Baurecht

Drittanfechtungsklage, Provisorischer Biergarten, Bestimmtheit der Baugenehmigung, Gebot der Rücksichtnahme, Schädliche Umwelteinwirkung, Bayerische Biergartenverordnung, Stellplatznachweis, Be- und Anlieferungsverkehr, Parkplatzsuchverkehr, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Denkmalschutz, Rettungsweg, Befristete Baugenehmigung, Rechtsmissbrauch

Aktenzeichen  AN 3 K 20.01053

Datum:
20.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37907
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, § 34
BauNVO § 15 Abs. 1, § 6 Abs. 2 Nr. 3
BayBO Art. 47
BiergV § 2
BImschG § 22 Abs. 1a

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.  
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die den ursprünglich Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht in ihren drittschützenden Rechten verletzt.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin auch ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist bereits der Endausbau des Biergartens durch Bescheid vom 23. Juli 2014 bestandskräftig genehmigt worden, jedoch bleibt es der Klägerin unbenommen, sich gegen die Genehmigung des provisorischen Betriebs des Biergartens im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheids zu wenden. Auch spricht die Tatsache, dass die Genehmigung des provisorischen Betriebs bereits mehrfach und jeweils befristet erteilt wurde, nicht gegen ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Klägerin als Dritte kann sich dabei mit einer Anfechtungsklage nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen einen Baugenehmigungsbescheid zur Wehr setzen, wenn dieser rechtswidrig ist sowie die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (sog. Schutznormtheorie, vgl. u.a. BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 1 CS 21.1506 – juris Rn. 9 m.w.N.). Ein unmittelbarer Rückgriff auf Art. 14 Abs. 1 GG zur Begründung des Nachbarrechtsschutzes kommt dabei grundsätzlich nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber in Ausfüllung seines legislatorischen Gestaltungsspielraums aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nachbarliche Abwehrrechte verfassungskonform ausgestaltet hat und unter Einschluss der Grundsätze des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ein geschlossenes System des nachbarlichen Drittschutzes bereitstellt (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Vorliegend besteht keine Verletzung solcher drittschützender Rechte der Klägerin.
1. Die Klägerin ist durch die vorgetragene fehlende Bestimmtheit des Bescheids im Hinblick auf den Lieferverkehr jedenfalls nicht in ihren drittschützenden Rechten verletzt.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Nachbar kann somit eine eventuell unzureichende inhaltliche Bestimmtheit der Baugenehmigung nur geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 1 CS 20.2637 – juris Rn. 15 und 17).
Ein etwaiger Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hat regelmäßig die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zur Folge. Die Nichtigkeit des Verwaltungsakts bewirkt ein Mangel nur dann, wenn er besonders schwerwiegend ist und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG). Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist stets als besondere Ausnahme von dem Grundsatz anzusehen, dass ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt und vom Bürger nur auf dem Rechtsweg beseitigt werden kann. Selbst ein Verwaltungsakt, der einer gesetzlichen Grundlage entbehrt oder gegen eine wichtige Rechtsbestimmung verstößt, ist nicht allein schon aus diesem Grund nichtig. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots hat nur bei völliger Unbestimmtheit oder Unverständlichkeit eines Verwaltungsakts dessen Nichtigkeit zur Folge (vgl. BVerwG B.v. 11.5.2000 – 11 B 26.00 – NVwZ 2000, 1039; BayVGH, U.v. 27.3.2012 – 8 B 12.112 – BayVBl 2013, 342), also dann wenn der Betroffene dem Bescheid dessen Regelungsgehalt schlechthin nicht mehr entnehmen kann (BayVGH, B.v. 18.3.2021 – 1 CS 20.2788 – juris Rn. 14).
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend weder von einer Nichtigkeit des Bescheids auszugehen noch führt die geltend gemachte Unbestimmtheit des Bescheids zu einer Rechtsverletzung der Klägerin.
Dabei ist zunächst festzustellen, dass im streitgegenständlichen Bescheid hinsichtlich des Be- und Anlieferungsverkehrs des Biergartens entsprechende Auflagen fehlen. Ferner ergibt sich diesbezüglich nichts aus der Betriebsbeschreibung zu dem Vorhaben. Dieser Aspekt betrifft auch ein grundsätzlich nachbarrechtlich relevantes Merkmal, da hierdurch die Immissionsbelastung der Klägerin tangiert werden kann.
Dieser Mangel führt jedoch nicht zur Nichtigkeit des Bescheids, da jedenfalls der Regelungsgehalt des Bescheids diesem weiterhin problemlos zu entnehmen ist.
