Baurecht

Darstellung als Grünverbindung im Landschaftsplan als entgegenstehender öffentlicher Belang bei privilegiertem Vorhaben

Aktenzeichen  B 2 K 17.422

Datum:
9.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142267
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 35 Abs. 1 BauGB
§ 35 Abs. 3 Nr. 2 BauGB

 

Leitsatz

1 Zur Beantwortung der Frage, ob dem privilegierten Vorhaben öffentliche Belange entgegenstehen, ist eine Abwägung zwischen dem beabsichtigten Vorhaben und den etwa von ihm berührten öffentlichen Belangen vorzunehmen. Ob sich die öffentlichen Belange im Einzelfall durchsetzen, ist eine Frage ihres jeweiligen Gewichts und der die gesetzlichen Vorgaben und Wertungen konkretisierenden Abwägung mit dem Vorhaben, zu dem es konkret in Beziehung zu setzen ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei dieser Abwägung muss zu Gunsten der von § 35 Abs. 1 BauGB erfassten Vorhaben die ihnen vom Gesetz zuerkannte Privilegierung gebührend in Rechnung gestellt werden. Ob sich dabei die Privilegierung gegen die öffentlichen Belange durchsetzt, hängt wesentlich von der Art der in Betracht kommenden öffentlichen Belange ab. Es kann durchaus sein, dass im Einzelfall ein bestimmter öffentlicher Belang auch gegenüber einem privilegierten Vorhaben nicht anders als bei einem sonstigen Vorhaben durchgreift (hier verneint im Hinblick auf Darstellung im Landschaftsplan als Grünverbindung). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.05.2017 verpflichtet, die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung einer Gerätehalle auf dem Grundstück Fl.-Nr. …/ … zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 10.05.2017 ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung und wird durch deren Ablehnung in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Vorhaben entspricht den im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften.
Der Klage fehlt es weder am Rechtsschutzbedürfnis noch konnte die beantragte Baugenehmigung wegen eines mangelnden Sachbescheidungsinteresses abgelehnt werden.
Das Rechtsschutzinteresse für eine auf Genehmigungserteilung gerichtete Verpflichtungsklage kann im Einzelfall fehlen, wenn Ziel der Rechtsverfolgung der Erhalt einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung ist, die sich mit Rücksicht auf rechtliche Verhältnisse offensichtlich nicht verwirklichen lässt oder dem Kläger bereits eine gleichlautende Baugenehmigung erteilt wurde. Als Pendant zum fehlenden Rechtsschutzinteresse im Klageverfahren kann die Baugenehmigungsbehörde einen Bauantrag wegen mangelndem Sachbescheidungsinteresse ablehnen, um von unnötiger und nutzloser Verwaltungstätigkeit entlastet zu werden, wenn die oben genannten Voraussetzungen vorliegen (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 27.1.2017 – 15 B 16.1834 – juris). Ein der Verwirklichung des Bauvorhabens offensichtlich entgegenstehendes zivilrechtliches Hindernis liegt hier nicht vor; dies insbesondere deshalb, weil das vormals im Grundbuch eingetragene Bauverbot für das Baugrundstück gelöscht wurde. Der Umstand, dass dem Kläger mit Bescheid vom 13.03.2015 eine auf 20 Jahre befristete Baugenehmigung erteilt wurde, kann nicht zur Annahme eines mangelnden Sachbescheidungsinteresses führen, denn diese befristete Genehmigung kann offensichtlich nicht einer – in der Regel – unbefristet zu erteilenden Baugenehmigung gleichgestellt werden, denn mit Ablauf der Frist von 20 Jahren würde sich das Bauvorhaben als formell rechtswidrig darstellen. Dass der Kläger die Befristung der Baugenehmigung nicht angefochten hat, kann ihm nicht entgegengehalten werden, denn er hat die Befristung ausweislich des Akteninhalts selbst beantragt, nachdem der Bausenat der Beklagten lediglich einer befristeten Baugenehmigung zugestimmt hat. Der Kläger hat zudem ein Interesse an Rechtssicherheit für seinen Gemüseanbaubetrieb, insbesondere, weil er diesen in der Zukunft gegebenenfalls an seine Kinder weitergeben will.