Baurecht

Bestimmtheit eines Vorbescheids

Aktenzeichen  AN 9 K 20.02766

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25540
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauGB § 34

 

Leitsatz

1. Bei einem Vorbescheid muss der Inhalt der jeweiligen vorgezogenen Zulässigkeitsprüfung vollständig, klar und eindeutig zum Ausdruck kommen. Ein Nachbar muss die Möglichkeit haben, zweifelsfrei festzustellen, ob und in welchen Umfang er betroffen ist. Das Erfordernis der Bestimmtheit bezieht sich insbesondere auch auf die mit dem Vorbescheidsantrag eingereichten Bauvorlagen.  (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Einsichtsnahmemöglichkeiten sind grundsätzlich nicht städtebaulich relevant. Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt. (Rn. 43 – 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.
Klagegegenstand ist der der Beigeladenen erteilte Vorbescheid vom 12. November 2020 für die „Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage“ auf dem Anwesen FlNr. …, Gemarkung …
B.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Vorbescheid der Beklagten vom 12. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Gemäß Art. 71 BayBO hat der Bauherr bereits vor Einreichung des Bauantrags die Möglichkeit, zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens einen Vorbescheid zu beantragen. Dieser darf nach Art. 71 Satz 4 in Verbindung mit Art. 68 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. BayBO nur versagt werden, wenn das Vorhaben gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Der Nachbar hingegen kann den Vorbescheid mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn er rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen sind, sondern gerade dem Schutz eines von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises, namentlich des betroffenen Nachbarn zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ist der Fall, wenn er in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (st. Rspr. zur Baugenehmigung, vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87; BVerwGE 89, 69; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017, m.w.N. – juris). Hinzu kommt, dass ein Verstoß nur gegen solche Vorschriften in Betracht kommt, zu denen der Vorbescheid rechtliche Aussagen bzw. Feststellungen trifft, weil nur insoweit eine Bindungswirkung für das spätere Baugenehmigungsverfahren eintritt (vgl. König in Schwarzer/König, Bay-BO, 4. Aufl. 2012, Art. 71 Rn. 17).
1. Eine Nachbarrechtsverletzung ist nicht aufgrund eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gegeben.
1.1 Als Verwaltungsakt muss der Vorbescheid inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Bei einem Vorbescheid muss der Inhalt der jeweiligen vorgezogenen Zulässigkeitsprüfung vollständig, klar und eindeutig zum Ausdruck kommen (siehe hierzu VG Ansbach, U.v. 8.8.2018 – AN 3 K 17.02090 – juris Rn. 71). Ein Nachbar muss die Möglichkeit haben, zweifelsfrei festzustellen, ob und in welchen Umfang er betroffen ist. Eine Verletzung in nachbarlichen Rechten ist dabei aber nur dann gegeben, wenn eine Unbestimmtheit gerade ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (so zur Baugenehmigung BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18-10 – juris Rn. 13).
Das Erfordernis der Bestimmtheit bezieht sich insbesondere auch auf die mit dem Vorbescheidsantrag eingereichten Bauvorlagen, auf die im Tenor des streitgegenständlichen Bescheids ausdrücklich Bezug genommen wird. Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO, der über Art. 71 Satz 4 BayBO auch im Vorbescheidsverfahren entsprechend Anwendung findet, bestimmt, dass mit dem Antrag auf Erteilung des Vorbescheids auch alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Antrags erforderlichen Unterlagen einzureichen sind. Gem. § 5 BauVorlV sind dabei diejenigen Bauvorlagen vorzulegen, die zur Beurteilung der durch den Vorbescheid zu entscheidenden Fragen erforderlich sind. Nachbarrechte können in diesem Zusammenhang dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit eines Vorbescheids bzw. der zugehörigen Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang des Vorbescheids nicht festgestellt werden kann und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt (vgl. zur Bestimmheit des Vorbescheids BayVGH, U.v. 22.5.2006 – 1 B 04.3531 – juris; VG München, U.v. 24.11.2014 – M 8 K 13.5076 – juris Rn. 24).