Auch eine Rechtsverletzung der Klägerin besteht nicht. Es kann dabei schon dahinstehen, ob es erforderlich gewesen wäre, eine solche Auflage in den Bescheid aufzunehmen oder ob die Betriebsbeschreibung solche Angaben hätte enthalten müssen. Denn es ist eindeutig ausgeschlossen, dass sich hieraus eine Rechtverletzung der Klägerin ergeben könnte. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass auch das Gutachten den Be- und Anlieferungsverkehr unberücksichtigt lässt, dennoch ist dieses weiterhin belastbar und kann als Grundlage der Beurteilung der Lärmbelastung herangezogen werden. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, inwiefern der unberücksichtigte Be- und Anlieferungsverkehr zu einer solch signifikanten Erhöhung des durch das schalltechnische Gutachten vom 10. Juni 2013 ermittelten Beurteilungspegels führen soll. Es handelt sich hierbei um einen aus dem Mittelungspegel gebildeten Wert und es ist nicht erkennbar und außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass dieser Wert bei der Berücksichtigung des Be- und Anlieferungsverkehrs den im Bescheid festgesetzten Immissionsrichtwert übersteigen oder auch nur in dessen Nähe reichen würde. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass anhand der Größe und der Betriebsform des Biergartens mittels Kioskbetriebs, Grillhütte und eines Schankhauses ganz eindeutig nicht davon auszugehen ist, dass dieser in einem solchen Maße und in einer solchen Häufigkeit beliefert werden muss, dass es zu einer untragbaren Belastung der Klägerin kommt. Der Beigeladenenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er von der Brauerei …, einer Metzgerei und einem Eislieferanten beliefert werde. Selbst bei großzügiger Schätzung ist nicht davon auszugehen, dass es zu mehr als jeweils zwei bis drei Belieferungsvorgängen pro Lieferant pro Woche kommt. Es ist zudem nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht anzunehmen, dass der Biergarten vor 7 Uhr oder nach 23 Uhr beliefert wird. Eine zu der Überschreitung oder auch nur in die Nähe des inmitten stehenden Immissionsrichtwertes führende Zunahme der Emissionen hierdurch kann ganz offensichtlich ausgeschlossen werden.
2. Es liegt keine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme vor.
Weder die vorgetragene Lärmbelästigung durch das Vorhaben noch die angeführten Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Anzahl der Stellplätze oder den provisorischen Toilettenanlagen führen diesbezüglich zum Erfolg der Klage.
Das Gebot der Rücksichtnahme ist kein generelles Rechtsprinzip des öffentlichen Baurechts und verkörpert auch keine allgemeine Härteregelung, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht. Es ist vielmehr Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts (BVerwG, U.v. 30.9.1983 – 4 C 74.78 – BVerwGE 68, 58, 60) und als solches in den Tatbestandsmerkmalen der §§ 30 bis 35 BauGB und des § 15 Abs. 1 BauNVO enthalten (BVerwG, U.v. 30.9.1983 a.a.O.). Es ist gegenüber anderen (ausdrücklich und von vornherein) nachbarschützenden Vorschriften subsidiär (BVerwG, U.v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 – juris Rn. 10).
Bei Außenbereichsvorhaben hat das Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf „schädliche Umwelteinwirkungen“ in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB eine ausdrückliche Regelung erfahren (BVerwG, B.v. 28.7.1999 – 4 B 38.99 – juris Rn. 6; siehe auch U.v. 21.1.1983 – 4 C 59.79 – juris Rn. 13); im Übrigen ist es, soweit es nicht um (schädliche) Immissionen geht, sondern um sonstige nachteilige Wirkungen eines Außenbereichsvorhabens, ein ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB (BVerwG, B.v. 5.9.2000 – 4 B 56.00 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme gilt dabei auch „gebietsübergreifend“ im Verhältnis zwischen einem Grundstück im Innenbereich und einem Grundstück im Außenbereich (BayVGH, B.v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – juris Rn. 22).
Im unbeplanten Innenbereich ergibt sich das Gebot der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (im Falle der Wirksamkeit der Baugenehmigung), aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (im Falle eines sog. „faktischen Baugebiets“) oder über den Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB (im Falle einer sog. „Gemengelage“) (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523).
Nach gefestigter Rechtsprechung hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 1 CS 21.1506 – juris Rn. 10). Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 11).
Es kann dabei auch dahinstehen, ob sich das streitgegenständliche Bauvorhaben im Außen- oder Innenbereich befindet. Der Prüfungsmaßstab des Gebots der Rücksichtnahme ist nämlich im Wesentlichen identisch, unabhängig davon, ob sich das Bauvorhaben im Innen- oder Außenbereich befindet (BayVGH, B.v. 13.1.2014 – 2 ZB 12.2242 – juris Rn. 16). Unstreitig befindet sich jedoch das Grundstück der Klägerin im Innenbereich.
Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich das inmitten stehende Vorhaben gegenüber der Klägerin nicht als rücksichtlos.
a) Das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht aufgrund der vorgetragenen Lärmbelästigung verletzt.
Soweit – wie vorliegend – ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S. von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2019 – 15 ZB 17.2529 – juris Rn. 15 m.w.N.). Bei der Beurteilung einer Lärmbelastung kommt der TA Lärm als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift eine im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich zu beachtende Bindungswirkung zu, soweit diese für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 15 CE 18.2652 – juris Rn. 26 m.w.N.). Für die Einhaltung der aus §§ 3, 22 BImSchG folgenden Verpflichtung, das Vorhaben so zu errichten und zu betreiben, dass von ihm keine das zulässige Maß überschreitenden schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, hat die Baugenehmigungsbehörde im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu sorgen. Dabei können auch Auflagen in einer Baugenehmigung, die für den Betrieb der genehmigten Anlage die Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte anordnen, ausreichend sicherstellen, dass die zugelassene Nutzung keine für die Nachbarschaft unzumutbaren und damit gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßenden Lärmimmissionen hervorruft (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 11).
