Baurecht

Erfolglose Berufungszulassung wegen Erschließungsbeitrags bei Planunterschreitung

Aktenzeichen  6 ZB 20.2263

Datum:
23.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32754
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5a Abs. 1
BauGB § 125 Abs. 3 Nr. 1, § 128
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Das erschließungsrechtliche Planerfordernis verlangt keine zentimetergenaue Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans, denn es will nicht auf eine „Bindung“ hinaus, sondern auf eine (qualifizierte) Zustimmung zur Anlegung der Straße; insoweit gilt nichts anderes als im Zusammenhang mit einem Planfeststellungsbeschluss für Bundes- oder Landesstraßen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Erschließungsrecht will mit dem Erfordernis einer rechtmäßigen Herstellung lediglich eine (qualifizierte) Zustimmung zur Anlegung der Erschließungsanlage sicherstellen und zielt damit auf eine Grobabstimmung, wobei die Grundzüge der Planung erhalten bleiben müssen.(Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 19.636 2020-07-23 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Juli 2020 – Au 2 K 19.636 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.185,10 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund wäre begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Die beklagte Stadt hatte mit Bescheid vom 28. März 2017 gegenüber dem Kläger als Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1913/1 einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 10.185,10 € für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage N. Weg nach Art. 5a Abs. 1 KAG i.V. mit §§ 128 ff. BauGB und ihrer Erschließungsbeitragssatzung vom 2. September 2009 festgesetzt. Unter Anrechnung einer vom Rechtsvorgänger gezahlten Vorausleistung wurde der Kläger zur Zahlung von 2.895,10 € aufgefordert. Nachdem über den vom Kläger erhobenen Widerspruch nicht entschieden worden war, erhob er Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht. Mit Urteil vom 23. Juli 2020 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab, nachdem es vorher den N. Weg in Augenschein genommen hatte. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass die Verringerung der im Bebauungsplan vorgesehenen Breite der Verkehrsfläche von 7 m auf 3,80 m auf einem 35 m langen Teilstück der insgesamt 185 m langen Anbaustraße die Erhebung eines Erschließungsbeitrags nicht ausschließe, weil diese mit den Grundzügen der Planung (noch) vereinbar erscheine und damit die Erschließungsanlage rechtmäßig im Sinn von § 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB hergestellt sei.
Der Zulassungsantrag des Klägers hält dem erstinstanzlichen Urteil nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an seiner Richtigkeit begründet und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf. Vielmehr setzt der Kläger den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Wesentlichen nur seine eigene abweichende Einschätzung entgegen, ohne damit schlüssige Gegenargumente aufzuzeigen, die das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Urteils ernstlich in Frage stellen würden.
a) § 125 Abs. 1 BauGB macht die Rechtmäßigkeit der Herstellung einer Anbaustraße vom Vorhandensein eines wirksamen Bebauungsplans abhängig. Das damit angesprochene erschließungsrechtliche Planerfordernis verlangt jedoch keine zentimetergenaue Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans. Es will nicht auf eine „Bindung“ hinaus, sondern auf eine (qualifizierte) Zustimmung zur Anlegung der Straße; insoweit gilt nichts anderes als im Zusammenhang mit einem Planfeststellungsbeschluss für Bundes- oder Landesstraßen (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.1997 – 8 C 6.96 – juris Rn. 13). Mit ihm wird lediglich eine „Grobabstimmung“ angestrebt; der Gesetzgeber hat mit dem erschließungsrechtlichen Planerfordernis sicherstellen wollen, dass insbesondere die Anbaustraßen in Übereinstimmung mit der übrigen städtebaulichen Struktur der Gemeinde angelegt werden. Der Bebauungsplan entfaltet daher die ihm von § 125 Abs. 1 BauGB zugedachte Wirkung ungeachtet der von ihm als Rechtssatz ausgelösten planungsrechtlichen Bindung auch bei geringfügigen Planabweichungen. Unter dem Blickwinkel des erschließungsrechtlichen Planerfordernisses scheitert die Rechtmäßigkeit einer Straßenherstellung weder, wenn im Einzelfall die durch den Plan für diese Herstellung vorgesehene Fläche tatsächlich nicht in vollem Umfang in Anspruch genommen worden ist, noch wenn nicht alle Teile dieser Fläche so ausgebaut worden sind, wie es seinerzeit geplant war; derartige Abweichungen sind vielmehr ebenso wie geringfügige Planüberschreitungen kraft des bundesrechtlichen Erschließungsrechts noch durch den Bebauungsplan gedeckt (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.1997 – 8 C 6.96 – juris Rn. 13; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 7 Rn. 7).
Dem Erschließungsrecht geht es mit dem Erfordernis einer rechtmäßigen Herstellung nicht um die rechtssatzmäßige Bindung an die Festsetzungen eines Bebauungsplans. Es will lediglich eine (qualifizierte) Zustimmung zur Anlegung der Erschließungsanlage sicherstellen und zielt damit auf eine Grobabstimmung. Erhalten bleiben müssen die Grundzüge der Planung. Geringfügige Abweichungen sind dagegen – unter Lockerung der strengen (zentimetergenauen) planungsrechtlichen Bindung – unbeachtlich. Das bedeutet, dass eine planabweichend ausgeführte Erschließungsanlage im Rahmen dieser gesetzlichen Ausnahme gleichwohl erschließungsrechtlich und damit auch erschließungsbeitragsrechtlich rechtmäßig hergestellt ist. Unter welchen Voraussetzungen Planabweichungen unbeachtlich sind, beurteilt sich abschließend nach § 125 Abs. 3 BauGB (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 7 Rn. 20).
