Baurecht

Erfolglose Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses (Abgrenzung Innen-/Außenbereich)

Aktenzeichen  M 1 K 16.3526

Datum:
23.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 126473
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 7, § 36
BayBO Art. 59, Art. 65 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 42a Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es gibt keine Rechtsvorschrift im Sinne des Art. 42a Abs. 1 S. 1 BayVwVfG, die anordnen würde, dass ein Bauantrag nach Ablauf einer für die Entscheidung festgesetzten Frist als erteilt gelten würde. Insbesondere die Bayerische Bauordnung (BayBO) enthält eine solche Regelung nicht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch ein von drei Seiten umbautes Grundstück muss nicht notwendigerweise an einem von § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB vorausgesetzten Bebauungszusammenhang teilnehmen (hier verneint für eine 6.000 m² große Fläche). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt im Haupt- und Hilfsantrag ohne Erfolg.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bescheinigung des Eintritts der Genehmigungsfiktion zu seinem Bauantrag.
Nach Art. 42a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Nach Art. 42a Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG beträgt die Frist nach Art. 42a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG drei Monate, soweit durch Rechtsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt ist. Es gibt keine Rechtsvorschrift im Sinne des Art. 42a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, die anordnen würde, dass ein Bauantrag nach Ablauf einer für die Entscheidung festgesetzten Frist als erteilt gelten würde. Insbesondere die Bayerische Bauordnung (BayBO) enthält eine solche Regelung nicht. In der BayBO gibt es nur eine (einmonatige) Fiktion für die interne Zustimmung oder das interne Einvernehmen dritter Stellen (Träger öffentlicher Belange) bei der Erteilung der Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde (siehe Art. 65 Abs. 1 Satz 2 BayBO); darum geht es hier nicht. Hinsichtlich der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens gilt die Einvernehmensfiktion des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB (Zwei-Monats-Frist). Diese Fiktion ist vorliegend nicht eingetreten, da die beigeladene Gemeinde den bei ihr am 17. November 2015 eingegangenen Bauantrag am 1. Dezember 2015 abgelehnt und den Kläger davon am 8. Dezember 2015 unterrichtet hat. Im Übrigen hätte der Eintritt der Einvernehmensfiktion das Landratsamt nicht an der Ablehnung des Bauantrags gehindert.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung.
Der Ablehnungsbescheid vom 12. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Bauvorhaben des Klägers ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Es liegt im Außenbereich nach § 35 BauGB (a.) und beeinträchtigt als nichtprivilegiertes Vorhaben öffentliche Belange (b.).
a. Das Bauvorhaben des Klägers liegt nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und deshalb im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB.
Ein Bebauungszusammenhang nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 11, m.w.N.).
Ein Grundstück fällt nicht bereits deshalb unter § 34 Abs. 1 BauGB, weil es von einer zusammenhängenden Bebauung umgeben ist. Erforderlich ist vielmehr, dass das Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, selbst also am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Mögliche Bestandteile eines Bebauungszusammenhangs sind zum einen bebaute Grundstücke, soweit die darauf befindliche Bebauung geeignet ist, den Bebauungszusammenhang selbst herzustellen oder an seiner Entstehung mitzuwirken. Ferner können auch unbebaute Grundstücke dem Bebauungszusammenhang angehören, wenn es sich um eine Baulücke im engeren Sinne des Wortes handelt, d.h. um eine zwar unbebaute, aber bebauungsfähige Fläche, die trotz der fehlenden Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit der umgebenden Bebauung nicht stört; dem Fall eines unbebauten Grundstücks gleichzustellen sind Grundstücke mit baulichen Anlagen, die selbst nicht geeignet sind, den Bebauungszusammenhang herzustellen oder an seiner Entstehung mitzuwirken. Dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB können weiterhin nur solche Bauwerke zugerechnet werden, die für eine nach der vorhandenen Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung maßstabsbildend sind; welche Fortentwicklung angemessen ist, ist mit Blick auf das im Begriff des Ortsteils anklingenden Ziel einer organischen Siedlungsstruktur zu bestimmen (BVerwG aaO.). Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nicht jede beliebige bauliche Anlage. Grundsätzlich gehören hierzu nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinne „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (BVerwG aaO.; siehe auch BVerwG, U.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – juris).
Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 13 ff., m.w.N.).
Gemessen an diesen Vorgaben befindet sich das klägerische Grundstück nach dem Eindruck, den sich das Gericht im Augenscheintermin von der näheren Umgebung verschafft hat, in keinem Bebauungszusammenhang.
Das Vorhabensgrundstück ist Teil eines sich von Norden nach Süden zwischen die Bebauung im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Am Holzroth“ im Westen und dem von den Beteiligten einvernehmlich nach § 34 BauGB beurteilten bebauten Gebiet entlang der Stich Straße „B.“ im Osten schiebenden und im Süden an die Wohnbebauung auf den Grundstücken Fl.Nrn. 762/73, 762/125 und -/126 stoßenden Grünzuges. Dieser Grünzug umfasst von Norden ausgehend das große Grundstück Fl.Nr. 762/19, auf dem sich ein ehemaliges landwirtschaftliches Gebäude befindet und das ansonsten vollständig mit Büschen und Bäumen bewachsen ist; sodann das Grundstück Fl.Nr. 762/17, auf dem sich außer einer hinter Bäumen verborgenen Hütte und einem weiteren, in den Plänen nicht eingezeichneten Nebengebäude aus Holz keine Bebauung, sondern nur dichter Bewuchs befindet; sodann die Grundstücke Fl.Nrn. 762/119, -/78 (das Vorhabensgrundstück) und -/96, die bis auf eine Holzlege auf Fl.Nr. 762/119 frei von jeglicher Bebauung sind und auf Fl.Nr. 762/96 Büsche und Bäume aufweisen; sodann das Grundstück Fl.Nr. 762/72, auf dem sich außer einem Holzschuppen keine Bebauung befindet. Dieser nur vereinzelt mit Nebengebäuden bestandene Grünzug umfasst sogar ohne das große nördliche Grundstück Fl.Nr. 762/19 bereits eine Fläche von ca. 6.000 qm. Die Dimension dieser Fläche und der vor Ort gewonnene optische Eindruck erlauben es nicht, diese Fläche in einen Bebauungszusammenhang mit der sie begrenzenden westlichen, östlichen oder südlichen Bebauung zu bringen (vgl. hierzu etwa BayVGH, U.v. 16.6.2015 – 1 B 14.2772 – juris zu einer etwa 3.300 qm großen Fläche; U.v. 9.9.2015 – 1 B 15.251 – juris; B.v. 24.6.2014 – 2 ZB 12.2632 – juris). Vielmehr weist diese Fläche eine eigenständige städtebauliche Qualität im Sinne einer naturnahen Außenbereichsfläche auf. Das Vorhabensgrundstück ist Teil dieser Fläche und teilt dessen Charakter; irgendwelche topographischen oder sonstigen Besonderheiten, die es rechtfertigen könnten, das Grundstück innerhalb der Freifläche abweichend zu beurteilen, waren im Augenscheintermin nicht erkennbar.
b. Das nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Wohnbauvorhaben des Klägers beeinträchtigt als sonstiges Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB.
Es widerspricht nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB der Darstellung „Fläche für die Landwirtschaft“ im gültigen Flächennutzungsplan der Beigeladenen.
Zudem beeinträchtigt es den öffentlichen Belang nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Nach dieser Vorschrift liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, wenn das Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Das Vorhaben würde zur Entstehung einer Splittersiedlung in der beschriebenen Außenbereichsfläche, also zu einer unorganischen Streubebauung führen.
Schließlich beeinträchtigt das Vorhaben den öffentlichen Belang nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, da es die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigen würde. Der Bereich ist geprägt von moosiger Bewaldung, welche typisch für die natürliche Umgebung ist.
Aus diesen Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), ist es angemessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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