Baurecht

Bildung des Abrechnungsgebiets für Straßenausbaubeitrag

Aktenzeichen  B 4 K 15.124

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 1
KAG Art. 5 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Für die Qualifikation einer Ortsstraße als öffentliche Einrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayKAG kommt es auf eine natürliche Betrachtungsweise an, also auf den Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter unabhängig vom Straßennamen im Hinblick auf Straßenführung, -länge und -ausstattung vermitteln (ebenso BayVGH BeckRS 2010, 48645). (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn Straßen mit unterschiedlicher Verkehrsfunktion zusammentreffen, dürfen sie nicht als einheitliche Einrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayKAG abgerechnet werden. Unterschiedliche Straßenkategorien sind einer gesonderten Abrechnung zuzuführen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Bescheide der Beklagten vom 17.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 28.01.2015 werden aufgehoben, soweit darin für das Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, eine höhere Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag als 642,71 EUR und für das Grundstück Fl.-Nr. … als 52,80 EUR festgesetzt worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 22% und die Beklagte 78%.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind die Bescheide der Beklagten vom 07.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 28.01.2015 in Höhe von insgesamt 2.449,33 EUR aufzuheben, weil die Festsetzung einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag für die beiden streitgegenständlichen Grundstücke in diesem Umfang rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Im Umfang von insgesamt 695,51 EUR ist die Klage abzuweisen, weil die Bescheide insoweit rechtmäßig sind.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG kann die Beklagte auf Grund einer besonderen Abgabesatzung zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen sollen gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind. Für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, können gemäß Art. 5 Abs. 5 Satz 1 KAG Vorauszahlungen auf den Beitrag verlangt werden, wenn mit der Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung der Einrichtung begonnen worden ist. Bei einem Teilstreckenenausbau liegt eine beitragsfähige Erneuerungsmaßnahme in der Regel erst dann vor, wenn die betroffene Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straße umfasst (BayVGH, Urteil vom 28.01.2010 – 6 BV 08.3043, juris Rn. 14).
Demgemäß war die Beklagte auf der Grundlage ihrer Ausbaubeitragssatzung vom 28.04.2004 (ABS) berechtigt, für die Erneuerung der Ortsstraße „Am L.“ nach Maßnahmenbeginn Vorauszahlungen auf den Straßenausbaubeitrag zu verlangen. Die gegenüber dem Kläger festgesetzte Vorauszahlung erweist sich allerdings als zu hoch, weil die von der Beklagten gebildete Einrichtung nicht den in der maßgeblichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entspricht (a) und folglich auch das Abrechnungsgebiet nicht rechtmäßig gebildet wurde (b).
(a) Gegenstand einer beitragsfähigen Maßnahme ist grundsätzlich die einzelne Ortsstraße als öffentliche Einrichtung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG. Hinsichtlich des Einrichtungsbegriffs ist auf die natürliche Betrachtungsweise abzustellen, d.h. auf den Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter im Hinblick auf Straßenführung, Straßenbreite und -länge sowie Straßenausstattung – ungeachtet eines anderen Straßennamens – vermitteln (u.a. BayVGH, U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – BayVBl 2010, 470; U.v. 1.6.2011 – 6 BV 10.2467 – BayVBl 2012, 206/208).
Maßgebliche Einrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht nur der auf einer Länge von ca. 300 m ausgebaute Teil der Straße „Am L.“ sondern nach natürlicher Betrachtungsweise die Straße auf ihrer gesamten gewidmeten Länge von 960 m. Nicht zur Einrichtung gehören aus rechtlichen Gründen die öffentlich gewidmeten Stichwege „Zufahrt zum …“, „Zufahrt zur …“ (Fl.-Nr. …) und „Zur …“ und der ausgebaute Teil des … Wegs.
Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der in den Akten befindlichen Lagepläne, der vorgelegten Fotos und der von den berufsrichterlichen Mitgliedern der Kammer durchgeführten Ortseinsicht fest. Die Einmündung des … Wegs im Kurvenbereich stellt keine Zäsur der Straße „Am L.“ dar. Vielmehr vermittelt die einheitlich weiterführende Straßenbreite den Eindruck, dass die Straße lediglich eine Kurve beschreibt und schließlich am nordöstlichen Ortsrand an der Gemarkungsgrenze zu … endet. Dagegen ist der in der Kurve einmündende … Weg deutlich schmäler, so dass die Ansicht, der ausgebaute Teil der Straße „Am L.“ würde mit dem sich geradeaus fortsetzenden …Weg eine Einrichtung bilden, nicht geteilt wird.