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Das Bauvorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig (Art. 60 Abs. 1 Nr. 1 BayBO, § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Die beantragte Gerätehalle ist als privilegiertes Bauvorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zulässig. Der Kläger betreibt einen Gemüsebaubetrieb. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten … – kam in seinen Stellungnahmen vom 16.04.2014 und 22.09.2014 zu dem Ergebnis, dass zweifelsfrei ein landwirtschaftlicher Betrieb vorliegt und die beantragte Gerätehalle für diesen Betrieb erforderlich ist. Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 13.03.2015 (befristete Baugenehmigung) auch eine Privilegierung angenommen. Auf die Frage des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung, ob sich die Pachtverhältnisse bei dem Kläger mittlerweile geändert haben, gab der Kläger an, die Pachtsituation sei die gleiche wie zum Zeitpunkt der Erteilung der befristeten Baugenehmigung. Insoweit bestehen keine Zweifel an einer weiterhin gegebenen Privilegierung des Bauvorhabens.
Dem privilegierten Bauvorhaben stehen öffentliche Belange nicht entgegen. Dies gilt insbesondere für die in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BauGB enthaltenen Belange. Zur Beantwortung der Frage, ob dem privilegierten Vorhaben öffentliche Belange entgegenstehen, ist eine Abwägung zwischen dem beabsichtigten Vorhaben und den etwa von ihm berührten öffentlichen Belangen vorzunehmen. Ob sich die öffentlichen Belange im Einzelfall durchsetzen, ist eine Frage ihres jeweiligen Gewichts und der die gesetzlichen Vorgaben und Wertungen konkretisierenden Abwägung mit dem Vorhaben, zu dem es konkret in Beziehung zu setzen ist. Bei dieser Abwägung muss jedoch zu Gunsten der von § 35 Abs. 1 BauGB erfassten Vorhaben die ihnen vom Gesetz zuerkannte Privilegierung gebührend in Rechnung gestellt werden. Ob sich dabei die Privilegierung gegen die öffentlichen Belange durchsetzt, hängt wesentlich von der Art der in Betracht kommenden öffentlichen Belange ab. Es kann durchaus sein, dass im Einzelfall ein bestimmter öffentlicher Belang auch gegenüber einem privilegierten Vorhaben nicht anders als bei einem sonstigen Vorhaben durchgreift. Insbesondere die in § 35 Abs. 3 BauGB genannten öffentlichen Belange können demzufolge auch ein privilegiertes Vorhaben verhindern. Diesen kommt allerdings im Rahmen der gebotenen Abwägung eine höhere Gewichtung bei dem Vergleich der sich im Einzelfall gegenüberstehenden Positionen zu.
Die Beklagte macht geltend, das Bauvorhaben widerspreche den Darstellungen des Landschaftsplans (§ 35 Abs. 3 Nr. 2 BauGB). Für das Baugrundstück enthält der Landschaftsplan der Beklagten die folgenden Darstellungen: Land- und forstwirtschaftliche Fläche: Beregnungsfläche für den Erwerbsgartenbau und Landschaftliches Gliederungselement: Grünverbindung. Ein rechtserheblicher Widerspruch des Bauvorhebens zum Landschaftsplan ist hier jedoch nicht zu sehen.
Im Hinblick auf die Darstellung der Beregnungsflächen ist dem Erläuterungsbericht zu entnehmen, dass diese Darstellung aus dem Umstand resultiert, dass die dortigen Flächen Anschluss an die Wasserleitungsnetze der Beregnungsverbände haben. Der Kläger führt unstreitig einen Gemüsebaubetrieb und beabsichtigt auf der noch neben der Gerätehalle verbleibenden Restfläche Gemüse anzubauen. Die zu errichtende Gerätehalle dient dem Betrieb des Erwerbsgartenbaus und ist damit letztlich dem Erwerbsgartenbau „zugehörig“. Der Kläger beabsichtigt gerade keine im Widerspruch zum Landschaftsplan stehende Nutzung, wenn er dort neben dem Gemüseanbau auch eine in Bezug auf seinen Betrieb notwendige und damit privilegierte Lagerhalle errichtet. Für das Gericht ist es insoweit unerheblich, wenn die mit der Lagerhalle überbaute Fläche in diesem geringen Ausmaß nicht als Beregnungsfläche ausgenutzt werden kann. Das Vorhaben ist insoweit nicht geeignet, die Darstellung als Beregnungsfläche für den Erwerbsgartenbau als eine striktere und stärker belastende Planung zu tangieren.
