Baurecht

Erfolglose Beschwerde einer Kommune wegen teilweiser Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen Erschließungsbeitragsbescheid

Aktenzeichen  6 CS 20.3153

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2836
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4
BauGB § 34 Abs. 1, § 128, § 131, § 133
KAG Art. 5a

 

Leitsatz

Bei einem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks am Ortsrand endet das Erschlossensein nicht unmittelbar an der in Richtung Außenbereich zeigenden Hauswand; es umfasst vielmehr auch den angrenzenden Hausgarten mit seiner ortsüblichen Ausdehnung, und zwar sowohl in der Breite, als auch in der Tiefe, und erstreckt sich demnach bei einem Baugrundstück mit „normaler“ Größe auf die gesamte Grundstücksfläche.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 S 20.2023 2020-12-02 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. Dezember 2020 – Au 2 S 20.2023 – wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 765,25 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen den stattgebenden Teil des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. Dezember 2020, mit dem dem Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Erschließungsbeitragsbescheid vom 7. September 2020 in Höhe eines Beitragsanteils von 3.061 € stattgegeben worden ist.
Im Jahr 2018 hat die Antragsgegnerin die Straße Beim R.turm, an der das im Miteigentum stehende Grundstück des Antragstellers FlNr. 212 anliegt, erstmals endgültig hergestellt, indem u.a. zur Entwässerung der Straßenoberfläche ein Regenwasserkanal verlegt und die Straßenbeleuchtung ergänzt worden sowie eine Fahrbahneinfassung errichtet worden sind. Die letzte Rechnung ist am 30. Januar 2020 bei der Antragsgegnerin eingegangen. Ein Bebauungsplan besteht für das Gebiet nicht. Der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin hat am 24. November 2020 eine Abwägungsentscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB getroffen.
Die Antragsgegnerin hatte den Antragsteller zunächst mit Bescheid vom 2. Juni 2020 für die Herstellung der Erschließungsanlage Beim R.turm zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 18.262 € herangezogen. Mit Bescheid vom 7. September 2020 hob sie den Bescheid vom 2. Juni 2020 auf u.a. mit der Begründung, dass das dem Grundstück des Antragstellers westlich benachbarte Grundstück FlNr. 212/1 zu Unrecht in das Abrechnungsgebiet einbezogen worden sei, weil dieser Teil der Straße bereits im Außenbereich liege und damit nicht zum Anbau bestimmt sei. Ebenfalls mit Bescheid vom 7. September 2020 zog die Antragsgegnerin den Antragsteller auf der Grundlage ihrer Erschließungsbeitragssatzung vom 25. April 2012 zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 20.581 € heran.
Der Antragsteller hat gegen den Erschließungsbeitragsbescheid vom 7. September 2020 Widerspruch erhoben und, nachdem die Antragsgegnerin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO abgelehnt hatte, beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beantragt. Dieses hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2020 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid angeordnet, soweit dieser einen über den Betrag von 17.520 € hinausgehenden Erschließungsbeitrag festsetzt und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 7. September 2020 dahingehend, dass das (mit einem Wohngebäude bebaute) Grundstück FlNr. 212/1 nicht wenigstens teilweise bei der Aufwandsverteilung berücksichtigt worden sei, weil dieses nach vorläufiger Beurteilung im Rahmen des Eilverfahrens jedenfalls zum Teil dem Innenbereich zuzuordnen sei. Dabei verlaufe die Grenze zum Außenbereich entlang der westlichen Außenwand des Wohngebäudes bis hin zur Erschließungsanlage Beim R.turm. Nach Süden hin sei nämlich über die Terrasse am Wohnhaus hinaus eine Fläche als angemessener Hausgarten dem Innenbereich zuzurechnen; dieser stelle eine typische wohnakzessorische Nutzung bebauter Grundstücke dar. Damit liege jedenfalls ein Teilbereich der südlichen Grundstücksfläche des Grundstücks FlNr. 212/1 an der abgerechneten Straße an, die auch insoweit zum Anbau bestimmt sei.
