Baurecht

Bestimmtheit einer Baugenehmigung

Aktenzeichen  1 CS 20.2788

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6082
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots hat nur bei völliger Unbestimmtheit oder Unverständlichkeit eines Verwaltungsakts dessen Nichtigkeit zur Folge (vgl. BVerwG, BeckRS 2000, 30111179, also dann wenn der Betroffene dem Bescheid dessen Regelungsgehalt schlechthin nicht mehr entnehmen kann. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 SN 20.5038 2020-10-29 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Neubau einer Heizzentrale für das Wärmenetz des Neubaugebiets „A.“ auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung S.
Das Vorhabengrundstück befindet sich im südöstlichen Bereich des Bebauungsplans Nr. … „A.“, 1. Änderung, der Stadt S., der am 14. Oktober 2019 beschlossen und am 27. November 2019 bekanntgemacht wurde. Das bislang unbebaute Plangebiet umfasst eine Fläche von 3,68 ha und liegt am südwestlichen Ortsrand der Stadt S. Der Bebauungsplan weist in seinem Geltungsbereich ein reines Wohngebiet aus. Es sollen dort insgesamt ca. 120 Wohneinheiten (Reihenhäuser und Mehrfamilienhäuser) sowie eine Kindertageseinrichtung entstehen. Am Vorhabenstandort ist im Bebauungsplan eine Fläche für Versorgungsanlagen (Nahwärmeversorgung) vorgesehen. Die genehmigte Heizzentrale soll der Versorgung des Planungsgebiets mit Nahwärme dienen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus und einem Nebengebäude bebauten Grundstücks FlNr. …, Gemarkung S., das sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … der Stadt S. befindet, der ein reines Wohngebiet ausweist. Das Anwesen liegt getrennt durch eine Straße nordöstlich des Vorhabengrundstücks.
Mit Beschluss vom 6. Oktober 2020 (M 11 S 20.4172) ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung vom 6. Juli 2020 an, da die Genehmigung im Hinblick auf die Feuerungswärmeleistung nicht hinreichend bestimmt sei. Das Landratsamt ergänzte mit Bescheid vom 9. Oktober 2020 die Baugenehmigung dahingehend, dass die mit Genehmigungsvermerk vom 9. Oktober 2020 versehene Baubeschreibung zum Vorhaben „Neubau einer Heizzentrale für das Wärmenetz des Neubaugebietes,A.´ S.“ mit einer Feuerungswärmeleistung von 238 kW je Hackschnitzelkessel (2 Stück) und einer Feuerungswärmeleistung von 440 kW des Erdgas-Spitzenlastkessels sowie die ergänzende schalltechnische Untersuchung der M. AG vom 9. Oktober 2020 zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt wurden.
Auf Antrag der Beigeladenen und des Antragsgegners änderte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2020 den Beschluss vom 6. Oktober 2020 dahingehend ab, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung abgelehnt wurde. Der Baugenehmigungsbescheid sei nunmehr in Gestalt des Änderungsbescheids hinsichtlich der Feuerungswärmeleistung hinreichend bestimmt. Es könne offenbleiben, ob der Bebauungsplan wirksam sei, da die Antragstellerin durch die Baugenehmigung voraussichtlich nicht in drittschützenden Rechten verletzt werde, insbesondere würde das Anwesen der Antragstellerin keinen unzumutbaren Lärm-, Geruchs- und Staubimmissionen ausgesetzt. Im Hinblick auf die immissionsschutzrechtliche „Auflage 84“ Ziff. 1 der Baugenehmigung bestünden zwar Bedenken, da dort auf Immissionsrichtwertanteile abgestellt werde und dies nahelege, dass es der Beigeladenen unabhängig von einer etwaigen Vorbelastung gestattet wäre, die maßgeblichen Immissionsrichtwerte alleine auszuschöpfen. Diese Auflage könne aber im Hauptsacheverfahren noch so angepasst werden, dass sie die Rechte der Antragstellerin vollständig wahre.
Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass der ursprüngliche Baugenehmigungsbescheid mangels hinreichender Bestimmtheit nichtig gewesen sei und deshalb nicht im Wege einer Ergänzung geheilt werden könne. Die im Bescheid vom 9. Oktober 2020 vorgenommene Ergänzung in Bezug auf die Feuerungswärmeleistung sei nach wie vor nicht hinreichend bestimmt. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters, da die Festsetzungen im Bebauungsplan zum Lärmschutz auch den außerhalb des Plangebiets gelegenen Nachbarn dienten. Die Festsetzung der Versorgungsfläche im Bebauungsplan sei fehlerhaft. Die Planungsfehler des Bebauungsplans würden auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung durchschlagen. Die Baugenehmigung in der Fassung des Ergänzungsbescheids verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Das Schallschutzgutachten berücksichtige die Reflexionswirkung des Baukörpers nicht und sei deshalb unzureichend. Weiter werde außer Acht gelassen, dass die An- und Abfahrt von Lkw ausschließlich über die Straße „A.“ möglich sei und deshalb nicht nur ein Rangieren, sondern auch ein Wenden erforderlich sei. Die immissionsschutzrechtliche Beurteilung lasse außer Acht, dass die Wohnbebauung der Antragstellerin leeseitig von der Hauptwindrichtung ca. fünf Meter höher liege, sodass die Belastung durch die Abluft der Heizgase selbst dann nicht eingehalten sei, wenn die Vorgaben der 1. BImSchV eingehalten und Abgasgrenzwerte nicht überschritten würden, da sich östlich vom Heizkraftwerk am Grundstück der Antragstellerin eine Rezirkulationszone bilde und die nach der VDI 3781 Blatt 4 angestrebte Verdünnung unterbleibe.
Die Beigeladene verweist darauf, dass etwaige Bestimmtheitsmängel jedenfalls durch den Ergänzungsbescheid geheilt worden seien. Ein Gebietserhaltungsanspruch scheide bereits aus, da das Grundstück der Antragstellerin nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans des Vorhabengrundstücks liege. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot bestehe nicht. Im Hinblick auf Lärmimmissionen würden die Grenzwerte eingehalten. Da der nach der 1. BImSchV erforderliche Abstand gewahrt werde, werde es im Hinblick auf Geruchs- bzw. Staubimmissionen unabhängig von der Höhenlage des Schornsteins nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Antragstellerin kommen. Eine Rezirkulationszone sei nicht zu erwarten, da die Schornsteine das Dach der Heizzentrale um mindestens 2,55 m überragen würden.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2020 änderte das Landratsamt die Baugenehmigung vom 6. Juli 2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 9. Oktober 2020 dahingehend ab, dass an dem Immissionsort des Grundstücks der Antragstellerin durch den gesamten Betrieb des genehmigten Vorhabens die Immissionsrichtwertanteile von 49 dB(A) tags und 34 dB(A) nachts nicht überschritten werden dürfen. Weiter stellte es klar, dass es sich bei den Leistungsangaben in der mit Genehmigungsvermerk vom 9. Oktober 2020 versehenen Baubeschreibung zur Baugenehmigung jeweils um die Feuerungswärmeleistung handelt.
Der Antragsgegner verweist darauf, dass jedenfalls durch den Ergänzungs- bzw. Änderungsbescheid eine etwaige Unbestimmtheit geheilt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2021 übermittelte die Antragstellerin eine Stellungnahme des Gutachterbüros S.  GmbH vom 28. Dezember 2020. Hiernach seien die schalltechnischen Beurteilungsgrundlagen fachlich unzulänglich. Die Beigeladene und der Antragsgegner äußerten sich hierzu. Die Beigeladene legte eine ergänzende Stellungnahme der M. AG vom 19. Februar 2021 vor.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Nachbarklage der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird, so dass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen nachrangig ist. Das Vorhaben verstößt voraussichtlich nicht gegen nachbarschützende Vorschriften.
