Baurecht

Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung – Textteil und Planteil einer Ortsgestaltungssatzung

Aktenzeichen  M 1 K 15.1496

Datum:
21.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO
BauGB BauGB § 34, § 35 Abs. 2
BayBO BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 63 Abs. 2 S. 1, Art. 68 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 Nr. 1
BayBo Art. 81 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Bei der Beurteilung, ob sich ein Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Umgebungsbebauung einfügt, ist in erster Linie auf solche Maßfaktoren abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung in Beziehung zueinander setzen lassen. Vorrangig sind zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung als Bezugsgröße die (absolute) Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschossfläche, Geschosszahl und Höhe und bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche, heranzuziehen (ebenso BVerwG Urt. 14.3.2013 – 14 B 49.12).   (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn eine Ortsgestaltungssatzung aus einem Textteil und einem oder mehreren Planteilen besteht, müssen diese entweder körperlich untrennbar miteinander verbunden sein oder es müssen grundsätzlich alle Teile gesondert ausgefertigt werden. Die Ausfertigung allein des Textteils genügt in einem solchen Fall nur dann, wenn durch eindeutige Angaben oder auf andere Weise jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der Planteile zu der beschlossenen Satzung ausgeschlossen wird. Der Plan muss durch eine Art „gedanklicher Schnur“ mit dem ausgefertigten Textteil der Satzung derart verknüpft sein, dass seine Identifizierung ohne weiteres möglich ist, und so jeder Zweifel an der Zugehörigkeit des nicht gesondert ausgefertigten Teils zum ausgefertigten Satzungsteil ausgeschlossen ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn in der Satzung auf einen bestimmten, genau bezeichneten Plan Bezug genommen wird und kein Zweifel bestehen kann, welcher Plan damit gemeint ist (ebenso BayVGH Urt. 28.10.2014 – 15 N 12.1633). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage kann ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Parteien hierauf in der mündlichen Verhandlung am 11. August 2015 verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Der Bescheid des Landratsamts Traunstein vom … März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Tekturbaugenehmigung oder auf nochmalige Entscheidung über ihren Antrag (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Das Vorhaben der Klägerin ist in seiner Gesamtheit genehmigungspflichtig (1.). Ihm steht zwar nicht Bauplanungsrecht (2.), aber die Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen entgegen (3.).
1. Das bereits ausgeführte und aus mehreren Einzelmaßnahmen bestehende Vorhaben bedarf nach Art. 55 Abs. 1 BayBO der Baugenehmigung. Diese ist nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Im Rahmen des hier ausreichenden vereinfachten Genehmigungsverfahrens prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO insbesondere die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO.
Die Frage einerseits der Genehmigungspflicht und andererseits der Genehmigungsfähigkeit ist dabei für das vorliegende Gesamtvorhaben einheitlich zu beurteilen. Für sich gesehen möglicherweise genehmigungsfreie Teile der Tektur werden von der Baugenehmigungspflicht erfasst, weil sie unselbstständige Teile eines genehmigungspflichtigen Vorhabens oder unselbstständige einzelne bauliche Anlagen eines genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens sind und mit diesem eine Einheit bilden (BayVGH, B.v. 27.4.2012 – 9 ZB 10.1503 – juris Rn. 14 m. w. N.). Für sich gesehen möglicherweise zulässige Teile der Tektur sind nicht separat genehmigungsfähig, weil sie Teil des insgesamt zur Genehmigung gestellten Gesamtvorhabens sind und ihre baurechtliche Zulässigkeit nicht isoliert abgefragt wurde.
Das zur Genehmigung gestellte Gesamtvorhaben ist nicht bereits teilweise durch die Baugenehmigung vom … Januar 2012 oder die Tekturbaugenehmigung vom … Juli 2012 genehmigt. Die Zulassung von Abweichungen oder Befreiungen von einem Bebauungsplan ist nach Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO im Rahmen eines Bauantrags gesondert schriftlich zu beantragen; der Antrag ist zu begründen. Einen solchen gesonderten Antrag enthält weder der Antrag der Klägerin auf Erteilung der Baugenehmigung noch der Antrag auf Erteilung der Tekturbaugenehmigung. Die vorgenommene Geländeveränderung, die Überschreitung der Baugrenze nach Norden hin und die Geschossigkeit sind daher von diesen Genehmigungen nicht erfasst. Zum einen konnte das Landratsamt mangels entsprechenden Antrags keine Abweichung oder Befreiung erteilen. Zum anderen ist das tatsächlich zur Ausführung gelangte Gebäude erstmals in den streitgegenständlichen Plänen klar und umfassend dargestellt.
2. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig, insbesondere stehen ihm nicht die Festsetzungen des Bebauungsplans „… …“ entgegen und ist es mit den Vorgaben des daher maßgeblichen § 34 BauGB vereinbar.
Der Bebauungsplan ist formell unwirksam, weil er erst nach seiner Bekanntmachung ausgefertigt wurde. Das Landratsamt Traunstein hat den Bebauungsplan mit Bescheid vom 27. Juli 1979 genehmigt. Die Genehmigung wurde am 7. September 1979 ortsüblich bekanntgemacht. Die Ausfertigung erfolgte allerdings erst am 3. März 1981 und damit nach der Bekanntmachung. Nach § 12 Satz 1 Bundesbaugesetz (BBauG) in der bis 30. Juni 1987 geltenden Fassung ebenso wie nach dem heute gültigen § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist die Erteilung der Genehmigung des Bebauungsplans ortsüblich bekannt zu machen. Diese Ersatzverkündung hat zeitlich nach der gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 Bayerische Gemeindeordnung (BayGO) erforderlichen Ausfertigung des Bebauungsplans zu erfolgen. Die Ausfertigung hat Identitätsfunktion, der im Allgemeinen durch die eigenhändige Unterschrift des ersten Bürgermeisters oder seines Stellvertreters auf der durch die Ausfertigung hergestellten Originalurkunde, die der Bekanntmachung der Norm zugrunde zu legen ist, entsprochen wird (BayVGH, U.v. 28.10.2014 – 15 N 12.1633 – NVwZ-RR 2015, 321 – juris Rn. 40). Die Verkündung bildet den Schlusspunkt des Rechtssetzungsvorgangs, denn sie stellt den für die Hervorbringung der Norm notwendigen letzten Akt dar (BVerwG, U.v. 27.1.1999 – 4 B 129.98 – BauR 1999, 611- juris Ls. 1; U.v. 9.5.1996 – 4 B 60.96 – NVwZ-RR 1996, 630 – juris Ls. und Rn. 3; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 1.11.2015, § 10 Rn. 105). Der Fehler der verspäteten, nach Landesrecht erforderlichen Ausfertigung ist auch nicht gemäß § 214 BauGB unbeachtlich.
Aufgrund der formellen Unwirksamkeit des Bebauungsplans kann offen bleiben, ob die dem Vorhaben entgegen stehende Festsetzung zur Geschossigkeit „U + 1“ aufgrund der Vielzahl der diese Festsetzung nicht einhaltenden Gebäude funktionslos geworden ist. Ebenso kann offen bleiben, ob hinsichtlich der dem Vorhaben ebenfalls entgegen stehenden nördlichen Baugrenze eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zu erteilen und das Ermessen insoweit auf Null reduziert ist.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 34 Abs. 1 BauGB. Danach ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Das Wohnhaus der Klägerin fügt sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in die von Wohnhäusern dominierte und als reines oder allgemeines Wohngebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung einzustufende Bebauung am … ein (vgl. § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 oder § 4 Abs. 2 Nr. 1 BaunutzungsverordnungBauNVO). Das Vorhaben fügt sich auch nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Umgebungsbebauung ein. Dabei ist in erster Linie auf solche Maßfaktoren abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung in Beziehung zueinander setzen lassen. Vorrangig bieten sich deshalb die (absolute) Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschossfläche, Geschosszahl und Höhe und bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche als Bezugsgröße zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung an (BVerwG, B.v. 14.3.2013 – 14 B 49.12 – BauR 2013, 1245 – juris Rn. 5). Hier entspricht das Gebäude der Klägerin hinsichtlich der genannten Maßfaktoren den am … vorhandenen Gebäuden oder bleibt sogar dahinter zurück; insbesondere die Gebäude auf den Grundstücken FlNr. 43/6 und 43/9 sind in weit größerer Massivität ausgeführt als das Wohnhaus der Klägerin. Eine faktische Geschossigkeit „U + 1“ ist nicht erkennbar; bei den am … vorhandenen Gebäuden ist das Untergeschoss nach den Feststellungen des Augenscheins, der zulässigerweise durch ein Mitglied der Kammer eingenommen wurde (vgl. § 96 Abs. 2 VwGO) nicht überwiegend in den Hang integriert. Ebenso wenig lässt sich eine faktische nördliche Baugrenze aus der Umgebungsbebauung erkennen; so befindet sich bereits nach dem Lageplan auf den Grundstücken FlNr. 43/14, 43/13 und 43/9 nördlich der Hauptgebäude noch Bebauung. Selbst wenn es sich dabei nur um Nebengebäude handeln sollte, die nach § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO innerhalb der nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden können, ist der unter dem natürlichen Gelände liegende Teil des Untergeschosses der Klägerin hiermit vergleichbar, zumal die Lichtkuppeln innerhalb des bebaubaren Bereichs liegen.
3. Das Vorhaben der Klägerin widerspricht jedoch den Regelungen der Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen.
3.1. Die Ortsgestaltungssatzung ist formell wirksam.
Zum einen trat sie nach ihrer Nr. 15 am 20. Januar 2012 und damit nach der Ausfertigung am 4. Januar 2012 in Kraft.
Zum anderen liegt der von der Klägerin geltend gemachte Ausfertigungsmangel nicht vor. Besteht eine Satzung – wie hier – aus einem Textteil und einem oder mehreren Planteilen, müssen diese entweder körperlich untrennbar miteinander verbunden sein oder es müssen grundsätzlich alle Teile gesondert ausgefertigt werden. Die Ausfertigung allein des Textteils genügt in einem solchen Fall nur dann, wenn durch eindeutige Angaben oder auf andere Weise jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der Planteile zu der beschlossenen Satzung ausgeschlossen wird. Erforderlich ist, dass der Plan durch eine Art „gedanklicher Schnur“ mit dem ausgefertigten Textteil der Satzung derart verknüpft ist, dass seine Identifizierung ohne Weiteres möglich ist, so dass jeder Zweifel an der Zugehörigkeit des nicht gesondert ausgefertigten Teils zum ausgefertigten Satzungsteil ausgeschlossen ist Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn in der Satzung auf einen bestimmten, genau bezeichneten Plan Bezug genommen wird und kein Zweifel bestehen kann, welcher Plan damit gemeint ist (BayVGH, U.v. 28.10.2014 – 15 N 12.1633 – NVwZ-RR 2015, 321 – juris Rn. 40; U.v. 5.2.2009 – 1 N 07.2713 – juris Rn. 37).