Aufgrund der Einstufung der Straße „Am L.“ als Haupterschließungsstraße können die im Zuge der Ausbaumaßnahme ebenfalls erneuerten Stichwege „Zufahrt zum …“, „Zufahrt zur …“ (Fl.-Nr. …) und „Zur …“ (Fl.-Nr. …) sowie der ausgebaute Teil des … Wegs aus rechtlichen Gründen nicht zur maßgeblichen abrechnungsfähigen Einrichtung zählen, da sie nur der Kategorie Anliegerstraßen zugeordnet werden können. Wegen der unterschiedlichen Verkehrsfunktion ist es aber ausgeschlossen, nur dem Anliegerverkehr dienende (Stich) Straßen zusammen mit einer Haupterschließungsstraße als einheitliche Einrichtung abzurechnen (BayVGH vom 09.02.2012 – 6 B 10.865, juris Rn. 23). Die in den Stichwegen durchgeführten Ausbaumaßnahmen sind deshalb einer gesonderten Abrechnung zuzuführen. Die von Beklagtenseite zitierte Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs (Beschlüsse vom 25.03.2014 – 6 ZB 13 2332; vom 23.02.2015 – 6 ZB 14.2435 und vom 17.02.2016 – 6 ZB 14.1871) ist nicht einschlägig, da in den entschiedenen Stichstraßenfällen keine unterschiedlichen Straßenkategorien vorlagen. Auch das vom Kläger zuletzt geäußerte Einverständnis mit der Anlagenbildung ändert daran nichts, da die Frage der maßgeblichen Einrichtung nicht zur Disposition der Beteiligten steht.
(b) Der voraussichtliche, nur für den Ausbau der Straße „Am L.“ anfallende, umlagefähige Aufwand ist nach Abzug des Gemeindeanteils (aa) auf alle Grundstücke zu verteilen, denen durch die Ausbaumaßnahme an der Einrichtung ein beitragsrelevanter Vorteil vermittelt wird (bb).
(aa) Die Beklagte hat entsprechend der Aufforderung des Gerichts den auf die Straße „Am L.“ entfallenden Aufwand ermittelt und den Eigenanteil am Ausbauaufwand gemäß § 7 Abs. 2 Ziff. 1.2, Abs. 3 ABS korrekt abgezogen. Die Straße „Am L.“ ist bestenfalls als Haupterschließungsstraße, nicht aber als Hauptverkehrsstraße einzustufen. Letzteres wäre nur der Fall, wenn sie ganz überwiegend dem durchgehenden innerörtlichen Verkehr und/oder dem überörtlichen Durchgangsverkehr dienen würde. Ein überörtlicher Durchgangsverkehr findet in … schon aufgrund der topografischen Lage des 1975 eingemeindeten, nur ca. 200 Einwohner umfassenden Ortsteils der Stadt … nicht statt. Das Dorf ist hinsichtlich des überörtlichen Straßennetzes eher abseits gelegen und dient weder dem notwendigen Durchgangsverkehr in die Kreisstadt … noch einer sonstigen Verbindung zwischen anderen umliegenden Orten. Ein durchgehender innerörtlicher Verkehr ist aufgrund der Tatsache, dass die Straße „Am L.“ die einzige durch den ganzen Ort führende Straße ist, nicht gegeben. Sie stellt keine Verbindung zu anderen innerörtlichen Wohngebieten dar, weil es solche nicht gibt.
(bb) Da die gesamte Straße „Am L.“ die maßgebliche Einrichtung darstellt, gehören zu den beitragspflichtigen Grundstücken, auf die der Ausbauaufwand zu verteilen ist, auch alle am ca. 600 m langen, nicht ausgebauten Teil der gewidmeten Straße gelegenen Grundstücke bis zum Ortsausgang in Richtung … Dagegen bleiben alle ausschließlich an den Stichwegen bzw. am … Weg gelegenen Grundstücke außer Betracht.
Einzubeziehen sind auch das an dem in den Außenbereich führenden privaten Eigentümerweg „Zum …“ gelegene bebaute Grundstück Fl.-Nr. … gemäß § 8 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 und 3 Nr. 2 ABS und das gegenüberliegende landwirtschaftliche Grundstück Fl.-Nr. … mit 2,5% der Fläche gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 ABS. Für diese Grundstücke ist die ausgebaute Einrichtung die nächstgelegene öffentliche Straße.
Einzubeziehen ist auch das an der nichtausgebauten Teilstrecke gelegene Grundstück Fl.-Nr. …mit 945 m², auf dem sich laut Angaben der Beklagten ein Gebäude mit der Dorfheizung befindet. Auch wenn dieses Grundstück der öffentlichen Versorgung dient, kommt ihm durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße ein Vorteil zu.
Nicht in das Abrechnungsgebiet einzubeziehen sind die Grundstücke Fl.-Nrn …, … und … als Hinterliegergrundstücke im Außenbereich ohne rechtliche Zugangsmöglichkeit zur ausgebauten Straße (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. Rn. 20 zu § 35).
(cc) Der der Vorauszahlung zugrunde liegende umlegungsfähige Aufwand für die maßgebliche Einrichtung beträgt nunmehr 74.914,84 EUR (Bl. 142 Gerichtsakte). Dieser verteilt sich auf eine Fläche von 78.037,16 m² und führt zu einem Beitragssatz von 0,9599 EUR/m². Auf den Kläger entfallen aufgrund des hälftigen Miteigentums an den Grundstücken Fl.-Nrn. … und … Vorauszahlungsbeträge von 642,71 EUR bzw. 52,80 EUR (insgesamt 695,51 EUR). In dieser Höhe haben die angefochtenen Bescheide Bestand, weshalb die Klage im Übrigen abzuweisen war.
2. Die Kostenentscheidung entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.


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