Die Baugenehmigung ist jedenfalls in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22. Dezember 2020 im Hinblick auf die genehmigte Feuerungswärmeleistung hinreichend bestimmt im Sinn des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Eine Rechtsverletzung des Nachbarn infolge einer fehlenden Bestimmtheit einer Baugenehmigung kommt in Betracht, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2020 – 1 CS 20.1595 – juris Rn. 3). Nach diesen Maßstäben zeigt das Beschwerdevorbringen jedenfalls nach Erlass des Änderungsbescheids vom 22. Dezember 2020 keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis der angegriffenen Genehmigung auf. Aus Nr. 2 des Änderungsbescheids ergibt sich unzweifelhaft, dass sich die Leistungsangaben in der Baubeschreibung, die mit Ergänzungsbescheid vom 9. Oktober 2020 zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt wurden, auf die Feuerungswärmeleistung beziehen. Entgegen dem Beschwerdevorbringen führt hier eine etwaige Unbestimmtheit der ursprünglichen Baugenehmigung nicht zu deren Nichtigkeit mit der Folge, dass eine Ergänzung oder Änderung nicht möglich wäre. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hat regelmäßig die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zur Folge. Die Nichtigkeit des Verwaltungsakts bewirkt ein Mangel nur dann, wenn er besonders schwerwiegend ist und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG). Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist stets als besondere Ausnahme von dem Grundsatz anzusehen, dass ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt und vom Bürger nur auf dem Rechtsweg beseitigt werden kann. Selbst ein Verwaltungsakt, der einer gesetzlichen Grundlage entbehrt oder gegen eine wichtige Rechtsbestimmung verstößt, ist nicht allein schon aus diesem Grund nichtig. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots hat nur bei völliger Unbestimmtheit oder Unverständlichkeit eines Verwaltungsakts dessen Nichtigkeit zur Folge (vgl. BVerwG v. 11.5.2000 – 11 B 26.00 – NVwZ 2000, 1039; BayVGH, U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – BayVBl 2013, 342), also dann wenn der Betroffene dem Bescheid dessen Regelungsgehalt schlechthin nicht mehr entnehmen kann. Das ist hier nicht der Fall. Aus der ursprünglichen Baugenehmigung lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass eine Heizzentrale zur Nahwärmeversorgung mit den aus den zum Bestandteil der Genehmigung erklärten Plänen ersichtlichen Abmessungen genehmigt wird. Die Feuerungswärmeleistung betrifft nur einen Teilaspekt der Genehmigung. Im Übrigen wäre dieser Mangel auch nicht offenkundig. Offenkundigkeit bedeutet, dass die (schwere) Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich sein muss, sich also geradezu aufdrängen bzw. dem Verwaltungsakt gewissermaßen „auf die Stirn geschrieben“ sein muss (BayVGH, B.v. 30.3.2005 – 11 B 03.1818 – BayVBl 2005, 536). Dies ist hier jedoch nicht ersichtlich, da eine Unbestimmtheit in Bezug auf die Leistungsangaben der Anlage nur bei einer näheren Prüfung des Umfangs der Genehmigung ersichtlich ist. Da eine etwaige Unbestimmtheit der ursprünglichen Baugenehmigung hier nur die Rechtswidrigkeit (Anfechtbarkeit) des Verwaltungsakts zur Folge hat, war die Behörde befugt, den Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot im gerichtlichen Verfahren durch eine nachträgliche klarstellende Änderung zu heilen (vgl. BVerwG, U.v. 2.7.2008 – 7 C 38.07 – BVerwGE 131, 259; B. v. 21.6.2006 – 4 B 32.06 – NVwZ-RR 2006, 589; BayVGH, U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – BayVBl 2013, 342).
Das Beschwerdevorbringen, dass die Feuerungswärmeleistung der Heizzentrale für das Neubaugebiet nicht ausreichend stark dimensioniert sei, ist für das hiesige Verfahren ohne Belang, da Prüfungsgegenstand allein die erteilte Baugenehmigung ist und nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin bei einer zu geringen Feuerungswärmeleistung in eigenen Rechten verletzt sein könnte.
Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs berufen, da ein gebietsübergreifender Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen nicht besteht (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – BauR 2013, 934; BayVGH, B.v. 7.2.2020 – 1 CS 19.2392 – juris Rn. 12; B.v. 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – juris Rn. 17). Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Es gibt ihn jedoch nicht gebietsübergreifend oder in Gemengelagen, weil in solchen Fällen das typische Austauschverhältnis zwischen den Grundstücken fehlt, welches den bauplanungsrechtlichen Grund für ein nachbarliches – von konkreten Beeinträchtigungen unabhängiges – Abwehrrecht gegen das Eindringen gebietsfremder Nutzung darstellt (vgl. BayVGH, B.v 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – juris Rn. 18). Dass die Gemeinde bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie bei der Abwägung selbst (§ 1 Abs. 7 BauGB) Belange zu berücksichtigen hat, die ein benachbartes Plangebiet betreffen, führt für sich gesehen nicht zur Annahme eines baugebietsübergreifenden, von der konkreten Betroffenheit des Eigentümers eines Grundstücks im benachbarten Plangebiet unabhängigen Gebietserhaltungsanspruchs (BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 19). Soweit sich das Beschwerdevorbringen darauf stützt, dass die im Bebauungsplan enthaltenen Regelungen zum Immissionsschutz auch einen Schutz für die Nachbarn außerhalb des Plangebiets vermitteln, lässt es unberücksichtigt, dass diese Regelungen nur hinsichtlich der einzuhaltenden Lärmwerte drittschützend sein können. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass sich die Antragstellerin gegen eine aus ihrer Sicht gebietsunverträgliche Nutzung im benachbarten Baugebiet wenden kann. Im Übrigen wurde mit der Baugenehmigung auch kein gebietsunverträgliches Heizkraftwerk genehmigt.
Hinsichtlich der von der Antragstellerin aufgezeigten Bedenken gegen die Wirksamkeit der Festsetzung der Versorgungsfläche im Bebauungsplan hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich die Antragstellerin auch im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans nicht gegen einen objektiv-rechtlichen Verstoß eines dann nach § 35 BauGB zu beurteilenden Vorhabens wenden könne, sondern allein maßgeblich sei, dass das Vorhaben nicht gegen das auch bei einem Außenbereichsvorhaben zu beachtende Rücksichtnahmegebot verstößt. Hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
Die dargelegten Gründe zeigen nicht auf, dass die Baugenehmigung gegen das Rücksichtnahmeverbot verstößt. Soweit – wie vorliegend – ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinn von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 15). Bei der Beurteilung einer Lärmbelastung kommt der TA Lärm als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift eine im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich zu beachtende Bindungswirkung zu, soweit diese für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – BVerwGE 145, 45 m.w.N.). Für die Einhaltung der aus §§ 3, 22 BImSchG folgenden Verpflichtung, das Vorhaben so zu errichten und zu betreiben, dass von ihm keine das zulässige Maß überschreitenden schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, hat die Baugenehmigungsbehörde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu sorgen. Dabei können auch Auflagen in einer Baugenehmigung, die für den Betrieb der genehmigten Anlage die Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte anordnen, ausreichend sicherstellen, dass die zugelassene Nutzung keine für die Nachbarschaft unzumutbaren und damit gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßenden Lärmimmissionen hervorruft (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 11; VGH BW, U.v. 28.11.2019 – 5 S 1790/17 – BauR 2020, 799).