Nach § 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB wird die Rechtmäßigkeit der Herstellung von Erschließungsanlagen durch Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht berührt, wenn die Abweichungen mit den Grundzügen der Planung vereinbar sind und die Erschließungsanlagen hinter den Festsetzungen zurückbleiben. Mit den Grundzügen der Planung vereinbar sind Abweichungen von minderem Gewicht, die die Planungskonzeption des Bebauungsplans unangetastet lassen. Ob das der Fall ist, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden planerischen Willen der Gemeinde (vgl. BVerwG, U.v. 15.3.2000 – 4 B 18.00 – NVwZ-RR 2000, 759). Eine Abweichung hat minderes Gewicht, wenn die vom Plan angestrebte und in ihm zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung nicht in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird, d.h. wenn angenommen werden kann, die Abweichung liege (noch) im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes der Abweichung gekannt hätte (BVerwG, U.v. 9.3.1990 – 8 C 76.88 – BVerwGE 85, 66; BayVGH, B.v. 21.5.2014 – 6 ZB 12.377 – juris Rn. 6; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 7 Rn. 23).
b) Gemessen an diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die planunterschreitende Herstellung des insgesamt ca. 185 m langen N. Wegs auf einem lediglich 35 m langen Teilstück in einer Breite von ca. 3,80 m statt 7 m entgegen der Auffassung der Klägerseite mit den Grundzügen der Planung vereinbar und damit rechtmäßig hergestellt ist.
Der Bebauungsplan Nr. 249 „S. straße“ wurde am 18. November 1983 in Kraft gesetzt und am 31. Juli 1998 geändert. Mit dem Teilaufhebungsplan vom 3. Juli 2009 wurde ein Teilbereich des Bebauungsplans Nr. 249 nördlich des N.Wegs (festgesetztes Gewerbegebiet) ersatzlos aufgehoben. Der N. Weg ist nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts insgesamt 185 m lang; der Bebauungsplan setzt für ihn eine mit Straßenbegrenzungslinien umfasste Straßenverkehrsfläche mit einer (nicht vermaßten) Breite von etwa 7 m fest. Infolge des nicht möglichen Grunderwerbs im Bereich des Grundstücks FlNr. 1910/2 wurde der N. Weg an dieser Stelle auf einer Länge von 35 m lediglich in einer Breite von 3,80 m hergestellt; im Übrigen hält er eine Straßenbreite von ca. 7 m ein.
Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil zu Recht berücksichtigt, dass der N. Weg mittlerweile ausschließlich Wohnbebauung erschließt. Ein ursprünglich in dem Bereich vorhandener gewerblicher Autoverwertungsbetrieb ist inzwischen umgesiedelt. Nach der Begründung D.4. zur Teilaufhebungssatzung des Bebauungsplans aus dem Jahr 2009 hat der Stadtrat in Abstimmung mit dem Tiefbauamt vereinbart, den N. Weg (im Bereich der Engstelle) in geringerer Breite als im Bebauungsplan Nr. 249 vorgesehen herzustellen, weil künftig die gewerbliche Nutzung entfalle. Diese Erwägung ist in der Sache ohne weiteres nachvollziehbar, weil eine Wohnbebauung in aller Regel weniger Ziel- und Quellverkehr verursacht als ein Gewerbebetrieb in einem festgesetzten Gewerbegebiet. Es bestand auch keine zwingende Notwendigkeit, den Bebauungsplan hierfür förmlich abzuändern und den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Tatsächlich besteht in dem Gebiet – auch unter Berücksichtigung der Bebauung an den beiden nach Norden hin abzweigenden Stichstraßen – ausschließlich eine mäßig verdichtete Wohnbebauung in Form von Einzel- und Doppelhäusern. Der Einwand des Klägers, dass es angesichts der „massiven“ Wohnbebauung zu zahlreichem Begegnungsverkehr komme und die Engstelle eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrsfunkton darstelle, kann angesichts dessen nicht überzeugen. Das gleiche gilt für seine Behauptung, dass der N. Weg als Erschließungsanlage nicht funktionsfähig sei. Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung einer Erschließungsanlage sind einzelne Engstellen grundsätzlich auszublenden. Wenn aufgrund beengter innerörtlicher Verhältnisse nicht alle Kriterien der als Orientierungshilfe dienenden Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen (vgl. RASt 2006 bzw. EAE 85/95) eingehalten werden können, führt dies – wie auch im vorliegenden Fall – noch nicht zur Funktionsunfähigkeit einer Erschließungsanlage und zur Beitragsschädlichkeit (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 ZB 13.978 – juris Rn. 16; B.v. 23.8.2010 – 6 ZB 09.1394 – juris Rn. 5). Der N. Weg ist im Übrigen keine Durchgangsstraße, vielmehr endet er an seinem östlichen Ende als Sackgasse an zwei Absperrpfosten zur Äußeren U.straße hin. Kurz vor dem östlichen Ende des N. Wegs befindet sich eine für bis zu dreiachsige Ver- und Entsorgungsfahrzeuge geeignete Wendeplatte. Darüber hinaus ist nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Bedarfsfall auch durch die Beseitigung der Absperrpfosten am östlichen Ende des N. Wegs das Zu- und Abfahren von Entsorgungsfahrzeugen zur und von der Äußeren U.straße möglich. Straßenverkehrsrechtlich handelt es sich um einen verkehrsberuhigten Bereich, in dem nur Schrittgeschwindigkeit zugelassen ist. Zudem ist die Erschließungsanlage aufgrund ihres geraden Verlaufs auch im Bereich der Engstelle voll einsehbar. Das gilt auch, wenn sich die Engstelle im Einmündungsbereich zur S. straße hin befindet.
2. Die Rechtssache weist aus den unter 1. genannten Gründen auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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