Baurecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen Baugenehmigung bei unbestimmten Bauvorlagen und möglichem Abstandsflächenverstoß

Aktenzeichen  W 4 S 19.1534

Datum:
23.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34657
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3, Abs. 5
BauGB § 31 Abs. 2, § 212a Abs. 1
BauNVO § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 6, Art. 68 Abs. 1
BauVorlV § 8

 

Leitsatz

1. Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte der Antragsteller begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung der Antragsteller hierdurch zu bejahen. Das Bestimmtheitsgebot verlangt in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaßnahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können.   (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarrechtlicher Vorschriften auszuschließen und wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat (hier bejaht bei möglichem Abstandsflächenverstoß durch Grundstücksaufschüttung und Pool-/Terrassenanlage).  (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 8. April 2019 gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 6. März 2019 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1. Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Stadt Aschaffenburg vom 6. März 2019, mit welchem den Beigeladenen die Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage erteilt wurde.
Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks Fl.Nr. …2 der Gemarkung Aschaffenburg. Das streitgegenständliche Bauvorhaben ist auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. …8 der Gemarkung Aschaffenburg vorgesehen und grenzt nordöstlich an das Grundstück der Antragsteller an.
Das Baugrundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 3/16 i.d.F. vom 30./31.1.1987.
Unter dem Datum vom 20. November 2018 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage (2 WE).
Mit Bescheid vom 6. März 2019 erteilte die Stadt Aschaffenburg den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Unter Ziffer IV. wurden Befreiungen vom Bebauungsplan Nr. 3/16 hinsichtlich der festgesetzten Traufhöhe und des festgesetzten Mindestgrenzabstands erteilt. Im Übrigen wird auf die Gründe im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
2. Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 8. April 2019 ließen die Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 6. März 2019 erheben (Az. W 4 K 19.365). Mit Schriftsatz vom 20. November 2019 ließen die Antragsteller im vorliegenden Verfahren beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 8. April 2019 (Az. W 4 K 19.365) gegen die Baugenehmigung der Stadt Aschaffenburg vom 6. März 2019 (Az. …*) wird angeordnet.
Begründet wurde der Antrag damit, dass die der Genehmigung zugrunde liegenden Bauantragspläne unzulänglich seien. Der Wohnhausneubau sei auf Grundlage der eingereichten Unterlagen weder prüf- noch genehmigungsfähig. Zum einen seien bezüglich des natürlichen Geländes die Planunterlagen nicht klar. Insbesondere ergebe sich aus den Unterlagen die Höhe des Hochpools ausgehend vom natürlichen Gelände nicht. Auch sei die Höhe des Pools nicht bemaßt worden. Wegen Fehlens und Unvollständigkeit der Bauunterlagen könne der Gegenstand sowie der Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden. Das Vorhaben der Beigeladenen verstoße zudem gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans zum Mindestgrenzabstand. Die erteilte Befreiung beziehe sich nur auf den in der südöstlichen Hälfte des Grundstücks befindlichen Gebäudeteil, nicht auf südwestlich gelegenen. Weiter verstoße das Vorhaben gegen die Festsetzungen zur Traufhöhe. Die Voraussetzungen für die diesbezüglich erteilte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor. Auch gegen die Festsetzungen zur Zahl der Vollgeschosse „U+I+D“ werde verstoßen. Ungeachtet dessen verstoße das Vorhaben auch zulasten der Antragsteller gegen die Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 BayBO sowie das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, da die massive Wand des Hochpools und der Hochterrasse erdrückend wirkten und der Wohnfriede erheblich gestört werde.
3. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2019 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans gemäß § 31 Abs. 2 BauGB keine nachbarlichen Belange beeinträchtigten. Bei den Festsetzungen zum Mindestgrenzabstand handele es sich um Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche nach § 23 BauNVO. Diese seien jedoch nicht nachbarschützend. Dies gelte auch für die Festsetzungen zur Traufhöhe. Die erteilten Befreiungen stellten sich weder für sich betrachtet noch in der Summe gegenüber den Antragstellern als rücksichtslos dar, weshalb kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu verzeichnen sei. Ein Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften liege nicht vor. Bei einem Pool handele es sich grundsätzlich nicht um eine bauliche Anlage mit gebäudeähnlicher Wirkung. Im Übrigen sei jedenfalls der erforderliche Mindestabstand von 3,00 m zum Grundstück der Antragsteller eingehalten. Schließlich seien die der Baugenehmigung zugrunde liegenden Bauantragspläne prüffähig gewesen, da sich alle für die Beurteilung des Vorhabens notwendigen Daten aus den Planunterlagen ergeben hätten.