Hiervon ausgehend hat der Antragsgegner durch die Nebenbestimmung „84“ Ziff. 1 des Baugenehmigungsbescheids in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Dezember 2020 im Hinblick auf Schallimmissionen dem Rücksichtnahmegebot voraussichtlich in ausreichender Weise Rechnung getragen. Denn diese Auflage regelt verbindlich und in einer selbständig vollstreckbaren Weise, dass durch den gesamten genehmigten Betrieb einschließlich des Fahrverkehrs die Immissionsrichtwertanteile von 49 dB(A) tags und 34 dB(A) nachts am maßgeblichen Immissionsort des Anwesens der Antragstellerin nicht überschritten werden dürfen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Lärmschutz in dieser Weise durch zielorientierte Festlegungen in zulässiger Weise geregelt werden kann (BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 26). Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass die festgesetzten Werte im regelmäßigen Betrieb auch eingehalten werden können. Es bestehen im Rahmen der summarischen Prüfung unter Berücksichtigung der dargelegten Gründe keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass den Auflagen eine fehlerhafte oder von vornherein unrealistische Prognose zu den Lärmimmissionen zugrunde liegt. Die Einschätzung des Antragsgegners zur Lärmsituation basiert auf dem eingeholten und überarbeiteten Schallgutachten M… … … AG, das seitens des fachlichen Immissionsschutzes des Landratsamts überprüft und in die Beauflagung der Lärmschutzmaßnahmen eingeflossen ist. Aus diesen ergibt sich, dass bei einem realitätsgerechten Betrieb der genehmigten Anlage die Immissionsrichtwertanteile am Immissionsort des Grundstücks der Antragstellerin eingehalten werden können. Der Senat hält das Sachverständigengutachten einschließlich der weiteren Stellungnahme vom 19. Februar 2021 für inhaltlich nachvollziehbar und plausibel. Die hiergegen von Antragstellerseite in Form der Stellungnahme des Gutachterbüros S. … … GmbH erhobenen Einwände greifen voraussichtlich nicht durch oder stehen jedenfalls einer grundsätzlichen Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens nicht entgegen. Es kann daher offenbleiben, ob das erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vorgelegte Gutachten im Beschwerdeverfahren überhaupt zu berücksichtigen ist, da es jedenfalls nicht aufzeigt, dass die im Änderungsbescheid vom 22. Dezember 2020 festgesetzten Immissionsrichtwertanteile realistischerweise nicht eingehalten werden können.
Der Vortrag, dass Vorbelastungen durch haustechnische Anlagen auf benachbarten Wohngrundstücken durch die festgesetzten Immissionsrichtwertanteile nicht berücksichtigt werden, ist unsubstantiiert. Es werden keine entsprechenden Anlagen in der Umgebung als Vorbelastung benannt und sie waren bei mehreren Ortsterminen des Landratsamts auch nicht erkennbar. Das Landratsamt hat mit den festgesetzten Immissionsrichtwerten dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Asche-Abholung und Brennstoff-Lieferung am selben Tag erfolgen könnte. Es hat sich zudem nicht auf eine ausschließlich zielbezogene Festsetzung der Immissionsrichtwertanteile am Immissionsort auf dem Grundstück der Antragstellerin beschränkt, sondern es hat in den immissionsschutzrechtlichen Auflagen der Baugenehmigung verschiedene, insbesondere auch schallquellenbezogene Festsetzungen getroffen, die die Einhaltung der Immissionsrichtwertanteile am maßgeblichen Immissionsort auf dem Grundstück der Antragstellerin sicherstellen sollen. Hierzu hat es in Ziff. 6 den mittleren Schalldruckpegel im Innern der Heizzentrale auf einen Wert von maximal 85 dB(A) begrenzt. Dass dieser Wert in der Praxis eingehalten werden kann, ergibt sich jedenfalls aus den Ausführungen in der gutachterlichen Stellungnahme vom 19. Februar 2021. Gegen die Bestimmtheit dieser Festsetzung bestehen keine durchgreifenden Bedenken, da sich aus der schalltechnischen Untersuchung, die zum Bestandteil der Genehmigung erklärt wurde, ihr Bedeutungsgehalt hinreichend ermitteln lässt. Weiter hat das Landratsamt die zulässigen Schallemissionen der drei Abgasstrecken jeweils auf einen Gesamtschallleistungspegel von 69 dB(A) beschränkt. Die zu Grunde liegende Berechnungsweise hat die Landesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 26. Februar 2021 nachvollziehbar dargelegt. Dass dieser Wert entgegen den Erfahrungen des fachlichen Immissionsschutzes des Landratsamts bei Verwendung einer emissionseffektiven Anlagenkombination nicht realisierbar ist, zeigt die Beschwerde nicht auf. Weiter hat das Landratsamt unter Ziff. 5 und Ziff. 7 die Verwendung von Schalldämpfern für die Lüftungsöffnungen angeordnet sowie Vorgaben zum Schalldämmmaß der Raumbegrenzungsflächen des Gebäudes getroffen. Die Festsetzung zu den einzubauenden Schalldämpfern begegnet im Hinblick auf ihre Bestimmtheit keinen Bedenken, denn die Dimensionierung lässt sich unter Berücksichtigung der getroffenen immissionsschutzrechtlichen Auflagen berechnen. Dass auch bei einer Dachkonstruktion mit Trapezblech und PU-Schaum, die ein Schalldämmmaß von 26 dB erreicht, die festgesetzten Immissionsrichtwertanteile am Anwesen der Antragstellerin eingehalten werden können, hat der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. Februar 2021 nachvollziehbar dargestellt. Zum Schutz vor tieffrequenten Geräuschen hat das Landratsamt in Ziff. 3 festgesetzt, dass innerhalb benachbarter schutzwürdiger Nutzungen außerhalb des geplanten Vorhabens die Anhaltswerte der DIN 45680 nicht überschritten werden dürfen. Das Beschwerdevorbringen zeigt nicht auf, dass die Antragstellerin hierdurch in ihren Rechten verletzt wird. Die ergänzende schalltechnische Stellungnahme vom 9. Oktober 2020 wurde mit Bescheid vom 9. Oktober 2020 zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt und ersetzt in den überarbeiteten Passagen das ursprüngliche Gutachten. Nach summarischer Prüfung bestehen auch im Hinblick auf die durch den Fahrverkehr ausgelösten Lärmimmissionen keine durchgreifenden Bedenken. Die schalltechnische Prognose in der Fassung vom 9. Oktober 2020 berücksichtigt ausweislich Tabelle 7 der Anlage 2.1 entsprechende Rangiervorgänge. Im Übrigen wird seitens der Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt, dass durch ein weiteres Rangieren auf dem öffentlichen Verkehrsgrund die festgesetzten Immissionsrichtwertanteile in Bezug auf den Immissionsort am Grundstück der Antragstellerin nicht eingehalten werden können. Es kann daher offenbleiben, ob die Rangiervorgänge im öffentlichen Straßenraum der Anlage zuzurechnen sind. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist der Lieferverkehr sowie die Ladetätigkeit durch die Baugenehmigung quantitativ beschränkt. Das Betriebsgeschehen ist in der ergänzenden Stellungnahme vom 9. Oktober 2020 dargestellt und zum Bestandteil der Genehmigung erklärt worden. Soweit der Emissionsansatz für das Abkippen der Hackschnitzel in Zweifel gezogen wird, erscheint die Erläuterung in der Stellungnahme vom 19. Februar 2021, dass die Hackschnitzel vergleichbar mit der Masse von Humus sind, jedoch eine geringere Masse wie Lehm, Betonteile oder mittelgroßer Kies aufweisen, sodass der Wert des „Leitfadens zur Prognose von Geräuschen bei der Be- und Entladung von Lkw“ des Landesumweltamts Nordrhein-Westfalen herangezogen werden kann, plausibel. Das Beschwerdevorbringen zeigt hierzu nichts Gegenteiliges auf. Im Hinblick auf die von der Antragstellerin vorgetragene unterbliebene Berücksichtigung einer Reflexionswirkung des Baukörpers des Heizkraftwerks ist der Vortrag unsubstantiiert. Anhaltspunkte dafür, dass es hierdurch zu einer Überschreitung der Immissionsrichtwertanteile kommt, finden sich auch nicht in der von Antragstellerseite vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme der S.  GmbH.
Die angegriffene Genehmigung verstößt auch im Hinblick auf die Abluft der Heizgase voraussichtlich nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Es ist bereits nicht substantiiert dargelegt, dass entgegen den Ausführungen des fachlichen Immissionsschutzes in der Stellungnahme vom 27. Mai 2020 sich eine Rezirkulationszone bildet.
Selbst wenn man im Hinblick auf die in der Stellungnahme von S.  GmbH angeführten Bedenken einen weiteren Aufklärungsbedarf und damit in der Hauptsache offene Erfolgsaussichten annehmen würde, würde die Interessensabwägung im Hinblick auf die gesetzgeberische Wertung des § 212a BauGB zu Lasten der Antragstellerin ausfallen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass es ausgeschlossen ist, dass die Anlage die einschlägigen Immissionsrichtwerte einhält, so dass hier allenfalls weitere immissionsschutzrechtliche Auflagen zu erwarten stünden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.


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