Der Biergarten hält die Immissionsgrenzwerte deutlich ein. Es sind diesbezüglich auch entsprechende Auflagen im streitgegenständlichen Bescheid enthalten.
Dies ergibt sich ausweislich des Gutachtens des Dipl.-Ing. … vom 10. Juni 2013, welches im Zusammenhang mit der ersten Baugenehmigung im Jahr 2013 von der Stadt … als Bauherrin eingeholt wurde. Gemäß des Gutachtens wird für den Endausbau mit bis zu circa 300 Plätzen von einem Beurteilungspegel von 49,6 dB(A) für das klägerische Gebäude ausgegangen.
Hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit der Klägerin geht die Kammer davon aus, dass sich das klägerische Grundstück im Bereich eines faktischen Mischgebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO befindet und schließt sich diesbezüglich dem Gutachten an, da das Gebiet vorliegend durch die Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit von Wohnen und das Wohnen nicht störendem Gewerbe geprägt ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 1 ZB 16.589 – juris Rn. 6 m.w.N.). Nach Ziffer 6.1 Buchst. d der TA Lärm (grundsätzlich ist wegen Ziffer 1 b) der TA Lärm diese nicht auf den Biergarten als Freiluftgaststätte anwendbar, aber über § 2 Abs. 1 Satz 5 der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 – BiergV – GVBl. S. 142 ist sie sinngemäß heranzuziehen) gilt für ein Mischgebiet folglich grundsätzlich ein Immissionsrichtwert in Höhe von 60 dB(A) zur Tageszeit, welchen das Vorhaben deutlich einhält.
Aufgrund des ganz deutlichen Unterschreitens des Grenzwerts konnte gemäß Ziffer 3.2.1 der TA Lärm auf die Bestimmung der Vorbelastung des Einwirkungsbereichs verzichtet werden. Dennoch setzte der Beklagte zugunsten der Klägerin und zulasten der Beigeladenen einen um 3 dB(A) reduzierter Immissionsrichtwert aufgrund einer angenommenen Vorbelastung fest.
Vorliegend besteht zudem die Besonderheit, dass es sich bei dem Bauvorhaben um einen Biergarten nach der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (BiergV – GVBl. S. 142) handelt.
Der Begriff des Biergartens ist in der Verordnung selbst nicht legaldefiniert. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass die bayerische Staatsregierung mit dem Erlass der Verordnung hinsichtlich der Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärm für die Nachbarschaft eine Privilegierung traditioneller Biergärten aus Gründen der Sozialadäquanz verfolgte, was in der Verordnungsbegründung an verschiedenen Stellen zum Ausdruck kommt. Weiterhin ergibt sich – in der Sache hieran anknüpfend – aus der Verordnungsbegründung (und speziell zu § 1 BiergV), dass für den bayerischen Biergarten im Sinne der Verordnung vor allem zwei Merkmale ausschlaggebend sind: zum einen der Gartencharakter und zum anderen die traditionelle Betriebsform, insbesondere die Möglichkeit, dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können (BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 15 CS 19.1906 – juris Rn. 58 m.w.N.). In der amtlichen Begründung zu § 1 der Verordnung heißt es wörtlich:
„Der typische bayerische Biergarten ist eine Gaststätte bzw. der im Freien gelegene Teil einer solchen, deren Betrieb im wesentlichen auf Schönwetterperioden während der warmen Jahreszeit beschränkt ist. Das Erfordernis des Gartencharakters verlangt eine Situierung des Betriebs im Grünen, jedenfalls im Freien. Das Idealbild des Biergartens ermöglicht, unter großen Bäumen im Schatten zu sitzen. Insoweit bestehende Defizite können durch kleinere Anpflanzungen innerhalb der Anlage nur beschränkt kompensiert werden. Der Gartencharakter wird entweder durch eine auf dem Betriebsgelände selbst in erheblichem Umfang vorhandene Bepflanzung oder durch eine in der Umgebung in erheblichem Umfang vorhandene Bepflanzung bestimmt. Entscheidend ist das Gesamtbild der Anlage.
Ein Biergarten ist grundsätzlich eher Schank- als Speisewirtschaft. Solange keine Verpflichtung zur Abnahme besteht, steht die Verabreichung von Speisen dem Biergartenbegriff nicht entgegen.“
Der streitgegenständliche Biergarten erfüllt beide Kriterien. Anhand von Luftbildaufnahmen und der im Internet frei verfügbaren Lichtbildern des Biergartens wird – unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Anlage – der Gartencharakter deutlich. Der Biergarten verfügt ausschließlich über eine von Bäumen gesäumte Freischankfläche. Die Gäste befinden sich sowohl im Freien als auch im „Grünen“, da sich nördlich der Fluss … anschließt und sich entlang des Ufers zu der Freischankfläche hingewandt eine Art Allee befindet. Der Biergarten wird auch traditionell bewirtschaftet. Insbesondere ist der Verzehr mitgebrachter Speisen gestattet.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Verordnung gilt in einem solchen Fall die Tageszeit von 7 bis 23 Uhr und ein Immissionsrichtwert von 65 dB(A), welchen das konkrete Vorhaben gemäß des Gutachtens um mehr als 15 dB(A) unterschreitet.
Die Kammer hat keine Zweifel an der Belastbarkeit des Gutachtens und auch die Ausführungen des Klägervertreters konnten solche nicht substantiiert darlegen.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Gutachter bei der Prognose des Endausbaus durch die geplanten festen Einrichtungen (Kiosk und WC) von einer schallabschirmenden Wirkung der Gebäude ausgeht (siehe S. 13 des Gutachtens). Auch liegen der Prognose zum Endausbau andere Baupläne als dem streitgegenständlichen Vorhaben zugrunde (siehe Anlage 8 zum Gutachten). In Anbetracht der Tatsache, dass der geltende Immissionsrichtwert so deutlich unterschritten wird, sind diese Aspekte jedoch zu vernachlässigen und es ist auch unter Zugrundelegung der streitgegenständlichen Planung von einem deutlichen Einhalten der Richtwerte auszugehen.
Es ist dem Gutachter dahingehend zu folgen, dass der Biergartenbetrieb isoliert betrachtet wurde und die Kinderspielplatzflächen nicht berücksichtigt worden sind (siehe S. 7 des Gutachtens). Diesbezüglich ist auch festzuhalten, dass die Rechtmäßigkeit der Errichtung des Kinderspielplatzes nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist und dieser bestandskräftig durch den Bescheid vom 24. Juli 2013 genehmigt wurde. Der Kinderspielplatz ist lediglich im Rahmen der Beurteilung einer möglichen Vorbelastung bzw. Summenwirkung der Immissionen zu berücksichtigen.
Gemäß § 22 Abs. 1a BImSchG sind Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und richtwerte nicht herangezogen werden. Diese Regelungen stellen besondere gesetzliche Ausprägungen eines Rechtsgrundsatzes dar, wonach bei der Beurteilung von Immissionen Elemente wie Herkömmlichkeit, Sozialadäquanz und allgemeine Akzeptanz zu berücksichtigen sind. Geräusche spielender Kinder sind Ausdruck der kindlichen Entwicklung und Entfaltung und daher grundsätzlich zumutbar; es gilt gewissermaßen ein absolutes Toleranzgebot für die Anwohner. Das weit gefasste gesetzgeberische Ziel, das der Einführung des § 22 Abs. 1a BImSchG zugrunde lag, bestand darin, ein klares Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen (BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 1 CS 20.2637 – juris Rn. 18 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Kinderspielplatzflächen richtigerweise unberücksichtigt geblieben. Dass vorliegend die Schwelle zur gesundheitsschädlichen Lärmbelästigung notwendigerweise überschritten würde und das Toleranzgebot deshalb zurücktreten müsste (vgl. BVerwG, B.v. 5.6.2013 – 7 B 1.13 – juris Rn. 9), wird klägerseits nicht substantiiert dargelegt. Es ist entgegen dem klägerischen Vorbringen insbesondere nicht vom Vorliegen eines „freizeitparkähnlichen Betriebs“ auszugehen. Solche Dimensionen werden durch das Areal entlang der … ausweislich der Baupläne und der Luftbildaufnahmen ganz erkennbar nicht erreicht. Auch soweit von der Klägerin vorgetragen wurde, dass sich das Gebiet zu einer „Partymeile“ entwickelt habe, ändert dies nichts an der Sozialverträglichkeit. Dass das Areal möglicherweise in den Nachtstunden außerhalb der Betriebszeiten von Jugendlichen und Feiernden aufgesucht wird, kann der Beigeladenen nicht angelastet werden und ist zudem auch nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Ähnliches gilt für die Nichtberücksichtigung des Bewegungsparcours (siehe S. 7 des Gutachtens). Dieser ist ebenfalls nicht Gegenstand dieses Verfahrens, kann aber auch im Rahmen einer möglichen Vorbelastung bzw. Summenwirkung außer Betracht bleiben. Es ist dem Gutachter dahingehend zu folgen, dass von diesem Parcours keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen. Hinzu kommt, dass auch diese Einwirkungen grundsätzlich als sozialadäquat einzustufen und damit hinzunehmen wären.
In dem Gutachten wurde auch der Parkplatz auf dem Grundstück Fl.Nr. … samt dem zugehörigen Pkw-Fahrverkehr mitberücksichtigt und ist in die Berechnung mit eingeflossen (siehe Seiten 4, 10 und 13 des Gutachtens). Auch diesbezüglich lässt sich demnach keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ableiten.
Soweit der Klägervertreter vorgetragen hat, dass in dem Gutachten der Be- und Anlieferungsverkehr des Biergartens nicht berücksichtigt worden ist, so ist dem zuzustimmen. Dies führt jedoch zu keinem anderem Ergebnis und nicht zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Auch lässt dieser Umstand die Kammer nicht an der Richtigkeit und Belastbarkeit des Gutachtens zweifeln. Der Gutachter ist davon ausgegangen, dass es nur zu geringen Fahrbewegungen und einer direkten Vermischung mit dem öffentlichen Fahrverkehr auf der … kommen wird und hat daher den anlagenbezogenen Fahrverkehr nach Ziffer 7.4 der TA Lärm unberücksichtigt gelassen (siehe S. 8 des Gutachtens). Gleichwohl ist insgesamt von der Einhaltung des Immissionsrichtwerts auszugehen, da das Vorhaben diesen derart weit unterschreitet. Um Wiederholungen zu vermeiden wird an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen unter Ziffer 1. verwiesen.
