Baurecht

Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück wegen Grundsteuerrückständen

Aktenzeichen  W 8 K 16.457

Datum:
6.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GrStG GrStG § 12
AO AO § 77 Abs. 2
AO AO § 191 Abs. 2
AO AO § 228 Abs. 2
AO AO § 231 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Für die Begründung von wirtschaftlichem Eigentum an einem Grundstück iSd § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO müssen Besitz, Nutzungen, Lasten und Gefahren übergegangen sein. Nicht ausreichend ist, dass ein notarieller Kaufvertrag abgeschlossen und eine Auflassungsvormerkung eingetragen wurde.  (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Voraussetzung für den Erlass eines Duldungsbescheides gegen den bürgerlich-rechtlichen Grundstückseigentümer nach § 191 Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 2 S. 1 AO, § 12 GrStG ist die schlichte Festsetzung der zugrundeliegenden Grundsteuerschuld gegen den wirtschaftlichen Grundstückseigentümer. Vor dem Erlass des Duldungsbescheids hat die zuständige Behörde nicht inzident zu prüfen, ob die Grundsteuerfestsetzung rechtmäßig ist.  (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für eine verjährungsunterbrechende Maßnahme iSd § 231 AO ist es ausreichend, dass sich aus ihr der – für den Steuerschuldner erkennbare – Behördenwille ergibt, die Steuerforderung auch in Zukunft durchzusetzen zu wollen. Der Verjährungsunterbrechung steht nicht entgegen, dass es sich bei der Maßnahme um einen Verwaltungsakt handelt, der rechtswidrig, nichtig oder rückwirkend aufgehoben worden ist.  (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die steuerliche Inanspruchnahme eines duldungspflichtigen bürgerlich-rechtlichen Grundstückseigentümers ist nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil sich über mehrere Jahre Grundsteuerschulden angesammelt haben, ohne dass er von diesen Forderungen und verjährungsunterbrechenden Handlungen gegenüber dem wirtschaftlichen Grundstückseigentümer als Steuerschuldner erfahren hat.  (Rn. 49 und 52) (redaktioneller Leitsatz)
5. Nach einer Grundstücksteilung lasten die Grundsteuerschulden des früheren Grundstücks als öffentliche Gesamtlast auf den neuen Grundstücken. Die bürgerlich-rechtlichen Eigentümer der neuen Grundstücke haben die Zwangsvollstreckung wegen dieser Grundsteuerschulden als Gesamtschuldner zu dulden. Die zuständige Behörde hat einen weiten Ermessensspielraum, ob sie die Duldungsverpflichtung verteilen oder einen Verpflichteten in vollem Umfang in Anspruch nehmen will.  (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerin und die Beigeladene selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin und die Beigeladene können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Duldungsbescheid der Beklagten vom 31. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 5. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Duldungsbescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 12 GrStG i.V.m. §§ 77 Abs. 2 Satz 1, 191 Abs. 1 Satz 1 AO.
Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AO kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden. Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 AO hat ein Eigentümer wegen einer Steuer, die als öffentliche Last auf Grundbesitz ruht, die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz zu dulden. Nach § 12 GrStG ruht die Grundsteuer auf dem Steuergegenstand als öffentliche Last. Demnach kann die Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück grundsätzlich angeordnet werden, weil die Grundsteuer – wie hier – eine öffentliche Last darstellt.
Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Geltendmachung der dinglichen Haftung durch den Erlass eines Duldungsbescheides voraus, dass der zugrunde liegende Steueranspruch entstanden und noch nicht erloschen, zudem festgesetzt, fällig und vollstreckbar ist; die Inanspruchnahme darf auch nicht ermessensfehlerhaft sein (BVerwG, U.v. 13.2.1987 – 8 C 25/85 – juris Rn. 18 ff.). Das ist vorliegend der Fall.
Der der dinglichen Haftung zugrunde liegende Anspruch auf Grundsteuer ist entstanden. Nach § 9 Abs. 2 GrStG ist der Anspruch auf Grundsteuer für das Grundstück G-Straße … (FlNr. …) für die Jahre 2002 bis 2012 jeweils zu Beginn der Kalenderjahre entstanden.