Die Ortsgestaltungssatzung der Beigeladenen genügt diesen Anforderungen. Anders als von der Beigeladenen geltend gemacht, reicht insoweit zwar die gemeinsame Abheftung in einem Schnellhefter nicht aus, weil eine Trennung durch Öffnung des Schnellhefters unschwer möglich ist (BayVGH, U.v. 28.10.2014 – 15 N 12.1633 – NVwZ-RR 2015, 321 – juris Rn. 42). Nicht ausreichend ist auch die gemeinsame Abrufbarkeit der Satzung und ihrer Anlagen im Internet, weil auch insoweit eine Trennung durch entsprechende EDV-technische Maßnahmen einfach vorzunehmen ist. Die erforderliche gedankliche Schnur wird hier jedoch durch die Gesamtheit der Umstände geknüpft. In Nr. 1.1 Abs. 1 der Ortsgestaltungssatzung ist ausgeführt, dass die örtliche Bauvorschrift für den Hauptort Ruhpolding mit einzeln aufgeführten Ortsteilen gilt. In Nr. 1.1 Abs. 2 Satz 1 wird auf „die der Satzung beiliegenden Karten im Maßstab 1 : 2.500 bzw. 1 : 5.000 mit Eintrag der Geltungsbereichsgrenzen“ verwiesen. Die der Ortsgestaltungssatzung beigefügten insgesamt sieben Karten tragen alle den Zusatz „Ortssatzung der Gemeinde Ruhpolding“ und das Gemeindewappen, so dass sowohl eine Zuordnung zu der Beigeladenen als auch zu einem örtlichen Regelwerk zweifelsfrei möglich ist. Sie sind allesamt in den genannten Maßstäben 1 : 2.500 oder 1 : 5.000 ausgeführt. Weiter decken sie alle in Nr. 1.1. Abs. 1 der Ortsgestaltungssatzung genannten Ortsteile ab und benennen diese ausdrücklich. Daneben ist – wie in Nr. 1.1 Abs. 2 Satz 1 der Ortsgestaltungssatzung verlangt – auf den einzelnen Karten in rot der jeweilige Geltungsbereich eingezeichnet.
3.2. Die Ortsgestaltungsatzung ist auch materiell wirksam.
3.2.1. Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO, die es den Gemeinden gestattet, im eigenen Wirkungskreis örtliche Bauvorschriften über die besonderen Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung zu erlassen, ist mit höherrangigem Recht vereinbar (BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14.170 – juris Rn. 18 f.).
3.2.2. Die einschlägigen Vorschriften der Ortsgestaltungssatzung (insbesondere Nr. 3 und 7.1) überschreiten auch nicht die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO. Insbesondere Anforderungen an Dächer sind im Bereich positiver Gestaltungspflege regelmäßig zulässig, da Dächer in besonderem Maß das Gesamtbild einer Gemeinde bestimmen und Ausdruck eines ortsüblichen und landschaftsgebundenen Baustils sind, wie er häufig in Oberbayern anzutreffen ist. Zur Erzielung von Einheitlichkeit, zur Vermeidung einer unregelmäßigen Dachlandschaft oder im Interesse einer positiven Gestaltungspflege können demnach Dachformen festgelegt sowie Dachauf- und -ausbauten untersagt werden. Die Gemeinden haben im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO einen beträchtlichen gestalterischen Spielraum und dürfen im Rahmen der positiven Pflege der Baukultur auch einen strengen ästhetischen Maßstab anlegen (BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14.170 – juris Rn. 20).
3.2.3. Die mit der Ortsgestaltungssatzung verbundene Einschränkung des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ist verhältnismäßig.
