Baurecht

Eilantrag des Nachbarn gegen Stellplätze im rückwärtigen Grundstücksbereich

Aktenzeichen  1 CS 21.114

Datum:
5.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4181
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 3, § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 47 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Nachbarn haben die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall hinzunehmen. Besondere örtliche Verhältnisse können aber auch zu dem Ergebnis führen, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann. Es kommt entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken können. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Bedarf an Stellplätzen und Garagen soll nach den planungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Vorschriften (vgl. Art. 47 Abs. 3 BayBO) grundsätzlich auf dem Baugrundstück bzw. grundstücksnah gedeckt und damit der öffentliche Straßenraum zumindest teilweise vom ruhenden Verkehr entlastet werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 SN 20.5940 2020-12-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich als Nachbarn gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau von zwei Doppelhaushälften mit zwei Garagen und vier Stellplätzen. Das Bauvorhaben wird als Hinterlandbebauung von der öffentlichen Verkehrsfläche im Norden über einen Privatweg erschlossen, der entlang der östlichen Grundstücksgrenze der Antragsteller verläuft. Ein Stellplatz ist neben der Zufahrtsfläche nahe dem öffentlichen Verkehrsweg angeordnet, die Garagen und übrigen Stellplätze sind im rückwärtigen Bereich bei dem Doppelhaus situiert.
Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 ab. Die Baugenehmigung verletze die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Nachbarrechten. Das geplante Doppelhaus mit zwei Wohneinheiten füge sich der Art nach in die nähere Umgebung ein, die wohl einem reinen Wohngebiet entspreche. Die Errichtung notwendiger Stellplätze und Garagen sei in allen Baugebieten zulässig, die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Belastungen seien als sozialadäquat hinzunehmen. Das Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche vermittle grundsätzlich keinen Nachbarschutz. Es bestehe vorliegend auch keine besondere Sachverhaltskonstellation in Form eines „rückwärtigen Ruhebereichs“. Der Gartenbereich der Antragsteller schließe im Süden unmittelbar an eine Stich straße an. Das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt, insbesondere liege keine erdrückende oder abriegelnde Wirkung der Bebauung vor.
Mit der Beschwerde machen die Antragsteller geltend, dass die Baugenehmigung gegen das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme zu ihren Lasten verstoße, da sie die Errichtung von fünf Stellplätzen im rückwärtigen Grundstücksbereich vorsehe, der bislang rein gärtnerisch genutzt werde und es für eine derartige Stellplatzanlage auch keine Vorbelastung gebe. Die Überlegungen des Verwaltungsgerichts zu einem Nachbarschutz bei einer rückwärtigen Baugrenze seien hier nicht einschlägig, da es vorliegend um Fahrzeugbewegungen und damit um Lärmimissionen im rückwärtigen Grundstücksbereich gehe. Die Beeinträchtigungen, auch durch die Zufahrt entlang der Grundstücksgrenze, seien unmittelbar auf ihrem Grundstück wahrnehmbar, zumal sich auf der Ostseite das Schlafzimmer und zwei Kinderzimmer befänden. Für die Unzumutbarkeit spreche auch die große Anzahl der Stellplätze und die zu erwartenden Rangierbewegungen.
Die Beigeladene verweist darauf, dass die Stellplätze auf dem Baugrundstück nachzuweisen seien. Bei einer Errichtung des Gebäudes im hinteren Teil des Grundstücks sei eine straßenseitige Errichtung von mehr als einem Stellplatz bereits aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Die Zufahrt zu dem Doppelhaus sei auf dem Grundstück der Antragsteller durch eine Hecke und ein Nebengebäude abgeschirmt. Ein übermäßiger Zu- und Abfahrtsverkehr sei nicht zu erwarten, durch die Verbreiterung des Weges vor der Zufahrt zu den Stellplätzen bzw. Garagen bei dem Wohngebäude werde ein übermäßiges Rangieren vermieden.
Die Antragsgegnerin geht ebenfalls auf die örtlichen Verhältnisse ein und sieht das als sozialadäquat hinzunehmende Maß an Beeinträchtigungen als nicht überschritten an. Die von den Antragstellern genannte ausschließlich gärtnerisch genutzte Ruhezone sei nicht erkennbar. Vielmehr grenzten die Gärten in der Umgebung oftmals an eine Straße bzw. Zufahrt an.