Die Antragsgegnerin hat gegen den stattgebenden Teil des Beschlusses Beschwerde erhoben, mit deren Begründung sie u.a. vorträgt, dass das Verwaltungsgericht die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich im Bereich des Grundstücks FlNr. 212/1 unzutreffend gezogen habe. Das Grundstück sei nur auf einer Seite von Bebauung umgeben und schließe sich unmittelbar an die freie Landschaft an. Es grenze nicht an die abgerechnete Erschließungsanlage an, sondern sei ausschließlich von Norden her erschlossen. Auch optisch sei die Bebauung nach Norden hin orientiert. Selbst wenn man den Gartenbereich des Grundstücks vergrößere, reiche der abzurechnende Innenbereich immer noch nicht an die Anlage. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Grenzziehung sei zu weitreichend, weil der Gartenbereich hier eine Fläche von etwa 550 m² aufweisen und dies mehr als einen „angemessenen“ Hausgarten darstellen würde. Es sei allenfalls der Terrassenbereich sowie ein Grünstreifen mit einzubeziehen. Entlang der Straße Beim R.turm sei das Grundstück in einem breiten Streifen mit Bäumen bepflanzt und werde in diesem Bereich weder gärtnerisch noch zu Aufenthaltszwecken genutzt. Im Übrigen wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.
Der Antragsteller widersetzt sich der Beschwerde und verteidigt insoweit den angefochtenen Beschluss.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber unbegründet.
Die von der Antragsgegnerin fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, die den Prüfungsrahmen im Beschwerdeverfahren bilden (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen nicht zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht vertritt nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich ausreichenden summarischen Prüfung mit guten Gründen die Auffassung, dass jedenfalls insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheids vom 7. September 2020 bestehen, als das Grundstück FlNr. 212/1 nicht wenigstens teilweise im Rahmen der Aufwandsverteilung berücksichtigt worden ist. Diese Rechtsansicht stellt die Beschwerde nicht mit schlüssigen Gegenargumenten ernstlich in Frage.
1. Bei der Straße Beim R.turm handelt es sich um eine Erschließungsanlage (Anbau straße i.S.v. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG), für deren erstmalige endgültige Herstellung die Antragsgegnerin Erschließungsbeiträge nach Maßgabe von Art. 5a KAG in Verbindung mit (i.V.m.) §§ 128 ff. BauGB von den Eigentümern der erschlossenen Grundstücke erheben darf und muss.
Aus den vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss genannten Gründen spricht nach Aktenlage Überwiegendes dafür, dass das dem Grundstück des Antragstellers westlich benachbarte Grundstück FlNr. 212/1 von der abgerechneten Straße im Sinn des Art. 5a KAG i.V.m. § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen wird und deshalb – der Fläche nach zumindest teilweise – zum Abrechnungsgebiet zählt. Die von der Antragsgegnerin hiergegen mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände vermögen nicht zu überzeugen.
Ein Straßenzug verliert seine Bestimmung zum Anbau und damit zugleich seine Eigenschaft als beitragsfähige Erschließungsanlage dort, wo er beidseitig endgültig in den Außenbereich oder einen durch planerische Festsetzungen der Bebauung entzogenen Bereich übergeht. Das Anlagenende wird – bei verallgemeinernder Betrachtung aus dem Blickwinkel der Straße – regelmäßig nicht durch die letzte Gebäudewand im Innenbereich markiert, sondern durch das Ende der üblichen (wohn-)akzessorischen Nutzung bei durchschnittlich großen Grundstücken, also typischerweise durch die Grenze des (letzten) Anliegergrundstücks zum Außenbereich. Endet der Bebauungszusammenhang auf der einen Straßenseite früher als auf der anderen, endet die Anbau straße erst mit dem letzten bebauten Grundstück (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 28).