Insoweit hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof (E.v. 23.1.2012 – Vf. 18-VII-09 – BayVBl 2012, 397 – juris Ls. 1) zwar festgestellt, dass beim Erlass einer Satzung gemäß Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO über das Verbot der Errichtung von Werbeanlagen berücksichtigt werden muss, dass das Gebiet einer Gemeinde in der Regel aus verschiedenen Bereichen bestehe, deren Ortsbild unterschiedlich schutzwürdig sei; Verbote seien deshalb nur gerechtfertigt, soweit ortsgestalterische Gründe sie erforderten. Insoweit sei bei einzelnen Verboten nach den Gegebenheiten der verschiedenen Gemeindebereiche zu differenzieren. Die Entscheidung des Bayerische Verfassungsgerichtshofs bezog sich jedoch auf die Großstadt Nürnberg. Bei kleineren Gemeinden können aus ortsgestalterischen Gründen Verbote für das gesamte Gemeindegebiet erlassen werden‚ um auf diese Weise auf das örtliche Gesamterscheinungsbild Einfluss zu nehmen, und zwar – nach den Umständen des Einzelfalls – auch ohne vorangegangene Ortsbildanalyse (BayVGH, U.v. 11.9.2014 – 1 B 14.170 – juris Rn. 21). Die Entscheidungen der erkennenden Kammer vom 8. Mai 2012 (M 1 K 12.1061 und M 1 K 12.1156), wonach der Erlass einer Ortsgestaltungssatzung nur nach einer vorangegangenen umfassenden Ortsbildanalyse möglich und anschließend eine Differenzierung innerhalb der Gemeinde erforderlich sei, hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit dem erwähnten Urteil vom 11. September 2014 auf. Die Kammer hält an ihrer Rechtsauffassung nicht mehr fest, dass stets eine Ortsbildanalyse erforderlich sei. Hier kommt hinzu, dass die Gestaltung von Dächern und die Nivellierung von Grundstücken und Gebäuden – anders als die Errichtung von Werbeanlagen – weit sichtbare bauliche Maßnahmen darstellen, bei denen eine kleinteilige Regelung nicht zwingend erforderlich scheint.
Mit der durchgeführten überschlägigen Ortsbildanalyse und der anschließenden detaillierten Überlegung, für welche Ortsteile die Ortsgestaltungssatzung Geltung beanspruchen soll, wird hier dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Die Beigeladene hat durch einen ehemaligen Kreisbaumeister eine kursorische Bestandsaufnahme ihres Ortsbildes vornehmen lassen. Von insgesamt 73 Ortsteilen hat sie anschließend knapp ein Drittel herausgegriffen und für diese Ortsteile die Geltung der Ortsgestaltungssatzung bestimmt. Weiter hat sie für das Zentrum eigene Festsetzungen hinsichtlich Kniestock, Dachneigung und Dachform erlassen (vgl. Nr. 1.1 Abs. 3 der Ortsgestaltungssatzung). Dies erscheint ausreichend differenziert, zumal der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem von ihm entschiedenen Fall unter Hinweis auf die Einheitlichkeit des Ortsbildes gar keine Ortsbildanalyse verlangt hatte. Auch hier stellt sich das Ortsbild der Beigeladenen im Übrigen als weitgehend einheitlich dar. Damit stand es ihr offen, zur Wahrung der Einheitlichkeit der Dachlandschaft und eines traditionellen alpenländischen Baustils für das Gemeindegebiet die Anbringung von Dachüberständen vorzuschreiben.
3.2.4. Eine mögliche Unbestimmtheit der Ortsgestaltungssatzung im Hinblick auf ihre in Nr. 1.1 Abs. 2 Satz 2 geregelte Geltung auch für sonstige Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB hat jedenfalls nicht die Unwirksamkeit der gesamten Ortsgestaltungssatzung zur Folge. Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Rechtssatzes anhaften, führen nicht zur Gesamtnichtigkeit, wenn – erstens – die übrigen Regelungen für sich betrachtet noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB bewirken können und – zweitens – die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (BVerwG, U.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – BayVBl 2015, 203 – juris Rn. 26 für einen Bebauungsplan). Dies ist hier der Fall. Die Anwendung der Gestaltungsvorschriften auf Innenbereichsvorhaben in den genannten Ortsteilen ist Kern der getroffenen Regelung und für sich betrachtet sinnvoll. Die Beigeladene hätte eine Satzung mit diesem reduzierten Inhalt auch ohne die Erstreckung auf sonstige Vorhaben im Außenbereich erlassen.