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Nachbarklage der Antragsteller im Hauptsacheverfahren nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird, so dass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen nachrangig ist. Das Vorhaben verstößt weder im Hinblick auf die Anordnung der Stellplätze noch dem zu erwartenden zusätzlichen Anliegerverkehr gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Annahme eines reinen Wohngebiets die für die Wohnnutzung notwendigen Stellplätze und Garagen gemäß § 34 Abs. 2 BauGB, § 12 Abs. 2 BauNVO grundsätzlich zulässig sind. Sie sind gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nur unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Bei der einzelfallbezogenen Prüfung, ob ihre Nutzung zu unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft führt, ist der in § 12 Abs. 2 BauNVO enthaltenen Grundentscheidung Rechnung zu tragen. Nachbarn haben die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall hinzunehmen; besondere örtliche Verhältnisse können aber auch zu dem Ergebnis führen, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2006 – 4 C 11.05 – BVerwGE 127, 231; B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – NVwZ 2003, 1516; U.v. 7.12.2000 – 4 C 3.00 – NVwZ 2001, 813). Es kommt entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken können. Dabei sind die Zufahrt, die Stellplätze und/oder Garagen im Hinblick auf ihre Lage und Nähe zu den Nachbargrundstücken, die Art und die Empfindlichkeit der dort stattfindenden Nutzungen, etwaige Vorbelastungen sowie der Umfang der zu erwartenden Belästigungen von Bedeutung (vgl. OVG NW, B.v. 16.12.2020 – 2 B 1138/20 – juris Rn. 13; B.v. 5.11.2015 – 10 B 1041/15 – BauR 2016, 239; OVG LSA, B.v. 20.10.2020 – 2 M 71/20 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v 16.7.2015 – 1 B 15.194 – juris; B.v. 10.4.2014 – 1 CS 14.397 – juris).
Nach diesen Maßstäben gehen weder von der Zufahrt entlang der Grenze zum Grundstück der Antragsteller noch von der Situierung der Stellplätze und Garagen unzumutbare Belästigungen oder Störungen aus. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass bei der Nutzung des Doppelhauses mit je einer Wohneinheit kein großer Zu- und Abfahrtsverkehr zu erwarten ist. Die Verbreiterung der Zufahrt vor dem Wohngrundstück führt dazu, dass bei der Ausfahrt auch keine übermäßigen Rangierbewegungen anfallen. Weiter wird die Zufahrt durch eine Hecke und ein Nebengebäude auf dem Nachbargrundstück abgeschirmt. Der bei der Doppelhaushälfte 1 liegende Stellplatz bzw. die Garage sind deutlich entfernt von dem Grundstück der Antragsteller situiert, eine Belästigung durch den nahe bei der Erschließungsstraße liegenden Stellplatz wird bereits nicht geltend gemacht. Auch von den Stellplätzen und der Garage, die der Doppelhaushälfte 2 zugeordnet sind, gehen keine unzumutbaren Belästigungen aus. Die Außenbereichsnutzung der Antragsteller mit Terrasse und Schwimmbecken befindet sich im westlichen Grundstücksteil. Weiter ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Gartenbereich der Antragsteller um keinen rückwärtigen Ruhebereich handelt, der bislang von Kraftfahrzeuglärm verschont blieb. Denn der Garten der Antragsteller grenzt im Süden an eine Stich straße an, die die Zufahrt zu den südlich gelegenen Wohngebäuden ermöglicht und an der auch eine Garagenanlage situiert ist. Soweit kritisiert wird, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu einem verneinten nachbarrechtlichen Schutz gegen die rückwärtige Bebauung nicht auf die Fahrzeugbewegungen im rückwärtigen Grundstücksbereich übertragen werden können, ist die Zufahrt zu einer Hinterlandbebauung nicht vollkommen unabhängig von dem zugelassenen Wohngebäude zu sehen. Der Bedarf an Stellplätzen und Garagen soll nach den planungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Vorschriften (vgl. Art. 47 Abs. 3 BayBO) grundsätzlich auf dem Baugrundstück bzw. grundstücksnah gedeckt werden und damit der öffentliche Straßenraum zumindest teilweise vom ruhenden Verkehr entlastet werden (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2006 – 4 C 11.05 – BVerwGE 127, 231). Eine straßennahe Errichtung der Garagen und aller Stellplätze entlang der öffentlichen Verkehrsfläche im Norden (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 25.5.2010 – 15 CS 10.982 – juris Rn. 9) kommt hier nicht in Betracht. Bei den genehmigten Stellplätzen bzw. Garagen handelt es sich auch um die nach der Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin notwendigen Stellplätze, die bei einer über 150 m² liegenden Wohnfläche drei Stellplätze für die Wohneinheit fordert. Unabhängig davon, ob die jeweiligen Bewohner diese benötigen, sind zwei Stellplätze direkt vor der jeweiligen Garage vorgesehen und ein Stellplatz davon vor der Haustür, was die gleichzeitige Benutzung dieser Abstellmöglichkeiten erschwert bzw. deren Benutzung eher unwahrscheinlich macht. Bei der anzustellenden Gesamtschau, bei der der Senat auch die vorgetragenen Belange der Antragsteller im Hinblick auf ihre Wohn- und Gartennutzung berücksichtigt hat, sind die Belästigungen oder Störungen, die von der Zufahrt zu dem Doppelhaus und den genehmigten Stellplätzen bzw. Garagen ausgehen, nicht unzumutbar. Die von den Antragstellern als Minderungsmaßnahmen geforderte Tiefgarage oder Lärmschutzwand entbehren einer rechtlichen Grundlage.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben