Baurecht

Erfolglose Beschwerde in baurechtlichem Nachbarklageverfahren gegen Baugenehmigung für Sanierung einer Garage und eines Anbaus

Aktenzeichen  15 CS 21.1209

Datum:
27.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16373
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4
BayBO Art. 6, Art. 63 Abs. 1, Art. 68 Abs. 4

 

Leitsatz

Eine von der Behörde erteilte Baugenehmigung kann private Rechte nicht verletzen, da sie unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird. Es ist nicht Aufgabe der Baugenehmigungsbehörden, strittige privatrechtliche Rechtsfragen – hier die Frage, ob die seit 60 Jahren vorhandene Rückwand der Garage der Beigeladenen (teilweise) auf dem Grundstück der Antragsteller stehen bleiben kann – zu klären.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 6 S 20.3083 2021-03-30 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren als Nachbarn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die den Beigeladenen mit Bescheid vom 9. November 2020 erteilte Baugenehmigung für die Sanierung einer bestehenden Garage und eines bestehenden Anbaus auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung S … (Baugrundstück), hilfsweise ihrem Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten stattzugeben.
Sie sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, das nordöstlich an das Baugrundstück angrenzt und mit einem neu errichteten Wohngebäude bebaut ist. Im Zuge dieser Baumaßnahme wurde ein an die streitgegenständliche Garage angrenzendes Nebengebäude auf dem Grundstück der Antragsteller abgebrochen. Dabei stellte sich heraus, dass die im Jahr 1960 bauaufsichtlich genehmigte Garage der Beigeladenen teilweise auf dem Grundstück der Antragsteller steht.
Die Beigeladenen begannen nach Abbruch des Nebengebäudes der Antragsteller die Garage auf dem Baugrundstück zu sanieren, da nach ihren Angaben ihre Garage durch die Baumaßnahmen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Nach Beginn der Bauarbeiten stellten sie einen Bauantrag und beantragten eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften. Die Antragsteller trugen schon im Baugenehmigungsverfahren vor, es bestünden erhebliche Bedenken gegen die Standsicherheit und den Brandschutz. Daraufhin ordnete die Antragsgegnerin vorläufig die Einstellung der Bauarbeiten an.
Mit Bescheid vom 9. November 2020 erteilte die Antragsgegnerin den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Abweichung von der Einhaltung der Abstandflächen. Im genehmigten Plan ist als Rückwand der Garage die bestehende Grenzwand gemäß genehmigtem Bauantrag vom 2. November 1960 auf der Grundstücksgrenze und nördlich der Grundstücksgrenze dargestellt. Die frühere Firsthöhe ist mit 3,90 m (genehmigt 4 m), die neue Firsthöhe mit 3,79 m angegeben. Zudem sind als Bestand eine 6 m lange neu erstellte Ersatzgrenzwand der Beigeladenen auf deren Grundstück und eine ca. 2 m lange neu erstellte Grenzwand der Antragsteller auf deren Grundstück sowie die übrigen Außenwände und der Betonboden der Garage dargestellt. Zur Begründung ist im Bescheid ausgeführt, durch die Verringerung der Firsthöhe gegenüber dem früher genehmigten Zustand liege eher eine geringfügige Verbesserung für die Nachbarn vor. Durch die bereits genehmigte Garage, die die derzeit geltenden abstandsflächenrechtlichen Vorgaben nicht einhalte, liege ein atypischer Einzelfall vor, der die gewährte Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächen erforderlich mache. Das Interesse der Bauherren am Erhalt der Bausubstanz überwiege das nachbarliche Interesse deutlich. Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Klage, über die das Verwaltungsgericht Regensburg nach Aktenlage noch nicht entschieden hat (RN 6 K 20.2913), gegen die Baugenehmigung und verlangen hilfsweise ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Sanierungsmaßnahmen.
Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid und hilfsweise auf Einstellung der Bauarbeiten hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. März 2021 abgelehnt. Hinsichtlich des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, da die Errichtung des Rohbaus abgeschlossen sei. Beeinträchtigungen, die nicht nur vom schon bestehenden Baukörper, sondern durch die Nutzung der Garage entstehen würden, seien von den Antragstellern nicht geltend gemacht worden. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg, denn die Klage werde voraussichtlich erfolglos bleiben. Die Baugenehmigung verstoße hinsichtlich nachbarschützender Vorschriften nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Auch lägen keine Verstöße gegen das Abstandsflächenrecht und das Rücksichtnahmegebot vor. Bei summarischer Prüfung spreche viel dafür, dass hinsichtlich eines potentiellen Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten Verwirkung eingetreten sei. Zudem lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen voraussichtlich vor, denn es bestehe eine atypische Situation. Auf den beiden Grundstücken seien über Jahre hinweg zwei Nebengebäude aneinandergebaut gewesen. Nach Abriss des Bestandsgebäudes auf dem Grundstück der Antragsteller seien die Beigeladenen gezwungen gewesen, die dadurch instabil gewordene Garage zu sanieren. Die Garage habe auch keine erdrückende Wirkung. Auch unter dem Gesichtspunkt der Standsicherheit sei keine Verletzung drittschützender Vorschriften ersichtlich. Unabhängig davon, ob die Regelungen zur Standsicherheit überhaupt von der Feststellungswirkung der streitgegenständlichen Baugenehmigung umfasst seien, sei weder substantiiert dargelegt noch ersichtlich, inwiefern eine konkrete Gefahr für die Standsicherheit des Anwesens der Antragsteller gegeben sein könnte. Die Tatsache, dass die Baubeginnsanzeige vom Ersteller des Standsicherheitsnachweises mitunterzeichnet worden sei, spreche vielmehr gegen Standsicherheitsbedenken.
Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei nicht unzulässig, da sich durch die Nutzung der Garage, etwa durch Befahrung mit schweren Fahrzeugen, die Standsicherheitsbedenken vertiefen könnten. Im Übrigen sei die Garage zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht errichtet gewesen, sondern dies sei erst später erfolgt. Das Gericht stelle auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung ab, der reine Zeitablauf könne den Antragstellern aber hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit nicht entgegengehalten werden. Der Hilfsantrag sei jedenfalls zulässig und begründet. Eine Verwirkung liege nicht vor. Es sei schon nicht ersichtlich aufgrund welchen Sachverhaltsumstands eine Vertrauensbetätigung eingetreten sei, denn das nunmehr neu genehmigte Vorhaben entspreche gerade nicht dem zuvor mutmaßlich jahrzehntelang geduldeten. Es liege auch keine atypische Situation vor. Es sei nicht ersichtlich, wie im Zuge eines neuen Genehmigungsverfahrens ein Überbau, der unter Berücksichtigung des Fundaments gut 75 cm in das Grundstück der Antragsteller rage und zudem statische Bedenken aufwerfe, die Rechte der Antragsteller überwiegen könne. Das Gebäude verstoße deshalb auch gegen das baunachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot. Zudem müsse den Standsicherheitsbedenken nachgegangen werden. Der Antragsteller zu 2 sei Architekt und Bauingenieur mit gut 40-jähriger Erfahrung und habe solche Bedenken substantiiert dargetan. Es handele sich um eine ca. 60 Jahre alte und nur 11,5 cm starke Ziegelmauer mit Kalkmörtel, die ca. 4 m hoch und 14 m lang sei. Das Gebäude sei damit nicht standsicher. Zudem stehe das nur innenseitig verputzte Mauerwerk auf einem Streifenfundament, das im Mittel 32 cm, vereinzelt sogar bis zu 75 cm auf dem Grundstück der Antragsteller errichtet sei und das zu dem ehemaligen, mittlerweile abgerissenen Anbau auf dem Grundstück der Antragsteller gehört habe. Das Fundament gehöre daher zivilrechtlich den Antragstellern und sei lediglich vorläufig nicht abgestemmt worden, damit die Wand nicht einstürze. Die Wand sei aber nicht angebaut, sondern lediglich vorgestellt gewesen. Aus der Mitnutzung des Fundaments sei eine rechtswidrige Grenzüberbauung entstanden. Der Anspruch auf Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustands sei nicht verwirkt. Die Garage der Beigeladenen stehe im Süd-Westen des Grundstücks der Antragsteller und nehme die Sonne. Die Beigeladenen hätten auch bei Ankauf des Grundstücks gewusst, dass ein Überbau vorliege. Die Voreigentümer der Antragsteller hätten demgegenüber nicht gewusst, dass die Voreigentümer der Beigeladenen ihr Gebäude auf das Fundament gestellt hätten. Dies sei auch von außen nicht erkennbar gewesen.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 12. Mai 2021 noch eine statische Berechnung des Ingenieurbüros S … vom 21. Juli 2020 vorgelegt.
Die Beigeladenen verteidigen den erstinstanzlichen Beschluss und beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre.
