Baurecht

Drittanfechtungsklage, Nachbarklage wegen Verletzung einer Baumschutzverordnung, Inhalte der Nachbarbeteiligung

Aktenzeichen  AN 9 K 21.00477

Datum:
14.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40601
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2
BayNatSchG Art. 12 Abs. 2, 3, 45 Abs. 1 Nr. 4 und 37 Abs. 2 Nr. 3
BayBO Art. 66

 

Leitsatz

Gründe

Über die Klage konnte der Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 VwGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage erweist sich als unzulässig. Für eine Nachbarklage wie die vorliegende ist unbeachtlich, ob die der Beigeladenen am 5. Februar 2021 erteilte Baugenehmigung unter Verletzung der BaumschutzVO der Beklagten erging; ebenso kann es hier keine Bedeutung haben, ob die Beigeladene in ihrer Erklärung zum Schutz des Baumbestandes im Stadtgebiet … tatsächlich fehlerhafte Angaben gemacht hat, geschweige denn, ob dies vorsätzlich geschah.
1. Der Kläger ist nicht klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO.
a) Es entspricht einem allgemeinen Prinzip des deutschen Verwaltungsprozessrechts, dass ein Einzelner nicht jede erdenkliche Verwaltungsentscheidung gleichermaßen stellvertretend für die Allgemeinheit rügen und ihre Aufhebung verlangen kann. Hinzukommen muss nach § 42 Abs. 2 VwGO, dass der Kläger geltend machen kann, durch den jeweiligen Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
„Sein“ Recht meint in diesem Kontext sogenannte subjektiv öffentliche Rechte der Bürger (Schoch/Schneider/Wahl/Schütz, 41. EL Juli 2021, VwGO § 42 Abs. 2 Rn. 43). Die Verletzung eines solchen Rechts kommt bei einer Klage einer dritten Person, die nicht selbst Verwaltungsaktsadressat ist, nur in Betracht, wenn sie sich auf eine drittschützende Vorschrift stützen kann. Drittschützend sind Normen, wenn sie ausschließlich oder neben dem mit ihnen verfolgten allgemeinen Interesse zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu diesen bestimmt sind (sog. Schutznorm; zum, Ganzen: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2021, § 42 Rn. 83ff).
Dabei ist die Klagebefugnis zu bejahen, wenn die Verletzung des subjektiv öffentlichen Rechts möglich erscheint. Bei der vorliegenden Anfechtungsklage prüft das Gericht, ob nach dem Vortrag des Klägers Schutznormen verletzt sein können (statt aller: K-VerwR/Christoph Sennekamp, 5. Aufl. 2021, VwGO § 42 Rn. 83).
Vorliegend sind bereits keine Schutznormen ersichtlich, auf die sich der Kläger stützen könnte. Anders als letzterer vorträgt vermag ihm insbesondere die BaumschutzVO kein subjektiv-öffentliches Recht zu vermitteln.
Es ist höchstrichterlich geklärt, dass Baumschutzverordnungen keine Schutznormen sind. Sie dienen ausschließlich öffentlichen Zwecken. Dies folgt insbesondere aus dem Regelungscharakter sowie der naturschutzrechtlichen Rechtsgrundlage von Baumschutzverordnungen (st.Rspr. BayVGH: U.v. 14.3.1989 – 9 B 87.3636 – unveröffentlicht; B.v. 9.11.2000 – 9 ZB 00.1635, Rn. 7f -, juris; B.v. 18.6.2009 – 14 ZB 09.656, Rn. 6f -, juris; B.v. 17.11.2014 – 14 ZB 14.962, Rn. 5 -, juris).
Mit der ständigen Rechtsprechung ist dabei darauf hinzuweisen, dass die Nennung der Bürger in § 2 Nr. 1 BaumSchutzVO daran nichts ändert. So formuliert der Wortlaut der Nummern 1 bis 4 dieses Paragrafen ausschließlich Gemeinwohlzwecke. Sie ist nicht darauf angelegt, einem Einzelnen Rechte zu vermitteln.
b) Außerdem folgt eine Klagebefugnis des Klägers auch nicht aus dem gerügten Verfahrensfehler.
aa) Es ist bereits kein Verfahrensfehler ersichtlich.
Nach Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO hat der Bauherr oder sein Beauftragter den Eigentümern der benachbarten Grundstücke den Lageplan und die Bauzeichnungen zur Zustimmung vorzulegen. Dies reicht aus, damit Nachbarn ihre Rechte und ihre schutzwürdigen öffentlich-rechtlichen Interessen wahrnehmen können. Die Vorlage weiterer für den Bauantrag vorgeschriebener Bauvorlagen, wie die Baubeschreibung oder auch die bautechnischen Nachweise kann der Nachbar nicht verlangen (Busse/Kraus/Dirnberger, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 66 Rn. 112). Vorlage meint, dass der Bauherr oder sein Beauftragter die relevanten Unterlagen den Nachbarn so zugänglich machen müssen, dass sie ausreichend Gelegenheit haben, die Unterlagen zu prüfen und sich gegenüber den relevanten Stellen zu äußern (Busse/Kraus/Dirnberger, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 66 Rn. 118).
Vorliegend hat der Eigentümer des von der Beigeladenen zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks den Kläger ordnungsgemäß beteiligt. Er hat ihn mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 über den Plan zur Errichtung eines Einfamilienhauses unterrichtet. Ausweislich des Schreibens wurden dem Kläger ein Lageplan sowie die Pläne des Bauvorhabens übermittelt. Der Kläger ist dem nicht entgegengetreten.
Es kann somit offenbleiben, ob die klägerische Erklärung zum Schutz des Baumbestandes im Stadtgebiet … tatsächlich fehlerhafte Angaben enthielt.
bb) Anzumerken ist, dass selbst ein hypothetischer Beteiligungsmangel keinen Drittschutz dergestalt vermittelte, dass eine Nachbarklage allein gestützt auf das Argument fehlerhafter Beteiligung Erfolg haben könnte.
Allein die Verletzung formeller Nachbarbeteiligungsrechte begründet keine Fehlerhaftigkeit der Baugenehmigung, die zur Aufhebung führt (Busse/Kraus/Dirnberger, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 66 Rn. 208f, 582). Art. 66 ist nicht in dem Sinne nachbarschützend, dass etwa die Nichtbeteiligung für sich allein die Baugenehmigung diesem Nachbar gegenüber rechtswidrig macht (so auch VGH München Beschluss vom 12.7.2010 – 14 CS 10.327 -, Beschluss vom 29.11.2010 – 9 CS 10.2197 -, BayVBl. 2011, 698; Beschluss vom 16.10.2018, NVwZ-RR 2019, 303; OVG Saarlouis, Beschluss vom 10.6.2013 – 2 B 30/13 -, ZfBR 2013, 591 – nur LS). Ein Nachbar kann einen Rechtsbehelf bei fehlender oder fehlerhafter Beteiligung zulässigerweise nur erheben, wenn er gleichzeitig geltend machen kann, in eigenen materiellen Rechten verletzt zu sein. Abgesehen davon wird ein in einer fehlerhaften Beteiligung liegender Verfahrensfehler geheilt, wenn der Nachbar wie hier in Kenntnis der im angefochtenen Bescheid enthaltenen entscheidungserheblichen Tatsachen Klage erhebt (vgl. auch VGH München B.v. 29.10.1993 – 2 CS 93.2913 = BeckRS 1993, 10892).
2. Damit war die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, da sie einen eigenen Antrag gestellt und am Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) teilgenommen hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. 708, 709 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziff. 9.7.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 festgesetzt.


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