3.3. Das Vorhaben der Klägerin widerspricht Nr. 7.1 Satz 1 der Ortsgestaltungssatzung.
Nach dieser Vorschrift sind Satteldächer in der Regel mit einem Dachüberstand von mindestens 80 cm auszuführen. Dabei ergibt sich aus der Formulierung „sind auszuführen“, dass diese Vorschrift zwingend ist; etwas anderes gilt nach der Formulierung „in der Regel“ nur dann, wenn ein Ausnahmegrund vorliegt. Diese Regelung kann nach wie vor Geltung beanspruchen, weil die überwiegende Zahl der Gebäude im Bereich der Ortsgestaltungssatzung und vor allem im Umfeld des Grundstücks der Klägerin Dachüberstände aufweist.
Das streitgegenständliche Gebäude hält diese Regelung der Ortsgestaltungssatzung nicht ein. Nach Norden und Westen hin verfügt es lediglich über einen Dachüberstand von 10 cm. Nach Osten hin ist zwar über dem Treppenaufgang eine Überdachung mit einer Tiefe von 1,7 m vorhanden; diese schließt jedoch mit der restlichen Wand ab und erweckt daher den Eindruck einer einheitlichen Fassade, nicht den eines Dachüberstands. Auch die von Süden sichtbare Überdachung des Balkons mit einer Tiefe von 1,3 m stellt keinen Dachüberstand im Sinne der Ortsgestaltungssatzung dar, sondern verleiht dem Balkon vielmehr den Charakter einer Loggia.
Ein Ausnahmegrund, der ein Abweichen vom Regelfall rechtfertigen könnte, ist nicht vorhanden. Bei entsprechender Planung ist auch bei einem Niedrigenergiehaus die Anbringung eines Dachüberstands möglich, wie die ursprüngliche Planung zeigt. Auch eine mögliche unterschiedliche Verwitterung der Holzfassade des Gebäudes stellt keinen Ausnahmegrund dar. Als rein optischer Umstand kann er eine Ausnahme von der Ortsgestaltungssatzung nicht rechtfertigen. Außerdem stellt sich dieses Problem bei sämtlichen Gebäuden mit Holzfassade und Dachüberstand. Gleiches gilt für die Beeinträchtigung des modernen Erscheinungsbildes des klägerischen Gebäudes. Wie die ursprüngliche Planung zeigt, war der Klägerin bekannt, dass die Ortsgestaltungssatzung Dachüberstände vorsieht, so dass sie diesen Umstand in die Planung und Gestaltung des Gebäudes miteinbeziehen hätte können.
Die Zulassung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO hat die Klägerin nicht beantragt. Außerdem ist nicht ersichtlich, woraus sich hier der insoweit erforderliche atypische Sachverhalt ergeben könnte. Weil somit schon die Voraussetzungen für die Zulassung einer unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu erteilenden Abweichung fehlen, bleibt auch der Hilfsantrag erfolglos.
3.4 Ob das Vorhaben der Klägerin daneben auch gegen Nr. 3.1 und 3.2 der Ortsgestaltungssatzung verstößt, nach denen die natürliche Geländeoberfläche in der Regel nicht verändert werden darf und Aufschüttungen mit mehr als 50 cm Höhe unzulässig sind, kann anhand der vorgelegten Pläne nicht abschließend beurteilt werden. Ein Plan, in dem das natürliche Gelände und das neue Gelände gegenübergestellt werden, wurde nicht vorgelegt. Der zur Genehmigung gestellte Plan legt nahe, dass der Hang nördlich des Wohngebäudes abgegraben und das Gelände begradigt wurde; auch westlich des Wohngebäudes scheint eine Abgrabung und die Absicherung durch eine Stützwand aus Natursteinen vorgenommen worden zu sein. In Anbetracht dessen, dass das Gesamtvorhaben aber bereits wegen Verstoßes gegen Nr. 7.1 Satz 1 der Ortsgestaltungssatzung unzulässig ist, braucht diese Frage nicht abschließend geklärt zu werden.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und sich daher einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten von der Klägerin erstattet erhält, § 154 Abs. 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,– festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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