der N* Hellip Straße einen ersten Ansatzpunkt für weitere Beeinträchtigungen des von baulichen Anlagen freien Bereichs vor der Häuserfront bilden. Sein Schluss, dass das Vorhaben eine negative Vorbildwirkung entfaltet und daher städtebauliche Spannungen hervorruft, ist mit der unsubstantiierten Behauptung des Klägers, solches sei mit Blick auf im Umfeld vorhandene Bebauungen nicht zu erkennen, nicht in Frage gestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013. Sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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