Ebenso waren die streitgegenständlichen Grundsteuerschulden im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheids festgesetzt, fällig und vollstreckbar.
Der dinglichen Haftung kann nicht entgegengehalten werden, dass die Inanspruchnahme des YB als Inhaber einer bloßen Auflassungsvormerkung in den Grundsteuerbescheiden als Steuerschuldner fehlerhaft und damit rechtswidrig gewesen sei. Denn zum einen war YB der wirtschaftliche Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks; zum anderen war die Beklagte bezüglich der Festsetzung des Steuerschuldners an die Vorgaben der inzwischen bestandskräftigen Grundsteuermessbescheide gebunden.
YB war als wirtschaftlicher Eigentümer der richtige Steuerschuldner nach § 10 Abs. 1 GrStG i.V.m. § 39 AO. Zwar war YB mangels Eintragung im Grundbuch zu keinem Zeitpunkt der bürgerlich-rechtliche Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks. Entscheidend ist jedoch für die Bestimmung des Steuerschuldners nicht der Status als bürgerlich-rechtlicher Eigentümer, sondern das wirtschaftliche Eigentum an dem steuerrechtlich relevanten Grundstück nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO. Für die Begründung wirtschaftlichen Eigentums bedarf es des Übergangs von Besitz, Nutzungen, Lasten und Gefahren auf den Erwerber (Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 39 Rn. 36, 37). Nicht ausreichend für die Begründung von wirtschaftlichem Eigentum sind dagegen der Abschluss des notariellen Kaufvertrags und die Eintragung einer Auflassungsvormerkung. Zwar war für YB nur eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen, aber wie sich aus Blatt 201 der Behördenakte „Vollstreckung YB“ ergibt, waren auf YB außerdem der für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums relevante Besitz, die Nutzungen, Lasten und Gefahren des Grundstücks übergegangen. Denn laut Aktenvermerk hatte YB, obwohl er mangels Kaufpreiszahlung nie bürgerlich-rechtlicher Eigentümer des Grundstücks wurde, auf dem Grundstück ein Haus erstellt, ein Unternehmen betrieben und selbst mit seiner Familie seit dem Jahr 2009/ 2010 dort gewohnt. YB hat somit den Besitz, die Nutzungen, Lasten und Gefahren des Grundstücks durch die Beigeladene übertragen bekommen.
Zudem war YB in den Grundsteuermessbescheiden des Finanzamtes als Steuerschuldner festgelegt worden. Entgegen den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ist eine inzidente Prüfung dahingehend, ob YB rechtmäßig als Steuerschuldner durch das Finanzamt für die Grundsteuer in Anspruch genommen wurde, bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Duldungsbescheides nicht vorzunehmen. Denn eine inzidente Prüfung kommt weder im Rahmen des Grundsteuerbescheids noch des Duldungsbescheides in Betracht, da Voraussetzung für die dingliche Haftung nur die reine Festsetzung der zugrunde liegenden Grundsteuerschuld ist und nicht die Rechtmäßigkeit ihrer Festsetzung. Die Beklagte darf vielmehr nur denjenigen als Steuerschuldner in Anspruch nehmen, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Einheitswertes der Grundsteuer durch das Finanzamt A zugerechnet worden ist, da die Beklagte an die im Grundsteuermessbescheid getroffenen Feststellungen nach §§ 184, 182 AO gebunden ist. Einwendungen – wie bezüglich des zutreffenden Steuerschuldners – gegen den Grundsteuermessbescheid hätten im Rechtsbehelfsverfahren gegen diesen geltend gemacht werden müssen (Ernst Fock/ Detlef Peters/ Wilfried Mannek, Praxis der Kommunalverwaltung E 4 d 2, Bund, § 10 GrStG Rn. 123).
Der Steueranspruch war bei Erlass des Duldungsbescheids nicht erloschen weder durch Erfüllung noch durch Verjährung. Der frühere Steuerschuldner YB hatte die bestandskräftig festgesetzte Grundsteuer nicht gezahlt. Vollstreckungsversuche seitens der Beklagten gegenüber YB waren erfolglos.