1. Die Antragsteller konnten die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Baugenehmigung sei unzulässig, da das Rechtsschutzbedürfnis dafür fehle, nicht erschüttern. Soweit sie geltend machen, es könne ihnen nicht zum Nachteil gereichen, wenn der Rohbau im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens fertig gestellt werde, können sie damit keinen Erfolg haben. Einerseits trifft es nicht zu, dass der Rohbau erst nach Einreichung des Antrags fertiggestellt wurde. Aus den im Bauakt enthaltenen Lichtbildern vom 27. November 2020 ist ersichtlich, dass der Bau schon vor Einleitung des Eilverfahrens am 15. Dezember 2020 weit fortgeschritten war. Andererseits ist in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wie in jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren das Vorliegen des allgemeinen Rechtsschutzinteresses zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erforderlich (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 82 f.), denn vorläufiger Rechtsschutz kann nur gewährt werden, wenn die gerichtliche Entscheidung nicht von vornherein nutzlos ist. Zwischenzeitlichen Veränderungen der Sach- und Rechtslage kann z.B. durch eine Erledigterklärung Rechnung getragen werden, um die Kostenlast zu vermeiden.
Auch die im Beschwerdeverfahren erstmalige Geltendmachung einer nachteiligen Betroffenheit der Antragsteller durch die Nutzung der Garage führt zu keiner anderen Beurteilung. Zum einen ist mittlerweile durch Vorlage der statischen Berechnung vom 21. Juli 2020 geklärt, dass keine statischen Bedenken gegen die Sanierung der Grenzgarage bestehen. Zum anderen ist ohnehin nicht ersichtlich, wie größere Fahrzeuge die für Pkw ausgelegte Garage nutzen könnten und welche statischen Probleme dadurch entstehen sollten. Im Übrigen erscheint es widersprüchlich, wenn die Antragsteller zwar Bedenken gegen die Standsicherheit der Garage äußern, eine Sanierung, mit der diese Bedenken ausgeräumt werden können, aber ablehnen.
2. Auch die hilfsweise beantragte Einstellung der Baumaßnahmen im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO kommt nicht in Betracht. Dabei kann dahinstehen, ob dieser Antrag nach Fertigstellung des Rohbaus (s.o. Nr. 1) ebenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist, weil nur eine Beeinträchtigung durch das Gebäude als solches abgewehrt werden soll (vgl. BayVGH‚ B.v. 26.1.2012 – 2 CE 11.2767 – juris Rn. 10; B.v. 22.8.2014 – 9 CE 14.1132 – juris Rn. 13).
Die Antragsteller konnten mit ihrer Beschwerde keinen Anordnungsanspruch bezüglich der Einstellung der Bauarbeiten glaubhaft machen. Sie haben nicht hinreichend dargelegt und begründet, dass das Ermessen der Antragsgegnerin zum Einschreiten nach Art. 75 BayBO nach Fertigstellung des Rohbaus auf Null reduziert sein könnte (vgl. zum Anspruch eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand Februar 2021, Art. 75 Rn. 147). Das Vorhaben ist bauaufsichtlich genehmigt und es sind insbesondere keine Ermessensfehler bei Erteilung der Abweichung hinsichtlich der Abstandsflächenvorschriften ersichtlich. Zutreffend hat die Antragsgegnerin berücksichtigt, dass die streitgegenständliche Garage vor ca. 60 Jahren mit einer Höhe von 4 m genehmigt worden ist. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin unter diesen Umständen das Interesse der Beigeladenen am Erhalt der Bausubstanz höher bewertet hat als das Interesse der Antragsteller an der Einhaltung der derzeit gültigen Abstandsflächenvorschriften. Ob den damaligen Grundstückseigentümern bewusst war, dass die Garage nicht grenzständig errichtet wurde und wann dies die Voreigentümer oder die jetzigen Grundstückseigentümer erkannt haben, spielt dafür keine Rolle. Im Übrigen kann eine von der Behörde erteilte Baugenehmigung private Rechte nicht verletzen, da sie nach Art. 68 Abs. 4 BayBO unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird. Es ist nicht Aufgabe der Baugenehmigungsbehörden, strittige privatrechtliche Rechtsfragen – hier die Frage, ob die seit 60 Jahren vorhandene Rückwand der Garage der Beigeladenen (teilweise) auf dem Grundstück der Antragsteller stehen bleiben kann – zu klären (vgl. Lechner in Busse/Kraus, BayBO, Art. 68 Rn. 255, 258).
3. Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Da die Beigeladenen einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, dass die Antragsteller auch deren außergerichtlichen Kosten als Gesamtschuldner tragen (§ 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, Anhang) und entspricht der Festsetzung des Streitwerts durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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