Baurecht

Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung

Aktenzeichen  9 CS 16.2082

Datum:
21.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 36
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 1, Art. 59 S. 1

 

Leitsatz

Ein Vorhaben wahrt das aus der unmittelbaren Umgebung folgende Verhältnis von Bebauung zur umgebenden Freifläche, wenn die Berechnungen zur „Grundflächenzahl“ ergeben, dass die Bebauungsdichte beim Bauvorhaben derjenigen der benachbarten Bebauung entspricht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 S 16.01753 2016-09-14 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die antragstellende Gemeinde wendet sich gegen die den Beigeladenen vom Landratsamt F…. erteilte bauaufsichtliche Genehmigung vom 10. August 2016 für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit Garage und Stellplatz auf dem Südteil des Grundstücks Fl. Nr. …/… Gemarkung O.
Gegen die Baugenehmigung vom 10. August 2016 hat die Antragstellerin am 1. September 2016 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde (Az.: AN 3 K 16.01754). Gleichzeitig beantragte die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 14. September 2016 in der Sache ab. Nach summarischer Prüfung füge sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die nähere Umgebung ein, insbesondere auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der Bauweise.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe die nähere Umgebung unzutreffend bestimmt, indem es den südlich der H.-straße gelegenen Bereich mit einbezogen habe, der durch den qualifizierten Bebauungsplan Nr. …. überplant sei; die H.-straße wirke trennend. Die danach verbleibende nähere Umgebung sei von Grundstücken mit großen Freiflächen geprägt. Demgegenüber presse sich das Vorhaben zwischen die bestehende Bebauung, ohne relevante Freiflächen zu lassen. Die von der Antragstellerin ermittelte Grundflächenzahl überschreite das in der Umgebungsbebauung Maßgebliche und sogar die Obergrenze nach § 17 Abs. 1 BauNVO; die Grundstücke Fl. Nr. … und … seien untypisch und nicht prägend. Auch der vom Verwaltungsgericht herangezogene südliche Bereich der H.-straße gebe für die Zulässigkeit des Vorhabens nichts her, weil die dortige Doppelhausbebauung auf langgezogenen Grundstücken nicht vergleichbar sei. Zudem verletze das Vorhaben das Rücksichtnahmegebot. Die Beigeladenen hätten ihre Doppelhaushälfte abgebrochen und nunmehr ein neues Wohnhaus mit einem unzureichenden Abstand von nur etwa 4 m errichtet. Die üblichen Abstandsflächen seien nicht eingehalten, gesunde Wohnverhältnisse würden deshalb nicht gewahrt.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. September 2016 abzuändern und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Baugenehmigung vom 1. September 2016 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Unabhängig davon, ob die H.-straße eine trennende Wirkung habe oder nicht, stehe jedenfalls fest, dass das Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liege. Insoweit ergebe sich bereits aus der unmittelbaren Nachbarbebauung auf den Grundstücken Fl. Nr. … und …, dass das Vorhaben mit einer ähnlich kleinteiligen Bebauung und vergleichbarer Grundflächenzahl den vorhandenen Rahmen wahre. Die Abstandsflächen würden nicht geprüft, seien aber eingehalten. Weshalb das Rücksichtnahmegebot verletzt sein solle und woraus sich ungesunde Wohnverhältnisse ableiten ließen, werde nicht ausgeführt.
Die Beigeladenen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Vorhaben füge sich ohne weiteres in seine nähere Umgebung ein, die auch von der Bebauung südlich der H.-straße geprägt werde. Dies gelte auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche und der Bauweise. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse seien gewahrt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten des Landratsamts verwiesen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Es kann dahinstehen, ob das Rechtsschutzinteresse für die Beschwerde – wie der Antragsgegner und die Beigeladenen ausführen – entfallen ist, weil das Vorhaben inzwischen „im Rohbau“ fertiggestellt ist. Denn die Beschwerde hat auch in der Sache keinen Erfolg.
2. Die von der Antragstellerin innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.
a) Das Vorhaben fügt sich nach den Kriterien des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB voraussichtlich in seine nähere Umgebung ein.
Soweit die Antragstellerin rügt, das Vorhaben füge sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht ein, stellt das Beschwerdevorbringen auf das Verhältnis der vorhandenen Gebäude zur jeweils umgebenden Freifläche ab, das vom Vorhaben nicht gewahrt werde. Diese Bewertung trifft voraussichtlich nicht zu.
Insoweit kann offen bleiben, ob für die Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung auch auf die Bebauung südlich der H.-straße abzustellen ist. Denn die Bebauung auf den unmittelbar benachbarten Grundstücken Fl. Nr. … und … zählt jedenfalls zur näheren Umgebung und bildet auch den Bezugsrahmen, innerhalb dessen sich das Vorhaben hält.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen wahrt das Vorhaben das aus der unmittelbaren Umgebung folgende Verhältnis von Bebauung zur umgebenden Freifläche. Darauf lassen bereits die eigenen Berechnungen der Antragstellerin zur „Grundflächenzahl“ schließen. Danach beträgt die Bebauungsdichte beim Vorhaben ca. 0,4 (Fläche Wohngebäude + Fläche Nebengebäude ÷ Grundstücksfläche). Dasselbe gilt aber nach den Berechnungen der Antragstellerin für die benachbarte Bebauung auf dem Grundstück Fl. Nr. … und nahezu auch für das Grundstück Fl. Nr. … (ca. 0,35). Weshalb diese Bebauung in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Bauvorhaben untypisch und für den Bereich nicht prägend sein soll, erschließt sich nicht. Die genannten Bezugsfälle stehen nicht in einem derart auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden übrigen Bebauung, dass sie als Fremdkörper bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung ausgeklammert werden müssten. Vielmehr zeigen die Berechnungen der Antragstellerin, dass die Bebauungsdichte innerhalb der von ihr angenommenen näheren Umgebung stark variiert, dass es also an einer die Bebauungsdichte betreffenden, im Wesentlichen homogenen Bebauung fehlt, zu der die vorhandene Bebauung auf den Grundstücken Fl. Nrn. … und … in einem auffälligen Kontrast stehen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – BVerwGE 84, 322 = juris Rn. 15).
b) Die von der Antragstellerin geltend gemachte Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme liegt voraussichtlich ebenso wenig vor wie ungesunde Wohnverhältnisse.
Das Vorbringen, ein Abstand von 4 m zur Grundstücksgrenze sei unzureichend, weil die üblichen Abstandsflächen nicht eingehalten seien, ist nach Aufhebung der planungsrechtlich zulässigen Grenzbebauung als Doppelhaus zwar nicht per se von der Hand zu weisen (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO), begründet aber nicht notwendigerweise einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Denn die Unterschreitung der nach dem Abstandsflächenrecht einzuhaltenden Gebäudeabstände (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO) lässt noch nicht den Schluss zu, dass dies zugleich zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots führt; maßgeblich sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. BayVGH, B. v. 8.8.2016 – 9 ZB 14.2808 – juris Rn. 8; BayVGH, B. v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11 m. w. N.).
Was die auch unter dem Blickwinkel des planungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme beachtlichen Belange der Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie der Begrenzung der Einsichtsmöglichkeiten angeht (vgl. BVerwG, B. v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – BauR 1999, 615 = juris Rn. 4), ist nicht zu sehen, dass diese Belange hier im Vergleich zum bisherigen Zustand nachteilig berührt sind. Die bislang mit dem Nachbargebäude profilgleiche östliche Abschlusswand ist nunmehr ca. 4 m von der Grundstücksgrenze zurückversetzt. Die im Erdgeschoss der östlichen Außenwand vorgesehenen Fenster dienen ausweislich der Bauvorlagen der Belichtung und Belüftung eines Raums für die Haustechnik, des Flurs und eines Duschraums. Mangels Nutzung dieser Räume zum Daueraufenthalt sind deshalb ungesunde Wohnverhältnisse im gegenständlichen Gebäude nicht zu besorgen. Das Dachgeschoss ist in Richtung des östlichen Nachbargrundstücks fensterlos; die Belichtung der im Dachraum vorgesehenen Aufenthaltsräume erfolgt insoweit von Süden und von Norden. Die grenzständig errichtete Doppelhaushälfte auf dem Nachbargrundstück ist zum Baugrundstück hin nach wie vor fensterlos; wechselseitige Einsichtsmöglichkeiten werden deshalb nicht eröffnet.
Auf eine Verletzung ihrer Planungshoheit wegen der etwaigen Nichteinhaltung von Abstandsflächen kann sich die Antragstellerin nicht berufen; das Abstandsflächenrecht ist als solches auch nicht Prüfungsgegenstand der im vereinfachten Verfahren erteilten Baugenehmigung.
c) Lage, Maße und Zufahrt der Stellplatzfläche und der Garage ergeben sich hinreichend genau aus der Planzeichnung.
Die Garage ist an der Nordseite des Wohngebäudes situiert, 6,988 m lang, ca. 3 m tief und 2,60 m hoch; ihre Zufahrt erfolgt von Osten her. Zwischen der Zufahrt zur Garage und der Nachbargrenze wird ein Abstand von 6 m eingehalten. Der Stellpatz liegt an der Südseite des Wohngebäudes. Er ist nicht nur im „Abstandsflächenplan“ (ohne angegebenen Maßstab), sondern gestrichelt auch in der Darstellung des Erdgeschosses eingezeichnet. Der Stellplatz ist danach 6 m lang, 2,30 m tief und 6,50 m von der östlichen Grenze zum Nachbargrundstück entfernt.
Ob Garage und Stellplatz den hier wegen Art. 59 Satz 1 Nr. 1 letzte Alt. i. V. m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO zu prüfenden Regelungen der Stellplatzsatzung der Antragstellerin genügen, kann der Senat nicht feststellen, weil diese Satzung von der Antragstellerin nicht vorgelegt wurde. Allein ein Verstoß gegen die Stellplatzsatzung könnte aber nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage führen. Denn es wurde weder dargelegt noch ist ersichtlich, dass der Forderung der Antragstellerin zur Eingrünung des Stellplatzes nicht im Lauf des Klageverfahrens abgeholfen werden könnte oder, wenn die Befahrbarkeit von Garage und Stellplatz nicht sichergestellt werden können, die Stellplatzpflicht nicht abgelöst werden kann.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht billigem Ermessen, die den Beigeladenen im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären, weil sie einen eigenen Sachantrag und einen wesentlichen Beitrag im Beschwerdeverfahren geleistet haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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