Auch eine Verjährung der Grundsteuerschulden war bis zum Erlass des Duldungsbescheides am 31. Juli 2015 aufgrund der Unterbrechungshandlungen seitens der Beklagten nicht eingetreten. Die Frist für die Zahlungsverjährung beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V.m. § 228 AO 5 Jahre. Nach § 229 Abs. 1 AO beginnt die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Unabhängig von der Festsetzung durch Bescheid wurde die Grundsteuer zu je einem Viertel des Jahresbetrages am 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November fällig (§ 28 Abs. 1 GrStG).
Im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheids am 31. Juli 2015 waren die Grundsteuerschulden für die Jahre 2010 bis 2012 unabhängig von Unterbrechungshandlungen noch nicht verjährt, denn die Regelverjährung wäre erst mit Ablauf der Jahre 2015 bis 2017 eingetreten.
Dagegen wären die Grundsteuerschulden für die Jahre 2002 bis 2009 ohne Unterbrechungshandlungen jeweils mit Ablauf der Jahre 2007 bis 2014 verjährt gewesen. Bezüglich der Grundsteuerschulden für die Jahre 2002 bis 2009 wurden seitens der Beklagten jedoch nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO durch die Stundung vom 7. Juli 2004 und durch die Vollstreckungsmaßnahmen aus den Jahren 2009 und 2011 wirksame Unterbrechungshandlungen vorgenommen.
Die Verjährung der Grundsteuerschulden der Jahre 2002 und 2003 wurde zum ersten Mal durch den Stundungsbescheid vom 7. Juli 2004, dann zum zweiten Mal durch die Forderungspfändungen vom 3. Dezember 2009 und zuletzt durch den Zwangsvollstreckungsauftrag der Beklagten vom 30. August 2011 und der diesbezüglichen erfolglosen Zwangsvollstreckung am 26. Oktober 2011 bis letztlich zum 31. Dezember 2016 unterbrochen.
Die Stundungsverfügung der Beklagten vom 7. Juli 2004 unterbrach die Verjährung der Grundsteuer für die Veranlagungsjahre 2002 und 2003 nach § 231 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AO, so dass anstatt mit Ablauf der Jahre 2007 und 2008 die Verjährung zunächst erst am 31. Dezember 2009 eingetreten wäre. Dem steht auch nicht eine vermeintliche Unwirksamkeit der Stundungsverfügung durch eine aufschiebende oder auflösende Bedingung entgegen. Denn es lag keine Bedingung vor. Die Formulierung in der Stundungsverfügung vom 7. Juli 2004 „Die Stundung erfolgt unter der Voraussetzung, dass die sonstigen offenen Forderungen fristgerecht entrichtet werden und unter dem Vorbehalt des Widerrufs (…)“ (Blatt 32 der Behördenakte) sollte den Steuerschuldner nur allgemein zur Schuldentilgung anhalten. Dies ergibt sich daraus, dass die Beklagte laut dieser Formulierung davon ausging, dass sie die Stundungsverfügung im Fall der Nichtbeachtung erst durch einen Widerruf noch aufheben müsse, um die Wirkung der Stundungsverfügung zu beseitigen. Hätte die Beklagte die Stundungsverfügung mit einer Bedingung versehen, wäre bei Nichtbezahlung der Schulden ein Widerruf nicht mehr erforderlich gewesen. Diese Auslegung wird auch durch das vorangehende Vorgehen der Beklagten belegt. Laut Kurzmitteilung der Beklagten vom 26. März 2004 (Blatt 20 der Behördenakte) hat die Beklagte die Stundungsverfügung erst erlassen, nachdem eine noch ausstehende Zahlung eingegangen war. Die Stundungsverfügung dann mit einer (aufschiebenden) Bedingung zu versehen, hätte keinen Sinn gemacht, vielmehr hätte die Beklagte dann bei immer noch fehlenden Zahlungen wohl erst gar keine Stundungsverfügung erlassen.
Überdies ist für eine wirksame Unterbrechungshandlung ausreichend, wenn sich aus der jeweiligen Unterbrechungshandlung der – für den zahlungspflichtigen Steuerschuldner erkennbare Wille – der Behörde ergibt, an ihrer Steuerforderung festzuhalten und diese auch in Zukunft durchzusetzen zu wollen. Dies unterbricht die Zahlungsverjährung auch dann, wenn es sich bei dieser Maßnahme um einen Verwaltungsakt handelt, der rechtswidrig oder nichtig oder rückwirkend aufgehoben worden ist (BFH, B.v. 21.6.2010 – VII R 27/08 – BFHE 229, 492 Rn. 27). Denn jede an den Steuerpflichtigen gerichtete Maßnahme im Sinne des § 231 Abs. 1 AO, aus der deutlich wird, dass die Behörde ihren Zahlungsanspruch nicht aufgibt, unterbricht als Realakt die Zahlungsverjährung. Auf den ausdrücklichen Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes kommt es nicht an, da die Wirkung der Verjährungsunterbrechung keine Anordnung des Verwaltungsaktes ist, sondern die gesetzliche Folge (Fritsch in Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 231 Rn. 9 mwN). Selbst wenn die Stundungsverfügung mit einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung verbunden gewesen wäre, hätte sich aus dem Stundungsakt unmissverständlich ergeben, dass die Beklagte ihre Steuerforderung auch in Zukunft weiterverfolgen wollte.
Zum zweiten und dritten Mal wurde die Verjährung der Grundsteuerschulden für die Jahre 2002 und 2003 durch die Vollstreckungsmaßnahmen zum einen in Form der Forderungspfändung der Beklagten vom 3. Dezember 2009 und zum anderen in Form des Zwangsvollstreckungsauftrags vom 30. August 2011 nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO unterbrochen, da diese sich – wie von § 231 Abs. 4 AO gefordert – auch auf die Veranlagungsjahre 2002 und 2003 bezogen (Blatt 59 ff., 120, 124 der Akte der Widerspruchsbehörde). Die Verjährung wäre dann am 31. Dezember 2016 eingetreten und folglich erst nach Erlass des Duldungsbescheides.
Auch die Ansprüche wegen der Grundsteuer für die Veranlagungsjahre 2004 bis 2009 waren aufgrund der Vollstreckungsmaßnahmen in Form der Forderungspfändung der Beklagten vom 3. Dezember 2009 und zum anderen in Form des Zwangsvollstreckungsauftrags vom 30. August 2008 noch nicht im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheides, sondern erst danach am 31. Dezember 2016 verjährt gewesen. Somit waren die Grundsteuerschulden im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheids am 31. Juli 2015 durch die Unterbrechungshandlungen gegenüber YB nicht verjährt.
Die Unterbrechungshandlungen gegenüber dem Steuerschuldner YB wirken wegen der gesetzlichen Ausgestaltung der öffentlichen Last als Grundpfandrecht auch gegenüber der Klägerin. Dass ein Grundpfandrecht bei Fortbestehen des zugrunde liegenden schuldrechtlichen Anspruchs allein infolge Zeitablaufs erlischt oder seine Geltendmachung aus einem solchen Grund unzulässig werden kann, ist auch sonst nirgends vorgesehen (BVerwG, U. v. 13.2.1987 – 8 C 25/85 – BVerwGE 77, 38). Die steuerliche Inanspruchnahme führt auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin, auch wenn sich über mehrere Jahre Grundsteuerschulden ansammeln können, ohne dass die Duldungspflichtigen von diesen Grundsteuerschulden und von verjährungsunterbrechenden Handlungen erfahren. Die späteren Duldungspflichtigen sind insofern dadurch ausreichend geschützt, dass die dingliche Haftung nach § 12 GrStG auf das Grundstück selbst beschränkt ist und eine persönliche Haftung mit dem ganzen Privatvermögen nach § 11 Abs. 2 GrStG zeitlich gesehen auf maximal zwei Grundsteuerjahre vor der Übereignung begrenzt ist.