Eine Unbestimmtheit kann aber nur bezüglich der Feststellungen vorliegen, zu denen der Vorbescheid überhaupt eine Aussage trifft, da – wie bereits ausgeführt – auch nur insoweit eine Bindungswirkung gegeben ist.
1.2 Bezüglich des konkreten Gegenstandes des Vorbescheids ist keine Unbestimmtheit zu erkennen, die sich zu Lasten der Nachbarn auswirken könnte.
1.2.1 Der streitgegenständliche Vorbescheid trifft unter Bezugnahme auf die Bauvorlagen Aussagen zur Art der Nutzung sowie zum Einfügen bezüglich Maß der Nutzung, Bauweise, überbaubarer Grundstücksfläche und zur Erschließung. Damit werden insbesondere die vier planungsrechtlichen Hauptkriterien (Art, Maß, Bauweise, überbaubare Grundstücksfläche) klar erkennbar in die Prüfung einbezogen (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 22.5.2006 – 1 B 04.3531 – juris Rn. 23)
Es ist auch davon auszugehen, dass das Gebot der Rücksichtnahme bezogen auf das von der Bindungswirkung des Vorbescheides umfasste konkrete Vorhaben auch von der Feststellungswirkung des Vorbescheides erfasst wird. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Gebot der Rücksichtnahme im Begriff des ausdrücklich geprüften Einfügens im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB enthalten und damit Bestandteil der geprüften planungsrechtlichen Zulässigkeit ist (vgl. hier auch BayVGH, B.v. 16.8.2016 – 15 B 14.1625 – juris Rn. 14). Zudem wurden die Einwendungen der Kläger ausweislich der Bescheidsbegründung berücksichtigt. Eine vollständige Ausklammerung des Rücksichtnahmegebotes ist auch nach den Vorbescheidsfragen nicht beabsichtigt gewesen. Die Frage, ob eine solche überhaupt zulässig wäre (vgl. einerseits BayVGH, B.v. 16.8.2016 – 15 B 14.1625 – juris Rn. 14 und andererseits BayVGH B.v. 17.2.2020 – 9 ZB 17.1283 – juris Rn. 9; B.v. 18.2.2020 – 9 ZB 17.1284 – juris Rn. 9), muss somit an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
Der Prüfungsumfang ist somit – entgegen dem klägerischen Vorbringen – klar abgegrenzt.
1.2.2 Das streitgegenständliche Vorhaben ist auch bestimmt genug dargestellt.
Im Plan „Übersicht/Erdgeschoss“ findet sich eine „Baugrenze“, innerhalb derer die Lage von Wohnhaus und Garage klar fixiert ist. Durch die Bezeichnungen „Wohnhaus“ und „Doppelgarage“ ist auch das Wohnhaus als weiter westlich situierte Bebauung eindeutig bestimmt. Der noch bestehende „Spielraum“ bezüglich der Anordnung der Gebäude bewegt sich im Bereich von 0,3 bis 0,5 Meter.
Soweit die Kläger Unklarheiten bezüglich der Einsichtsmöglichkeiten rügen, ist darauf hinzuweisen, dass die Fassadengestaltung nicht zwangsläufig Gegenstand des Vorbescheides sein muss. Sofern der Bauantragssteller – wie hier – auf eine entsprechende Darstellung in den Bauvorlagen verzichtet und sich auch in den zugehörigen Vorbescheidsfragen keine entsprechende Fragestellung findet, kommt dem Vorbescheid diesbezüglich auch keine Feststellungswirkung zu. Auch wenn das Rücksichtnahmegebot grundsätzlich – wie oben ausgeführt – Bestandteil des Vorbescheides ist, ist das Rücksichtnahmegebot bezüglich der Fasadengestaltung – mangels entsprechender Zugehörigkeit zum Gegenstand des Vorbescheids – gerade nicht zu prüfen. Die konkrete Fassadengestaltung wird somit erst im sich anschließenden Baugenehmigungsverfahren gerade auch im Hinblick auf eine Übereinstimmung mit dem Rücksichtnahmegebot geprüft. Dies steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach der Vorbescheid bestimmte Fragestellungen dem Baugenehmigungsverfahren überlassen kann. Für die Frage der Rechtmäßigkeit ist ausreichend, wenn – wie hier – eine Gestaltung des Vorhabens möglich ist, die das Vorhaben als nicht rücksichtslos erscheinen lässt (vgl. hierzu BVerwG U.v. 3.4.1987 – 4 C 41/84 – juris; BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 9 ZB 17.1284 – juris).
Wie bereits ausgeführt kann sich aber ohnehin bezüglich der Bestimmtheit eine Nachbarrechtsverletzung nur ergeben, wenn sich aufgrund der Unbestimmtheit eine Verletzung von Nachbarrechten – hier bezüglich der Einsichtsmöglichkeiten – nicht ausschließen lässt. Selbst wenn vorliegend aber von einer Unbestimmtheit auszugehen sein sollte, ist nicht ersichtlich, dass diese Unbestimmtheit zu einer Verletzung von Nachbarrechten führen könnte.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Bauplanungsrecht keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken vermittelt; Einsichtsnahmemöglichkeiten sind grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (siehe hierzu BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – juris Rn. 7).
So weist der BayVGH auch mit Entscheidung vom 12. Februar 2020 (Az. 15 CS 20.45) darauf hin, dass es im bebauten innerörtlichen Bereich zur Normalität gehöre, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden könne. Auch über das Gebot der Rücksichtnahme werde in bebauten Ortslagen kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt; etwas anderes könne sich allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles geprägten Ausnahmefällen ergeben.
Vorliegend sind keine Umstände erkennbar, die auf einen solchen Ausnahmefall schließen lassen. Insbesondere erweisen sich die potentiellen Einsichtsmöglichkeiten anders als in der dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. August 2018 (Az. AN 3 K 17.02090) zugrundeliegenden Konstellation bei dem hier beantragten Einfamilienhaus bereits durch die maximale Traufhöhe und Dachneigung als begrenzt. Im Hinblick auf das klägerische Grundstück bestehen aufgrund der Reihenhaussituation ohnehin schon gegenseitige Einsichtsmöglichkeiten. Zudem könnten sich aufgrund der Situierung des streitgegenständlichen Vorhabens auch nur Einsichtsmöglichkeiten in den Gartenbereich des klägerischen Grundstückes ergeben.
Sowohl hinsichtlich der Dachneigung als auch hinsichtlich der Traufhöhe ist keine Unbestimmtheit anzunehmen. Für die Traufhöhe ist ein maximaler Wert angegeben; es ist nicht ersichtlich, dass eine Unterschreitung dieses Maximalwertes zu einer Nachbarrechtsverletzung führen könnte. Bezüglich der Dachneigung wird eine Variationsbreite genannt, die im Hinblick auf die Bestimmtheit schon keinen Bedenken begegnet, da der mögliche Maximalwert mit 55 Grad eindeutig bestimmbar ist; auch diesbezüglich ist nicht ersichtlich, wie eine geringere Dachneigung die Nachbarn in ihren Rechte verletzen sollte.
2. Weiterhin ist auch kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme gegeben. Insbesondere ist keine Verletzung einer aus einem rückwärtigen Ruhebereich folgenden nachbarlichen Schicksalsgemeinschaft anzunehmen. Bezogen auf das streitgegenständliche Grundstück liegt nämlich gerade keine Bebauung eines rückwärtigen Ruhebereiches vor. Aufgrund der Erschließungssitutation über die Stichstraße ist der zu bebauende Bereich direkt an der Straße anliegend und stellt gerade keinen rückwärtigen Ruhebereich dar.
Es gilt weiterhin zu berücksichtigen, dass sich im rückwärtigen Bereich des Klägergrundstücks eine Garage befindet, die auch über den im Westen der Grundstücke befindlichen Weg angefahren werden kann. Vor diesem Hintergrund ist der rückwärtige Bereich ohnehin nicht als ausschließliche Ruhezone anzusehen.
3. Für eine Lage des streitgegenständlichen Vorhabens im Außenbereich sind aufgrund der dem Gericht vorliegenden Luftbilder und Lagepläne keine Anhaltspunkte gegeben; selbst bei Annahme einer Außenbereichslage wäre damit aber keine Nachbarrechtsverletzung verbunden.
4. Soweit der Klägervertreter die Verletzung einer rückwärtigen (faktischen) Baugrenze rügt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ein Verstoß gegen eine Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche im Regelfall nicht drittschützend ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 31.5.2021 -1 ZB 19.2034). Zudem könnte mangels Vorliegen eines Bebauungsplans auch allenfalls eine faktische Baugrenze vorliegen, die somit auch nicht ausnahmsweise durch den Plangeber mit drittschützender Wirkung ausgestattet werden kann.
Letztlich ist zudem darauf hinzuweisen, dass selbst bei Annahme einer faktischen Baugrenze diese sich nicht mehr auf das streitgegenständliche Grundstück erstrecken würde, da dieses – wie bereits ausgeführt – anders als die sich im Norden befindlichen Grundstückes auch im Süden über die Stichstraße erschlossen wird und somit gerade kein rückwärtiger Grundstücksbereich anzunehmen ist.
C.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch die Stellung eines Antrags dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, den Klägern auch die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen aufzuerlegen, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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