b) Es liegt auch keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich der vorgetragenen unzureichenden Toilettenanlagen und des allgemeinen provisorischen Betriebs des Biergartens vor. Es wurde diesbezüglich schon gar nicht substantiiert genug vorgetragen, inwiefern es hierdurch zu einer Beeinträchtigung der Klägerin kommen soll. Auch anderweitig ist eine solche nicht erkennbar. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass es aufgrund der unzureichenden Toilettenanlagen zu vermehrten Urinierens auf ihrem Grundstück durch die Gäste des Biergartens komme, ist dem Entgegenzuhalten, dass individuelles Fehlverhalten städtebaulich nicht relevant ist und diesem mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts zu begegnen ist. Dieses Verhalten kann dem Vorhaben auch nicht zugerechnet werden, da dies keine übliche Verhaltensweise von Biergartenbesuchern ist und zudem die bloße Möglichkeit, dass diese zu einem solchen Fehlverhalten neigen könnten nicht ausreichend ist. Hierfür werden belastbare Anhaltspunkte benötigt, welche von der Klägerin nicht substantiiert genug aufgezeigt werden konnten (zu dem Ganzen vgl. BVerwG, B.v. 6.12.2011 – 4 BN 20.11 – juris Rn. 5).
c) Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme liegt auch nicht darin, dass laut klägerischem Vortrag eine zu geringe Anzahl an Stellplätze vorhanden sei und dass es aufgrund dieses Umstands zu einem erheblichen Parkplatzsuchverkehr komme.
Gemäß Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO müssen bei der Errichtung von Anlagen, bei denen ein Zu- oder Abfahrtsverkehr zu erwarten ist, Stellplätze in ausreichender Zahl und Größe und in geeigneter Beschaffenheit hergestellt werden. Die Pflicht zur Herstellung einer ausreichenden Zahl von Stellplätzen soll aber nicht die Nachbarn schützen; die Vorschrift dient vielmehr ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der öffentlichen Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr. Rechte der Nachbarn werden nur verletzt, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze zu Beeinträchtigungen führt, die dem Nachbarn bei Abwägung aller Umstände unzumutbar sind. Das kann etwa der Fall sein, wenn der durch den Stellplatzmangel bewirkte Park- oder Parksuchverkehr den Nachbarn unzumutbar beeinträchtigt oder wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des Nachbargrundstücks nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist (BayVGH, B.v. 25.8.2009 – 1 CS 09.287 – juris Rn. 39).
Danach ergibt sich hier keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots.
Die bloße Anzahl der erforderlichen Stellplätze ist nicht drittschützend und die Klägerin kann sich auf etwaige Verstöße nicht berufen. Deshalb ist es auch unerheblich, dass in dem streitgegenständlichen Bescheid – im Gegensatz zu früheren Bescheiden – eine Regelung bezüglich der herzustellenden Stellplätze fehlt. Überdies sind die erforderlichen Stellplätze faktisch sogar vorhanden. Gemäß Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. Nr. 6.1 der Anlage zur Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze (Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV) vom 30. November 1993 (GVBl. S. 910) sind entsprechend der in der Baubeschreibung angegebenen Freischankfläche von 162 qm 16 Stellplätze erforderlich. Gemäß § 11 Abs. 2 der Satzung über die Herstellung, Ablösung und Gestaltung von Garagen und Stellplätzen für Kraftfahrzeuge sowie die Herstellung und Bereithaltung von Abstellplätzen für Fahrräder (Stellplatzsatzung – StS) vom 8. November 2018 der Stadt … sind die Stellplatzzahlen im Geltungsbereich der Satzung der Stadt … über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets „…“ vom 10. Dezember 2002 auf die Hälfte zu reduzieren. Da sich das Bauvorhaben im Geltungsbereich letztgenannter Satzung befindet, sind 8 Stellplätze herzustellen. Diese Stellplätze wurden bereits im Rahmen der früheren Verfahren zu dem Bescheid vom 22. Oktober 2013 und vom 23. Juli 2014 (Endausbau) hergestellt und nachgewiesen.
Die Klägerin konnte darüber hinaus nicht substantiiert darlegen, dass trotz der faktisch vorhandenen Anzahl an erforderlichen Stellplätzen unzumutbare Beeinträchtigungen bestehen. Die pauschale Behauptung, dass es „naturgemäß“ insbesondere in den Sommermonaten zu einem erheblichen Parkplatzsuchverkehr komme, ist hierfür in keiner Weise geeignet. Es wäre der Klägerin auch möglich gewesen, etwaige Beeinträchtigungen oder Störungen darzustellen, da der Biergarten zumindest seit 2017 in der jetzigen Art und Weise betrieben wird. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, inwieweit die Klägerin hier beeinträchtigt werden sollte. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Grundstück in der Innenstadt von … liegt und hier beengte Verhältnisse vorherrschen. In einer solchen Lage ist den Anwohnern bezüglich der Parksituation und des Parkplatzsuchverkehrs auch mehr zuzumuten. Im Falle des verbotswidrigen Parkens und des individuellen Fehlverhaltens einzelner Biergartenbesucher („wildes Parken“) ist mit Mitteln des Ordnungsrechts zu reagieren (BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 21 m.w.N.).
d) Das Gebot der Rücksichtnahme ist auch nicht dadurch verletzt, dass die Zufahrt zu dem Biergarten (Grundstück Fl.Nr. …) als Rettungsweg beschildert wurde und dadurch ein Parken und Beliefern der Schreinerei über diese Zufahrt nicht mehr möglich ist.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kommt dabei in Betracht, wenn sich durch das Bauvorhaben die Erschließungssituation für das klägerische Grundstück erheblich verschlechtern würde. Dies ist im Rahmen einer Abwägung zu ermitteln, bei welcher auch die Situationsvorbelastung des Grundstücks des Nachbarn eine Rolle spielt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das dem Nachbarn durch das Eigentum vermittelte Recht zur bestimmungsgemäßen Nutzung seines Grundstücks kein Recht auf bevorzugte Nutzung des angrenzenden öffentlichen Straßenraums begründet (BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 9 CS 19.1468 – juris Rn. 28 f.).