Die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich bereitet häufig Schwierigkeiten. Maßgeblich ist, wie weit sich das Grundstück noch in einem Bebauungszusammenhang befindet, der einem Ortsteil angehört (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Das hängt allein von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Aus der Sicht des Erschließungsbeitragsrechts steht dabei weniger der Grundsatz im Vordergrund, dass der Bebauungszusammenhang in der Regel am letzten Baukörper der Ortslage endet. Entscheidend ist vielmehr, dass die typische wohnakzessorische Nutzung bebauter Grundstücke, insbesondere ein angemessener Hausgarten, regelmäßig noch ganz oder teilweise zum Innenbereich gehört (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 7.13 – juris Rn. 25 f.). Daraus folgt für den Fall eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks am Ortsrand: Das Erschlossensein endet nicht unmittelbar an der in Richtung Außenbereich zeigenden Hauswand; es umfasst vielmehr auch den angrenzenden Hausgarten mit seiner ortsüblichen Ausdehnung, und zwar sowohl in der Breite, als auch in der Tiefe, und erstreckt sich demnach bei einem Baugrundstück mit „normaler“ Größe auf die gesamte Grundstücksfläche. Die Grenzziehung kann im Einzelfall aufwändige Ermittlungen erfordern und bewegt sich naturgemäß innerhalb einer gewissen Bandbreite (Schmitz, a.a.O., § 13 Rn. 32). Um zu beurteilen, ob ein Grundstück innerhalb des Bebauungszusammenhangs liegt, bedarf es einer „echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts“ durch den Tatrichter (BVerwG, U.v. 16.9.2010 – 4 C 7.10 – juris Rn. 12). Eine derartige Bewertung des konkreten Einzelfalls ist in einem auf summarische Prüfung angelegten Eilverfahren grundsätzlich nur nach Aktenlage möglich.
Gemessen an diesem Maßstab sprechen gute Gründe dafür, dass entsprechend der Auffassung des Verwaltungsgerichts das Grundstück FlNr. 212/1 jedenfalls im Umgriff seiner bebauten Flächen einschließlich des wohnakzessorischen typischen Hausgartens nach Süden hin im Innenbereich liegt und jedenfalls in seinem südöstlichen Bereich an die noch im Innenbereich gelegene Anbau straße Beim R.turm angrenzt. Das strittige Grundstück FlNr 212/1 schließt sich unmittelbar westlich an die im Zusammenhang bebauten Grundstücke des Ortsteils K. an. Es ist mit einem Wohnhaus und Terrasse sowie Nebengebäuden bebaut. Im Süden grenzt es unmittelbar an die abgerechnete Ortsstraße Beim R.turm an. Das Verwaltungsgericht hat mit überzeugender Begründung ausgeführt, dass nach summarischer Prüfung über den Umgriff der bebauten Flächen hinaus nach Süden hin ein angemessener Hausgarten als typische wohnakzessorische Nutzung bebauter Grundstücke bis hin zur abgerechneten Straße Beim R.turm noch dem Innenbereich zugeordnet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 9.13 – juris Rn. 27 m.w.N.). Das in den Akten befindlichen Luftbild (Bl. 60 der Behördenakte) spricht eher für diese Auffassung. Dagegen wirkt die von der Antragsgegnerin auf diesem Luftbild vorgenommene handschriftliche Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich – jedenfalls aus erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht – eher „konstruiert“. Insgesamt kann ihre Auffassung, dass der im Innenbereich gelegene Teil des Grundstücks FlNr. 212/1 nicht an die abgerechnete Erschließungsanlage angrenze und der betroffene Bereich der Straße bereits im Außenbereich im Sinn des § 35 BauGB liege, nicht überzeugen und stellt den stattgebenden Teil des Beschlusses des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten ernstlich in Frage. Beitragsrechtlich unerheblich ist dabei, ob und inwieweit das Grundstück eine weitere Erschließung nach Norden hin erfährt (BayVGH, B.v. 12.8.2016 – 6 ZB 15.461 – juris Rn. 7) und dass es im Süden zur abgerechneten Straße hin mit Bäumen bepflanzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2019 – 6 ZB 19.778 – juris Rn. 8).
Die abschließende Klärung der strittigen Frage bleibt einem Hauptsacheverfahren und gegebenenfalls der Einnahme eines Augenscheins vorbehalten.
2. Soweit sich die Beschwerdebegründung gegen einzelne Begründungselemente des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses wendet, die nicht den stattgebenden Teil des Beschlusses betreffen, ist dies nicht Streitgegenstand. Für Angriffe hiergegen besteht von vornherein kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Antragsgegnerin hierdurch nicht beschwert ist.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat in Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in ständiger Rechtsprechung ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts – hier bezogen auf den stattgebenden Teil des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses (3.061 € : 4) – ansetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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