Der Duldungsbescheid wurde damit vor dem Eintritt einer Verjährung der Grundsteuerforderungen erlassen, die Grundsteuerforderungen waren noch nicht nach § 232 AO erloschen.
Darüber hinaus hat die Beklagte das ihr durch § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt.
Im vorliegenden Fall liegt hinsichtlich des Entschließungsermessens ein Regelermessen dahingehend vor, dass die Beklagte zur allgemeinen Finanzierung des kommunalen Haushaltes offene Steuerforderungen – wie hier die Grundsteuer – beizutreiben versucht (vgl. VG München, B.v. 25.7.2011 – M 10 S. 11.2086 – juris; BayVGH, B.v. 12.9.2011 – 20 CS 11.1977 – BayVBl 2012, 634 – juris Rn. 16). Das Unterbleiben einer Unterrichtung der Klägerin oder der Beigeladenen über die fehlende Begleichung der Grundsteuerschulden durch YB macht den Duldungsbescheid nicht ermessensfehlerhaft. Der Steuergläubiger ist nicht verpflichtet, den Erwerber eines Grundstücks von Amts wegen aktiv über Grundsteuerrückstände des Voreigentümers oder über vergebliche Beitreibungsversuche gegen den Voreigentümer zu unterrichten (BVerwG Urteil v. 13.2.1987 – 8 C 25/85 – BVerwGE 77,38 Leitsatz 3). Es gibt keine Vorschrift des Bundesrechts, die den Steuergläubiger verpflichtet, den dinglich Haftenden ohne dessen Ersuchen über die Sachlage zu unterrichten. Die Vorschriften der Abgabenordnung über die materielle Duldungspflicht (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AO) oder über die Geltendmachung der dinglichen Haftung (§ 191 Abs. 1 Satz eins AO) geben für die Annahme einer solchen Pflicht nichts her. § 89 Satz 2 AO, der die Finanzbehörde zur Auskunft über die den jeweiligen Beteiligten im Verwaltungsaufwand zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten verpflichtet, bezieht sich allein auf Rechte und Pflichten, die das Betreiben eines konkreten Verwaltungsverfahrens betreffen, was hier nicht in Rede steht (BVerwG Urteil v. 13.2.1987 – 8 C 25/85 – BVerwGE 77,38 Rn. 27).
Das Gericht verkennt nicht, dass nach dieser Rechtslage bei Sachverhalten, die sich über einen längeren Zeitraum ziehen, für einen Grundstückserwerber eine unbefriedigende Situation entstehen kann. Aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung der Grundsteuer als öffentliche Last und somit dingliches Sicherungsmittel geht für den Grundstückserwerber aus dieser rechtlichen Gestaltung grundsätzlich ein gewisses Risiko einher. Dieses Risiko wird aber ausreichend dadurch begrenzt, dass sich die dingliche Haftung nur auf das Grundstück beschränkt und insoweit keine persönliche Haftung begründen kann. Zudem ist dem Grundstückserwerber ein gewisses eigenverantwortliches Handeln zuzumuten, indem er selbst sich bei der Gemeinde erkundigt, ob noch Grundsteuerschulden bestehen.
Weiter ist das vorliegend gegebene Auswahlermessen nicht zu beanstanden, da die Beklagte sich bei der Auswahl der in Betracht kommenden Gesamtschuldner am Zweck der dinglichen Haftung des § 12 GrStG orientierte. Vorliegend ergibt sich die Besonderheit, dass sowohl die Beigeladene als auch die Klägerin hinsichtlich der Grundsteuerschulden Gesamtschuldner sind. Daher hat die Beklagte grundsätzlich die Wahl, wen von beiden sie im Rahmen eines Duldungsbescheids in Anspruch nimmt. Die Gesamtschuldnerschaft ergibt sich daraus, dass aufgrund der erfolgten Grundstücksteilungen der – nach dem Grundsteuergesetz (§ 2 Nr. 2 GrStG i.V.m. §§ 2, 70 Abs. 1 BewG) maßgeblichen – wirtschaftlichen Grundstückseinheit die Klägerin und die Beigeladene Gesamtschuldner der Duldung der Zwangsvollstreckung wegen der Grundsteuerschulden sind. Da die Beigeladene Voreigentümerin des Teils des wirtschaftlichen Grundstücks war, welchen die Klägerin erwarb, sowie zugleich einen Teil des wirtschaftlichen Grundstücks nicht veräußerte und daher Eigentümerin eines Teils des wirtschaftlichen Grundstücks blieb, lasten die Grundsteuerschulden der früheren wirtschaftlichen Grundstückseinheiten nun als öffentliche Gesamtlast gemäß § 1132 BGB analog auf den neuen wirtschaftlichen Grundstückseinheiten. Die diesbezüglichen Ausführungen im Haftungsbescheid sind nachvollziehbar und werden auch von der Klägerseite nicht angegriffen.