Hiernach liegt keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots vor. Nach eigener Ortskenntnis der Kammer ist an der Einmündung zu dem Zufahrtsgrundstück tatsächlich ein Verkehrsschild vorhanden, wonach es sich bei der Straße um einen Rettungsweg handelt, welcher freizuhalten ist. Gemäß Art. 5 Abs. 2 BayBO und § 12 Abs. 1 Nr. 5 StVO ist ein Halten und Abstellen von Fahrzeugen demnach in der Zufahrt nicht mehr möglich. Es kann dabei dahinstehen, ob das Schild tatsächlich erst im Zusammenhang mit der Errichtung des Biergartens aufgestellt worden ist, denn jedenfalls fällt eine Abwägung zulasten der Klägerin aus und eine Rechtsverletzung liegt nicht vor. Es mag auch zutreffen, dass es die Klägerin in ihren Betriebsabläufen beeinträchtigt, dass die Beschickung der Schreinerei nicht mehr über das Zufahrtsgrundstück Fl.Nr. … möglich ist, jedoch ist dies von der Klägerin hinzunehmen. Es ist der Klägerin darüber hinaus möglich, ihre Schreinerei über die südlich am klägerischen Grundstück vorhandene Zufahrt zu beliefern bzw. dort die Fahrzeuge zum Be- und Entladen abzustellen. Alternativ erscheint eine Beschickung über den Parkplatz auf dem Grundstück Fl.Nr. … sowie die im Bereich des Rettungsweges – nach Ortskenntnis der Kammer sowie gemäß Lichtbildern bei Google Maps – vorhandene Garagenzufahrt der Schreinerei als möglich. Die Ware müsste demnach mittels Hubstaplers oder Hubwagens zur Schreinerei bzw. zum Parkplatz transportiert werden, was sicherlich einem Mehraufwand entspricht, jedoch hat die Klägerin keinen Anspruch auf die bevorzugte Nutzung des angrenzenden Zufahrtsgrundstücks Fl.Nr. … Es ist dabei auch zu berücksichtigen, dass sich das klägerische Grundstück in der beengten Altstadt von … befindet. Hier können die Anwohner aufgrund der örtlichen Verhältnisse keine idealen Erschließungssituationen erwarten. Das Verkehrsschild lässt dabei auch die allgemeine Erschließung des klägerischen Grundstücks unberührt. In diesem Zusammenhang ist zudem anzumerken, dass die Ausweisung des Rettungswegs auch der Sicherheit und dem Schutz der Klägerin dient. Ihr Grundstück wäre andernfalls – vor allem im nördlichen Teil – bei einem Brand von der Feuerwehr nicht zu erreichen, wenn die Zufahrt durch haltende oder parkende Fahrzeuge blockiert werden würde.
e) Auch bei einer Gesamtschau aller oben angeführter Aspekte scheidet eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aus. Eine entsprechende Abwägung fällt zulasten der Klägerin und zugunsten der Beigeladenen aus. Im Rahmen dieser Abwägung war dabei zulasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass aufgrund der Ortslage und den individuellen Umständen von einer verminderten Schutzwürdigkeit auszugehen ist. Das Grundstück der Klägerin befindet sich in der Innen- und Altstadt von … In einer solchen Innenstadtlage ist den Bewohnern grundsätzlich mehr zuzumuten und von diesen auch mehr hinzunehmen als beispielsweise am Stadtrand. Hinzu kommt, dass es sich vorliegend weder um ein reines noch ein allgemeines Wohngebiet handelt. Außerdem war zu berücksichtigen, dass die Klägerin durch die Schreinerei auf ihrem Grundstück selbst eine Emissionsquelle im entsprechenden Gebiet darstellt und auch bei diesem Gewerbe von einem relevanten Be- und Anlieferungsverkehr auszugehen ist.
Nach alledem liegt keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme vor.
3. Ginge man zugunsten der Klägerin davon aus, dass sich das Baugrundstück im Innenbereich in einem faktischen Baugebiet nach der BauNVO gemäß § 34 Abs. 2 BauGB befindet, könnte diese sich grundsätzlich auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen.
Der Gebietserhaltungsanspruch, auch Gebietsbewahrungsanspruch genannt, gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 16). Dieser Anspruch gilt auch im faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 15). Es gibt ihn jedoch nicht gebietsübergreifend (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 22) oder in Gemengelagen (BayVGH, B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.177 – juris Rn. 19 m.w.N.), weil in solchen Fällen das typische Austauschverhältnis zwischen den Grundstücken fehlt, welches den bauplanungsrechtlichen Grund für ein nachbarliches – von konkreten Beeinträchtigungen unabhängiges – Abwehrrecht gegen das Eindringen gebietsfremder Nutzung darstellt (BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – juris Rn. 6; B.v. 22.12.2011 – 4 B 32.11 – juris Rn. 5).