4. Die Beigeladenen beantragten,
den Antrag zurückzuweisen.
Es seien unter keinem tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkt nachbarrechtliche Regelungen, die zugunsten der Antragsteller bestünden, tangiert. Im Übrigen werde auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 13. Dezember 2019 Bezug genommen.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren (Az. W 4 K 19.365) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag (§ 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO) ist begründet.
1. Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten des Nachbarrechtsbehelfs abzustellen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – BayVBl 1991, 720). Hat die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris). Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.7.1973 – 1 BvR 155/73, 1 BvR 23/73 – BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage vgl. auch BayVGH, B.v. 14.1.1991 – 14 CS 90.3166 – BayVBl 1991, 275).
Bezüglich der Frage nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass sich ein Nachbar nur dann mit Erfolg gegen die einem Dritten erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens zur Wehr setzen kann, wenn hierbei öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die zumindest auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5/87 – BVerwGE 89, 69; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Nur in diesen Fällen wäre nämlich der Nachbar durch die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Hinsichtlich der Frage nach der möglichen Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften durch die angefochtene Baugenehmigung ist zudem der eingeschränkte Prüfungsrahmen im Baugenehmigungsverfahren zu berücksichtigen. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Ist – wie vorliegend – das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren durchzuführen, so begrenzt Art. 59 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO den Prüfauftrag der Bauaufsichtsbehörde auf die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlage nach den §§ 29 bis 38 BauGB, den Vorschriften über die Abstandsflächen und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1 Buchst. a bis c) sowie auf beantragte Abweichungen (Nr. 2). Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO ist vorliegend nicht einschlägig. Die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung im Übrigen ist dagegen grundsätzlich nicht mehr zu prüfen, weshalb eine dementsprechend erteilte Baugenehmigung auch nicht gegen die Vorschriften der Bayerischen Bauordnung verstoßen und Dritte hierdurch in ihren Rechten verletzen kann.
2. Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben stellen sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten der Klage zum gegenwärtigen Zeitpunkt als offen dar. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Bescheid vom 6. März 2019 nachbarschützende Rechte, auf die allein sich die Antragsteller berufen können, verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
2.1. Die Baugenehmigung erweist sich aufgrund der Bauvorlagenverordnung (BauVorlVO) nicht entsprechender Bauunterlagen als in nachbarrechtsrelevanter Weise zu unbestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG).
Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen vollständig, richtig und eindeutig sein. Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Simon/Busse, BayBO, Stand: August 2019, Art. 64 Rn. 80).
Der Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht; die Baugenehmigung ist aber dann aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m.w.N.). Wenn die Baugenehmigung selbst oder die der Baugenehmigung zu Grunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen (BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16). Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte der Antragsteller begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung der Antragsteller hierdurch zu bejahen (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16; B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1175 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Das Bestimmtheitsgebot verlangt in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Baumaßnahmen und Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarrechtlicher Vorschriften auszuschließen und wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat.
Die eingereichten und genehmigten Bauvorlagen sind vorliegend unvollständig, da nicht erkennbar ist, inwieweit durch die vorgesehene Aufschüttung auf dem Grundstück der Beigeladenen und die Errichtung der Pool- und Terrassenanlage die Einhaltung des Abstandsflächenrechts gewährleistet ist. Dabei ist festzuhalten, dass Aufschüttungen oder höher gelegene Terrassen durchaus gebäudeähnliche Wirkungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO entfalten können. Vorliegend ist hiervon auszugehen, da die Höhe der Aufschüttung nach den vorliegenden Bauzeichnungen im Vergleich zu dem Bodenniveau auf dem Grundstück der Antragsteller an der höchsten Stelle über 3,00 m erreicht.