Im Hinblick auf die Darstellung „Grünverbindung“ ist ebenfalls kein rechtserheblicher Widerspruch zu sehen. Zweifelhaft ist hier schon, ob es sich bei dieser Darstellung um eine hinreichend konkrete standortbezogene Aussage handelt. Einem privilegierten Vorhaben können nämlich grundsätzlich nur solche Darstellungen entgegengehalten werden, die eine „anderweitige Planung“ enthalten. Hiergegen spricht, dass es offenbar bei der Festlegung der Grünverbindung lediglich darum ging, eine durchziehende Verknüpfung von Grünflächen zu erreichen und der Umstand, dass im Landschaftsplan der Beklagten mehrfach sogenannte Grünverbindungen dargestellt werden und sich damit die hier maßgebliche Darstellung nicht lediglich konkret auf das Baugrundstück und die umliegenden Flächen bezieht. Ein Durchsetzungsvermögen dieser Darstellung gegenüber dem privilegierten Vorhaben besteht jedoch deshalb nicht, weil zum einen das streitige Vorhaben die dargestellte Grünverbindung nicht maßgeblich tangiert und zum anderen die Flächen im festgehaltenen Bereich der Grünverbindung bereits vielfach bebaut sind, weshalb sich eine durchgehende Grünverbindung vom Flugplatz … zum Friedhof ohnehin nicht realisieren lässt. Dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Flächennutzungsplan ist zu entnehmen, dass die hier maßgebliche Grünverbindung sowohl in nordöstliche als auch in südwestliche Richtung (vom klägerischen Grundstück aus gesehen) über u.a. dargestellte Sondergebiete, Industriegebiete und Gewerbegebiete verläuft. Betrachtet man die Fläche der festgelegten Grünverbindung im Luftbild – z.B. im Bayern-Atlas – zeigt sich, dass die Grünverbindungsfläche bereits sowohl im nordöstlichen Bereich als auch im südwestlichen Bereich vielfach bebaut ist. Auch nordwestlich des Baugrundstückes sind einzelne Gebäudlichkeiten sichtbar (vgl. Luftbild auf Bl. 24 der Behördenakte …). Insbesondere muss sich jedoch die Beklagte vorhalten lassen, in jüngster Vergangenheit ein Bauvorhaben der „…“ südöstlich des klägerischen Baugrundstücks zugelassen zu haben (Studentenwohnheim – vgl. Bl. 23 der Behördenakte, Az.: …). Den in der Akte befindlichen Lageplänen und Luftbildaufnahmen ist zu entnehmen, dass sich dieses Vorhaben ebenfalls komplett im Bereich der dargestellten Grünverbindung befindet und es sich zudem um einen weitaus größeren Baukörper handelt, als den der streitgegenständlichen Lagerhalle. Die Beklagte kann diesbezüglich nicht mit dem Argument gehört werden, dieses Vorhaben sei nach § 34 BauGB genehmigt worden, da es sich bei diesem Grundstück ebenfalls um eine Außenbereichsfläche handelte. Vor dem Hintergrund des insoweit relativ kleinräumigen Grünflächenverbrauchs durch das streitgegenständliche Vorhaben, vermag sich hier die „Darstellung der Grünverbindung“ nicht gegenüber dem privilegierten Vorhaben des Klägers durchzusetzen.
Ein Widerspruch des streitgegenständlichen Vorhabens zu anderen öffentlichen Belangen hat die Beklagte nicht geltend gemacht und ein solcher ist auch für das Gericht nicht ersichtlich.
Der Kläger hat damit einen Anspruch auf Erteilung der von ihm beantragten Baugenehmigung (Art. 68 Abs. 1 Satz 1, 59 BayBO).
Als unterlegene Beteiligte hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. der Zivilprozessordnung – ZPO –.


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