In dem hier zu entscheidenden Fall liegt eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs nicht vor.
Bei Annahme der Innenbereichslage wäre von einem faktischen Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO auszugehe.
Gemäß § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO sind in einem Mischgebiet Schank- und Speisewirtschaften allgemein zulässig. Im Gegensatz zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO und § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO ist es im Mischgebiet nicht Voraussetzung, dass eine Schank- und Speisewirtschaft der Versorgung des Gebiets dient.
Eine Legaldefinition der Schank- und Speisewirtschaft ist in der BauNVO nicht vorhanden. Es wird diesbezüglich auf die Definition in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GastG zurückgegriffen (Stock in EZBK, BauNVO, Stand Mai 2021, § 4 Rn. 57). Hiernach betreibt eine Schankwirtschaft bzw. Speisewirtschaft derjenige, der im stehenden Gewerbe Getränke bzw. zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht.
Nach diesen Grundsätzen stellt das streitgegenständliche Vorhaben eine das Wohnen nicht störende Schank- und Speisewirtschaft nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO dar und ist allgemein im Mischgebiet zulässig. Wie bereits im Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme umfassend geprüft, stört der Biergarten das Wohnen nicht wesentlich. Er unterschreitet den zugunsten der Klägerin reduzierten Immissionsrichtwert deutlich.
4. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass der Biergarten im Außenbereich planungsrechtlich unzulässig sei und dass die Klägerin als Nachbarin im Innenbereich an der Grenze zum Außenbereich nur außenbereichsverträgliche bzw. -typische Vorhaben dulden müsse, so ist dem nicht zuzustimmen. Denn ein allgemeiner – dem Gebietserhaltungsanspruch im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 = juris Rn. 11 ff.; BayVGH, B.v. 24.2.2020 – 15 ZB 19.1505 – juris Rn. 6 m.w.N.) vergleichbarer – bauplanungsrechtlicher Schutzanspruch des Nachbarn auf die Bewahrung des Außenbereichs und damit ein Abwehranspruch gegen Vorhaben, die im Außenbereich objektiv nicht genehmigungsfähig sind, besteht nicht. § 35 BauGB kommt nicht die Funktion einer allgemein nachbarschützenden Norm zu. Die Klägerin ist hinsichtlich des bauplanungsrechtlichen Nachbarschutzes von vornherein auf das Rücksichtnahmegebot beschränkt (BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 8). Demzufolge besteht auch kein Anspruch auf objektiv-rechtliche Kontrolle der angefochtenen Baugenehmigung, z.B. hinsichtlich der Voraussetzung einer etwaigen Privilegierung oder der Beeinträchtigung der öffentlichen Belange (BayVGH, B.v. 21.10.2019 – 9 ZB 17.1335 – juris Rn. 10). Dies gilt umso mehr, als sich das klägerische Grundstück unstreitig im Innenbereich befindet.
5. Es liegt auch keine Verletzung des sogenannten Gebietsprägungserhaltungsanspruchs vor.
Es wird teilweise vertreten (BayVGH, B.v. 4.11.2009 – 9 CS 09.2422 – juris Rn. 11; VG Neustadt a.d.W., U.v. 26.3.2019 – 5 K 1482/18.NW – juris Rn. 39, unter Verweis u.a. auf die Rechtsprechung des rheinland-pfälzischen OVG), dass neben dem Gebietserhaltungsanspruch und dem Abwehranspruch wegen der Verletzung des Rücksichtnahmegebots ein hiervon unabhängiger Gebietsprägungserhaltungsanspruch existiert, wonach ein Vorhaben, das im konkreten Baugebiet hinsichtlich der Nutzungsart an sich entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist, gleichwohl als gebietsunverträglich vom Nachbarn im (auch faktischen) Plangebiet abgewehrt werden können soll, wenn es der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspreche, wenn es also – bezogen auf den Gebietscharakter des Baugebietes, in dem es verwirklicht werden soll – aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirke und deswegen gebietsunverträglich sei (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 9 m.w.N.)
Unabhängig davon, ob dieser Anspruch tatsächlich existiert, kann ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (i. V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) – sei es als eigenständiger Anspruch, sei es als Bestandteil des Rücksichtnahmegebots (mit dann zu fordernder „fühlbarer“ Beeinträchtigung des Nachbarn) – von vornherein nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gem. §§ 2 – 14 BauNVO (hier i.V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10).
Nach diesen Grundsätzen kann dahinstehen, ob ein solcher Gebietsprägungserhaltungsanspruch überhaupt eine rechtliche Grundlage hat, da er jedenfalls – bei der Unterstellung, dass sich das Baugrundstück im Innenbereich befindet – nicht verletzt ist. Der Biergarten widerspricht weder von seinem Zweck her noch von seiner konkreten Ausgestaltung her der Zweckbestimmung des vorliegenden faktischen Mischgebiets. Das Vorhaben ist nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO allgemein zulässig und wahrt daher die Zweckbestimmung des Baugebiets. In aller Regel kann das Vorhaben folglich nicht an einem Gebietsprägungserhaltungsanspruch scheitern. Im Übrigen wurde bereits oben ausführlich dargestellt, dass das Vorhaben auch anderweitig nicht gebietsunverträglich ist.