Die Bauvorlagen stehen einer exakten Bestimmung der abstandsflächenrechtlich beachtlichen Maße jedoch entgegen, da die Bauzeichnungen entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 2 a) bis c) und Nr. 3 BauVorlV eine Bestimmung der vorhandenen Geländeoberfläche mangels Einzeichnung auf den aktuellen Plänen nicht ermöglichen. In der vorgelegten Bauzeichnung zu den „Ansichten und Schnitten“ fehlt in der genehmigten Fassung bezüglich der hier relevanten Südwestansicht die Einzeichnung der natürlichen Geländeoberfläche. Dies führt dazu, dass eine Bestimmung der Abstandsflächen zum Grundstück der Antragsteller in diesem Bereich ausscheidet, da die natürliche Geländeoberfläche gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO unterer Bezugspunkt für die Ermittlung der Wandhöhe ist (Simon/Busse, BayBO, Stand: August 2019, Art. 6 Rn. 169). Dass die Antragsgegnerin als Baugenehmigungsbehörde eine neue Geländeoberfläche festgelegt hätte, ist der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht zu entnehmen (vgl. hierzu Simon/Busse, a.a.O., Rn. 171 ff.).
Die Kammer geht im Rahmen einer vorläufigen Einschätzung der Rechtslage davon aus, dass zumindest nicht auszuschließen ist, dass das Abstandsflächenrecht des Art. 6 BayBO trotz einer abweichenden Regelung im Bebauungsplan zu den seitlichen Grenzabständen und einer erteilten Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB zu prüfen ist. Zum einen bezieht sich die in der Baugenehmigung vom 6. März 2019 erteilte Befreiung lediglich auf den „in der südöstlichen Hälfte des Grundstücks befindlichen Gebäudeteil“, was wiederum die Frage der Bestimmtheit der Baugenehmigung aufwirft. Zum anderen bestehen erhebliche rechtliche Bedenken gegen die Regelung im Bebauungsplan Nr. 3/16, soweit dieser seitliche Mindestgrenzabstände festsetzt. Diese Regelung durch örtliche Bauvorschriften ist den Gemeinden zwar grundsätzlich möglich (vgl. Art. 91 Abs. 1 Nr. 5 BayBO a.F.; Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 BayBO n.F.). Verfassungsrechtlich problematisch ist eine solche Regelung aber insofern, als die Gemeinde kompetenzrechtlich lediglich Gründe der Bau- und Ortsbildgestaltung verfolgen darf, nicht aber „bodenrechtlich planen“ darf (Simon/Busse, BayBO, Stand: August 2019, Art. 81 Rn. 207). Dies bedarf vorliegend im Hauptsacheverfahren einer genaueren Prüfung, da die dem Bebauungsplan zugrunde liegende Begründung der Antragsgegnerin hierzu keinen eindeutigen Hinweis gibt (vgl. „Ergänzung zur Begründung“ vom 25.11.1985). Es spricht aber viel dafür, dass die Festlegung der Abstandsflächen eine städtebauliche Zielsetzung verfolgt, was die Regelung rechtswidrig und damit unwirksam macht.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass den Bauzeichnungen die Einhaltung des Abstandsflächenrechts (Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 4 und 5 BayBO) im Bereich der Pool- und Terrassenanlage hin zum Grundstück der Antragsteller nicht eindeutig entnommen werden kann. Dies betrifft folglich die Einhaltung nachbarrechtlich relevanter Vorschriften. Eine Prüfung der abstandsflächenrechtlichen Vorgaben der BayBO scheitert an den ungenauen Angaben der Geländeoberfläche in den Planzeichnungen zum Bauantrag sowie der hier nicht abschließend zu beantwortenden Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans hinsichtlich der seitlichen Grenzabstände.
2.2. Darüber hinaus ist möglicherweise ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme verwirklicht, soweit die Antragsgegnerin eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu den seitlichen Grenzabständen nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt hat (im Falle der Wirksamkeit der Regelung im Bebauungsplan).
Gleiches gilt im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Zwar ist das Vorhaben der Beigeladenen als Wohngebäude im reinen Wohngebiet nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO grundsätzlich zulässig, ausnahmsweise aber unzulässig, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Das Gebot der Rücksichtnahme schützt hierbei zwar grundsätzlich nicht vor der Möglichkeit, in andere Grundstücke von benachbarten Häusern aus Einsicht nehmen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 13 m.w.N.). In Ausnahmefällen kann die Einsichtnahmemöglichkeit auf das Grundstück der Antragsteller durch das benachbarte Vorhaben jedoch unzumutbar zu ihrem Nachteil verändert werden. Dies ist vorliegend nicht auszuschließen, weshalb das Gericht bereits einen Termin zur Ortseinsicht bestimmt hatte, welcher zwingend zur abschließenden Beurteilung der Gegebenheiten vor Ort und der Beeinträchtigung der Antragsteller durchzuführen ist.
3. Die Erfolgsaussichten der Klage der Antragsteller in der Hauptsache (Az. W 4 K 19.365) sind zum jetzigen Zeitpunkt offen, so dass die Aussetzung der Vollziehbarkeit der Baugenehmigung trotz § 212a Abs. 1 BauGB angezeigt ist, um die Schaffung vollendeter Tatsachen zu vermeiden (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.1.2005 – 14 CS 04.2921 – BeckRS 2005, 15777). Das Interesse der Antragsteller, dass vor Unanfechtbarkeit der Baugenehmigung keine kaum mehr rückgängig zu machenden Tatsachen geschaffen werden, ist daher gegenüber dem Interesse der Beigeladenen am Sofortvollzug der Baugenehmigung deutlich gewichtiger.
4. Nach alledem war dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da die Beigeladenen einen eigenen Antrag gestellt haben, entspricht es der Billigkeit, sie an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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