Die Haftung als Gesamtschuldner bedeutet, dass die Beklagte die Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung nur einmal aussprechen kann, dass aber jeder der Gesamtschuldner für die gesamte Verpflichtung, nicht nur für den seinen Miteigentumsanteil treffenden Anteil, haftet (§ 421 BGB). Die Beklagte hat die Wahl, ob sie die Verpflichtung verteilen oder ob sie einen Verpflichteten in vollem Umfang in Anspruch nehmen will. Es ist dann Sache der Gesamtschuldner, sich intern auseinander zusetzen.
Bei der zu treffenden Auswahlentscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der der zuständigen Behörde ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Dies ergibt sich aus § 421 Satz 1 BGB, wonach der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem Schuldner ganz oder zu einem Teil verlangen kann. Dieses weite Ermessen ist jedoch nicht schrankenlos. Die Beklagte muss sich bei ihrer Entscheidung am Zweck der gesetzlichen Ermächtigung orientieren und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten. Das Gericht kann die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung nach § 114 VwGO nur daraufhin überprüfen, ob die Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Die Beklagte kann ihre Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen, § 114 Satz 2 VwGO (VG München U. v. 19.6.2008 – M 10 K 08.477 – juris Rn. 27).
Im Rahmen des Auswahlermessens liegen aber seitens der Beklagten keine Ermessensfehler weder in Form eines Ermessensausfalls noch in Form eines Ermessensfehlgebrauchs vor.
Ein Ermessensausfall scheidet aus, da die Beklagte ihr Auswahlermessen erkannte und dieses auch ausübte, indem sie eine Aufteilung der Grundsteuerschulden auf die Klägerin und die Beigeladene vornahm. Insbesondere wurde im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass die vorgenommene Aufteilung im Rahmen des Auswahlermessens nicht willkürlich sei, sondern sich daran orientierte, dass das bebaute Hauptgrundstück der Klägerin aufgrund seiner Werthaltigkeit im Falle einer Zwangsvollstreckung die Befriedigung der Schulden erfolgsversprechender seien. Des Weiteren wurde im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass die Aufteilung nicht ermessensfehlerhaft sei, weil die Beklagte es versäumt habe, 10 Jahre lang die Beigeladene in Anspruch zu nehmen. Diese Belange wurden in die Ermessensausübung einbezogen.
Ebenso liegt kein Ermessensfehlgebrauch vor. Die Beklagte hätte zwar im Rahmen des Auswahlermessens theoretisch berücksichtigen können, dass die beigeladene Voreigentümerin während des gesamten steuerrechtlich relevanten Zeitraums von 2002 bis 2011 bürgerlich-rechtliche Eigentümerin der wirtschaftlichen Grundstückseinheit geblieben ist und daher im Gegensatz zu der Klägerin eine viel höhere Sachnähe besaß. Jedoch bestand dazu keine zwingende Pflicht der Beklagten, die auch eine andere Beurteilung nicht zugelassen hätte.