6. Der Klägerin ist es auch nicht möglich, sich auf etwaige Belange des Denkmalschutzes zu berufen.
Sowohl aus den Bestimmungen des bayerischen Denkmalschutzgesetzes als auch aus dem bundesrechtlichen, städtebaulichen Belang des Denkmalschutzes ergibt sich für den Denkmaleigentümer ein Abwehrrecht lediglich im Hinblick auf das grundrechtlich gebotene Mindestmaß an denkmalrechtlichem Drittschutz, den Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Denkmaleigentümer mit Blick auf dessen schutzwürdiges Interesse vermittelt, das Denkmal und die dafür getätigten Investitionen nicht entwertet zu sehen. Ein darüber hinausgehendes schutzwürdiges Interesse des Denkmaleigentümers oder sonst von Dritten, etwa an der Bewahrung der Denkmaleigenschaft anderer Baudenkmäler, besteht nicht (BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 9 CS 17.195 – juris Rn. 19 u. 20).
Nach diesem Grundsatz steht der Klägerin als Dritte kein Abwehranspruch hinsichtlich der vorgetragenen Beeinträchtigungen der denkmalgeschützten Stadtmauer zu. Das Gebäude der Klägerin ist selbst kein Baudenkmal und auch nicht Teil eines Ensembles. Aus dem Vorhandensein eines Bodendenkmals ergibt sich für die Klägerin ebenfalls kein Abwehranspruch.
7. Die Klägerin wird auch nicht durch das seit 2013 von dem Beklagten praktizierte Verfahren der wiederholten Erteilung von befristeten Baugenehmigungen in ihren Rechten verletzt. Insbesondere sind keine Hinweise darauf ersichtlich, dass diese Praxis rechtsmissbräuchlich sein könnte.
Befristungen i.S.d. Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG sind als Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung nur selten denkbar, da die Baugenehmigung die Vereinbarkeit mit den Vorschriften des Prüfprogramms im Genehmigungszeitpunkt feststellt und es Wesensmerkmal der Baugenehmigung ist, dass sie dem Vorhaben in diesem Umfang und seiner konkreten Ausgestaltung inklusive Nutzung Bestandsschutz vermittelt. Anders als andere Landesbauordnungen kennt die BayBO keine spezielle Rechtsgrundlage für die widerrufliche oder befristete Genehmigung von bestimmten Anlagen wie Behelfsbauten oder Werbeanlagen, sodass sich die Zulässigkeit auch in diesen Fällen nach Art. 36 BayVwVfG richtet. Eine befristete oder auflösend bedingte Baugenehmigung setzt voraus, dass aufgrund der Vorschriften des Bauplanungs- bzw. Bauordnungsrechts das Recht zu bauen nur auf Zeit bzw. auflösend bedingt besteht. Außerdem ist der Fall denkbar, dass der Bauherr nur eine befristete Baugenehmigung beantragt und seinem Bauantrag entsprochen wird (zum Ganzen vgl. Greim-Diroll in BeckOK BauordnungsR Bayern, 19. Ed. 1.8.2021, BayBO Art. 68 Rn. 61-63).
Die Befristung ist dabei zu unterscheiden von der Geltungsdauer der Baugenehmigung nach Art. 69 BayBO, die das Erlöschen der Baugenehmigung regelt, wenn der Antragsteller von ihr innerhalb von vier Jahren keinen Gebraucht macht.
Bei der Erteilung einer befristeten Baugenehmigung gilt dabei derselbe Prüfungsmaßstab für die Bauaufsichtsbehörde wie bei der Erteilung einer unbefristeten Baugenehmigung. Es ist (bei jeder erneuten Befristung) eine vollumfängliche Rechtsprüfung erforderlich, die auch die Belange der Nachbarn einschließt.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist nicht erkennbar, inwiefern die Klägerin durch die wiederholten Befristungen in ihren Rechten verletzt sein könnte. Unabhängig davon, dass Vorschriften über das Verfahren grundsätzlich nicht drittschützend sind und Drittbetroffene kein subjektives Recht auf Durchführung des „richtigen“ Verwaltungsverfahrens haben (BayVGH, B.v. 25.1.2019 – 15 ZB 18.2264 – juris Rn. 13), ist es vorliegend auch so, dass jeweils nur befristete Baugenehmigungen beantragt wurden. Es ist auch aus den Verfahrensakten des Beklagten nicht ersichtlich, dass die nachbarrechtlichen Belange aufgrund der Befristung nicht geprüft worden wären.
Das Verhalten des Beklagten stellt sich auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Es besteht ein legitimes Interesse an der befristeten Erteilung der Baugenehmigungen, da hierdurch die Phase bis zur Herstellung des endgültigen Biergartens aufgrund der bestandskräftigen Baugenehmigung vom 23. Juli 2014 überbrückt werden kann. Durch die Befristungen besteht bzw. bestand für die Klägerin letztlich vielmehr die Möglichkeit, die Baugenehmigung jedes Mal erneut gerichtlich anzugreifen, was bei einer einmalig und unbefristet erteilten Baugenehmigung nicht der Fall gewesen wäre.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und damit kein Prozesskostenrisiko übernommen hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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