Zum einen ist bei der Beurteilung eines Ermessensfehlgebrauchs, wie vorliegend dargestellt, ein weiter Ermessensspielraum der Beklagten eröffnet, wobei die Beklagte der Erreichung des Zwecks der gesetzlichen Ermächtigung des § 12 GrStG gegenüber anderen Auswahlkriterien ermessensfehlerfrei den Vorrang einräumte. Der Zweck des § 12 GrStG besteht darin, die Befriedigung der Grundsteuerschulden aus dem Grundstück selbst zu erlangen und auch dann die Befriedigung sicherzustellen, wenn der Steuerschuldner sozusagen ausfällt. Gerade kein Zweck des § 12 GrStG ist es, die schuldrechtlichen Ausgleichsansprüche zwischen Gesamtschuldnern auf steuerrechtlicher Ebene zu klären oder sich auf die unsichere Befriedigung auf schuldrechtlicher Ebene verlassen zu müssen. Insbesondere muss hierbei die Ausgestaltung dieser Sicherheit als öffentliche Last auf dem Grundstück berücksichtigt werden. Dem Zweck des § 12 GrStG entsprechen daher die Erwägungen der Beklagten – laut den näheren Ausführungen unter anderem im Widerspruchsbescheid – sich an der jetzigen Situation und den Grundstücksverhältnissen zu orientieren, da es sich immer noch um eine öffentlich Last bezüglich des Grundstücks handelt. Da die Klägerin den flächenmäßig größten Teil des Grundstücks erwarb und die Beigeladene nur einen untergeordneten Teil zurückbehielt, kann am ehesten eine erfolgsversprechende und vollständige Befriedigung der Grundsteuerschulden durch die Verwertung des größeren Grundstücksteils erlangt werden. Dies entspricht gerade dem Zweck der grundstücksgebundenen dinglichen Haftung des § 12 GrStG.
Des Weiteren begründet eine rechtliche Fehleinschätzung der Beklagten in der Vergangenheit keine Ermessensfehler beim Erlass des streitgegenständlichen Duldungsbescheides. Laut Aktenvermerk vom 3. Dezember 2013 (Blatt 231, 51, 52 der Behördenakte) war seitens der Beklagten bis ins Jahr 2013 davon ausgegangen worden, dass ein Vorgehen gegen die Beigeladene nicht möglich gewesen sei. Aus den Aktenvermerken ergibt sich der Eindruck, dass erst im Jahr 2013 die Kenntnis von der Möglichkeit eines Duldungsbescheides gegenüber der Beigeladenen erlangt wurde. Dieser Umstand spricht aber dennoch nicht gegen eine Inanspruchnahme der Klägerin. Denn hätte die Beklagte die Beigeladene in voller Höhe in Anspruch genommen, dann hätte sie dadurch gerade dem Zweck des § 12 GrStG zuwider gehandelt, der wie bereits ausgeführt, die Befriedigung der Grundsteuerschulden aus dem Grundstück selbst ermöglichen soll. Bei einer Inanspruchnahme des Eigentümers des kleineren Grundstücksanteils, wäre eine vollständige Befriedigung aus dem kleineren Grundstück längst nicht so erfolgsversprechend als aus dem größeren Hauptgrundstück.
Außerdem besteht weder für die Klägerin noch für die Beigeladene eine Schutzwürdigkeit, da für beide die Möglichkeit bestanden hat, sich bei der Beklagten nach möglichen Steuerrückständen zu erkundigen, zumal es auch für die Klägerin und die Beigeladene anhand der weiteren Umstände erkennbar war, dass YB die Steuerschulden womöglich nicht bezahlt haben könnte. Die Beigeladene wusste, dass YB ihr gegenüber nie den Kaufpreis gezahlt hatte. Hieraus hätte sich bereits der Verdacht ergeben können, dass auch andere Verbindlichkeiten durch den Schuldner nicht erfüllt wurden. Ebenso hätte dieser Verdacht bei der Klägerin entstehen können, da sie das Grundstück zwar von YB erwarb, den Kaufpreis aber an die Beigeladene zahlte. Dies sind aber grundsätzlich Erwägungen die im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs auf schuldrechtlicher Ebene geklärt werden müssen und nicht relevant für die dingliche Haftung für die Grundsteuerschulden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, da die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung am 6. November 2017 einen gleichlautenden Klageantrag wie die Klägerin stellte.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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